Nachrichten
Unsere Seite
FAQ
Opferliste
Verbannung
Dokumente
Unsere Arbeit
Suche
English  Ðóññêèé

Schriftlicher Bericht der KGB-Verwaltungsabteilung beim Ministerrat der UdSSR für die Region Krasnojarsk im Autonomen Gebiet Chakassien an den ersten Sekretär des Chakassischen KPdSU-Gebietskomitees A.G. Dankowzew „Über deutsche Autonomisten im Autonomen Gebiet Chakassien“ – N° 14-9-564

Abakan, 24. April 1964
Geheim

Im Autonomen Gebiet Chakassien leben zwei deutsche Autonomisten, die in dieser Richtung aktiv tätig sind. Es handelt sich um Genrich (Heinrich) Filippowitsch Kaiser, geb. 1901, und Friedrich Georgiewitsch Schessler, geb. 1902. Beide sind Rentner. Sie befassen sich bereits über einen längeren Zeitraum mit organisatorischen Tätigkeiten und der ideologischen Vorbereitung von Deutschen aus der ehemaligen Republik der Wolgadeutschen für eine aktive Inangriffnahme der „Rehabilitierung“ der Wolgadeutschen und die Wiedererrichtung einer deutschen Autonomie an der Wolga.

Wie aus den Briefwechseln ersichtlich ist, unterstützen sie auch selber den Vorschlag der Deutschen Theresia Christianowna Chromowa, wohnhaft in Frunse. Chromowa machte zunächst den Vorschlag, eine deutsche Delegation zum Zentral-Komitee der KPdSU sowie zu anderen Regierungsorganen zu entsenden und ihr Anliegen mit beliebigen Mitteln durchzusetzen.

So schrieb Aleksander Davydowitsch Justus, wohnhaft im Gebiet Nowosibirsk, am 13. September 1963 an G.F. Kaiser:

„... Die Idee, eine Delegation von Vertretern nach Moskau zu schicken, um dort an die Türen des Zentral-Komitees zu klopfen, so lange sie nicht von selbst öffnen (steter Tropfen höhlt den Stein), find ich richtig und angemessen; gerade zum 200-jährigen Jubiläum wäre dies sehr geeignet und angebracht ...

Aber diese Aktion muß gut vorbereitet, gut durchdacht sein. Die dafür vorgesehene Delegation soll auf keinen Fall weniger als einige tausend Unterschriften von Deutschen unterschiedlichen Alters, aus unterschiedlichen Berufsgruppen und sozialen Verhältnissen mit nach Moskau bringen....

... Die Mitglieder der Delegation müssen, bevor sie nach Moskau fahren, unbedingt zusammenkommen ( im Juli oder August 1964), um einheitliche Forderungen auszuarbeiten und die wichtigsten Punkte des Programms zu besprechen, damit sie wie eine einzige Person in Erscheinung treten. Zunächst soll das Minimal-Programm zustande kommen – die Abschaffung des Ukas vom 28. August 1941.

Dies muß das wesentliche Anliegen der Delegation sein.

Erst danach soll der zweite Schritt getan werden – unser Maximal-Programm: die Wiedererrichtung der Autonomen Republik der Wolgadeutschen und nicht nicht die Rehabilitierung der Deutschen im einzelnen, denn das ist eine Forderung der Zeit, und dann tauchen zahlreiche Probleme und Fragen auf, auf die die Mitglieder der Delegation selbst antworten müssen. Deswegen müssen sie vor der Reise unbedingt zusammentreffen, um eben diese Fragen zu erörtern (vielleicht im Januar 1964).

... Wie wir in dieser Angelegenheit Leute wie Professor Dulson, den Arzt Gergenreder, den Pianisten Keler auf unsere Seite ziehen können ...

...... Wie können wir für unsere Bewegung, besonders unter den jungen Menschen, bei einem Zustand der Zersplitterung und beim Fehlen einer geeinten nationalen Zeitung eine breite Basis schaffen? Ich schlage ganz konkret folgendes vor:

1. Eine Initiativgruppe soll sich am 6. Januar 1964 in Krasnojarsk oder Barbaul zusammensetzen (letzter Termin ist der 1. Juli 1964).

