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A.I. Baryschewa . Insel des Todes

Memorial „Suche“

Liebe Redaktion!

Sie befassen sich mit einer sehr guten, schwierigen, nützlichen Sache – der Suche nach in der Stalinzeit unschuldig umgekommenen Menschen und der Wiederherstellung ihres guten, ehrbaren Namens, und davon gibt es in unserem Lande Millionen. Wo sie umgekommen, welchen Todes sie gestorben sind, wo ihre sterblichen Überreste liegen, das wissen ihre Verwandten und die ihnen Nahestehenden nicht. Die Mehrheit von ihnen wurde erschossen, in Lagern des fernen Nordens gequält, aber es gab auch viele, die den Hungertod starben.

Ein solches Beweisstück ist die Insel des Todes. Sie liegt im Gebiet Tomsk, im Alexandrows-ker Kreis, und dort befindet sich das Dorf Nasino und ganz in der Nähe die Insel Nasino; diese Insel hieß irgendwann einmal Insel Nasino, aber ab 1930 wurde sie Insel des Todes genannt. Sogar die Binnenschiffer, die auf dem Fluß Ob fahren, nennen sie so.

In den Jahren 1929 und 1930 zogen Bugsierschiffe jeweils 3-4 Lastkähne auf dem Fluß entlang, in denen man „Kulaken“ aus Rußland, der Ukraine, Weißrußland, aus allen Ecken des Landes, forttransportierte.

Die Gefängnisse waren vollgestopft mit Menschen (Kindern, Frauen, Alten, Männern), und oben auf den Lastkähnen standen die Menschen eng aneinandergedrängt.

Dann ließ man sie die Plätze wechseln, denn unten in den Lastkähnen erstickten sie, und oben schien die gleißende Sonne auf sie herab oder sie wurden durch schlechtes Wetter „erfreut“.

So fuhren die Getreide- und Ackerbauern, unsere Ernährer, in die Verbannung. Sie waren sehr ärmlich gekleidet: Bauernkittel, Leinenröcke, Bastschuhe ... Es war ein unheimliches Bild.

Viele starben unterwegs: wenn der Dampfer einmal irgendwo am Ufer anlegte, trugen sie die Leichen hinaus und begruben sie in aller Eile...

Einmal wurden auch Menschen zur Insel Nasino fortgebracht, darunter Intelligenzler, Angehörige der Arbeiterklasse, Bauern und Verbrecher. Man schleppte sie auf die verlassene Insel hinaus, die mit Purpurweiden bewachsen war; nirgends gab es dort Plätze zum Wohnen, und man ließ sie einfach dort, damit sie den Hungertod starben...

Einige Male kam unter der Aufsicht von Wachen ein Boot mit Roggenmehl zur Insel. Die Wach-Soldaten fürchteten die hungernden Menschen und ließen das Boot deshalb nicht so nahe ans Ufer heran.; die Säcke wurden ins Wasser hinabgeworfen, und die völlig entkräfteten und hungrigen Leute zogen sie aus dem Wasser, hoben sogleich am Ufer eine kleine Grube aus, schütteten eine Handvoll Mehl hinein, lösten es mit Wasser auf und aßen ...

Aber diese „Bewirtung“ reichte nicht für alle aus; es gelang nur jenen etwas abzubekommen, die etwas kräftiger waren. So starben die Unglückseligen unter freiem Himmel, umgeben von den Wassern des Ob, ohne Behausung und ohne Nahrung.

Die Mehrzahl waren Frauen. Viele dachten an Flucht. Die Männer brachen Äste und Zweige aus den Sträuchern und flochten damit kleine Flöße, mit denen sie ans Ufer übersetzen wollten, aber die Flöße waren zu dünn, zu schwach für die Last, und gingen unter...

Einigen gelang es hinüberzuschwimmen und sich zu verstecken.

Einmal, im Jahre 1949, befand sich mein Mann auf einer Dienstreise in der Nähe von Kolpaschewo. Dort gab man ihm das Buch „Die Insel des Todes“. Es war illegal herausgebracht worden. Nachdem er es durchgelesen hatte, konnte mein Mann nicht mehr schlafen. Es bedeutete doch, daß irgendwer geflüchtet und am Leben geblieben war und nun war er in der Lage alles zu erzählen.

Ich denke, daß man in der Stadt Tomsk eine Mitteilung in die Gebietszeitung setzen muß, um dieses Buch ausfindig zu machen.

Man möchte doch wissen, weshalb diese Demütigung, ohne Gericht und ohne Untersuchungs-verfahren, auf dem Rücken des sowjetischen Volkes organisiert wurde???

Seit jenen 30-er Jahren unseres Jahrhunderts wird diese Insel auch „Insel des Todes“ genannt. Eine Bestätigung für diese unheimlichen Tatsachen bietet ein Artikel von Wladimir Saposch-nikow vom 24. August 1988 in der „Literaturzeitung“ mit der Überschrift „Und wer ist trotz allem schuldig?“ Diese Zeitung ist vom 16.11.1988, darin ein Artikel von Iwan Uksussow „§58 wegen 58 Büchern mit Autogrammen".

Also solche ungeheuerlichen Dinge gehen in unserem Lande vor sich, mit den besten aller besten Menschen ...

Solange es noch Leute gibt, die in den 30-er Jahren im Alexandrowsker Kreis gelebt haben, muß man sich beeilen, noch Zeugen jener weit zurückliegenden Tragödie am Fluß Ob, auf der Insel des Todes, zu befragen.

Irgendwie erinnere ich mich daran, wie Anfang der 60-er Jahre ein weiblicher Moskauer Pionier in der Zeitung „Pionierwahrheit“ fragte: „Aber warum heißt die Insel (im Gebiet Tomsk) "Insel des Todes“? Die Antwort kam in wenigen Worten, denn selbst die Erwachse-nen wußten es nicht.

Stalin – der Henker – hat die Blüte unseres Landes vernichtet – die Leningarde, die Bauern, die Arbeiterklasse, die Intelligenz ...

Befindet sich nicht der Platz Stalins, der Platz Wyschinskijs bei den Heiligen aller Heiligen – an der Kreml-Mauer???

Herausnehmen und vernichten müßte man ihre Leichname, wie in dem Film „Die Beichte“...

Liebe Redaktion!

Herzlichen Dank für Ihre mühevolle und gutherzige Arbeit, aber sie ist für die Menschheit in unserem Vaterland notwendig.

Tief verneige ich mich vor Ihnen.

Ich wünsche Ihnen Erfolg, Gelingen bei der Aufdeckung der stalinistischen Verbrechen.

Mit tiefer Hochachtung

A. Baryschewa

18.11.1988


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