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Probleme bei er Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen in Krasnojarsk

T.L. Moisejewa (Krasnojarsker „Memorial“-Gesellschaft)

Seit der Verabschiedung des Gesetzes der Russischen Föderation „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen“ N° 1761-1 vom 18.10.1991 sindnunmehr 15 Jahre vergangen.

Ziel des vorliegenden Gesetzes ist die Rehabilitierung aller Opfer politischer Repressionen, die derartigen Verfolgungen auf dem Territorium der Russischen Föderation seit dem 25. Oktober (7. November) 1917 ausgesetzt waren, die Wiederherstellung ihrer Bürgerrechte, die Beseitigung anderer Folgen der Willkür sowie die Sicherstellung einer für die heutige Zeit angemessenen Kompensation für den materiellen Schaden.

Die Krasnojarsker „Memorial“-Gesellschaft ist seit 18 Jahren tätig. in dieser Zeit haben wir vielen Repressionsopfern kostenlose juristische Hilfe bei ihrer Rehabilitation und im Hinblick auf die Bewilligung von Ausgleichszahlungen geleistet – wie es im gesetz der Russischen Föderation „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen“ vorgesehen ist.

Eine Besonderheit der Region Krasnojarsk im Vergleich mit den anderen Regionen stellt die Tatsache dar, dass eine große Anzahl von Menschen auf administrativem Wege hierher ausgewiesen und zur Zwangsansiedlung verschickt wurde oder hier auch ihre Lagerhaft mit anschließender Verbannung verbüßten. Insgesamt sind dies mehr als 500 000 Menschen. Es sind dies die von der Massenenteignung und Aussiedlung in den Jahren 1929-1935 betroffenen sogenannten „Kulaken“-Familien, die Deportationen der Deutschen aus der ASSR der Wolgadeutschen und anderen Regionen der UdSSR 1941, die Deportationen der Finnen aus dem Gebiet Leningrad 1941-42, der Litauer, Letten, Esten 1941 und nach dem Krieg. 1944 wurden in die Region Krasnojarsk Krimtataren, Griechen, Kalmücken und andere Völkerschaften ausgesiedelt. Außerdem wurde Ende der 1940er, Anfang der 1950er Jahre die Aussiedlung der Familien von Mitgliedern der Organisation Ukrainischer Nationalisten und Wlassow-Anhängern aus der Ukraine durchgeführt.

Im Laufe der letzten Jahre wenden sich jährlich mehr als 300 Bürger an uns. Mit den meisten von ihnen zieht sich unserer Arbeit in der Regel über mehr als ein Jahr hin. Wir schreiben Anträge zur Feststellung des Tatbestandes der Anwendung von Repressionen an unterschiedliche Behörden und Staatsarchive der verschiedenen Regionen der Russischen Föderation und der ehemaligen Unionsrepubliken, an Standesämter, Bezirksverwaltungen des FSB, Staatsanwaltschaften, MWD und andere Organisationen, um Auskünfte einzuholen, die bestätigen, dass tatsächlich Repressionsmaßnahmen angewandt wurden.

Im Zusammenhang damit, dass seit der Ausübung politischer Repressionen bereits viele Jahre vergangen sind und es nicht immer gelingt dokumentales Beweismaterial zu finden, schreiben wir Klageschriften an die Gerichte erster Instanz, damit in einer Gerichtsverhandlung durch Zeugenaussagen der Tatbestand angewendeter politischer Repressionen an Familienmitgliedern oder der jeweiligen Person selbst, aber auch der Tatbestand der illegalen Konfiszierung von Besitz sowie des Anspruchs auf Ausgleichszahlungen für diesen konfiszierten Besitz festgestellt wird. Allein in diesem Jahr wurden 78 Klageschriften an die Gerichte versandet. Und für den Fall eines ablehnenden Entscheids durch das Gericht erster Instanz schicken wir Privatklagen and das Regionsgericht, das dann die Aufhebung des Entscheids aus Gründen der Haltlosigkeit und die Einreichung der Angelegenheit zur erneuten Überprüfung anordnen soll.

In Übereinstimmung mit dem Gesetz der Russischen Föderation „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen“ ist die Rehabilitation von Bürgern jeweils an dem Ort vorgesehen, an dem diese Repressionen angewandt wurden. Das heißt: wenn ein Bürger auf administrativem Wege aus einer anderen Region, beispielsweise aus dem Gebiet Omsk, in die Region Krasnojarsk verschleppt wurde, so hat die Entscheidung über ihre Rehabilitierung durch die GUWD der Region Omsk zu erfolgen, während der Beschluß über die Rehabilitierung ihrer Kinder, die während der Sonderzwangsansiedlung der Eltern in der Region Krasnojarsk geboren wurden, von der GUWD der Region Krasnojarsk vorgenommen werden muß. Das vergrößert den Arbeitsumfang noch.