2. Golman bitten, er möge sich im Namen der Initiativgruppe an Klein, Becker, usw. wenden, damit sie sich unserer Sache anschließen.

3. Schon jetzt eine Liste der Deutschen zusammenzustellen (mit Adressen), die für eine Widerherstellung oder Schaffung einer deutschen Republik sind (mit Angabe von Beruf, Alter, Arbeitsplatz, Parteizugehörigkeit) ....

Der Arzt Fedor Aleksandrowitsch Gergenreder wohnt in der Stadt Abakan, leitet die chirurgische Abteilung des Gebietskrankenhauses, ein äußerst kompetenter und bekannter Chirurg. Seine Autorität und seinen Bekanntheitsgrad wollen die Autonomisten sich für ihre Zwecke zunutze machen.

Kaiser und Schessler führen eine lebhafte Korrespondenz mit gleichgesinnten, nicht weniger aktiven Autonomisten. Aus ihrem Schriftwechsel ist ihre Treue zu der einmal begonnen Sache ersichtlich.

Zum Beispiel: Fuchs, wohnhaft in der Stadt Krasnojarsk, schrieb in seinem Brief vom 3. November 1963 an Schessler:

„Mit unserer Delegation ist im letzten Sommer nichts herausgekommen. In Golmans Auftrag habe ich Justus ein Telegramm geschickt ...

In seinem letzten Brief an Golman schrieb er (Justus), daß man sich jetzt auf die Schaffung einer Delegation für den kommenden Sommer vorbereiten müsse, zum 200-jährigen Jubiläum der Übersiedlung der Deutschen an die Wolga. Aber die Delegationsteilnehmer sollen sich entweder am 6. Januar 1964 oder im Juni nächsten Jahres zusammensetzen, um ein einheitliches Programm mit ihren Forderungen zu erarbeiten. Anschließend sollen tausende Unterschriften von Jung und Alt gesammelt werden. Justus wirft hier schon die Frage der Autonomie auf, aber mir scheint das viel zu früh zu sein, und ich fürchte, daß nichts dabei herauskommen wird.

In erster Linie müssen wir die Frage der Abschaffung der Ukase auf den Tisch bringen. Und diejenigen, die dorthin geschickt werden, können dann je nach den aktuellen Begleitumständen die Frage der Autonomie vorbringen.

Dann wäre eine Sondersitzung der Kommission nicht unbedingt erforderlich. Das könnte man auch schriftlich tun und sich dann zur gleichen Zeit in Moskau treffen. Eine Kommission irgendwo ohne Erlaubnis formieren – das geht nicht, und eine Erlaubnis geben wird man uns auch nicht.

Man hat vor, aus jeder Republik und jedem Gebiet, in denen es viele Deutsche gibt, jeweils zwei Personen zu entsenden, und das ist eine ganze Menge. Wir müssen nun schon etwas energischer Verbindungen knüpfen und Maßnahmen ergreifen.

Was meinen Sie?“ ...

Schessler schrieb am 3. Dezember 1963 in seinem Brief an Reinhard Reinhardowitsch Keln, der in Krymsk, Region Krasnojarsk wohnt:

„ ... In dieser Zeit hat sich wieder vieles angesammelt, auch Dinge, über die man nicht schweigen darf, sondern vielmehr erneut den Mund aufmachen muß und das ZK daran erinnern, daß wir, die Deutschen von der Wolga, trotzdem Verbannte sind, die darauf warten, daß von ganz oben endlich eine Entscheidung kommt. Ich stimme mit dir darin überein, daß ihr dort im Süden, genau so wenig, wie wir hier im Norden, irgendetwas allein entscheiden könnt, wenn die Massen an unserer Rehabilitation nicht teilnehmen ...

... Ich schrieb Justus und Golman in Bezug auf die Delegation und schlug vor, bei den Wolgadeutschen darauf hinzuarbeiten, daß jene zigtausend Unterschriften gesammelt werden, mit denen die Delegation bewaffnet werden und sich auf direktem Wege zu Chruschtschow begeben soll...

