Ich halte stets hier auf der Herzen-Straße an, an der Ecke des alten Gebäudes der Staatlichen Moskauer Universität, wo der arme Vertriebene Russlands und Gründer der bedeutenden Zeitschriften „Polarstern“ und „Die Glocke“ sein Studium absolvierte. Mir wurde angenehm warm ums Herz, aber auch traurig, als ich mich an meine kurze und glückliche Jugendzeit erinnerte. So viele Jahre sind vergangen, und doch kann ich mich derart klar an diese beiden Monate, diese sechzig Tage erinnern, als ich die Luft der Hörsäle und Auditorien atmete, in denen mir jeder einzelne Platz berühmt vorkam… Ende August 1939. Ich und zwei junge Burschen, die ich gerade erst beim Lesen einer kürzlich ausgehängten Liste der Studenten kennengelernt hatte, welche in den ersten Kurs der biologischen Fakultät immatrikuliert waren, stehen an dieser Ecke… Ein sonniger, warmer Tag, ohne Wind.
Ich dachte damals nicht darüber nach, dass in der Welt, wie auch bei Herzen, der Kampf zwischen Gut und Böse nie endet, dass ich ebenso gut in den Strudel der Ereignisse hineingeworfen werden könnte… Ich wusste damals nicht, dass ich Mitte des 20. Jahrhunderts Augenzeuge der Gewalt des Bösen werden sollte…
Die Zeitungen teilten mit, dass Hitlers Deutschland am 1. September 1939 in Polen eingefallen wäre und am 2. September England und Frankreich in Erfüllung ihrer Pflicht gegenüber Polen Deutschland den Krieg erklärt hätten. Das war der Beginn des Zweiten Weltkriegs. Unser Studium fiel nur kurz aus: einen Monat später erhielten alle Jungs ihre Einberufungsbescheide aus dem Krasnopresnensker Kriegskommissariat. Man verkündete uns, dass wir in die Rote Armee eingezogen würden. Aus diesem Anlass fand im Großen Kommunistischen Auditorium eine Zusammenkunft statt.
Ende Oktober teilte man mir mit, dass ich am 2. November mit meinen Sachen im Kriegskommissariat erscheinen sollte. Mein Vetter begleitete mich bis zum Kursker Bahnhof. Er war ein Jahr jünger als ich und hatte gerade die Zehn-Klassen-Schule absolviert. Ich sah ihn an dem Tag zum letzten Mal: 1941 fiel er in den Kämpfen bei Moskau. Der Zug brachte uns nach Gorki. Unser 278. Schützen-Regiment der 17. Schützen-Division bestand zu mehr als der Hälfte aus ehemaligen Moskauer Studenten. Bis zur Einberufung hatte ich von unserer Armee immer die Vorstellung gehabt, dass es sich um eine irgendwie ganz vernünftig organisierte Einrichtung handelte, aber ich war äußerst verblüfft, dass niemand soldatischen Drill benötigte. Beim Exerzieren am Tage vergingen nicht weniger als 3-4 Stunden; bis zur Verblödung zog sich das Trainieren mit Gewehren der Bauart von 1898 hin. Überhaupt nicht studiert wurde die Kriegstechnik des möglichen Gegners. In meinen fast zwei Jahren Armeedienst lernte ich praktisch nichts Neues. Aber auch wenn es mit dem Lernen schlecht stand, so gab mir die Armee doch physische Abhärtung und Stärke, ohne die ich die nachfolgenden Wechselfälle des Lebens nicht ertragen hätte.
Ende 1939 begann der sowjetisch-finnische Krieg. Viele von uns wurden zum 771. Schützen-Regiment der 17. Schützen-Division verlegt. Aber kämpfen brauchten wir nicht – im März 1940 wurde mit Finnland ein Waffenstillstand ausgehandelt. Im Mai wurde das Regiment in die Gorochowetzker Lager versetzt, und von dort nach Westen. Am 22. Juni 1941 (dem Tag des Kriegsbeginns; Anm. d. Übers.) befanden wir uns in der Gegend der weißrussischen Stadt Lida. Um vier Uhr morgens wurde das Fahrzeug unseres Regiments beschossen, als es aus Grodno abfuhr. Der Regimentskommandeur befahl, unverzüglich alle Übungswaffen im Magazin abzugeben und dafür Kriegswaffen entgegen zu nehmen. Jeder Kämpfer erhielt 15 Patronen. Uneinigkeiten bei den Kommandos, plötzliche Bombenangriffe der deutschen Luftwaffe auf die Munitionslager verschärften die Lage unser Truppen immer mehr …
Mit dem Beginn des Krieges verlor ich die Orientierung bezüglich der Situation an der Front. Hatte es zu Friedenszeiten häufig politische Informationen gegeben, so hatte man diese jetzt eingestellt. Die allerletzte Zeitung hatte ich sogar noch vor dem Krieg gelesen, einen Rundfunkempfänger gab es in unserer Kompanie nicht, und der politische Leiter war mit Hinweis auf seine Herzerkrankung im Wagen-Zug untergekommen. Was geschah in der Welt, in unserem Land, an der Front? Niemand wusste es genau. Es kursierten unterschiedliche Gerüchte: unsere Truppen haben die Deutschen an der Grenze zum Stehen gebracht, unsere Luftwaffe bombardiert Berlin …
In der Nacht machten wir einen großen Sprung vorwärts und gingen zum Neman-Fluss hinaus. Nachdem wir ans andere Ufer übergesetzt hatten, bewegten wir uns sofort weiter. Mehrere Male änderten wir die Richtung. Gegen Morgen unterbrachen wir unseren Vormarsch, gruben uns ein und stellten Posten auf. Wir schliefen direkt in den Schützengräben, über unseren Köpfen flogen unaufhörlich deutsche Flugzeuge.
Der Gang um Verpflegung zu holen, war auf dem Lande nicht ungefährlich: es gab einige Fälle, in denen unsere Soldaten aus dem Hinterhalt getötet wurden. Es wurde ein Befehl verlesen, der das Verbot enthielt, sich in ländlichen Gegenden einzeln aufzuhalten, denn die Deutschen schafften Saboteure ins Hinterland. Das erzeugte im Regiment einen Zustand ständiger innerer Gefahr.
Die ständigen heimlichen Verlegungen, die Bombardierungen der Deutschen, die Beschaffung von Lebensmitteln sowie das Fehlen von Informationen über die Lage der Dinge im Lande versetzen einen nicht gerade in gute Laune. Einmal explodierte ein Geschoss unmittelbar vor mir, ich spürte den Schlag der Splitter an meinem Helm, und etwas Warmes lief mir über die Hände. Als der stellvertretende Zug-Kommandeur Afanasjew sah, dass ich verwundet war, befahl er mir, das Gewehr beim Tross abzugeben und mich zur Sanitätsstelle zu begeben. Die Sanitäter legten mir ziemlich schnell einen Verband an und legten mir für den rechten Arm eine Schlinge um den Hals. Dass in meinem Körper einige Splitter von dem deutschen Geschoss stecken geblieben waren, das erfuhr ich erst viele Jahre nach dem Krieg. Ein-zwei Tage manövrierte ich in der Sanitätsstation herum, bis wir erfuhren, dass wir uns in der Umzingelung der deutschen Truppen befanden.
Der Befehl für diejenigen, die sich auf den Beinen halten konnten, hörte sich so an: sich in Gruppen zu 2-3 Mann aufteilen und sich zu den Seinen in den Osten durchzuschlagen. Die schwer Verwundeten blieben zusammen mit den Sanitätern in den Wagenzügen. Das Ausbrechen aus der Umzingelung gestaltete sich mühsam und langwierig… Es endete mit Gefangenschaft, Konzentrationslagern und einem erfolglosen Fluchtversuch… Erneut Konzentrationslager… Erneute Flucht, diesmal mit erfolgreichem Ausgang… Begegnung mit den anglo-amerikanischen Truppen und schließlich… der Sieg! Ich feierte ihn in Deutschland und fing an, nach den Meinen zu suchen…
… In Celle hielt ich mich ungefähr einen Monat auf, anschließend schickten sie uns nach Fallingbostel, wo sich ein Repatrianten-Lager für sowjetische Staatsbürger befand. Zuvor war in diesen Baracken irgendein Hitler-Lager untergebracht; nun lebten hier mehrere Tausend Mann. Hier sah ich zum ersten Mal sowjetische Nachkriegsoffiziere, viele waren Frontkämpfer gewesen, und ihre Brust war mit Orden und Medaillen behängt, und auf den Schultern, was mir besonders ins Auge fiel, trugen sie Schulterstücke. Entsprechend der Abmachung mit den Verbündeten leiteten sie die Fragen und Probleme zur Repatriierung. Die Verpflegung im Lager war ziemlich gut und bestand hauptsächlich aus Konserven. Alle wohnten auf Zimmern. Im Durchgangsbereich zum Lager standen englische Wachen, aber der Durchgang war frei zu benutzen. Es gab keinerlei Agitation, außer den im Lager verbreiteten sowjetischen Zeitungen. Es wurden Listen mit je 25 Mann erstellt, und mehrere Male in der Woche wurden Leute in die sowjetische Besatzungszone Deutschlands verschickt. Auch ich musste darauf warten, bis ich an die Reihe kam. Schließlich geriet ich auf einen der Studebaker. Zum Mittagessen traf die Kolonne in der Stadt Lüneburg ein (30 km von Hamburg entfernt). Man brachte uns in einem fünfstöckigen Gebäude unter, in dem während des Krieges Offizier der Wehrmacht gewohnt hatten. Es waren geräumige und saubere Zimmer, in jedem standen mehrere Bettstellen. Die Fußböden waren mit Bohnerwachs behandelt worden. Überall hingen Spiegel: in den Zimmern, Korridoren und Toiletten. Innerhalb von fünf Tagen führten die Engländer bei uns eine Desinfektionsaktion durch, indem sie jedem irgendein Puder unter die Kleidung stäubten. Die Engländer nahmen keinerlei Durchsuchungen vor, wenngleich es ihr nicht wenig Leute gab, die nicht nur einen prall gefüllten Koffer mit sich herumschleppten.
