N° 14/5-0264, Abakan, 5. Juni 1967
Geheim
Am 18. Juni 1966 wurde Friedrich Georgiewitsch Schessler zur Staatsanwaltschaft des Autonomen Gebietes Chakassien bestellt. Zu Beginn der Unterredung erklärte man ihm, dass er in den Jahren 1964-1965 erhielt er, Schessler, bei den höchsten Instanzen notwendige Auskünfte in allen Fragen der Schaffung einer autonomen Republik für die Deutschen; allerdings zog er daraus nicht die notwendigen Schlußfolgerungen, sondern führt wie bisher, und das nun schon über einen Zeitraum von zwei Jahren, unter den in unserem Gebiet, aber auch in anderen Gebieten und Regionen der Sowjetunion lebenden Deutschen, Aktivitäten durch, die politisch schädliche Folgungen nach sich ziehen können, was in einzelnen Fällen auch bereits gegeben ist.
Schessler verkündete, dass er streng im Rahmen der Verfassung der UdSSR und, hinsichtlich der Nationalitätenfrage, auf Grundlage der marxistisch-leninistischen Lehre agiere. Dabei zog er aus seiner Jackentasche einen ganzen Stoß verschiedenartiger Papiere – Zeitungen, Ausschnitte, Abschriften, usw., und sagte, dass er nun die „Notwendigkeit der Wiederherstellung der ASSR der Wolgadeutschen, und zwar in ihren alten Grenzen an der Wolga, beweisen“ werde.
Man antwortete Schessler, dass man ihn nicht zur Staatsanwaltschaft bestellt habe, um mit ihm die Notwendigkeit oder Entbehrlichkeit der Wiederherstellung einer autonomen Republik der Wolgadeutschen zu „erörtern“, dies läge nicht in der Funktion der Staatsanwaltschaft. Gleichzeitig hieß es, dass er gemeinsam mit Freunden sogenannte „Aufzeichnungen“ von Gesprächen mit führenden Persönlichkeiten der höchsten Organe des Landes verfertigt und verbreitet habe, in die er seine begrenzten Interpretationen mit eingeflochten hätte; er würde die Deutschen auffordern, Briefe ans Zentralkomitee zu schreiben, sammle Unterschriften, die unter diese Schreiben gesetzt würden; außerdem hätte er, und täte dies auch gegenwärtig, Unterschriften unter sogenannte „Vollmachten“ für die „Fürsprecher“ in Moskau gesammelt, was ganz objektiv darauf abzielt, bei einem bestimmten Teil der Bevölkerung Mißtrauen gegenüber den leitenden Organen unseres Landes zu schüren.
Schessler gab zur Antwort, dass er nicht die Absicht habe, Mißtrauen gegenüber der Landesleitung zu entfachen; er habe niemanden gezwungen, Briefe an das Zentralkomitee zu schreiben, dies täte das „deutsche Volk“ von sich aus, denn „alle Sowjet-Deutschen“ wünschen sich, dass es wieder eine Autonomie gibt.
Er persönlich habe keine Stenogramme von den Gesprächen bei den Instanzen angefertigt und diese auch nicht verbreitet; er habe auch keine Unterschriften unter „Vollmachten“ für die Delegierten, die nach Moskau reisen sollten, gesammelt – dies sei „ganz allein aufgrund einer Initiative der Sowjet-Deutschen“ geschehen.
Schessler wurde klargemacht, dass er nicht die Wahrheit sage und nicht wolle, dass man ihn der uns konkret vorliegenden Fakten überführe – dies sei auch nicht das eigentliche Ziel der Unterredung, sondern vielmehr habe man hier die Absicht festzustellen, ob er sich vorsätzlich oder aus Unwissenheit auf dem Wege befinde, die herrschenden Gesetzmäßigkeiten zu verletzen.
