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Momente der Geschichte. Gesammelte Materialien zum Thema “Politische Repressionen in der UdSSR” (1989-2009)

Glossar

Ausgewiesene
Personen, die aufgrund einer Entscheidung der Gerichtsorgane für einen bestimmten Zeitraum in entlegene Bezirke des Landes ausgewiesen und unter die Aufsicht der Straforgane gestellt wurden. Der Ausweisung unterlagen Personen, welche vom Strafgesetz verfolgte Verbrechen begangen hatten oder „verschiedene antisowjetische Elemente“. Gemäß Strafgesetzbuch der RSFSR (aus dem Jahre 1926), wurde die Ausweisung als zusätzliche Maßnahme (in Einheit mit Zwangsarbeit in Erziehungs- und Arbeitslagern) für einen Zeitraum von nicht mehr als fünf Jahren angesetzt. Als eigenständige Strafmaßnahme war eine Zeitspanne von jeweils drei bis zehn Jahren vorgesehen.

Deportation
Verstand sich zu Sowjetzeiten als Zwangsverlegung von Personen an Orte außerhalb der Staatsgrenzen. In zahlreichen postsowjetischen Forschungsarbeiten versteht man unter Deportation die Verlegung von Personen an Orte, die sowohl innerhalb als auch außerhalb der Grenzen des Staates liegen können. Nachdem die Historiker den Zwangscharakter festgestellt haben, lenken sie ihre besondere Aufmerksamkeit auf deren Straffunktion. Die Zwangsumsiedlung von Völkern inerhalb der Sowjetunion in der Stalin-Ära wird von der Mehrheit der heutigen Autoren als Deportation verstanden.

Genozid
Aktion, die mit dem Ziel begangen wurde, eine beliebige ethnische oder religiöse Gruppe oder Rasse vollständig oder teilweise auszurotten. Laut UNO-Konvention (1948) verletzt ein Genozid die Normen internationalen Rechts unabhängig davon, ob er in Friedens- oder Kriegszeiten begangen wurde. In einer Reihe zeitgenössischer Pubikationen werden die stalinistischen Repressionen als Völkermord (Genozid) bezeichnet. Besonders weitgreifend wird dieser Terminus im Zusammenhang mit deportierten nationalen Gruppen verwendet. Nachdem wir verstanden haben, daß die Repressionen verschiedenen sozialen und nationalen Gruppen der Sowjetgesellschaft einen irreparablen Schlag versetzten, lenken wir unsere Aufmerksamkeit auf das Fehlen direkter Beweise bei den Befürwortern dafür, daß das Ziel der Deportationen die Vernichtung irgendeiner Gemeinsamkeit war. Unserer Ansicht nach, kann der Begriff „Genozid“ wohl kaum zur Charakterisierung der politischen Repressionen in der UdSSR benutzt werden.

„Osadniks“ („Belagerer“; Siedler, Kolonisten)
Polnische Staatsbürger, viele von ihnen ehemalige Wehrdienstleistende der polnischen Armee, die in den 1920er und 1930er Jahren Land auf dem Territorium der West-Ukraine und des westlichen Weißrußlands erhalten hatten. Die Ländereien waren nach dem Ausgang des Polnisch-Sowjetischen Krieges 1920 an Polen gegangen. Die Polen wurden von der Regierung „bestürmt“, sich auf den neuen Gebieten anzusiedeln, und zwar nicht nur als Bestätigung polnischer Präsenz, sondern auch zur Ausübung einiger Polizei-Funktionen in Bezug auf die ortsansässige ukrainische und weißrussiche Bevölkerung. Nach dem Anschloß Ost-Polens an die UdSSR wurden die „Osadniks“ zu Volksfeinden erklärt und zur Sonderansiedlung nach Kasachstan, in den Ural und nach Sibirien geschickt. Es muß erwähnt werden, daß polnischen Angaben zufolge in den östlichen Gebieten Vorkriegspolens nicht weniger als 6-8000 Familien von „Osadniks“ lebten. Die Deportation dieser „Osadniks“ am 10. Februar 1940 erfaßte mehr als 27000 Familien, das heißt 3-4mal mehr als ihre tatsächliche Anzahl. Daraus folgt, daß der Terminus „Osadniks“ von den Sowjetorganen in breitem Maße angewendet und auch auf ganz andere Kategorien auszusiedelnder Bewohner ausgeweitet wurde.