In der Mitte des Sommers 1945 bewegte sich die Kolonne, der englische Offiziere voranfuhren, gen Osten. Wir überquerten die Elbe auf einer Ponton-Brücke und hielten am Grenzhäuschen. Zwei sowjetische Offiziere kamen auf den Wagen zu und baten uns, sofort unsere Feuerwaffen abzugeben. Aber es fanden sich keine. Anschließend fuhren wir noch etwa drei Kilometer weiter und stoppten dann auf der Chaussee. Es wurde allen befohlen Aufstellung zu nehmen. Der englische Dolmetscher erklärte: „Sie begeben sich jetzt in den Zuständigkeitsbereich und zur Verfügung des sowjetischen Kommandos; die englischen Mächten geben damit die Verantwortung für Euch ab“. Wir waren etwa dreitausend Mann. Von irgendwoher tauchten berittene Wachen auf, die unsere Formation umstellten. Der sowjetische Offizier wartete, bis die englische Fahrzeug-Kolonne abgefahren war.
Die Soldaten, die sich umgezogen hatten und nun Zivilkleidung trugen, gingen durch die Reihen und wählten den Einen oder Anderen von uns aus. Das erinnerte mich stark an die Anfangszeit meiner Gefangenschaft, als die Deutschen ebenfalls genauso durch unsere Reihen gegangen waren und die Juden aus unserer Formation herausgesucht hatten. Hier waren sie auf der Suche nach Wlassow-Anhängern und anderen Vaterlands-„Verrätern“. Die Aussortierten wurden fortgebracht. Der NKWD-Offizier verkündete, dass wir 200 km zu Fuß bis nach Berlin gehen würden. Es war ein sehr heißer Tag, und schon bald flogen Koffer und Taschen in die schmalen Gräben neben der Straße. In den ersten zwei-drei Tagen verpflegten wir uns von Vorräten, die wir noch in der englischen Besatzungszone erhalten hatten. Danach verlangten die Repatrianten, das in der Nähe bäuerlicher Kartoffelmieten Halt gemacht wurde. Sobald die offizielle Nachtruhe verkündet worden war, rannten wir zu den Kartoffeläckern, sammelten Kartoffeln ein und entfachten Lagerfeuer, um sie zu braten. Einmal hielten wir auf dem Territorium eines Truppenteils. Hier führten die NKWD-Ermittler ein detailliertes Verhör mit jedem durch, und jeder von uns wurde registriert. Zum ersten Mal während der Reise teilten man ein halbes Kilo Brot und eine Kelle Suppe an uns aus. Am Morgen sahen wir drei oder vier Repatrianten – aufgehängt an Bäumen. Es gelang uns nicht herauszufinden, ob es sich dabei um Selbstmord gehandelt hatte oder nicht. Beim Marsch Richtung Osten wurden immer häufiger Leute von den Truppenteilen herausgesucht, an denen wir vorüber kamen. Unweit der Stadt Neu-Strelitz geriet auch ich in einen solchen Truppenteil.
Unser gesamter Arbeitstag war in zwei Hälften geteilt: einen halben Tag lang beschäftigten wir uns mit militärischer Ausbildung, anschließend bauten wir Erdhütten als Behausung. Die militärische Ausbildung beinhaltete Exerzieren, Unterricht in taktischen Dingen und politische Stunden – damit hatte ich mich bereits vor dem Krieg in der Kader-Armee befasst. Der Unterschied bestand allerdings darin, dass ich vor dem Kriege ein Gewehr aus dem Jahre 1898 in den Händen gehalten hatte, während wir hier alle mit Stöcken von einem halben Meter Länge operierten. Es gab keine vernünftige Armee-Ausrüstung. Einige Tage später wurde ich krank. Die Diagnose des Arztes lautete: Flecktyphus.
Ich lag lange im Hospital, danach behielt man mich zum Arbeiten dort, aber später schickten sie mich wieder ins Repatriierungslager. Nach Verhören und Überprüfungen erhielt jeder eine Bescheinigung mit Angabe des Wohnorts – das diente als Grundlage für die Ausgabe eines Passes. Man fragte mich, wohin ich fahren wollte. Und da stellte sich heraus, dass ich nach Moskau, wo ich studiert hatte und wo meine Eltern lebten, gar nicht fahren durfte! Ich nannte den Ort Moschaisk…
Mitte Oktober 1945 machte sich der Zug mit ungefähr tausend Repatrianten auf die Reise. Ich hatte schon davon gehört, dass Mitarbeiter des NKWD den Repatrianten in Brest die Dokumente abnahmen und sie von dort nach Workuta und Karaganda weiter leiteten – zur Holzgewinnung und um dort andere Arbeiten zu verrichten… Wir überquerten die Oder, und in Polen machte der Zug eine jähe Wendung gen Norden. Dutzende halbbekleidete Menschen kamen an unseren Zug heran gelaufen, unter ihnen auch viele Kinder. Sie streckten die Hände aus und riefen in einem fort: „Brot … Brot … Brot!...“ An uns selber wurden unterwegs jeden Tag auch nur wenige Trockenbrot-Scheiben ausgeteilt, aber die meisten Repatrianten, die ja am eigenen Leibe den Hunger erfuhren, warfen trotzdem bei diesem schrecklichen Bild, das sich ihnen bot, etwas von ihrem Vorrat aus dem Waggon. Endlich, in der ersten Dekade des Novembers 1945, traf der Zug am Bahnhof in Brest ein. Uns wurde befohlen, den Zug mit unseren Sachen zu verlassen und Aufstellung zu nehmen. Soldaten fingen am äußersten Ende der Formation an, die Papiere der Repatrianten zu überprüfen und sie ihnen fortzunehmen. Ich stand zusammen mit einem Moskauer, den ich unterwegs kennengelernt hatte, irgendwo in der Mitte. Unbemerkt schlichen wir uns an der Formation entlang zum anderen Ende, warten auf einen günstigen Moment und sprangen schnell auf einen der Güterwaggons, in dem sich Familien befanden. Später stiegen wir in den Zug „Brest – Smolensk“ um.
Wir fuhren dahin und blickten schweigend aus dem Fenster… Wir, die ehemaligen Soldaten, die weder eine Fahrkarte noch Geld in der Tasche, aber zum Glück im Rucksack ein wenig getrocknetes Brot und die Bescheinigung mit dem aus der Luft gegriffenen Wohnort hatten, mussten nun wie Diebe nach Hause, in die Heimat durchschlagen, für die wir gekämpft hatten… Ohne die letzten drei Zug-Halte vor Smolensk abzuwarten stiegen wir aus. Erst spät in der Nacht, als einer der Güterzüge seine Fahrt ein wenig verlangsamte, sprangen wir aufs Trittbrett hinauf und stiegen dann in einen geschlossenen Waggon um, der auf einer Fläche von einem halben Meter nicht beladen war. Wir gruben uns beinahe bis an den Kopf in Kohle ein. Das half vor allem ein wenig gegen den Wind, aber wir zitterten trotzdem ganz erbärmlich. Ununterbrochen hielten wir unsere Körper, unsere Arme und Beine in Bewegung: diese Fähigkeit hatten wir während unsere gesamten Gefangenschaft testen können. So fuhren wir die ganze Nacht hindurch. Als der Zug das erste Mal hielt beschlossen wir auszusteigen, später hätten wir es nicht geschafft, aufzustehen und aus der Kohle wieder heraus zu kommen. Die Bahnstation hieß Wjasma. Am Abend hielt auf dem Bahnhof ein Zug mit demobilisierten Soldaten. Wir traten an einen der Waggons heran und baten um die Erlaubnis nach Moskau fahren zu dürfen.
In Fili verabschiedete ich mich von meinem Freund. War ich wirklich und wahrhaftig in Moskau? Und da steht mein Haus. Die Nachbarin aus der Kommunalwohnung öffnete die Tür, dann kamen die Schwester, der Vater …. herein. Hier war, wie es schien, alles noch beim Alten geblieben… Bald darauf kam die Mutter von der Arbeit nach Hause, vor lauter Freude standen ihr die Tränen in den Augen. Als sich die Deutschen 1941 der Hauptstadt genähert hatten, war der Vater der Partei beigetreten. Während des gesamten Krieges war meine Familie in Moskau geblieben. Einmal war eine Bombe in unseren Hof gefallen und hatte bei der Explosion die Scheiben unseres Zimmerfensters zerstört.
Ungefähr zwei Tage nach meiner Ankunft in Moskau begab ich mich zur NKWD-Abteilung in Schabolowka, um meinen Ausweis zu bekommen. Dort nahmen sie mir meine Bescheinigung und meine Autobiographie ab und befahlen mir, nach fünf Tagen mit einer Bescheinigung aus der Hausverwaltung wieder zu kommen.