Danach schlug man Schessler vor, eine Erklärung zu seinen „Instruktionen“ abzugeben, für eine eigenmächtige Besiedlung des Territoriums der ehemaligen ASSR der Wolgadeutschen zu agitieren und unter den Deutschen Geld-Sammelaktionen durchzuführen. Dabei hieß es, dass die Gelder auf dem Wege der Erpressung gesammelt würden und es eine offizielle Erklärung darüber gebe, dass er und Kaiser sie für ihre persönlichen Bedürfnisse verausgabten.
Das Aufführen dieser Tatsachen wurde von Schessler schmerzlich aufgenommen. Er griff erneut in seine Jackentasche, zog einen Packen mitgebrachter Schriftstücke heraus, fand ein halbseitg beschriebenes Blatt Papier und recihte es dem Staatsanwalt mit den Worten: „Ist das vielleicht Gleichberechtigung? Warum läßt man mich nicht ins Gebiet Saratow?“ (Es handelte sich um ein Antwortschreiben der Saratower Miliz, dass laut Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR Deutschen die Einreise in das Gebiet, zu ihren ehemaligen Wohnorten, untersagt sei).
Man teilte Schessler erneut mit, dass wir nicht die Absicht hätten, über das Wesen dieses Ukas zu diskutieren – der darin genannten Anweisung sei unbedingte Folge zu leisten, auch Schessler habe sich daran zu halten; aus diesem Grunde werde er nun ersucht, eine Erklärung dazu abzugeben, weshalb er andere dazu aufruft, das Gesetz zu verletzen.
Eine klare Antwort bekamen wir nicht. Schessler verwies wieder auf die fehlende Gleichberechtigung und versicherte, dass er die Abschaffung des Ukas und die Rehabilitierung der Deutschen durchsetzen werde.
Zur Sammlung von Geldern sagter er:
- Ich persönlich habe kein Geld gesammelt und auch keinerlei Anweisungen erteilt dies zu tun.
Man entgegnete ihm:
- Sie sagen schon wieder die Unwahrheit. Als Gossman dem Staatsanwalt des Schirinsker Bezirks Rede und Antwort stand, erklärte er, dass er auf Ihre Anweisung hin Geld gesammelt und Ihnen die zusammen gekommene Summe persönlich ausgehändigt hätte.
Schessler erwiderte:
- Gossman lügt.
Danach sagte man Schessler:
- Sie befassen sich nicht nur persönlich, sondern beauftragen auch andere, mit der systematischen Zusammenstellung von Fakten über irgendwelche „Verfolgungen“ von Deutschen in der UdSSR. Alle möglichen Mißverständnisse und Unstimmigkeiten ganz alltäglicher Natur, wie sie zwischen Angehörigen unterschiedlicher Nationalitäten nun einmal entstehen können, versuchen Sie zu einem Politikum zu erheben.
Diese Ihre Tätigkeit führt objektiv zum Entfachen niederer Gefühle; willkürlich oder unwillkürlich heizen sie hier nationalistische Erscheinungsformen an. Es ist sehr schwierig, Ihrem Verhalten eine andere Wertschätzung zu verleihen. Schließlich, müssen wir Ihnen auch noch sagen, dass Sie mit der Schaffung eines solchen „Komitees“ (zumindest wird über die Existenz eines solchen Komitees unter den Deutschen viel geredet) zu weit gehen. Sie evranstalten Sitzungen (dafür sind Sie sogar ganz nach Nowosibirsk gefahren) und geben irgendwelche direktivenähnliche Anweisungen.
Schessler begann seine Antwort mit einem Bericht darüber, dass einmal, als er auf der Gartenbank gesessen habe, ein Bürger mit Institutsabzeichen am Revers des Jacketts an ihn herangetreten sei. Zuerst sprach dieser Russisch, dann wechselte er zu Deutsch. Bevor er dann wieder fortging, sagte er:
- Ihr Deutschen habt genug Deutsch gesprochen. Es reicht. In Rußland sollen sie Russisch sprechen – nichts anderes.