... Ich bin der Meinung, daß nur die Delegation unser Problem entscheiden kann, alles andere ist lediglich Papierkram ...

... Möglicherweise empfangen sie unserre Delegation nicht sofort – dann muß man aus einer Tür in die andere gehen. Aber eines ist klar: unsere Briefe werden keine Wirksamkeit zeigen, auch wenn sie gut geschrieben sind.

Und was die Zeitung „NL“ („Neues Leben“) betrifft, die, wie du schreibst, uns bloß zum Lachen bringt, da hast du vollkommen recht, denn ich bin schon lange davon überzeugt, daß das bloß politische Prostitution ist, die da verschärft gegen uns arbeitet“.

Die „Autonomisten“ erörtern nicht nur den Plan zur Entsendung der Delegation, sondern leiten auch praktische Maßnahmen in dieser Richtung ein. Laut Mitteilung der 2. KGB-Verwaltung beim Ministerrat der Kasachischen SSR in der Ortschaft Issyk Enbekschi im Kasachischen Bezirk, traf dort im September 1963 die Deutsche Irma Aleksandrowna Rudolf, wohnhaft in der Stadt Abakan, ein und führte unter den Deutschen Aktionen durch, mit denen sie die Stimmung für das Autonomiebestreben anheizen wollte. Sie befaßte sich mit dem Sammeln von Unterschriften und einem Appell an die Sowjet-Regierung mit einem Gesuch zur Wiederherstellung einer deutschen autonomen Republik.
XXXXXXXXXXX
Nachdem Irma Aleksandrowna Rudolf nach Abakan zurückgekehrt war, folgte von Schessler ein Dokument an die Adresse von Iwan Iwanowitsch Schmidt, wohnhaft in der Ortschaft Issyk Enbekschi, Kasachischer Bezirk, Kasachische SSR (25.10.1963), in dem er schrieb:

„ ... die Arbeit in unserer Angelegenheit wird von einigen unserer Autonomie-Anhänger weitergeführt.

Nun geht es darum, eine Delegation aus Vertretern aller Gebiete zu bilden und einen ersten versuch zu unternehmen, diese Delegation nach Moskau ins ZK des Präsidiums des Obersten Sowjets zu entsenden. Das wird nicht leicht sein, weil die Frage unserer Verbannung auf Dauer im ZK bereits im Jahre 1957 endgültig beschlossen wurden. Wir werden daher allergrößte Mühe und Furchtlosigkeit aufbringen und unseren Wunsch, unser Verlangen gut vorbringen müssen, damit bereit ist unseren Anliegen erneut zu prüfen, und zwar nicht nur beim ZK, sondern auch in den anderen staatlichen Organen ...

... Unsere Genossen in Krasnojarsk, Nowosibirsk, Omsk, Wolgograd, wo viele Deutsche leben, haben jetzt unter den Wolga-Deutschen vorbereitende Aktivitäten eingeleitet, mit dem Ziel, einen Massen-Appell an die Regierung herbeizuführen und zuverlässige Leute für die Zusammenstellung der geplanten Delegation auszuwählen. Allerdings muß dies mit allergrößter Vorsicht geschehen, um Unannehmlichkeiten zu vermeiden ...“.

Irma Aleksandrowna Rudolf, geb. 1923, gebürtig aus der Ortschaft Straub, Bezirk Kukkus, Gebiet Saratow, Deutsche, ist Arbeiterin im Abakaner Fleischkombinat wohnhaft in der Stadt Abakan, Lenin-Prospekt 43, Wohnung 13, wir positiv beurteilt.