Ein weiteres Problem – die Rehabilitierung der sogenannten „Ukasniks“, insbesonderer derer, die aufgrund des Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 02.06.1948 „Über die Aussiedlung in entlegene Regionen von Personen, die sich in böser Absicht von der Arbeit in der Landwirtschaft fernhalten und eine asoziale, parasitäre Lebensweise führen“. Im gesetz der Russischen Föderation „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen“ ist eine unmittelbare Rehabilitation dieser Kategorie von Bürgern nicht vorgesehen, wenngleich es sich hier dem Wesen des Gesetzes nach ganz offensichtlich um eine politische Repressionsmaßnahme handelt. Um das Recht einer „Ukasniza“ zu erkämpfen, gingen wir bis vor den Obersten Gerichtshof, konnten jedoch auch dort das Problem nicht klären.

Und noch ein Problem – die Fristen für die Beantragung einer Entschädigung für den Wert des beschlagnahmten Besitzes. Laut Regierungsverordnung der Russischen Föderation vom 12.08.1994 N° 926 „Über die Art und Weise der Rückgabe von im Rahmen politischer Repressionen illegal beschlagnahmten, sichergestellten oder anderweitig aus dem Eigentum von Bürgern entfernten Besitztümern, des Schadensersatzes für deren Wert oder die Auszahlung einer finanziellen Kompensation“ wurde eine dreijährige Frist festgelegt, die ab dem Zeitpunkt des Erhalts des Rehabilitationsdokuments gilt und mit Verlauf von drei Jahren nach Inkrafttreten des § 16 des Gesetzes der Russischen Föderation „Über die Rehabilitierung der Opferpolitischer Repressionen“ endet. Nach verstreichen der dreijährigen Frist lehnen die Kommissionen zur Wiederherstellung der Rechte von Opfern politischer Repressionen bei den Bezirksverwaltungen die Auszahlung einer finanziellen Kompensation ab und die Gerichte nehmen keine diesbezüglichen Klageschriften mehr an, bzw. verweigern die Überprüfung der Sachlage, denn mangelnde Kenntnis über die Einzelheiten des Gesetz stellen dafür keinen triftigen Grund dar. In den vergangenen fünf Jahren ist es lediglich in zwei Fällen gelungen vor Gericht zu beweisen, dass die dreijährige Frist aus einem triftigen Grund nicht eingehalten werden konnte: in einem Fall war das Repressionsopfer blind, im zweiten litt es an einer Krebserkrankung.

Durchschnittliche erhalten im Laufe eines Jahres mit unserer Hilfe 80-90 Personen ihre Rehabilitationsbescheinigung und 10-15 Personen eine Entschädigungszahlung. Seit 2004 allerdings entbindet selbst das Vorhandensein sämtlicher notwendiger Dokumente den Rehabilitierten nicht von erheblichen Strapazen in Zusammenhang mit dem Erhalt einer Entschädigung. Wenn bis zu dem Zeitpunkt derartige Gelder von der Bezirksverwaltung ausgezahlt wurden, die dann anschließend aus dem föderativen Budget wieder dorthin zurückflossen, so wurden per Regierungsverordnung der Russischen Föderation N° 635 vom 15.11.2004 die Regeln für die Finanzierung der Aufwandsverpflichtungen zur Auszahlung von Entschädigungen an Unterstützungsempfänger, darunter auch an Repressionsopfer, festgelegt. Jetzt schicken die Kommission zur Wiederherstellung der Rechte von Opfern politischer Repressionen den Beschluß über die Auszahlung von Entschädigungen aufgrund der Konfiszierung des besitzes ans Amt für Sozialfürsorge bei der Regionsverwaltung, von dort werden die Listen nach Moskau weitergeleitet – und so warten die rehabiltierten Bürger zwischen 8 und 10 Monate auf ihre gesetzlich vorgesehenen 10000 Rubel.