Weiter sprach Schessler davon, dass einige Russen die Deutschen als Faschisten bezeichnen würden und stellte in diesem Zusammenhang die Frage: „Ist das vielleicht keine Verfolgung?“
Über das sogenannte „Komitee“ sagte er, dass ein solches nicht existiere. Die Deutschen hätten angefangen, die Delegationals Komitee zu bezeichnen, die das letzte Mal nach Moskau gereist sei. Er verstehe, dass die Schaffung eines Komitees einer „Fraktion innerhalb der Partei gleichkomme, was einer strengen Bestrafung unterliegt“, und irgendeine Form von „Fraktionstätigkeit“ würde er nicht zulassen. Es würden keinerlei Sitzungen durchgeführt. Nach Nowosibirsk sei er gefahren, um seine Schwester zu besuchen. Er erteile auch keine Anweisungen.
Zu ihm kommen viele Deutsche, sie interssieren sich für Fragen der deutschen Autonomie, er beantwortet lediglich diese Fragen und gibt Ratschläge.
Auf die Frage, wer der Initiator der organisierten Fahrten und der Formierung der Delegationen sei, gab er keine konkrete Antwort, sondern sagte nur, dass wir – Golman, Warkentin, Golfenbein und andere – untereinander korrespondieren und innerhalb des Briefwechsels absprechen, dass gefahren werden soll. (Wer die anderen sind, sagte er nicht.)
Man sagte Schessler, dass er der Initiator und Organisator der Delegationen sei, dass er auch die dritte Delegation zusammengestellt habe. Ihm wurde erklärt, dass wir illegales Tun und Gruppenbildung nicht hinnehmen würden.
Schessler gab zur Antwort: „Dann werde ich nicht nach Moskau fahren“. Und dann stellte er sogleich die Frage:
„Und wenn nun die Delegation ohne mich nach Moskau kommt – mache ich mich dann auch schuldig?“ Er bekam zur Antwort:
„Wir gehen hier nicht der Frage nach, wer schuldig sein wird und wernicht, aber wegen Gruppenbildung und illegalen Handelns wird man von Ihnen Rechenschaft verlangen“.
- Was soll ich also tun?
- Denken Sie selber darüber nach. Sie haben Ihre eigene Überzeugung. Es bleibt Ihnen überlassen, weklchen Inhalts und Charakters diese Überzeugungen sind. Auf gesetzlichem Wege können Sie ihre Verwirklichung im Leben erreichen. Aber wir machen Sie vorsorglich darauf aufmerksam, dass Sie beim Versuch, das Gesetz zu übertreten, zur Verantwortung gezogen werden. Man hat sie zur Staatsanwaltschaft bestellt, um Ihnen klarzumachen, verstehen Sie, zu welchen Konsequenzen Ihre Tätigkeit führt und führen kann, und Ihnen eine juristische Bewertung Ihres Verhaltens mit auf den Weg zu geben. Das haben wir getan. Wir empfehlen Ihnen eindringlichst, ebenfalls die notwendigen Konsequenzen aus dieser juristischen Einschätzung zu ziehen“.
Gegen Ende des Gesprächs wurde Schessler nochmals dringend empfohlen, sein Tun zu überprüfen und die entsprechenden Schlußfolgerungen daraus zu ziehen; er wurde gewarnt, dass wir andernfalls gezwungen sind, noch aufmerksamer und intensiver ein Auge auf ihn zu werfen.
Auskunft erstellt für die Parteikommission des Chakassischen KPdSU-Gebietskomitees.
Staatsanwalt des Autonomen Gebietes Chakassien Pobeschimow |
Leiter der UKGB-Abteilung beim Ministerrat der UdSSR für die Region Krasnojarsk im Autonomen Gebiet Chakassien Chramow |
Abteilung für Dokumente der neuzeitlichen Geschichte des Russischen Staatsarchivs in der Republik Chakassien, Fond 2, Verz. 1, Akte 3338, Blatt 64-68. Original. Maschinenschrift.