17. März 1967
Friedrich Georgiewitsch Schessler befaßt sich seit mehreren Jahren mit Agitations-, Propaganda- und Organisationsarbeit unter den im Autonomen Gebiet Chakassien und in anderen Gebieten der Sowjetunion lebenden Deutschen, die darauf abzielt, unter ihnen das Bestreben zu entfachen aktiv für eine Wiederherstellung der ehemaligen ASSR de Wolgadeutschen in ihren ehemaligen Grenzen tätig zu werden.
So wurden in den Jahren 1964-1966 unter seiner Leitung und Anweisung folgende Aktivitäten durchgeführt: ein Brief- Massenversand der Deutschen an die Zentralorgane der Partei und des Landes; eine Unterschriftensammlung für die einer bestimmten Person erteilte sogenannte „Vollmacht“, in der diese Person dazu bevollmächtigt wurde, in Moskau im Namen der Unterzeichnenden für die Wiederherstellung der ASSR der Wolgadeutschen einzutreten; eine Geldsammlung für die Bestreitung der Reisekosten der mit den erwähnten „Vollmachten“ ausgestatteten „Delegation“. Geld und „Vollmacht“ wurden an F.G. Schessler übergeben.
Ferner hat Friedrich Georgiewitsch Schessler sich mit der Zusammenstellung einer „Delegation“ aus den Reihen der Deutschen beschäftigt, die in verschiedenen Regionen der UdSSR leben, und eine Fahrt nach Moskau organisiert (Dezember 1964 - Januar 1965, Juni –Juli 1965, Juli – August 1965).
Er hat an der Verfertigung sogenannter „Aufzeichnungen“ von Gesprächen mit leitenden Persönlichkeiten der höchsten Organe zur Frage einer Wiedererrichtung der ASSR der Wolgadeutschen mitgewirkt und die Anweisung erteilt, diese „Aufzeichnungen“ unter den Werktätigen der deutschen Volksgruppe zu verbreiten.
Persönlich befaßte er sich, und er beauftragte auch andere damit, mit dem Sammeln von Fakten über angeblich vorhandene „Verfolgungen“ von Deutschen in der UdSSR. Da es etwas Derartiges nicht gibt, hat er versucht, Daten über Meinungsverschiedenheiten zu sammeln, die unter den Menschen aufgrund ihrer Lebensbräuche entstanden sind, und diese zur Politik zu machen.
Unter denum Schirinsker Bezirl lebenden Deutschen fand 1964 – 1965 ein eigenmächtig inszeniertes Agitationsprogramm zur Besiedlung der Gebiete Saratow und Wolgograd statt.
Im Juli 1965, als er mit der zweiten „Delegation“ in Moskau war, schuf Schessler ein illegales „Komitee“ zur Leitung der deutschen Autonomie-Bewegung im gesamten Lande und trat als Vorsitzender dieses „Komitees“ in Erscheinung.
Am 18. Juli 1966 wurde F.G. Schessler zur Chakassischen Regionsstaatsanwaltschaft bestellt.
Bei dem unter meiner Teilnahme stattfindenden Gespräch wurde er vorsorglich darauf hingewiesen, dass seine Tätigkeit anfängt, eine gesellschaftliche Gefahr darzustellen; ihm wurde erklärt, wie sich das konkret äußert.
Schessler gab Anweisung, jegliche Tätigkeit unter den Deutschen im Gebiet Chakassien und der Region Krasnojarsk abzubrechen, verzichtete jedoch nicht in vollem Umfang auf die von ihm angewandte Taktik; er wurde zudem konspirativer und in seinen Aktivitäten begannen illegale Methoden zu überwiegen.
Die ihm vorliegenden Dokumente über die deutsche Autonomie-Bewegung (6 Aktenordner) hielt Schessler in Pauls Gemüsegarten in der Stadt Abakan, Dserschinskij-Straße, Haus-Nr. ***, versteckt. Nach dem erfolglosen Versuch sie von dort zu entfernen, ordnete er an, die Unterlagen zu vernichten. Ein Teil der Schriftstücke wird bis heute von uns bekannten Personen verwahrt. Er verbot seinen Kontaktpersonen, in Gesprächen, Briefwechseln, usw., das Wort „Komitee“ zu erwähnen, ergriff jedoch keinerlei Maßnahmen, um dieses „Komitee“ vollständig zu liquidieren.
Nachdem er im Juli-August 1966 in Moskau gewesen war, unternahm Schessler den Versuch, Möglichkeiten für eine Zusammenkunft mit Deutschen aus Deutschland zu finden und erörterte diese Frage mit Maria Fogel, Mitarbeiterin der Redaktion „Neues Leben“.
Damals erwägte er mit seinen Gleichgesinnten weitere Schritte in Bezug auf Aktivitäten innerhalb der UdSSR – sich der Autonomie-Bewegung des Sowjetischen Schriftstellerverbandes anzuschließen, insbesondere der deutschen Schriftsteller-Mitglieder, und die höchstmögliche Anzahl Unterschriften für die unbedingte Notwendigkeit der Wiederherstellung der ASSR der Wolgadeutschen zu sammeln, um diese dann bei der Jubiläumssitzung des Obersten Sowjets vorzulegen.
