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Brief von Olga Borchwald

Verehrte Genossen!

Ich danke Ihnen für die edelmütige Arbeit. Unser Volk braucht ein solches Buch der Erinnerung an die Opfer der Stalinherrschaft.

Meine Kindheit verlief in der Siedlung Beret, Berjowsowsker Bezirk. Auf dem Dorffriedhof gibt es eine ganze katholische „Sektion“. Jetzt sehen diese Gräber ungepflegt aus, die Kreuze stehen krumm und schief. Haben diese unglückseligen Litauer und Letten noch Angehörige? Wohl kaum! Komplette Familien von ihnen liegen dort auf dem Dorffriedhof, einsam und verlassen inmitten der sibirischen Taiga.

Kommen Sie in dieses Dorf! Es muß noch Aufschriften auf den Kreuzen geben, die man vielleicht entziffern kann; möglicherweise erinnern sich die Alteingesessenen noch an sie. Ich weiß noch, wie meine verstorbene Großmutter vom quälenden Hungertod der Karakalpaken (den Kasachen eng verwandtes turksprachiges Volk am südöstlichen Aralsee; Anm. d. Übers.) erzählte. Warum gingen sie nicht zur Arbeit? Sie hatten weder Geld noch Essen. Die Kinder aßen Papier aus der Abfallgrube.

Bis heute leben in dieser Siedlung die aus der Ukraine verschleppten Familien Danilow, Zysdan und andere.

Aber ich will ihnen vonmeinen repressierten Verwandten (seitens meines Ehemannes) berichten.

Olga Borchwald

Den Brief erhielt das Krasnojarsker „Memorial“ Ende November 1989.


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