Irgendwie kam zu uns auf Empfehlung Parteiorganisation der Fabrik „Roter Proletarier“ eine Journalisten der Zeitung „Iswestija“ in die Wohnung – Tatjana Tess. Der Vater hatte schon vor der Revolution zur Zeit Bromlejs in der Fabrik gearbeitet und galt als Veteran. Die Journalistin sollte einen Artikel über das Leben der Fabrikarbeiter schreiben. Der Vater machte den Gast mit seiner Familie bekannt. Ich saß in der Ecke, und entweder hatte mein Vater mich irgendwann dort vergessen oder er übersah mich absichtlich. „Und wer ist das?“ – fragte die Journalistin, indem sie sich zu mir umwandte. „Das ist mein Sohn“, - antwortete der Vater. „Und was machen Sie so?“ – fragte die Journalistin. „Er macht einstweilen gar nichts, er ist gerade erst aus der Gefangenschaft zurückgekehrt“, - antwortete mein Vater. Tatjana Tess kaum auch später noch zu uns, als ich bereits an der Timirjasewsker Landwirtschaftlichen Akademie mein Studium absolvierte und ich von den MGB-Organen beschattet wurde. Sie machte ein Familienfoto von uns. In der Zeitung „Iswestia“ erschien ihr umfangreicher Artikel unter der Überschrift „In der Moskauer Fabrik“ (30.08.1947), aber schon früher wurden in der Zeitung „Motor“ der Fabrik „Roter Proletarier“ ebenfalls unser Familienfoto und ein Artikel unter der Überschrift „Eine glückliche Familie“ (27.08.1947) veröffentlicht. In dem Artikel hieß es: „Die Familie Bakanitschew gehört gerade zu den glücklichen Familien, von denen es in der Sowjetunion mehrere Tausend gibt.
Die Familie Bakanitschew. Von links nach rechts: Mama Irina Iwanowna,
Anatolij, Vater Jefim Kondratewitsch, die Schwestern Maria und Klawdia.
Die Familie versammelte sich nach Anatolijs Rückkehr aus der Gefangenschaft.
Als ältester Arbeiter der Fabrik musste der Vater häufig auf feierlichen Zusammenkünften, in der Lokalzeitung, in Erscheinung treten. In der Zeitung „Motor“ wurde das Gedicht „Der große Schöpfer unseres Lebens“ veröffentlicht, in dem „unser geliebter Vater, der große Stalin“ besungen wurde“. Das Gedicht war von Arbeitern des „Roten Proletariers“ unterzeichnet, unter anderem auch von meinem Vater. Diese Artikel und Reden gründeten sich hauptsächlich auf den Vergleich mit dem Jahr 1913, damit, wie es bei uns zu Zarenzeiten gewesen und wie es heute war. Als ich dem Vater sagte, dass vieles in seinen Reden und publizierten Texten gelogen war, fragte er: „Was denn genau?“ – Ich erinnerte ihn beispielsweise daran, dass qualifizierte Arbeiter unter Bromlej viel besser bezahlt wurden, als bei uns vor dem Krieg; die Lebensmittel waren im Jahre 1913 billiger, als bei uns vor dem Krieg und sogar im Jahre 1928. Der Vater leugnete das auch gar nicht: „Da bringen sie ein Zettelchen aus dem Parteikomitee, und dann versuch Du mal Dich zu weigern öffentlich aufzutreten!“ Außerdem hielt man den Vater in der Familie für einen gerechten Menschen; wir wussten, dass er gleichermaßen weder Nikolaj II gemocht hatte, noch jetzt mit Stalin sympathisierte.
… Fünf Tage später ging ich mit meiner Bescheinigung zum NKWD in Schabolowka.
Der Leiter nahm sie entgegen und meinte, dass ich nach einer Woche wiederkommen
sollte. Eine Woche darauf wiederholte sich alles… Der Leiter stellte mir ein
paar Fragen zu meiner Biographie und schickte mich dann erneut für eine Woche
nach Hause. Das setzte sich über einen Monat so fort. Einmal sagte ich dem
NKWD-Leiter, dass ich meinem Vater auf der Tasche liegen würde und weder
Lebensmittelkarten noch Geld zur Verfügung hätte. Er gab mir zur Antwort, dass
ich darüber vor meiner Gefangenschaft hätte nachdenken müssen. Endlich, nach
eineinhalb Monaten, bekam ich meinen Pass. Ich begab mich zum Gebäude der
Moskauer Universität, wo man für uns sechs Jahre zuvor, bei der Verabschiedung
in die Rote Armee, im Großen Kommunistischen Auditorium eine Feier veranstaltet
und auf der der Rektor uns versichert hatte, dass unsere Studienplätze hier für
uns reserviert und sicher wären.
Ich schrieb meine Lebensbiographie und meinen Antrag auf Immatrikulation für die
Uni. Ich erhielt darauf eine ablehnende Antwort. Der Entscheid lautete: „Aus
Mangel an Plätzen abgelehnt“.
Mitte Januar 1946 kam ich an die Vorbereitungsfakultät des I. M.
Gubkin-Instituts für Erdöl.
Weitere Aufnahmen gab es nirgends, und hier wurde eine komplette
Lebensmittelkarte ausgegeben, was damals keineswegs unwichtig war. Zwei oder
drei Monate später erhielt ich eine Postkarte, mit der man mich aufforderte in
der MWD-Abteilung des Bezirks vorzusprechen, in dem ich wohnte. Hier schlug man
mir vor bei den Organen zu arbeiten. Ich lehnte ab.
Im Juni 1946 legte ich meine Examina ab und wurde als Student für das erste Semester an der technischen Fakultät des Erdöl-Instituts angenommen, aber ich nahm das Studium nicht auf; doch den Traum, mich eines Tages an der Timirjasewsker Akademie für Landwirtschaft einschreiben zu lassen, gab ich nicht auf. Mit ziemlich guten Noten kam ich dann als Student in den ersten Kurs der agrochemischen Fakultät und nahm dort mein Studium auf. Zu Beginn des Herbstes 1947 erhielt ich erneut eine Postkarte – diesmal von der MGB-Abteilung, die für die Sicherheit innerhalb des U-Bahn-Systems zuständig war; man machte mir den Vorschlag, einer ihrer Mitarbeiter zu werden. Und wieder lehnte ich das Angebot ab. Der Leutnant entließ mich it der Bitte, noch einmal ernsthaft darüber nachzudenken. Ich kann mich heute schon nicht mehr daran erinnern, wie viele Male der Leutnant mich zu sich rufen ließ. Jedenfalls erfuhr ich am eigenen Leibe das volle Maß an Druck und Drohungen. Einmal, als ich erneut eine Postkarte erhalten hatte, erschien ich nicht beim MGB. Wenige Tage später, als ich aus der Akademie nach Hause zurückkehrte, traf ich dort den bereits von mir erwarteten MGB-Mitarbeiter an. Er forderte mich auf ihm zu folgen. Der Mitarbeiter lieferte mich beim Metro-MGB ab. Der Leutnant begrüßte mich ziemlich unfreundlich, er war mit meiner „Hartnäckigkeit“ nicht zufrieden und verlangte ganz kategorisch, dass ich einwilligte, beim MGB mitzuarbeiten. Wieder lehnte ich diese Aufforderung strikt ab. Später gab es Begegnungen mit seinen Chefs, in denen in aller Schärfe gesprochen wurde, aber sie gingen ebenso aus wie alle anderen zuvor auch.
Anatolij Bakanitschew im Dorf Glasowo. 1947
Von all dem, was ich erlebt hatte, erzählte ich nur meinem Freund aus der Akademie – Schenja Makarewitsch. Er war bemüht mich zu beruhigen, aber ich fürchtete, dass man mich nun fortschicken oder einsperren könnte. Ich hatte sogar das Gefühl, dass mir irgendjemand in der Akademie nachspionierte. Bei Unterhaltungen war ich, besonders wenn es um politische Themen ging, äußerst vorsichtig. Eines Abends, als ich von den Vorlesungen zurückkehrte, sah ich Ogurzow, wie er gemeinsam mit seinen Eltern am Tisch saß. Wir umarmten uns. Von 1941 bis 1943 hatten er und ich uns im Lager Steyerberg befunden, vorübergehend waren wir sogar in ein- und demselben Zimmer untergebracht gewesen. Wir unterhielten uns. Ogurzew war erst kürzlich nach Moskau zurückgekehrt: nach der Gefangenschaft hatten sie ihn direkt aus dem Zug zur Holzbeschaffung irgendwo in der ASSR Komi geschickt. Jetzt arbeitete er in Moskau, wie auch schon vor dem Krieg, als Lehrer an der Handwerkerschule beim I.W.Stalin-Autowerk. Bald darauf stand er auf und bat mich, ihn zur Straßenbahn zu begleiten. Auf der Straße sagte mir Ogurzew gerade heraus, dass sie ihn schon seit zwei Wochen andauernd zum MGB schleiften, ihn dort mehrere Stunden festhielten und über mich ausfragten. Und jetzt hatten sie ihn extra hergeschickt, um meine Stimmung auszukundschaften. Ogurzew bat mich, keinem Menschen auch nur ein Sterbenswörtchen von unserem Gespräch zu erzählen. Ich versprach es ihm, und dann trennten wir uns. Einige Wochen später wartete Pawel Bortschenkow vergeblich zwei Stunden auf mich – schließlich gab er auf und bat meine Schwester mir auszurichten, dass ich dringend zu ihm in den Friseurladen in der Ilinka-Straße kommen sollte. Dort führte Bortschenkow mich in einen separaten Raum und sagte, dass man auch ihn schon mehrere Wochen lang beim Metro-MGB über mich ausfragte. Er hatte Angst, dass man ihn verhaften könnte. Ich versuchte ihn so gut ich konnte zu beruhigen.
Am 19. Februar 1948 wurde bei uns in der Timirjasewsker Akademie den ganzen
Tag praktikscher Unterricht in organischer Chemie abgehalten. Den Unterricht
leitet Williams (der Bruder des bekannten Wissenschaftlers W.R. Williams). Gegen
Ende der letzten Stunde kam er auf mich zu und sagte, dass draußen ein Mann auf
mich warten würde. Es war ein Mitarbeiter der Sonderabteilung. Er bat mich ihm
zu folgen. In der Sonderabteilung selbst waren neben dem Leiter noch zwei mir
nicht bekannte Männer in Ledermänteln. Einer von ihnen verlangte, dass ich meine
Ausweispapiere vorlegte; anschließen zog er aus seiner Brusttasche einen
geöffneten Umschlag. Das war der Befehl für meine Verhaftung mit Sanktionen des
Staatsanwalts. Ein paar Minuten später saß ich bereits in einem Fahrzeug.
Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit brachten mich in den zweiten
Stock des U-Bahn-MGB. Hier durchsuchten sie sorgfältig meine Taschen, nahmen mir
alles weg, was sie dort fanden und fertigten eine Liste über alle konfiszierten
Sachen an. Ich weigerte mich sie zu unterschreiben, denn nicht darin aufgeführt
hatten sie meinen Federhalter und das Geld. „Das brauchst du sowieso nicht
mehr“, - sagte der Jüngere. Der Ältere ergänzte die Liste, und dann setzte ich
meine Unterschrift darunter. Anschließend lieferten sie mich im unterirdischen
Gefängnis des Weißrussischen Bahnhofs ab. Zum Verhör führten sie mich aus dem
Keller des Bahnhofs über einen Teil des Weißrussischen Platzes zur U-Bahn und in
die zweite Etage – ins „Departement“ des Metro-MGB-Chefs, Oberstleutnant
Dawydow. In der Zelle, in die ich hinein geriet, befanden sich ungefähr zwanzig
Mann. Die Pritschen waren einstöckig, deswegen schlief die Hälfte der Gefangenen
auf dem Fußboden.
Beim Verhör fragte mich der Untersuchungsrichter jedes Mal, wenn ich bereits geantwortet hatte, zusätzlich noch weiter aus, weil er vieles nicht verstand. Als er die Antworten ins Protokoll schrieb, dachte er über jedes einzelne Wort, jeden Satz genau nach, ging mitunter für ein oder zwei Stunden hinaus, um ausgiebig zu rauchen. Wenn er eine halbe oder bestenfalls ganze Seite beschrieben hatte, schickte er mich in die Zelle zurück, bis ich erneut herausgerufen wurde. Mitunter saß ich schweigend drei Stunden lang mit dem Gesicht zur Wand im Kabinett des Ermittlungsrichters, dann schickte man mich wieder in die Zelle. Einmal meinte der Ermittler während des Verhörs, bei dem er zurückgelehnt in seinem Sessel saß: „Und jetzt Bakanitschew, erzähl‘ mal von deinen Verbrechen! Unter welchen Umständen, wie und wann hat dich die amerikanische Spionageabwehr angeworben? Wir wissen alles!“ – Schließlich begriff ich, welche Anklage sie gegen mich erhoben hatten. Die Suche nach dem „Geist“ des amerikanischen Spions in mir dauerte mehrere Tage. Aber es gab keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass ich mit Amerikanern zusammengetroffen war. Anschließend händigte mir der Untersuchungsrichter zur Unterschrift die vorläufige Anklageschrift aus. Dort hieß es, dass Bakanitschew irgendwann, da und da in Gefangenschaft geraten war und, „während er sich in Gefangenschaft befand, in kriminelle Verbindungen zu den deutschen Eindringlingen getreten sei, faschistische Propaganda betrieben, die Kriegsgefangenen überredet hätte, nicht aus dem Lager zu fliehen und an der Vernichtung von Kriegsgefangenen mitgewirkt hätte“. „Bekennst du ich schuldig an den dir in der Anklageschrift vorgeworfenen Beschuldigungen?“ – fragte der Ermittler. „Nein“. Die Anklage wurde geändert, das Untersuchungsverfahren fortgesetzt.
Beim ersten Verhör nach der Anklageerhebung gab man mir das Protokoll zur Unterschrift. Nach dem ich es durchgelesen hatte, weigerte ich mich, meine Unterschrift darunter zu setzen: „Dort steht etwas, was ich gar nicht gesagt habe. Wenn Sie nicht in der Lage sind, meine Antworten richtig darzustellen, dann schreiben Sie nur die Fragen hin, und dann werde ich die Antworten selber schriftlich hinzufügen“. Als Antwort stieß mich der Ermittler grob in die Seite, riss mir die Brille von der Nase und schickte mich, nachdem er das Blatt Papier zerrissen hatte, in die Zelle zurück.
Das weitere Untersuchungsverfahren setzte sich in derselben Art und Weise fort: der Ermittler registrierte lediglich die Fakten, die seiner Meinung nach die erhobenen Vorwürfe bekräftigen konnten. Aber schließlich kam die Zeit, als der Ermittler mir das Untersuchungsmaterial vorlegte, damit ich mich damit vertraut machen konnte. Ich las alles durch, weigerte mich jedoch, meine Unterschrift darunter zu setzen. Anschließend legte ich dem Staatsanwalt schriftlich meine Forderungen dar.
Natürlich verstand ich auch damals sehr gut, dass das Untersuchungsverfahren und das Durchlaufen des Kriegstribunals nur eine formelle Prozedur waren. Mein Schicksal war schon viel früher im Kabinett des Metro-MGB-Chefs und Oberstleutnants Dawydow besiegelt worden.
Am 22. Mai 1948 ließ man mich am Weißrussischen Platz unter scharfer Bewachung in dein Fahrzeug einsteigen. Es fuhr auf einigen Umwegen durch die Straßen Moskaus, bis dann schließlich noch ein weiterer Häftling zusteigen musste. Es handelte sich um einen Deutschen in deutscher Militäruniform ohne Rangabzeichen, der etwa 40-50 Jahre alt sein mochte. Das war eine der zahlreichen Methoden, die von den stalinistischen Straforganen angewendet wurden, um die Gefangenen seelisch-moralisch zu erniedrigen, sie zu kompromittieren und zu brechen: somit hast du dann also einen Weggefährten, einen „Faschisten-Kollegen“, der mit dir zum Kriegsgericht fährt. Der Deutsche hatte Hunger: er schaute auf meine Jackentasche, in der sich eine Ration Brot, eingewickelt in Papier, befand. Ich wickelte das Brot aus und schnitt die Hälfte davon ab. Gierig verschlang der Deutsche es… Mich verfrachteten sie in eine Art Box, eine an allen Seiten geschlossene Kiste, in der man nicht nur nicht sitzen, sondern sich auch nicht umdrehen konnte. Drei Stunden später führte man mich in Begleitung zweier Soldaten und eines Offiziers in den Sitzungssaal des Militärgerichts des Moskauer Wehrkreises. Auf den letzten Bänken im Saal entdeckte ich Wortschenkow, Ogurzow, Romanow und noch einen weiteren Moskauer, einen ehemaligen Kriegsgefangenen.
Der Richter verlas die Anklageschrift. Ich wies es komplett zurück. Nach einer Unterbrechung kehrten alle in den Gerichtssaal zurück, und der Richter verlas nun das Urteil: 15 Jahre Zwangsarbeit.
Im Butyrka-Gefängnis befand ich mich ungefähr bis zur ersten August-Dekade 1948. Danach wurde ich mit einer Gruppe anderer Häftlinge zum Kasaner Bahnhof gebracht. Nach ein oder zwei Tagen und Nächten trafen wir im Durchgangslager Kujbyschew ein, einem vorübergehenden, am Ufer der Wolga gelegenen, Konzentrationslager. Nach ein paar Tagen wurde im Durchgangslager eine Kolonne aus mehreren tausend Gefangenen zusammengestellt – im fünf Mann in einer Reihe. Allen wurde befohlen sich bei den Händen zu fassen. Die Wache warnte: ein Schritt nach rechts, ein Schritt nach links ohne Erlaubnis – und die Begleitwachen schießen ohne Vorwarnung! Die Häftlingskolonne sollte die Brücke überqueren, um vom rechten Wolga-Ufer auf das linke zu gelangen; weiter gingen wir durch die dicht bevölkerte Stadt zur Bahnstation. Daher begleiteten uns links und rechts der Kolonne Wachmannschaften in geringem Abstand zueinander, mit Gewehren in den Händen, und manche von ihnen führten Hunde an der Leine. Während des gesamten Fußmarsches durch Kujbyschew stand die Bevölkerung wie eine Mauer zu beiden Seiten der Straßen, auf denen wir uns voran bewegten. Auf keinem einzigen Gesicht konnte ich den Ausdruck von Wut oder bösem Willen entdecken, stattdessen nur Angst und Unverständnis…
An der Bahnstation standen für uns schon Güterwaggons mit vergitterten Fensteröffnungen bereit. In solchen Waggons war ich sieben Jahre zuvor als Kriegsgefangener in das faschistische Deutschland gebracht worden. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie viele Tage und Nächte wir unterwegs waren, aber irgendwann näherte sich der Zug Krasnojarsk. Hier ließ man uns aussteigen und trieb uns in ein Durchgangslager, wo ich eine Woche blieb, und dann wurde eine Kolonne aus 1-2000 Gefangenen zum Ufer des Jenisej geschickt, wo bereits Motorschiffe und Lastkähne auf uns warteten. In den Lastkähnen gab es einen hölzernen Bretter-Belag in mehreren Etagen. Ich geriet auf die obere Lage, wo es an den Rändern schmale Ritzen gab, durch die das Ufer des Jenisej zu sehen war. Im Frachtraum des Lastschiffs herrschte ein furchtbarer Gestank: es gab keine Toiletten. Der Eingang zum Lastkahn wurde von oben durch Soldaten bewacht und mit einem Schloss verriegelt, als dieser sich in Bewegung setzte. Ich ließ mich im Frachtraum auf den Brettern nieder. Hier ließe es sich leichter Luft schöpfen, obwohl es merklich kälter war. Ich schaute neugierig auf die Ufer des mächtigen, wilden Jenisej, die dicht mit Wald bewachsen waren. Nur selten konnte man kleine bewohnte Ortschaften entdecken.
So fuhren wir etwa zehn Tage lang auf dem Jenisej, und es wurde immer kälter. Schließlich legte der Lastkahn im Hafen von Dudinka an. Auch hier gab es ein Durchgangslager, in dem ich einige Tage weilte. Dann verfrachtete man uns in kleine Güterwaggons. Bis nach Norilsk fuhren wir stehend. Es war bereits Anfang September 1948, der Regen war mit nassem Schnee vermischt. Sie trieben uns in ein Lager und fingen an uns in Brigaden aufzuteilen. Unsere Baracke bestand aus mehreren Räumen mit zweistöckigen Pritschen; die Fenster waren offen, und auf dem Fußboden lagen an einigen Stellen Schneehaufen. Es gab weder Kleidung noch Bettzeug. Die Gefangenen machten sich sogleich daran, den Schnee hinauszuscharren, und die Brigaden gingen auf die Suche nach Kohlen oder Holz, denn alle waren ordentlich durchnässt und zitterten vor Kälte. Gegen Abend gelang es den Ofen anzuheizen, aber wir schafften es nicht, die Baracke bis zum nächsten Morgen vollständig durchzuwärmen.
Am Morgen, vor dem Abmarsch zur Arbeit, erhielten wir eine Kelle Wassersuppe und eine Ration Brot; dann wurden wir zum Arbeitsausmarsch in Brigaden aufgestellt. An den Toren standen mehrere Aufseher – sie zählten die Reihen der Häftlinge durch, die aus dem Tor hinausgingen, und die Arbeitsanweiser, die aus den Reihen der Gefangenen stammten, schlugen geschickt mit Holzstöcken auf die gekrümmten Rücken derer, die sich zu langsam vorwärts bewegten.
Ich geriet in eine Brigade, die in der Tundra Gräben zum Verlegen von Rohren aushob. Der Arbeitstage dauerte 12 Stunden, wir bekamen kein Mittagessen, und sie erlaubten uns auch nicht ein Feuer zu entfachen, damit wir uns ein wenig trocknen konnten. Später wurden Lagerfeuer in manchen Brigaden genehmigt, aber an den Tagen, an denen es unaufhörlich regnete, war es trotzdem unmöglich richtig trocken zu werden. Abends herrschte in der Baracke ein fürchterliche Gestank, alle versuchten ihre Sachen trocken zu bekommen und ihre Kleidungsstücke möglichst nahe am Ofen aufzuhängen. Der vorhandene Platz reichte nicht für alle, so dass am nächsten Morgen viele in nasser Kleidung wieder zum Arbeiten in die Tundra marschierten. Doch die schlimmsten Tage setzten in der zweiten Septemberhälfte ein. Ich werde sie niemals vergessen: am Morgen fiel Schneeregen, alles war total durchweicht, und gegen Mittag setzte plötzlich Frost ein, so dass die nasse Kleidung an den Körpern der Gefangenen gefror. So etwas erlebte ich damals zum ersten Mal. Wir fühlten uns auch nicht besser, wenn wir in unseren noch gänzlich nassen Sachen wieder zur Arbeit gehen mussten, denn im Frost erstarrten die Kleidungsstücke schnell zu einer Säule. Die einzige Rettung davor war Bewegung – den ganzen Arbeitstag über blieben wir nicht eine Minute stehen. Jacken, Wattejacken und Filzstiefel bekamen wir erst im Dezember ausgeteilt.
Nicht weniger schlimm war für uns das Fehlen einer Bademöglichkeit. Bei dem Überfluss an Dreck und nasser Kleidung nahm die Zahl der Läuse drastisch zu. Einen derart starken Läusebefall hatte ich schon während meiner Gefangenschaft an mir sehen und erleben müssen, aber damals hatten wir dort einen schnee- und frostlosen Herbst, und wir schüttelten unsere Hemden einfach auf der Straße aus. In Norilsk wirst du so etwas nicht versuchen…
Ein Badehaus wurde erst zum Ende des Jahres errichtet, und zu derselben Zeit bekamen wir dann auch Bettzeug: Matratzen, Kopfkissen und Decken. Die Läuse wurden wir nach und nach wieder los. Der zwölfstündige Arbeitstage in der Tundra mit Schubkarre und Schaufel war schwer, der Organismus verspürte ständig Hunger, und umso schwieriger war es deswegen, gegen die Kälte anzukämpfen. Im Vergleich zur Kriegsgefangenschaft fiel die Brotration hier größer aus – 750 g am Tag, morgens und abends gab es dazu eine Kelle Wassersuppe.
Der Boden fing also an zu gefrieren, das Ausheben von Gräben für die Verlegung von Rohren wurde eingestellt, und im Dezember kam ich in eine Brigade, die sich „Schneeschutz-3“ nannte. Unter den Angehörigen dieser Brigade befanden sich zahlreiche Eisenbahnarbeiter. Der Brigadeführer selbst war vor seiner Verhaftung Maschinist auf einem Zug gewesen. Zu den Pflichten der Brigade gehörte es, die Bahnschienen zu reparieren, aber viel häufiger mussten sie vom Schnee befreit werden. Die Arbeit wurde in zwei Schichten ausgeführt; alle zwölf Stunden wurden die Leute ausgewechselt.
Der Gedanke an eine Flucht ließ mich nicht mehr los. Ich wusste schon von denen, die aus dem Lager geflohen waren und durchdachte meinen Plan sehr sorgfältig. Aber mit wem sollte ich flüchten? Einmal lernte ich in der Baracke mit verschärftem Regime Maksimow, einen ehemaligen Armee-Offizier kennen. Er gestand ein, dass er selber auch gern mit mir darüber sprechen würde. Es kam der Sommer 1949, der Schnee schmolz, es wurde warm. Wir warteten auf dichten Nebel, um unbemerkt von dem Schützen auf dem Wachturm unter dem Stacheldrahtzaun hindurchzukriechen. Der Juni, der Juni ging vorüber…
Und dann endlich, am 30. Juli, erwachte ich eine halbe Stunde vor dem Arbeitsantritt. Draußen herrschte Nebel, und was für einer! Vorsichtig rüttelte ich Maksimow wach, wir kleideten uns an und begaben uns zu der kleinen Blockhütte. Von dort robbten wir zum Zaun hinüber. Dem Hund, der sich in etwa zehn Meter Entfernung von uns aufhielt, warf ich ein Stück Brot zu. Maksimow hob den Stacheldraht hoch, ich kroch darunter hindurch, dann wechselten wir die Plätze. Zwischen der ersten und zweiten Reihe Stacheldraht lagen eineinhalb bis zwei Meter. Und da befanden wir uns auch schon außerhalb des Lagers. Der Schütze stand unbeweglich, der Hund fing nicht an zu bellen… Auf allen Vieren krochen wir immer weiter vom Stacheldraht fort. Stille… Doch plötzlich kam ein heftiger Wind auf – und der Nebel verschwand, als ob er nie da gewesen wäre. Das Lager war klar und deutlich zu sehen – der Appell zum Arbeitsausmarsch begann. Wir beeilten uns, so schnell wie möglich durch den unruhig dahinfließenden Bach zu kommen – immer wieder mussten wir dabei die Schnürschuhe ausziehen. Die Schwäche, die wir im Lager aufgrund der Mangelernährung stets in uns gefühlt hatten, war wie weggeblasen… An einigen Stellen bemerkten wir Pfade mit Abdrücken von Pferdehufen, aber wie maßen dem keine Bedeutung bei und wären dadurch beinahe auf einen operativen Posten gestoßen.
Wir machten einen Umweg um dessen Erd-Hütte, stiegen erneut zum See hinab und fühlten nun doch eine gewisse Müdigkeit und Hunger. Wir sehen: bis hierher sind wir gekommen… Erneut umgehen wir einen Posten und marschieren weiter. Dann sahen wir wieder ein Gebäude. Ich gab Maksimow ein Zeichen, damit wir uns weiter davon entfernten. Er wandte ein, dass dies kein Posten sein könnte, da wir nun schon etwa 50 km gegangen wären. Wir beschlossen, uns dem Gebäude vorsichtig zu nähern, aber da vernahmen wir plötzlich: „Stehenbleiben! Hände hoch!“ Auf der Anhöhe stand ein Soldat mit einer Pistole in der Hand. Aus der Hütte sprang sein Arbeitskollege heraus und legte uns in Windeseile Handschellen an. Dann sagten sie uns: „Euer Glück, dass ihr uns in die Hände gefallen seid und nicht denen, von denen ihr fortgelaufen seid; die hätten euch an Ort und Stelle erschossen“. Die Soldaten erhielten für unsere Ergreifung und Ablieferung eine Prämie.