Auf unsere Anfrage antwortete der UKGB-Bevollmächtigte des Gebietes Wolgograd in der Stadt Schirnowska, wo die Kontaktenpersonen von Schessler und Kaiser – Konstantin Karlowitsch Bornemann und Josef Josifowitsch Günter - wohnen, daß Günter Maßnahmen zur Übersendung von Briefen an Regierungsorgane der Bundesrepublik Deutschland ergriffen habe, in denen es um Beschwerden wegen der Situation der Deutschen in der UdSSR geht, und in denen man die Bitte äußert, das Problem den Vereinten Nationen vorzulegen, damit den Sowjet-Deutschen entweder die Autonomie bewilligt oder die Ausreise ins Ausland genehmigt wird. Des weiteren hätte er den Versuch unternommen, nach Moskau zu fahren, um dort in die Botschaft zu gelangen und nach Möglichkeiten zu suchen, relevante Dokumente über Strohmänner an die westdeutsche Regierung zu übermitteln

A.D. Justus schrieb am 6. November 1963, als er Schessler zum 46. Jahrestag der Oktober-Revolution beglückwünschte:

„Unsere Landsleute werden trotzdem aus dem Schlaf auferstehen und in sich das Gefühl des mangelnden Selbstvertrauens bezwingen. Dafür sprechen viele Fakten. Wir werden auch weiterhin unsere Arbeit machen, um die Menschen für unsere Sache zu gewinnen. Vergiß nicht: die Götter haben viel Blut vergossen, bevor sie zu großem Erfolg gelangten. Die Welt hat uns, die Wolga-Deutschen, noch nie in der Rolle der Zerstörer gesehen, sondern immer nur als Menschen, die etwas geschaffen haben“.

Und als er Schessler zum neuen Jahr 1964 gratulierte schrieb er:

Wir müssen mit allen Kräften, sogar mit den allerletzten Mitteln, für die legale Existenz unseres Volkes kämpfen ...“.

Die Entschlossenheit der „Autonomisten“ und ihr äußerst umsichtiges Vorgehen können sie zu unerwünschten Taten verleiten, ähnlich den Aktionen, auf die Günter versucht hat zurück-zugreifen, d.h. einen Aufruf an Auslandsvertretungen oder andere nicht offiziell erlaubte Maßnahmen zu starten.

Kaiser läßt scharfe nationalistische Äußerungen zu. Einer unserer Informationsquellen sagte er im Dezember 1963:

„Er schreibt nur über die verfluchten Deutschen, die jeder Russe beleidigen darf.

Der Deutsche ist keineswegs schlechter als der große russische Bruder; auf tausend Deutsche findest du einen Räudigen, aber auf hundert Russen – dutzende Randalierer, Diebe, Spekulanten und andere Schmutzfinken“.

Am 3. Dezember 1963 schrieb Schessler an die Adresse des in der Region Krasnojarsk lebenden Reinhard Reinhardowitsch Keln:

„ ... Ich kann dir mitteilen, daß man mich wegen meiner Schreiben an Furzewa und den Sowjetischen Schriftstellerverband, in denen es um die Romane „Freundschaft“ von Koptajewa und „Saturn ist kaum zu sehen“ von Ardamasskij ging, in die Behörde für Staatssicherheit bestellt hat. Dort wollten sie mich einschüchtern, was ihnen aber nicht gelungen ist. Ich habe diesbezüglich an das ZK geschrieben“.

Seinen Kontaktleuten in der Stadt Abakan erklärte Schessler, daß er wegen der Brotfrage einen Brief ans ZK der Partei sowie das Gebietskomitee der KPdSU geschickt habe und man ihn angeblich ins Regionskomitee der Partei zu einer Unterredung bestellt hätte.

Allerdings wurde Schessler nicht in die UKGB-Abteilung bestellt, und es kam auch nicht zu einer Unterredung. Genau so wenig bestellte man ihn ins Gebietskomitee der KPdSU; man führte überhaupt keine Gespräche mit ihm. Es ist völlig unverständlich, aus welchen Beweggründen heraus er hier an seine Gleichgesinnten solche Fehlinformationen weitergibt.

Das oben Dargelegte teilen wir Ihnen zu Ihrer weiteren Verfügung mit

Leiter der UKGB-Abteilung beim Ministerrat
der UdSSR in der Region Krasnojarsk für
das Autonome Gebiet Chakassien
Oberstleutnant Sabaturin

Abteilung für Dokumente der neuzeitlichen Geschichte des Russischen Staatsarchivs in der Republik Chakassien, Fond 2, Verz. 1, Akte 1317, Blatt 33-37. Original. Maschinenschrift.


Zum Seitenanfang