Von dieser Moskau-Reise brachte Schessler zwei „Briefe“ unbekannter Autoren nach Abakan zurück: der eine war an den Generalstaatsanwalt der UdSSR gerichtet, der zweite an das Komitee für Staatssicherheit der UdSSR – beide mit politisch schädlichem Inhalt, über die angeblich ungesetzmäßige Verhaftung und Verurteilung Daniels und Sinjawskijs, mit denen ein enger Kreis seiner Kontaktpersonen bekannt war.Er selbst erkennt die Gesetzmäßigkeit der Verhaftung ebenfalls nicht an und setzt sich für ihre Verteidigung ein, wobei er erklärt, dass sie die sowjetische Wirklichkeit korrekt dargestellt haben.
Im Januar-Februar 1967 unternahm F.G. Schessler erneut eine Reise nach Moskau, wo er mit Petr Semenowitsch Pisarew, geb. 1902, Mitglied der KpdSU, Rentner, und anderen Personen zusammentraf, mit denen er Fragen der Autonomie-Bewegung erörterte und unter ihrer Einwirkung eine Beschwerde an die Partei-Kontroll-Kommission bezüglich des Beschlusses des Abakaner KPdSU-Stadtkomitees ihn aus der Partei auszuschließen.
Über den Parteiausschluß und sein Ansuchen einer Wiederaufnahme sagt Schessler den ihm nahestehenden Kontaktpersonen:
„ ... Ich werde dieser ... (von der Zensur nicht genehmigter Ausdruck) Partei nicht länger angehören, ich will nicht, mir reicht es ... „.
„ ... Das ist sie, deine Sowjetmacht ... (von der Zensur nicht genehmigter Ausdruck), diese Sowjetmacht ...“.
„ ... Sie haben mich gezwungen, dort an die Partei-Kontroll-Kommission eine Appellation zu schreiben. Sie versichern mir, dass sie mich in die Partei nicht wieder aufnehmen werden, aber ich benötige dieses Dokument ... Ich brauche es für das Zentral-Komitee, damit sie daran Anstoß nehmen können, dass man bei uns Leute wegen der nationalen Frage aus der Partei ausschließt ...“.
... Sie schließen noch nicht einmal die Möglichkeit meiner Verhaftung aus. Man muß ihnen schnellstens Mitteilung darüber machen und vor Ort ordentlich Staub aufwirbeln. Dieser muß sich gegen den Generalstaatsanwalt und ... (hier nennt er den Familiennamen des 1. Sekretärs des Zentral-Komitees der KpdSU) richten“.
Aus Moskau reiste Schessler in die Stadt Frunse, wo er eine „Versammlung“ mit einem Aktiv von Autonomisten abhielt, allerdings war er selbst bei der allgemeinen Zusammenkunft nicht anwesend. Auf dieser „Sitzung“ wurde die Frage der Notwenidgkeit sich an ausländische Botschaften zu wenden erörtert, mit dem Ziel, auf die sowjetische Regierung Druck auszuüben. Ein entsprechender Vorschlag stieß auf Widerstand, allerdings nicht bei allen Anwesenden.
Derzeit ergreift Schessler Maßnahmen, um die Antwort des Kollegiumsmitgliedes der Redaktion „Prawda“, des Genossen Blatin, unter den Deutschen zu verbreiten, die dieser auf den Brief des Deutschen Gebel aus der Stadt Frunse anläßlich des Auftretens der Oberhäupter der sowjetischen Regierung auf einer Pressekonferenz in Paris, verfaßt hatte. Die Maßnahme dient des weiteren dem Ziel, die Deutschen zu veranlassen, an die Redaktion der „Prawda“ Protestbriefe bezüglich dieser Antwort zu schicken.
Der Wortlaut solcher Protestschreiben ist bereits vorbereitet, der Autor wird ermittelt. Sie enthalten unrechtmäßige Verallgemeinerungen und sind an einigen Stellen von politisch schädlichem Charakter.
Friedrich Georgiewitsch Schessler, geboren am 19.12.1902 im Dorf Walter, Medwedsker Bezirk, Gebiet Wolgograd, Deutscher, parteilos, wohnt in Abakan, ***-Straße, Wohnung Nr. ***.
F.G. Schessler wurde 1945 von einem Sonder-Kollegium des NKWD nach §§ 19-58-2, 58-7, 58-10, Abs. 2 und 58-11 des Strafgesetzes der RSFSR zu 12 Jahren Arbeits- und Erziehungslager verurteilt; er wurde 1956 rehabilitiert.
Leiter der UKGB-Abteilung beim Ministerrat der UdSSR
für die Region Krasnojarsk im
Autonomen Gebiet Chakassien
Chramow
Abteilung für Dokumente der neuzeitlichen Geschichte des Russischen Staatsarchivs in der Republik Chakassien, Fond N° 2, Verz. 1, Akte 3252, Blatt 31-34. Original. Maschinenschrift.
Ab 1939 war Schessler Mitglied der KpdSU, 1956 wurde er per Entscheid des Krasnjarsker Gebietskomitees in die Partei wieder aufgenommen; 1966 beschloß das Büro des KPdSU-Stadtkomitees der Stadt Abakan ihn aus den Reihen der KPdSU auszuschließen.
Seine beruflichen Tätigkeiten: