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Übersicht von Dokumenten in den Archivbeständen zu Personen, denen die Wahlrechte aberkannt waren

Die Bücher der Erinnerung an die Opfer der politischen Repressionen in der Region Krasnojarsk sind, beginnend mit Band 11, der Entkulakisierung gewidmet. Wichtigste Quelle bei ihrer Vorbereitung waren die Daten-Bestände über Personen mit entzogenen Wahlrechten in den Bezirksarchiven (in einigen Fällen wurden diese an das Staatsarchiv der Region Krasnojarsk übergeben). Im Verlauf der vorbereitenden Arbeiten zu dem Buch arbeitete ich mehr als 7000 Akten von Entrechteten in 10 Archiven durch (und dieser Prozess dauert noch an). Es wurde eine bestimmte Menge an Kenntnissen darüber angesammelt, was es in diesen Beständen gibt, was nicht, wem man Glauben schenken kann und wem nicht. Unter anderem auch, wie man diese Zeugnisse zur Erstellung eines Stammbaums nutzen kann.

Vor allem konnte ermittelt werden, welche Art von Dokumenten sich in den Beständen befinden.

Erstens – gibt es Listen Hierzu gehören Listen Entrechteter, geordnet nach Dorfräten, sowie Protokolle der Bezirkstroikas (oder Fünfergruppen) während der Aussiedlung der „Kulaken“ (reiche Großbauern; Anm. d. Übers.).

Zweitens – Personalakten der Entrechteten.

Und drittens – Protokolle der Dorfräte, der „Armen-Versammlungen“ und ähnliche Dokumente.

Ich muss dazu anmerken, dass die Aufteilung ein wenig ungenau ist, weil in der Personalakte des Entrechteten nicht selten Abschriften aus den Protokollen und Listen aus den betreffenden Dorfräten und auch Unterlagen über ganz andere Entrechtete gibt, darunter oft auch sehr wichtige. Außerdem kann es zu einer Familie und sogar zu einer Person sogar mehrere Personalakten geben. Es ist wichtig das zu verstehen, weil der traditionelle Weg – die Abarbeitung der Personalakte der benötigten Person plus die Suche in den Listen – keine Garantie dafür bietet, dass sie damit auch alle notwendigen Informationen heranziehen. Das erklärt auch, weshalb der Archiv-Sekretär, der die Archivauskunft für Sie vorbereitet, ebenfalls die notwendige Information nicht finden kann – natürlich ist es ihm nicht möglich, hunderte oder sogar tausende Akten innerhalb des Bestandes der Entrechteten durchzusehen.

Allerdings arbeite ich bei der Vorbereitung des Buches alle Akten der Reihe nach durch und ziehe dabei alle unabdingbaren Angaben heraus. Aus diesem Grunde sehen die Archiv-Verweise in den Listen der Entrechteten, die auf der Internet-Seite memorial.krsk.ru zum Beispiel hier HTTPS://memorial.krsk.ru/DOKUMENT/People/0.htm veröffentlicht sind, ungefähr so aus: Krasnoturansker Bezirksarchiv, Fond R-1/377, Verz. 3, Dossier-Nrn. 9, 45, 47, 396, 1065. Das heißt: Informationen über die Familie wurden aus insgesamt fünf Akten zusammengetragen.

Und nun dazu, welche Informationen man sich aus diesen Akten zunutze machen kann.

Fotos gibt es in den Personalakten der Entrechteten nicht. In den 7000 Akten fielen mir nur 5 Fotos in die Hände, von denen vier in eingeheftete Bescheinigungen eingefügt waren. Persönliche Dokumente gibt es ebenfalls nicht – sehr selten begegnet man Ausweisen, Stachanow- oder Rote-Armee-Büchlein. Äußerst selten stößt man auf Informationen über den Geburtstort und Details aus dem Leben vor 1920 (und wenn doch, dann für gewöhnlich in Gesuchen an die höchsten Organe oder in Autobiografien, welche den Gesuchen beiliegen). Im Übrigen handelt es sich bei den Dokumenten überwiegend um verschiedene Arten von Bescheinigungen, die den „Kulaken“-Charakter einer Hofwirtschaft bescheinigen. Allgemeine Angaben über die Familie und familienbezogene Listen trifft man weitaus seltener an, als man möchte.

Der Wohnort (konkreter Name des Dorfes) ist nur sehr selten angegeben. In der Regel legt nur der Dorfsowjet diese Protokolle, Listen usw. fest. Die Orts- oder Dorfbezeichnung trifft man eher in Gesuchen, Beschreibungen, Beurteilungen bezüglich der wirtschaftlichen Situation der Hofes an.

Nachnamen, Vornamen und Vatersnamen sind nicht selten frei erfunden (besonders wenn es tatarische, lettische oder deutsche, aber auch slawische, sind). In diesem Sinne sind die Bezirkslisten und Dokumente aus dem Bezirksexekutiv-Komitee am wertvollsten – sie sind mit der Maschine geschrieben (wenn auch mit Druckfehlern), auch handschriftliche Dokumente, die außer mit Schreibfehlern versehen auch noch in unleserlicher Schrift verfasst waren. Infolgedessen kann ein- und derselbe Mensch in verschiedenen Dokumenten und mehreren Personalakten unter unterschiedlichen Familiennahmen geführt werden (und das kommt gelegentlich auch in ein- und demselben Dokument vor) und das auch noch ziemlich weit entfernt, wenn man die alphabetische Reihenfolge berücksichtigt (das harmloseste Beispiel wäre hier – Achrimenko und Ochrimenko. Wenn die Liste vollständig ist, werden derartige Doppelungen nach Möglichkeit entfernt (man berücksichtigt die Übereinstimmung nach der Zusammensetzung der Familie und dem Wohnort).

In der Mehrzahl der Dokumente fehlt der Vatersname. Das führt zusätzlich zu Verwechselungen, sofern es in der Ortschaft Namensvettern gibt – dann weiß man nicht, wem von ihnen man beispielsweise Informationen über die Ehefrau zuordnen soll (das ist besonders charakteristisch für den Zeitraum 1930-1931, als die Familienoberhäupter bereits verhaftet worden waren, der Haushalt auf den Namen der Ehefrau geführt wurde; doch wer genau ihr verhafteter Mann war ,lässt sich nicht so einfach feststellen). Für Familiennamen, die in dem betreffenden Bezirk sehr verbreitet waren (zum Beispiel Turow im Abaner Bezirk), verwandelt dies das Erstellen von Listen in ein kompliziertes Geduldsspiel, eine Denksport-Aufgabe.

Man muss sagen, dass die Leute es in einigen Dorfräten (und einigen Bezirken) überhaupt nicht gewohnt sind, den Vor- und Vatersnamen anzugeben, mit Ausnahme der Familienoberhäupter: sie schreiben einfach „Ehefrau, 31 J., Tochter, 6 J., Sohn, 4. J.“.

Da Geburtsjahr, sofern es überhaupt auf Dokumenten anzutreffen ist, kann innerhalb einer Spanne von 10 Jahren „fremdgehen“, gelegentlich auch mehr. Daher tauchen zahlreiche Fälle auf, in denen beispielsweise der Sohn 1905 geboren war, obwohl das Geburtsjahr der Mutter mit 1895 angegeben ist. Je weiter man in die „Tiefen der Jahrhunderte“ gelangt, um so ungefährer ist das Geburtsjahr. Nebenbei bemerkt, bei den Leuten, die bis 1848 geboren wurden, habe ich nicht ein einziges Zeugnis in den Dokumenten gesehen, außer in einem Fall, als es sich um einen ganz offensichtlichen Fehler handelte: hier war als Geburtsjahr 1795 angegeben. Doch dieser Fall ist charakteristisch: von Verfasser der Dokumente verlangte man mal Angaben zum Geburtsjahr, mal zum Alter. Die Schreiber im Dorfsowjet setzten mal diese, mal die andere Variante um, und immer entsprechend ihren arithmetischen Kenntnissen. Ich füge hinzu, dass nicht selten in Dokumenten dasselbe Alter in unterschiedlichen Jahren angegeben ist. Unverständlich, weshalb man nicht einfach immer nur das Geburtsjahr angab, um auf diese Weise rechnerische Fehler zu vermeiden; infolgedessen stehen im Buch der Erinnerung bei den Opfern nicht selten mehrere Alter oder Geburtsjahre. Eine Differenz von 2-3 Jahren wird von uns für gewöhnlich ignoriert, indem wir einfach eine der Varianten wählen; ist der Unterschied jedoch zu groß – dann nennen wir beide Angaben. Verständlich, dass man bei einer so weiten Spanne von Jahren nicht von einem genauen Geburtsdatum sprechen kann, obwohl man es in einigen Dokumenten (wenn auch sehr selten) finden kann.