Ein akutes Problem ist die Nichtübereinstimmung der Rehabilitationsgesetze in den ehemaligen Unionsrepubliken und als Folge davon auch der Rehabilitationsbescheinigungen, die von anderen Republiken (insbesondere der Ukraine) ausgestellt werden und deren Gültigkeit in Rußland nicht anerkannt wird. Die Organe der Sozialfürsorge verlangen eine Bestätigung der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation, dass diese Dokumente dem gesetz der Russischen Föderation „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen“ entsprechen.

Ich führe ein charakteristisches Beispiel an. Eine endlos lange Zeit mußten wir uns mit Problemen bei er Rehabilitierung von Dawis Petrowitsch Zaunitis, geb. 1887, befassen. Seine Familie lebte in Lettland, wo auch die eigentliche politische Verfolgung stattfand. Am 21.05.1941 wurde D.P. Zaunitis in der Stadt Zesis verhaftet und am 14.06.1941 durch eine NKWD-Provinzabteilung der Lettischen SSR als Großindustrieller und sozial gefährliches Element verurteilt; seine Familie, bestehend aus Ehefrau Kristina Janowna, geb. 1890, sowie den beiden Töchtern Wilma, geb. 1913, und Irena, geb. 1916, wurde am Tag seiner Verhaftung, also am 14.06.1941, auf administrativem Wege unbegründet ausgewiesen und zur Zwangsansiedlung in den Bezirk Turuchansk, Region Krasnojarsk, verschleppt. Aufgrund unserer Kontaktaufnahme mit dem Staatlichen Informationszentrum in Lettland und der Staatsanwaltschaft der Republik wurde die Familie von D.P. Zaunitis rehabilitiert. Während der Zwangsansiedlung bekam Wilma D. Zaunite zwei Töchter. Zwecks Rehabiltierung der Kinder, die in unserer Region geboren sind, wandten wir uns mit sämtlichen Dokumenten ans regionale Informationszentrum der GUWD – auch sie bekamen ihre Rehabilitationsbescheinigungen.

Nur Irena D. Zaunite, geb. 1916, ist als Erbin ersten Grades noch am Leben und besitzt damit das recht auf Entschädigung für den illegal konfiszierten besutz, der ihrer Familie seinerzeit gehörte. Hier stellte sich unsere Suche nach Dokumenten als dornreicher, mühsamer Weg dar. In keinem der Dokumente, die wir von der Staatsanwaltschaft bzw. aus dem Staatlichen Informationszentrum des MWD von Lettland erhalten hatten, gab es irgendeinen Nachweis, eine Bestätigung für den beschlagnahmten Besitz. Wir wandten uns ans lettische Staatsarchiv, das uns eine detailliertere Archivbescheinigung zusandte, in der sich ein Nachweis aus dem Jahre 1930, ausgestellt auf den Namen des Familienoberhauptes D.P. Zaunitis befand, nach dem für bei der Verwaltungsabteilung der Stadt Zesis folgender Besitz eingetragen war: ein Haus, eine Ziegelei sowie andere Besitztümer. Im folgenden gelang es Dokumente einzuholen, die bestätigten, dass eben dieser Besitz 1941 illegal beschlagnahmt wurde. Die Auszahlung von Entschädigungen an Personen, die außerhalb Lettlands leben, wird vom lettischen Fiannzministerium entschieden, an das wir alle verfügbarenDokumente schickten. Die Dokumente wurden an die zuständige Abteilung der Stadt Zesis weitergeleitet, welche eine Entschädigungszahlung mit der Begründung ablehnte, dass man einen entsprechenden Antrag bis 1996 hätte stellen müssen, denn in Lettland seien inzwischen Grund und Boden sowie Gebäude privatisiert worden.

Widerholt wandten wir uns an das lettische Ministerium für Finanzen, denn diese betagte Frau ist Analphabetin und konnte nicht wissen, dass sie nicht nur die Möglichkeit der Rehabilitation, sondern auch einer Entschädigung für illegal konfiszierten Besitz besaß und dass ihre Familie 2002 rehabilitiert wurde. Endlich, im Oktober, kam der positive Bescheid über die Zahlung einer Entschädigung an I.D. Zaunite in Höhe von 500 Lat. Die meisten Antworten kamen in lettischer Sprache, sie mußten übersetzt werden. Außerdem befindet sich I.D. Zaunite in weit fortgeschrittenem Alter, sie ist bereits 86 Jahre alt und lebt im Bezirk Jenisejsk. Die Zugfahrt dorthin dauert 6 Stunden. Letztendlich gelang es das Problem der Entschädigungszahlung nur deshalb zu lösen, weil sich für mich während des Urlaubs die Möglichkeit ergab nachLettland zu reisen und dort vorort eine Entscheidung herbeizuführen.