Als wir ins Lager zurückkehrten konnten wir uns kaum noch auf den Beinen halten. Maksim und ich wurden getrennt in Gefängniszellen gesteckt. Ich setzte mich sogleich zusammengekrümmt nieder und schlief ein. Ich erwachte von einem Schrei. Wir wurden geschlagen, verhört und am Abend ins Lager gebracht, damit wir die Stelle zeigten, an der wir durch den Stacheldrahtzaun gekrochen waren. Anschließend brachten sie uns in den Durchgangshof, befahlen uns, mit unseren Handschellen, das Gesicht nach unten, auf den Boden zu legen – alle Brigaden stiegen eine ganze Stunde lang über uns hinweg. Und wieder ins Gefängnis …. Das Ermittlungsverfahren und die Gerichtsverhandlung standen uns noch bevor. Die Erhöhung der Haftstrafe erwies sich nicht als Tragödie. Ich fing an, mich mit Methoden zur Stärkung meiner Psyche und meines Bewusstseins zu beschäftigen: ich stimmte meine Gedanken und Gefühle auf etwas Vernünftiges ein – denn der schwierigste Kampf ist der gegen sich selbst. Ein ähnliches Training gestattete es mir, nicht das Interesse an der Liebe zum Leben zu verlieren und mich nicht aufzugeben.
Im August fand die Gerichtsverhandlung statt, Maksimow und ich wurden zu jeweils 10 weiteren Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Wir saßen auch weiterhin in der Bracke mit verschärftem Regime und leisteten täglich 12 Stunden Schwerstarbeit in der Tundra. Mich wunderte schon nichts mehr, aber über eines war ich jeden Tag aufs Neue erstaunt: wie viel kann ein Mensch ertragen! Das Arbeiten war mühselig, ohne Mittagessen, ohne freie Tage, wir waren hungrig und froren, denn für das raue Klima waren zu schlecht gekleidet, wurden häufig geschlagen und immer wieder gedemütigt… Und doch hielten wir durch – ließen unsere Seele nicht zerbrechen…
Nachdem ich einen Monat in der Baracke mit verschärftem Regime verbracht hatte, fühlte ich, dass ich merklich schwächer wurde. Die bis oben hin gefüllte Schubkarre kippte mehrmals um, ich konnte nicht einmal mehr eine Bahnschwelle hochheben; infolgedessen tanzte der Stock des Arbeitsaufsehers nicht nur einmal auf meinem Rücken. In derselben Lage befand sich Grischka, mit dem ich mich angefreundet hatte. Seine Strafakte war folgendermaßen entstanden. Er hatte in einer kleinen Siedlung gelebt. Der örtlich MGB-Chef hatte seine Ehefrau offiziell zu sich rufen lassen und sie vergewaltigt. Die Frau kehrte völlig verweint nach Hause zurück und erzählte alles ihrem Mann. Bei wem sollte man sich bei all der stalinistischen Gesetzlosigkeit über den MGB-Leiter beschweren? Grischka nahm eine Axt, begab sich zu dem MGB-Chef und schlug ihm auf den Kopf. Der Hieb erwies sich als tödlich – so geriet Grischka in die Kategorie der „Staatsverbrecher“. Die Wahrscheinlichkeit zu Krüppeln geschlagen zu werden brachte uns einander näher. Grischka und ich vereinbarten: wenn der Arbeitsaufseher sich mit dem Stock oder der Schaufel auf ihn stürzt und anfängt ihn zu prügeln, dann sollte ich mit der Spitzhacke auf unseren Peiniger zugehen und ihm damit so kraftvoll wie möglich auf den Hinterkopf schlagen. Dasselbe sollte Grischka im umgekehrten Fall tun. Sollte der Hieb misslingen, wollten wir gemeinsam und sehr schnell mit der Hacke agieren. Unter diesen Bedingungen hatten wir nichts zu verlieren: wenn du nicht tötest, dann töten sie dich, schließlich hatten wir es mit einem gefährlichen Verbrecher zu tun, und der operative Bevollmächtigte half uns nicht. Ich weiß nicht, ob es wieder das Schicksal oder der Zufall war – jedenfalls vollstreckten wir unser „Urteil“ nicht. Ein oder zwei Tage nach unserer Übereinkunft schlachtete einer der Kriminellen im Lager den Kolonnenführer ab, mit dem er sich verfeindet hatte. Die Folge war, dass man ihn in den Karzer sperrte und für uns einen neuen Brigadier in der Baracke mit verschärftem Regime bestimmte, einen ziemlich gut erträglichen Mann. Meine Kräfte waren indessen erschöpft, vor lauter Schwäche fiel ich während der Arbeit mehrmals um. Die Sanitäter stellten mich für ein – zwei Tage von der Arbeit frei, aber in der Regime-Baracke musste ich trotzdem bleiben. An solchen Tagen gab man mir irgendeine leichte Arbeit: das Lager-Territorium säubern, die Fußböden fegen und wischen. Einmal sah ich im Karzer den ehemaligen Brigadeführer – dieser grausame Mensch versuchte sich bei mir einzuschmeicheln und flehte mich um einen Zigarettenstummel an. Einen am Boden liegenden schlägt man nicht, ich gab ihm etwas zu rauchen.
Bald wurde bekannt, dass eine große Partie Häftlinge in die 5. Abteilung des GorLag geschickt werden sollte. Einer von ihnen war ich. Ich kam in eine Brigade, die in der Ziegelfabrik arbeiten sollte. Jede Brigade bestand aus 30-40 Mann. Das Werk produzierte leichte Schamott-Ziegel her, die vorwiegend zur Wärmeisolierung von Rohren verwendet wurden. Außer einer alten Maschine, die den Lehm presste und zu Ziegeln zerschnitt, wurden alle anderen Tätigkeiten in primitiver Handarbeit verrichtet. Allerdings gab es noch kugelförmige Zerkleinerer, welche jedoch häufig unbrauchbar wurden und ausgemustert werden mussten. Das Ein- und Abladen des Lehms in diese Zerkleinerungsmaschinen geschah per Hand. Die schwierigste Arbeit war der Transport des Lehms aus den Zerkleinerern in die Pressmaschine, welche sich in einem anderen Schuppen, etwa 200-300 Meter entfernt, befand. Der Lehm aus den kugelförmigen Zerkleinerern wurden mit Schaufeln in auf Schlitten gestellte Fässer gefüllt, mit Menschenkraft durch den Schnee zum Schuppen gebracht, wo die Presse stand, und dort in die Maschine umgefüllt. Wenn man die zähe, Klebrigkeit des Lehms, die Kälte draußen und im Schuppen (infolgedessen der Lehm gefror und man ihn jedes Mal erwärmen musste) und die häufigen Defekte an der Maschine berücksichtigt, dann war das eine sehr schwere und unproduktive Arbeit. Wenn wir innerhalb von vierundzwanzig Stunden fünftausend Ziegel schafften, also50-60 Steine pro Mann, dann war das ein großer Erfolg.
Die Häftlinge in unserer Brigade waren zum größten Teil West-Ukrainer, man nannte sie Banderow-Leute. Es waren charakterlich aufrechte und gegenüber ihren Kameraden ehrliche Menschen. Sie drückten sich nie vor der Arbeit, versuchten nie, schwerste Tätigkeiten auf einen anderen abzuwälzen. Unter ihnen begegnete ich keinem einzigen Gewohnheitsverbrecher, sie benahmen sich freundlich, und wurden von unseren Kleinkriminellen gefürchtet. Die Banderow-Leute traten für die nationale Unabhängigkeit der West-Ukraine ein. Das war sogar im Lager spürbar. Gegenüber den Russen hegten sie ein gewisses Misstrauen. Mehrfach hörte ich, wie sie ihre Hymne sangen, die angenehm melodisch klang und deren Refrain lautete „die ukrainischen Aufständischen werden nicht zurückweichen!“.
In der Ziegelei arbeitete ich ein Jahr, danach kam ich in eine andere Ziegelfabrik, in der mit einem modernen Hoffmann‘schen Ringofen ganz gewöhnliche Ziegelsteine produziert wurden. Hier blieb ich nicht lange: man schickte mich in eine andere Außenstelle des GorLag. Die Verlegung der Gefangenen von einem Lager in ein anderes wurde oft vom jeweiligen Bedarf an Arbeitskräften diktiert. So kam ich zu einer Baustelle. Ich musste als Erdarbeiter, Zimmermann, Betonarbeiter, Maurer, Verputzer usw. arbeiten. Vorarbeiter auf dieser Baustelle war der Häftling Bobkow. Mein Brigadeführer verschaffte mir, wie ich erst später erfuhr, nicht selten auf Anweisung Bobkows eine leichtere Arbeit. Zu meinen Pflichten gehörte es, Nägel zu beschaffen, die ich aus alten Verschalungen und zerstörten Holzkonstruktionen herauszog, aber auch die Herstellung primitiver Nägel aus Draht. Es gab nicht genügend gewöhnliche Nägel auf dem Bau, und diese wurden zur Herstellung hölzerner Verschalungen für Beton gebraucht, denn Fertigbauteile aus Stahlbeton gab es damals noch nicht. Eine strenge Rechenschaftslegung für die geleistete Arbeit gab es nicht, alles hing von meinem Brigadeführer und Bobkow ab.