OTSP
Die Abteilung für Arbeitssondersiedlungen kam 1941 als Resultat der Verschmelzung von OSP (Abteilung für Sondersidlungen) und OTP (Abteilung für Arbeitssiedlungen) auf. Erstere war zuständig für aus dem Baltikum und Ost-Polen deportierte Familien, während der zweiten die Kontrolle über die „Kulaken-Verbannung“ oblag.

„Entkulakisierung“
Liquidierung des wohlhabenden Teils der sowjetischen Dörfer – der sogenannten „Kulaken“, auf dem Wege der Enteignung, Aussiedlung der „Kulaken“-Familien in wenig bewohnte Bezirke des Landes unter Aufsicht von Sonderkommandanturen. Die Politik der „Entkulakisierung“ war gekoppelt mit der Durchführung der Kollektivisierung in den sowjetischen Dörfern und trat als Teil des „Entbäuerungs“-Prozesses inkraft (der Liquidierung der Einzelbauernhöfe.

Rehabilitation
Wiederherstellung der durch den Staat verlorengegangenen Bürgerrechte, Aufhebung zuvor erhobener Anklagen, Wiedereinsetzung in den vorherigen sozialen, ökonomischen und politischen Status.

Repressionen
Vergeltungsmaßnahme, die von den staatlichen Organen als Bestrafung angewendet wird.

Sonderkommandantur
Untere Einheit des Sondersiedlungssystems, welche in Person des Sonderkommandanten und seiner Assistenten die Aufsicht über alle Lebensaktivitäten der „Sonderkontingente“ ausübte.

Sondersiedlung
Sonderregime der Haltung von zwangsausgesiedelten sozialen und nationalen Gruppen, das durch Einschränkung der Bewegungsfreiheit, herrschender Meldepflicht und Kontrolle seitens der Straforgane charakterisiert ist.

Verbannungssiedler
Am Vorabend des Krieges vertriebene Bewohner aus dem Baltikum, der West-Ukraine und dem westlichen Weißrußland. Sie gehörten zu den für die Sowjetmacht „unerwünschten“ Elementen. Dies waren aktive Mitglieder nationalistischer Organisationen, Wachleute, Gendarmen, Angehörige der Polizeitruppen, Gefängniswärter; Besitzer großer Gutshöfe, Fabrikanten, Beamte; Offiziere – Mitwirkende in konterrevolutionären Organisationen, die zur Höchststrafe verurteilt worden waren; Flüchtlinge aus Polen, welche die sowjetische Staatsbürgerschaft angenommen hatten, Familienmitglieder von Personen, die im Rahmen der Repatriierung aus Deutschland gekommen waren. Sie wurden für die Dauer von zwanzig Jahren zur Zwangsansiedlung nach Sibirien geschickt.

Sondersiedler
Allgemeine Bezeichnung für deportierte Gruppen, die in den 1930er bis 1950er Jahren in die Sonderansiedlung verschickt wurden. Der Terminus selbst entstand Ende der 1940er Jahre im tiefsten Innern des NKWD, als das System der Sondersiedlung sich in seiner Endgültigkeit formierte. Als Sondersiedler bezeichnete man zunächst Kontingente von „OUN“-Anhängern (Organisation ukrainischer Nationalisten), „Wlassow-Leuten“, Familienmitgliedern von Rädelsfühern und aktiven Banditen aus der Litauischen SSR sowie „Ukasniks“ (aufgrund eines Ukas Verurteilte), die befristet und ohne Hinweis auf den voraussichtlichen Zeitraum ausgesiedelt wurden. Alle anderen, die vorwiegend aufgrund ethnischer Merkmale repressiert wurden, waren „Ausgesiedelte“. In der Folgezeit bezeichnete man jedoch alle zwangsverlegten und in Sonderansiedlung festgehaltenen Staatsbürger als Sondersiedler.
Heutige Forscher verwenden die zusammengesetzte Terminologie. Sie haben den wesentlichen Inhalt beibehalten – die Menschen wurden gewaltsam ausgesiedelt, befanden sich in den Verbannungsorten unter Aufsicht und durften die Orte nicht verlassen.