Die Dokumente mit den meisten Informationen über die Familie sind merkwürdigerweise die Protokolle der Troika über die Aussiedlung der „Kulaken“. Die Sache ist die, dass in den Listen der Entrechteten in der Regel nur volljährige Familienmitglieder aufgeführt sind, die eigentlich auch diejenigen sind, denen die Rechte entzogen wurden. Und im Protokoll der Troika musste die Familie vollzählig angegeben sein. Das wurde 8im Allgemeinen auch gemacht, wenngleich, das habe ich bereits gesagt, nicht selten nur Alter und Geschlecht vermerkt waren, während der Vorname fehlte.

In den Bezirken, die zum Ost-Sibirischen Gebiet gehörten, wurde über die auszusiedelnde Familie ein detaillierter Fragebogen ausgefüllt, der von allen Familienmitgliedern die Vor-, Vaters- und Nachnamen, Verwandtschaftsverhältnis, Geburtsjahr oder Alter, und vom Familienoberhaupt auch noch den Geburtsort. Das ist eine sehr gute Quelle, auch wenn diese Fragebogen nicht für jede auszusiedelnde Familie erhalten geblieben sind. In der Region West-Sibirien gab es einen analogen Fragebogen, aber er war zum Ausfüllen nicht so gut geeignet, da die Informationen weniger vollständig waren.

Den Listen nach Familien begegnet man leider nicht sehr oft, und sie sind auch nicht immer lesbar. Zusätzlich kann man manche Informationen auch aus anderen Dokumenten herausfischen. Ein Mann erscheint beispielsweise immer ohne Vatersnamen, aber da schreibt er einen Brief an das Bezirksexekutiv-Komitee oder den Genossen Kalinin – und da steht seinen Vatersname (und auch das Dorf).

Am wenigsten informativ im Hinblick auf die Listen-Erstellung sind die Protokolle er Armen-Versammlungen und der Dorfsowjets. Vor der Bestätigung durch das Bezirksexekutiv-Komitee sind ihre Beschlüsse noch außer Kraft, die Zusammensetzung der einzelnen Familien ist dort nicht angeführt, und im besten Fall erscheinen Vor- und Nachname des Familien-Oberhaupts (manchmal auch der Vorname der Ehefrau). Vielleicht sind sie interessanter für Menschen, die ihre eigene Familiengeschichte erforschen, weil dort gewisse Details eröprtert werden, die für den Entzug der Rechte Bedeutung haben (beispielsweise das Vorhandensein des Umstands, dass der Bauer Butterfässer und Milchkannen erworben hat), aber ich lasse sie in der Regel weg, umso mehr, als sie in einer äußerst schlechten Handschrift ausgefüllt wurden und auf miserablem Papier.

Im Allgemeinen muss man so eine Familienliste anhand einer Unmenge “Schnipsel aus den hintersten Ecken“ zusammenfügen – irgendwo findet sich der Vorname, dort der Vatersname – und an einer ganz anderen Stelle das Alter. Manche Dinge bleiben variabel (mehrere Vatersnamen, Geburtsdaten, Nachnamen), manche lassen sich überhaupt nicht exakt ermitteln.

Manche Angaben muss man auch aus verschiedenen regionalen Büchern der Erinnerung herausziehen: die enteigneten Bauern bildeten das Hauptkontingent der 1937-1939 zu verfolgenden Menschen, und zu Beginn der 1930er Jahre wurden nicht wenige von ihnen verhaftet. Vatersnamen und Geburtsdaten treibt man nicht selten dort auf. Für die Region Krasnojarsk sind die annehmbarsten Quellen – das Irkutsker Buch der Erinnerung (Bauern aus den östlichen Bezirken der Region wurden nicht selten ins heutige Irkutsker Gebiet verbannt), das Tomsker, Nowosibirsker und Kemerowsker (wohin die Menschen aus den westlichen Bezirken der Region verschleppt wurden). Fast alle Angaben aus diesen Büchern der Erinnerung finden sich auf der Internetseite lists.memo.ru, und die vollständigen Listen der Region Krasnojarsk – in der Rubrik „Martirolog“ auf unserer Seite memorial.krsk.ru.