Es treten Probleme beim Erhalt der Antwortschreiben auf, besonders bei Anfragen an die Ukraine und die baltischen Republiken. Zwei- oder dreimal müssen wir Erinnerungsschreiben schicken und bekommen die Antwort dann auch noch auf Ukrainisch, Lettisch oder in anderen Sprachen. Also müssen noch offizielle Übersetzungen ins Russisches vorgenommen werden.

Es gibt auch immer wieder Schwierigkeiten bei der Rehabilitierung von Bürgern, die 1944 auf dem Verwaltungswege von der Krim (Tataren, Deutsche, Juden und andere) ausgesiedelt wurden. Das Ukrainische Rehabilitationsgesetz gilt nicht für Bürger diesr Kategorien. Auch in Rußland verweigert manihnen die Rehabilitierung mit der Begründung, dass die Krim sich auf dem Territorium der Ukraine befindet. Allerdings gehörte die Krim 1954, also zum Zeitpunkt der Repressionsmaßnahmen, zur RSFSR, und viele ausgewiesene Menschen bliebennach Verbüßung ihrer Verbannunszeit in der Region Krasnojarsk und sind heute Bürger der Russischen Föderation.

Im Zusammenhang mit der Verabschiedung des Gesetzes N° 122, d.h. dem Gesetz über Monetisierung, ist die Situation vieler Bürger, die das recht auf Beihilfe besitzen, schlechter geworden, denn die Finanzierung der Gelder für Beihilfeempfänger wurde von der föderalen auf die regionale Ebene übertragen. Infolgedessen befinden sich Beihilfeempänger, unter ihnen auch Rehabilitierte, in einer ungleichen Lage. In der Region Krasnojarsk sind praktisch alle Vergünstigungen für Rehabilitierte erhalten geblieben, in vielen anderen Regionen werden jedoch nur äußerst kümmerliche Entschädigungsgelder bewilligt und die üblichen Vergünstigungen wurden ganz abgeschafft. Mehrmalige Gesuche an die Duma bezüglich der Übertragung der Finanzierung von Beihilfen für Rehabilitierte auf Föderationsebene wurden ignoriert.

Und abschließend zur Nichteinhaltung des gesetzes über die Rehabilitierung in dem Teil, der die juristische Hilfe für Repressionsopfer betrifft. Laut Gesetz N° 12-2582 der Region Krasnojarsk „Über die Gewährung kostenloser juristischer Hilfe für Staatsbürger der Russischen Föderation auf dem Territorium der Region Krasnojarsk“ muß Staatsbürgern der Russischen Föderation, die politische Repressionen erlitten haben, kostenlose juristische Hilfe bei Rehabilitierungsfragen gewährt werden. In der Tat ist es aber so, dass man von den Repressionsopfern auch noch Geld verlangt, ohne dabei eine wirklich gute juristische Hilfe zu gewährleisten. So wandte sich beispielswiese N.A. Chlebnikows, eine arme Rentnerin aus der Siedlung Nasimowo, Bezirk Jenisejsk, an die juristische Rechtsberatung, in der hoffnung auf Hilfestellung beim Verfassen einer Klageschrift zur Wiederherstellung des Tatbestandes der Anwendung politischer Repressionen. Sie zahlte für diesen Dienst 900 Rubel, und das Gericht nahm den Antrag nicht einmal zur Überprüfung an. Erst mit Hilfe der Krasnojarsker „Memorial“-Gesellschaft gelang es ihr endlich die Rehabilitationsbescheinigung zu bekommen.

Die erbärmliche Lage der Rentner in unserem Lande zwingt die Menschen, die von politischen Repressionen betroffen waren, zu ihrer kümmerlichen Rente jene geringfügigen Vergünstigungen und Auszahlungen gewährt zu bekommen, die ihnen aufgrund des Gesetzes über die Rehabilitierung von Opfern politischer Repressionen rechtlich zustehen. Allerdings muß man auf dem Weg dorthin eine Menge Hindernisse überwinden und auch danach noch wirklich um die Vergünstigungen kämpfen, die mitunter lediglich auf dem Papier existieren. Die Krasnojarsker „Memorial“-Gesellschaft ist bemüht, diesen Menschen im Rahmen der verfügbaren Möglichkeiten Hilfestellung zu geben. Und nicht selten führt dies auch zum Erfolg.

Materialien der Konferenz „Menschenrechte in der Region Krasnojarsk“, 2006.


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