2009 iniziierte die Internationale Gesellschaft „Memorial“ ein neues Projekt – „Die Topographie des Terrors in den Städten Rußlands“. In dutzenden Städten Rußlands werden 2010 von den regionalen „Memorial“-Gesellschaften Reiseführer zu den Gedenkstätten der Geschichte politischer Repressionen herausgegeben. Unter diesen Städten befindet sich auch Krasnojarsk.
Der Reiseführer ist in der Art einer Reisebeschreibung für eine Autobus-Exkursion aufgebaut – eine Fahrt, die auf ungefähr drei Stunden ausgerichtet ist (sofern es keine Verkehrsstaus gibt). Die Logik der Erzählung ist zeitlich genau auf die Marschroute und die Geschwindigkeit des Fahrzeugs abgestimmt, so daß der Materialumfang mit den gefahrenen Streckenlängen zwischen den einzelnen Objekten ebenfalls im Einklang steht.
Die Exkursion beginnt am Gefängnis, das sich in der Straße der Republik Nr. 72 befindet. Damals fungierte es als Durchgangsgefängnis, später wurden dort Untersuchungshäftlinge gehalten; heute befindet sich hier das zentrale Isolationsgefängnis-1 der Hauptverwaltung des föderalen Strafvollzugsdienstes Rußlands in der Region Krasnojarsk. Allerdings wurde dieser Ort nicht nur als Durchgangs- oder Untersuchungsgefängnis berühmt. An der Stelle der heutigen Sibirischen Föderalen Universität und des „Instituts für Buntmetalle, Erdöl- und Erdgasforschung“ befand sich das Sondergefängnis für Wissenschaftler – Geologen und Chemiker, das sogenannte OTB (Technisches Sonderbüro N° 1 der 4. Sonderabteilung des MWD der UdSSR des Jenisej-Bauprojekts).
Die Fahrt geht weiter in Richtung Stadtzentrum, wo die Erinnerung an politisch Verfolgte Akteure aus Wissenschaft und Kultur verewigt sind, die eng mit der Region Krasnojarsk verbunden waren.
Etwas weiter das Denkmal von W.F. Wojno-Jasenezkij (Erzbischof Luka) in der Grünanlage des erzpriesterlichen Hauses (Ecke Prospket Mira / Gorkijstraße), eine Gedenktafel zu Ehren von Erzbischof Lukas Leibchirurgen – W.A. Wojno-Jasenezki am Gebäude der Schule N° 10. Neben W.F. Wojno-Jasenezkijs Denkmal – der erste Busstopp. Die Exkursanten besichtigen das Denkmal.
Hier, nicht weit von dieser Stelle entfernt (Prospekt Mira 91a), befinden sich Gedenktafeln zu Ehren des Schriftstellers A.T. Tscherkasow sowie des krasnojarsker Schriftstellers N.S. Ustinowitsch, der ebenfalls im Jahre 1937 nach §58-10, 11 zu 10 Jahren verurteilt wurde.
Das nächste Objekt ist das Gebäude der Gouvernements-Tscheka – OGPU – NKWD-Verwaltung (Dserschinskijstraße 18), das heute die FSB-Verwaltung Rußlands für die Region Krasnojarsk beherbergt. An dieser Stelle wird über die Aktivitäten des NKWD, unter anderem während der Zeit ges Großen Terros 1937-1938 berichtet.
Die Fahrt geht auf derselben Straße weiter, auf der die Lastwagen damals die Erschossenen aus der Stadt abtransportierten. Genauer gesagt: der Ort lag damals weit außerhalb der Stadt, und heute befindet sich dort die Krasnojarsker Aluminiumfabrik.
Unterwegs berichtet der Reiseleiter von zwei berühmten krasnojarsker Repressionsopfern: Wladimir Michailowitsch Krutowskij, zu dessen Ehren in der Marxstraße 45 eine Gedenktafel eingerichtet wurde, und Alexander Leopoldowitsch Jakworskij.
Der nächste Bushalt erfolgt am Grundstein zum Gedenken an die Opfer politischer Repressionen neben dem kulturhistorischen Museumskomplex (Prospekt Mira 1). Hier wird von den jährlichen Veranstaltungen unter dem Motto „Erinnerung des Herzens“ erzählt.
Auf dem Weg zur Aluminiumfabrik gibt es noch ein weiteres Objekt – das erste krasnojarsker Konzentrationslager im Militärstädtchen (im Bezirk an der Krasnodarstraße). Dieser Ort der Massenbestattung von Opfern politischer Repressionen wurde während des Baus der Aluminiumfabrik entdeckt. Inzwischen findet man hier ausschließlich bebautes Gelände vor.
Die Fahrt geht weiter über die Brücke „777“ zum rechten Ufer des Jenisej. Hier erfahren die Exkursionsteilnehmer etwas über das Bumstroj (ZBK, das Zellulose- und Papierkombinat), das Metallhüttenwerk (KrasZwetMet), den Krasnojarsker Maschinenbaubetrieb und darüber, daß sich in den 1940er Jahren das gesamte rechte Ufer als eine durchgängige Lagerzone darstellte.
Die Exkursion endet an der Gedenk-Kapelle des Heiligen Nikolsker Gedenk-Kapelle, die an der Stelle des ehemaligen Slobinsker Durchgangslgefängnisses steht. Hier wird über Sonderansiedler – enteignete Bauern, Wolga-Deutsche, Litauer, Letten, Esten, Griechen und Kalmücken berichtet. Abschließend begeben sich die Kursteilnehmer ins Innere der Kapelle, gedenken der Menschen, die durch Repressionen ums Leben kamen.