Was die Familiengeschichte betrifft, so sind Autobiografien am interessantesten. In der Regel berichten Menschen darin, wie sie von Russland nach Sibirien (für gewöhnlich schreiben sie das genau so, indem sie die beiden Begriffe auseinanderhalten) gezogen sind, dort völlig verarmt ankamen, wie sie ihren Haushalt neu einrichteten usw. Das Ziel dieser Autobiografien liegt darin zu zeigen, dass es eine arbeitsreiche Wirtschaft war, dass die Menschen sich gegenüber der Sowjetmacht loyal verhielten, aber dort gibt es viele interessante Einzelheiten – sowohl im Hinblick auf die Familiengeschichte, als auch in Bezug auf die Geschichte ganz allgemein. Normalerweise existieren solche Biografien nicht als gesonderte Dokumente, sondern sind Teil einer Erklärung. Sie sind in einer eigentümlichen Sprache geschrieben (erinnert sich Andrej Platonow sofort). Aber leider trifft man derartige Texte in den Akten nur sehr selten an.

Und schließlich sind da noch die Dokumente „für und gegen“ den Entzug der Rechte / die Aussiedlung. Ich sage gleich, dass es Denunzierungen in ihrer reinen Art in den Akten nicht gibt (genau gesagt finden sich in den 7000 Akten, die ich gesehen habe, vielleicht ein oder zwei Dutzend). Ein andere Sache sind Bescheinigungen darüber, dass irgendjemand Knechte eingestellt hatte oder Besitzer einer Mühle war. Diese Bescheinigungen wurden von Bezirksexekutiv-Komitee zum Anlegen einer Akte über den Entrechteten verlangt. Gab es so eine schriftliche Auskunft nicht, wurde der Fall „zurückgelegt“. Geschrieben wurden die Bescheinigungen entweder von den Knechten selber (ich, Sowieso, war Knecht bei dem und dem, in dem und dem Jahr) oder von jemandem, der diese Tatsache bestätigte.

Dokumente gegen den Entzug er Rechte / die Aussiedlung sind bedeutend interessanter. Es handelt sich dabei sowohl um Briefe des Staatsanwalts, als auch Bescheinigungen über die Teilnahme an Partisanen-Aktivitäten (ehemalige Partisanen wurden nicht ausgesiedelt). Das wichtigste aber sind die so genannten Befürwortungsschreiben (oder billigenden Urteile), denen man in den Dossiers sehr häufig begegnet; manchmal finden sich sogar mehrere innerhalb einer einzigen Akte. Die Bauern des Dorfes schrieben an das Bezirksexekutiv-Komitee einen Brief, in dem sie bestätigten, dass der und der es nicht verdiente, entrechtet oder ausgesiedelt zu werden, weil er in Wirklichkeit gar keine Arbeitskräfte eingestellt, den Armen geholfen hatte, usw. Unter solchen Briefen stehen dutzende, manchmal sogar hunderte Unterschriften (Mittelbauern separat von verarmten Bauern). Die Dorfbewohner setzten sich für ihre Leute ein. Leider waren diese Briefe in der Regel erfolglos, die Behörden ignorierten sie schlicht und ergreifend. Nebenbei bemerkt, die Zahl der Teilnehmer an den so genannten „Armen-Versammlungen“, von denen die Prozedur des Rechtsentzugs / der Aussiedlung angekurbelt wurde, war erheblich geringer – für gewöhnlich etwa zwei Dutzend „Aktivisten“.

Und schließlich haben wir die Dokumente, welche die Hofwirtschaft charakterisieren. Es sind sehr viele, denn die Bauern versuchten zu beweisen, dass es sich um eine arbeitsreiche Wirtschaft handelte. Das beinhaltet sowohl die Dynamik des Hofes, als auch Formulare der einheitlichen Landwirtschaftssteuer, Entscheidungen der Steuerkommission des Bezirksexekutiv-Komitees u.a. Bei der Zusammenstellung des Buches der Erinnerung lasse ich diese Art von Dokumenten in der Regel aus, aber es könnte ein gesondertes Thema für Forscher werden (zum Beispiel: die Dynamik der Höfe, die Praxis der Anwendung der Individualsteuer usw.). Im Allgemeinen warten die Aktenbestände der Entrechteten noch auf spezielle Geschichtsforscher, darüber könnte man mehr als nur eine Dissertation schreiben.

Aleksej Babij, Vorsitzender der Krasnojarsker „Memorial“-Organisation


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