Einmal bat Bobkow mich zu sich in die provisorische Hütte und schlug mir vor, sein Gesuch an den General-Staatsanwalt um Begnadigung zu korrigieren. Mit dieser Aufgabe drängte er mich nicht, sondern ließ mich in der beheizten Hütte zurück, damit ich in Ruhe darüber nachdenken konnte, was man in seinem Bittschreiben ändern, hinzufügen oder weglassen müsste. Der Fall Bobkow endete wie folgt: er selbst stammte aus Leningrad, wo seine Frau und seine Tochter zurückgeblieben waren, war von Beruf Offizier (Kapitän-Leutnant wie es schien) bei der Seekriegsflotte. Bei der Blockade Leningrads durch die Deutschen wurde die Flotte, in der Bobkow diente, im Finnischen Meerbusen eingekesselt. Auf dem Schiff, auf dem sich Bobkow befand, wurde ein Überschuss an Offizieren festgestellt. Auf dem Meer herrschte zu der Zeit Windstille. Auf dem Schiff kam es zwischen einem der Offiziere und Bobkow wegen ihrer Stellung an Deck zu einem Konflikt, der mit der Zeit in Feindschaft überging. Da hatte Bobkow, um seinen Kollegen los zu werden, den Verschluss aus der scharfen Waffe entfernt, welche von diesem bedient wurde, und ihn ins Meer geworfen. Dafür verurteilte das Militärgericht des Leningrader Wehrkreises Bobkow zu 20 Jahren Zwangsarbeit und entzog ihm zudem den Offizierstitel. Bobkow gab seine Schuld zu, schrieb jedoch, dass er dies nicht aus Feindschaft gegenüber seiner Heimat, sondern aus Abneigung gegen seinen Offizierskollegen getan hätte. Als ich dieses Gesuch um Begnadigung durchlas, verstand ich, dass es mir schwerfallen würde, Argumente zugunsten Bobkows zu finden. Als er zurückkehrte riet ich ihm lediglich, die oben angeführte Empfindlichkeit aus dem Text zu streichen, weil sie mit dem Fall nichts zu tun hatte, und das Wort „Begnadigung“ gegen den Begriff „Strafminderung“ auszutauschen. Damit war Bobkow einverstanden, trieb mich jedoch nicht zur Eile. So vergingen weitere zwei Tage. Wir unterhielten uns über verschiedene Dinge, aber besonderes Interesse rief mein Bericht über Maksimows und meine Flucht aus dem Lager hervor. Damals konnte ich nicht einmal erahnen, dass ausgerechnet das, und nicht der Brief mit dem Gnadengesuch, der Grund dafür war, dass Bobkow mich mehrere Tage lang in der Hütte im Warmen sitzen ließ. Mehr noch – einen halben Meter von dem Tisch entfernt, an dem ich saß, in dieser einfachen Holz-Bude, waren Schießpulver, Patronen und Gewehrstutzen versteckt, die Bobkow für die Flucht bereits vorbereitet hatte. Ein oder zwei Wochen später, nachdem wir unsere Arbeit vollendet hatten, tauchten an Babkows Holzhäuschen etwa zehn Soldaten auf. Sie fielen mit Spaten, Äxten und Spitzhacken über die Hütte her und fingen an die Wände einzuschlagen. Bald darauf war von der kleinen Bude schon so gut wie nichts mehr übrig, doch die Soldaten fanden, was sie gesucht hatten: das Pulver, die Patronen und die Gewehrstutzen. Wie später bekannt wurde, hatte Bobkow mit dem Arbeitsanweiser über die Flucht mittels eines frei angestellten Vorarbeiters, einem Leningrader Landsmann, und eine Verbindung zu seiner Frau in Leningrad hergestellt. In Paketen hatte er von ihr das Pulver, die Patronen und die Gewehrstutzen erhalten. Im letzten Moment vor der Flucht geriet der Arbeitseinteiler ins Wanken und verriet Bobkow. Daraufhin wurden der freie Vorarbeiter sowie Bobkows Frau und Tochter verhaftet. Bobkow selbst wurde ins Gefängnis gesteckt, alle wurden angeklagt und zu langen Haftstrafen verurteilt. So wurde ich zum unfreiwilligen Augenzeugen einer misslungenen Flucht.
Das GorLag war eine Strafzone. Ich kannte zwei Gefangene, die zu ewiger Zwangsarbeit verurteilt worden waren. Einen der beiden, er war georgischer Nationalität, kannte ich nur vom Sehen, ich begegnete ihm nur selten und wusste nicht, weshalb man ihn angeklagt hatte. Den anderen, er war Deutscher und Konstrukteur des deutschen Panzertyps „Tiger“ (oder „Panther“), sah ich häufig und es kam auch vor, dass ich mich mit ihm unterhielt. Er arbeitete innerhalb des Lagers (in der Zone), reinigte vorwiegend die Toiletten, und davon gab es im Lager etwa ein Dutzend. Sie befanden sich alle draußen. Morgens sah ich ihn mit Eimer und Schaufel zur Arbeit gehen. Die Mehrheit der Deutschen sprach bereits einigermaßen gut Russisch – nicht so der Konstrukteur. Und er tat es offenbar aus Prinzip. Aus meinen Kontakten mit ihm schloss ich, dass er ein kluger Mann war, bei Gesprächen äußerst vorsichtig; es hieß, dass man ihm eine Arbeit als Ingenieur angeboten hätte, doch er hatte abgelehnt. Meine Versuche mehr über ihn zu erfahren waren nicht von Erfolg gekrönt, und als er erfuhr, dass ich Russe war, begann er mich gänzlich zu meiden, - er dachte wohl ich wäre einer vom MGB. Seine Arbeit verrichtete er gewissenhaft, sie verschaffte ihm Einsamkeit, und das machte ihn zufrieden.
In diesem Lager lernte ich den Esten Tikerpuu kennen – er war Geodät von Beruf. Der Leiter des Bauprojekts hieß Saidel, ein gescheiter Bauarbeiter, der über eine gute Menschenkenntnis verfügte, aber er pfiff auf politische Leistungen. Besondere Aufmerksamkeit widmete er der Auswahl seiner Brigadeführer; Gewohnheitsverbrecher mochte er nicht, er versuchte daher stets, sie so schnell wie möglich wieder los zu werden. Ober-Ingenieur bei Saidel war ein Moskauer, ich glaube sein Nachname lautete Terechow. Die Bauarbeiten liefen gut. Einmal wandte Tikerpuu sich an Saidel, damit dieser ihm einen Gehilfen zuteilen sollte – und für diese Tätigkeit schlug er mich vor. Saidel erklärte sich einverstanden, und ich wurde bestätigt.
Die Arbeit der Geodät auf der Baustelle beinhaltete das Markieren aller Bau-Objekte entsprechend der Bauzeichnungen: die Baugruben mit ihren Fundamenten, Ausstattungen innerhalb des Gebäudes. Die wichtigsten Werkzeuge bei diesen Arbeiten waren Nivelliergerät, Theodolit, Wasserwaage, Senkblei und andere einfache Messgeräte und Apparaturen. Bei starkem Frost und Schneesturm gestaltete sich das Arbeiten schwierig, manchmal war es auch vollkommen unmöglich. Die Baustellen veränderten sich, vor allen Dingen musste man bei der Erweiterung der Fabrik, die anstelle eines Namens eine Nummer trug, eine Zeit lang herumfahren. Hier arbeitete ich etwa ein Jahr. Ende 1952 wurden zweitausend Gefangene in aller Eile zum Bau einer anderen nummerierten Fabrik fortgeschickt. Sie wurde nicht im ersten Jahr gebaut. Dort arbeiteten inhaftierte „Alltagsgauner“. Ihre Arbeitsproduktivität war erheblich niedriger als bei den „Volksfeinden“, obwohl es eigentlich anders herum hätte sein sollen. Zwischen der Baustelle und dem Lager lag eine Entfernung von fünf Kilometern, gearbeitet wurde in zwei Schichten: tagsüber die „Alltagsgauner“, nachts die Politischen. Jeder Häftling bekam zwei Baschlyks (kapuzenartige Hauben mit langen Zipfeln zum Zubinden; Anm. d. Übers.) ausgehändigt, und wir hüllten unser e Gesichter so darin ein, dass nur für die Augen und zum Atmen kleine Öffnungen blieben. Trotzdem kam es häufig zu Erfrierungen, besonders bei den Begleitsoldaten. Wenn sie uns in der Nacht zum Bauplatz führten, sahen wir die nackten Wände in der Verschneiten Einöde der Tundra. Die „Alltagsverbrecher“ waren bereits aus der Zone hinausgebracht worden; nun standen sie da, eingemummelt in ihre Kapuzenhauben, und hüpften wegen der eisigen Kälte von einem Bein auf das andere. Unsere Kolonne nähert sich ihnen. Das Sich-Gegenüberstehen von insgesamt viertausend Häftlingen dauerte zwei Stunden: sie suchten einen der kleinen Verbrecher, der sich irgendwo auf dem Bauplatz versteckt hielt. Sie fanden ihn, und erst dann brachten sie uns auf das unmittelbare Gelände der Baustelle.
In den ersten Tagen unserer Bautätigkeit stürzten die Wände der Fabrik in sich zusammen. Zum Glück wurde niemand verschüttet. Sie mussten neu errichtet werden, aber die Betonarbeiten wurden in eisigem Frost und heftigem Schneegestöber durchgeführt. Z7um Anwärmen des Mörtels und des Betons entfachte man Lagerfeuer und benutzte dafür auch Elektroheizungen. Allmählich wuchsen die Wände mit Holzgerüsten und Holzverkleidungen wieder zusammen, es entstanden Betondecken, Stockwerke und ein Dach. Der grimmige Frost ließ den Gefangenen keine Möglichkeit Auszu8ruhen – die Arbeit lief auf Hochtouren. Allerdings forderte sie auch ihren Preis. Aber wer dachte damals schon daran, wie sie sich auf die Leute auswirken würde? So kam das Jahr 1953. Neben den offiziellen Informationen, die wir täglich aus Zeitung und Rundfunk erfuhren, gab es auch inoffizielle und sogar Gerüchte. Besonders angenehm war das Gerücht, dass eine Amnestie vorbereitet würde, die angeblich bereits zur Unterschrift auf Stalins Schreibtisch läge, er sich aber leider im Urlaub befände.