Verbannte
Durch Gerichtsbeschluß wurden Familienmitglieder von Trotzkisten und Rechten, Familienmitglieder von Vaterlandsverrätern und Personen, die aufgrund ihrer antisowjetischen Verbindungen eine Gefahr darstellten, auf eine bestimmte Zeit, unter Aufsicht der MWD (MGB)-Organe, in die Verbannung geschickt.

Trud-Armeen (Arbeitsarmeen)
Militarisierte Arbeiterformationen, die in sich Merkmale einer militärischer Organisation, Elemente aus dem Produktionsbereich und des GULAG vereinen. Existierten in der Zeit von 1941 bis 1945. Wurden aus Vertretern verschiedener Nationalitäten – Sowjetdeutschen, Russen, Finnen, Rumänen usw. rekrutiert. Die in Arbeitskolonnen Mobilisierten gaben sich selber die Bezeichnung Trudarmisten, um ihren sozialen Status von dem gewöhnlicher Häftlinge abzugrenzen.

„Ukasniki“
Bauern, die gemäß Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 2. Juni 1948 „Über die Aussiedlung in entfernte Gebiete von Personen, die sich in böser Absicht der Arbeit in der Landwirtschaft entziehen und ein antisowjetisches, parasitäres Leben führen“, zur Sonderansiedlung verschleppt wurden. In der Regel wurde die Entscheidung über die Ausweisung von der Kolchosversammlung getroffen. Auf diese Weise wurden die Kolchosarbeiter für die Nichterfüllung des Minimums der vorgeschriebenen Tagesarbeitseinheiten bestraft.

Literaturangaben

1. L.P. Belkowez. Die administrativ-rechtliche Lage der Rußland-Deutschen in der Sonder-
Ansiedlung von 1941 bis 1955: Historich-rechtliche Forschungsarbeit / L.P. Belkowez, 2.
Ausg. – Moskau, 2008, - 359 S.
2. N.F. Bugaj. - L.Berija an J. Stalin: „Gemäß Ihrer Anweisung ...“ (/ N.F. Bugaj. – Moskau,
1995. – 265 S.
3. A.E. Gurjanow. Polnische Sonderumsiedler in der UdSSR in den Jahren 1940 -1941 //
HTTPS://www.memo.ru/history/POLAcy/g_1.htm
4. W.N. Semskow. Sondersiedler in der UdSSR, 1930-1960 ( W.N. Semskow; Int. Russ.
Geschichte. – Moskau, 2003, - 306 S.
5. S.A. Krasilnikow. Hammer und Sichel. Die Bauernverbannung nach West-Sibirien in den
1930er Jahren. / S.A. Krasilnikow, - Moskau, 2003. – 288 S.
6. Kurze Geschichte Polens. – Moskau, 1993 – 528 S.
7. Politologie: Enzyklopädisches Wörterbuch / Allg. Red. und Verf. J.I. Awerjanow. –
Moskau, 1993, - 431 S.
8. Sammelwerk von Gesetzes- und Normativakten über Repressionen und die
Rehabilitierung
von Opfern politischer Repressionen. – oskau, 1993 – 223 S.
9. Strafgesetzbuch der RSFSR. – Moskau, 1956. – 223 S.
10. A.A. Schadt. Ethnische Verbannung nach Sibirien als Instrument der sowjetischen
nationalen Politik (1940-1950) / A.A. Schadt // Der Ural in Sibirien in der stalinistischen
Politik. – Nowosibirsk, 2002. – S. 224-248.


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