Ende Februar 1953 wurde im Radio darüber berichtet, dass Stalin, der damals 74 Jahre alt war, erkrankt sei. Die Nachricht über seinen Tod nahm ich 8im buchstäblichen Sinne „in den Tiefen eines sibirischen Erzbergwerks“ entgegen. Wir waren dabei, eine Baugrube mit einer Tiefe von annähernd 10 Metern beim Verwaltungsgebäude der Fabrik auszuheben. Oberhalb der Baugrube war eine Winde aufgestellt, und daneben stand mein Arbeitskamerad. Ich bearbeitete den ewigen Frostboden mit Spitzhacke, Brechstange und Meißel und legte die losgeschlagenen Stücke mit der Schaufel in einen kleinen Eimer, den mein Kollege von Zeit zu Zeit mit der Winde nach oben zog. Die Arbeit ging äußerst langsam vonstatten. Plötzlich hörte ich: „Der Satan ist krepiert!“ – Ich setzte mich in den Eimer, und der andere zog mich mit der Winde hoch. Dort befanden sich bereits zahlreiche Menschen. Die Information hatte man von einem in Freiheit lebenden Meister erhalten; außerdem sahen wir über der Stadt von Norilsk an einigen Stellen Trauerfahnen wehen. Alle waren guter Laune, freuten sich; das konnte man an den Gesichtern, den Witzen erkennen, welche die Häftlinge untereinander austauschten. Man kam nicht umhin zu bemerken, dass auch die freien Meister und die Vorabeiter über die Neuigkeit sehr erfreut waren. An jenem Tag verlangte schon niemand mehr von uns, dass wir unsere Arbeit fortsetzen sollten.
In den Lagerabteilungen des GorLag kam es zu Unruhen, die einen bedrohlichen Charakter annahmen, als einer aus dem Lager zum Streik aufrief. Die Ereignisse spitzten sich zu, als andere sich ihm anschlossen. aufrufe und Zureden der Lager-Administration im lokalen Rundfunk wieder zur Arbeit zu gehen zeigten keinerlei Wirkung. Nach Erzählungen in Freiheit lebender Mitarbeiter hissten Gefangene eine schwarze Flagge mit der Aufschrift: „Freiheit oder Tod!“ Außerdem ließen die Streikenden über der Stadt Drachen aufsteigen, an denen sie handgeschriebene Flugblätter befestigt hatten. Der Wind verteilte sie in der Stadt. Sie gerieten auch in unser Lager: freie Arbeiter händigten sie an uns aus. Man fühlte die offenkundige Verwirrung der Lager-Administration und der Wachen: so eine Aufruhr hatte es noch nie gegeben. Man fing an das Lager zusätzlich mit Stacheldraht einzuzäunen und Gräben auszuheben. Die Streikenden ergriffen ebenfalls einige Maßnahmen: für die Streik-Leitung wurde ein Komitee gegründet, innerhalb des Lagers begannen die Gefangenen ebenfalls Gräben auszuheben. Aber gleichzeitig tauchten auch unmittelbare Gegner der Streikvereinigung auf. Als Gegner erwiesen sich vor allem jene, die bereits einen Großteil ihrer Strafe abgesessen hatten. Sie gewannen schließlich die Oberhand, und unser Lager schloss sich dem Streik nicht an. Zu uns gelangte die Information: in den Lagerabteilungen des GorLag nahm die Sache ungewöhnliche Ausmaße an – 3es kam zu Zusammenstößen mit den Lagerwachen, die Truppen des MWD hatten ihre Waffen zusammengetrommelt, und die Häftlinge wehrten sich mit Steinen. Später musste ich die Beerdigung der Gefangenen mit ansehen, die beim Zusammenstoß mit den MWD-Truppen ums Leben gekommen waren: ein Teil des Friedhofs war vom Lager aus zu sehen. Die Getöteten lagen jeweils zu mehreren in einer Kiste – das erinnerte mich ans Lager Steyerberg im Jahre 1941… Der Häftlingsaufstand und die zahlreichen Opfer waren nicht umsonst: die Situation im Lager änderte sich in mancherlei Hinsicht zum Besseren.
Einmal geriet ich einem betrunkenen Gewohnheitsverbrecher unter das Messer, meine Eingeweide wurden an drei Stellen von der Klinge durchstoßen. Die Operation überstand ich ohne Narkose. Die Häftlinge fingen massenweise an, Gnadengesuche an verschiedene Gerichts- und Partei-Instanzen zu schreiben. Wenn es früher häufig so gewesen war, dass Beschwerden, Bittgesuche zur Strafmilderung aus dem Lager überhaupt nicht hinausgelangt waren, so kamen sie jetzt in der Regel bestimmungsgemäß beim ihren Empfängern an. Und sie wurden sogar begutachtet. Viele bekamen eine Antwort, darunter sogar positive, und manche wurden vollständig in die Freiheit entlassen.
Auch ich schrieb eine Beschwerde an den Ersten Sekretär des Zentralkomitees – N.S. Chruschtschow. Zwei-drei Tage lang lag sie beim Zentralkomitee, und schon erhielt ich die Antwort, dass man sich der Sache angenommen und sie an den Oberstaatsanwalt der Sowjetischen Armee zur Bestätigung weitergeleitet hätte.
Schließlich kam der Tag, als sie auch mich ins Gebäude der Lager-Administration bestellten. Sie händigten mir eine Bescheinigung über meine gemäß Ukas über die Amnestie „mit Aufhebung der Vorstrafe und Aberkennung der bürgerlichen Rechte“ erfolgte Freilassung, erlaubten mir jedoch nicht, zu meiner Familie nach Moskau zurückzukehren, und so gab ich erneut den ausgedachten Wohnort Moschaisj an. Das war am 25. Oktober 1955.
Ich verabschiedete mich von meinen Freunden. Gegen Abend fanden sich im Durchgangshof etwa zwanzig von uns ein. Jeder von ihnen erhielt einen Ausweis, einen Laib Brot und zwei Heringe (Geld hatte man uns schon früher gegeben – im Lager. Am Flugplatz saßen wir wegen eines Schneesturms mehr als einen Tag und eine Nacht fest. Und dann bestieg wir eilig das Flugzeug, irgendeine ziemlich alte Konstruktion, und nahmen Kurs auf den Süden. Auf Wiedersehen, Norilsk!
… Gegen Ende der ersten Dekade des November 1955 traf ich in Moskau ein. Meine Rückkehr wurde mit einem Festmahl gefeiert. Ich bemerkte, wie sehr meine Eltern gealtert waren… In der Fabrik „Roter Proletarier“ fing ich an zu arbeiten. Schon sehr bald fiel mir auf, dass der Meister mich schief von der Seite ansah. Ich wusste von den anderen Jungs, dass er Angst davor hatte ich könnte irgendetwas stehlen: schließlich war ich doch gerade erst aus der Haft entlassen worden. Aber im Allgemeinen war das arbeitende Volk zwar einfach, aber gut, so dass das Verhältnis im Kollektiv gut zurechtkam.
Innerhalb eines halben Jahres bereitete ich mich auf die Examina vor, um am Institut aufgenommen zu werden – immerhin war ich inzwischen schon 36 Jahre alt. Im Sommer 1956 wurde ich Student an der Moskauer Abend-Universität für Maschinenbau. Der dritte Versuch dort den Abschluss zu machen war von Erfolg gekrönt. Im März 1960 wurde ich als Haupttechniker und Konstrukteur in einer Abteilung des OKB (des Sonder-Konstruktionsbüros) eingestellt, danach beförderten sie mich zum Konstrukteur der zweiten Kategorie, ein Jahr später – der ersten… Erst viel später reichte ich aufgeregt und ziemlich unruhig diverse Dokumente ein, mit der Bitte, meinen Fall zu überprüfen, denn Amnestie bedeutete alles in Allem doch, dass man dem Schuldigen vergeben hatte. Ich begab mich zur Lubjanka, unterhielt mich mit dem Ermittlungsrichter, und dann kam der Tag, an dem ich im Februar 1965 die Aufforderung erhielt, im Sprechzimmer des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR zu erscheinen, um meine Rehabilitationsbescheinigung in Empfang zu nehmen. Der Sekretariatsleiter gratulierte mir und erzählte mir von den Rechten, welche Rehabilitierte in Anspruch nehmen können. Alles in mir triumphierte und frohlockte: der Fall galt als abgeschlossen – aus Mangel an Tatbeständen…
Nun sind schon so viele Jahrzehnte vergangen, aber auch heute noch erweckt der Weißrussische Bahnhof, sein Vorplatz, wenn ich mich hier aufhalte, negative Emotionen hervor – ich muss an die unterirdische Bahnhofszelle, die zweite Etage des grauen Gebäudes der Metro-Linie „Weißrussischer Ring“ denken – welche damals den für die U-Bahn zuständigen MGB-Stab beherbergte. Hier zerbrachen sie mir Mein Leben, hier begannen meine ärgsten Qualen, die ich nicht einmal meinem schlimmsten Feind wünschen würde.