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Gennadij Nikolaewitcsh Bjakow. Erinnerungen

Ich, Gennadij (Sohn von Nikolaj) Bjakow, wurde 1904 im Gebiet Kirow, Urschumsker Kreis, Selenursker Dorfsowjet, in dem Dorf Tokari geboren, und stammte aus einer russischen Bauernfamilie. Vier Jahre lang besuchte ich die Schule.

Am 2. Dezember 1937 wurde ich verhaftet. Zu jener Zeit arbeitete ich als Leiter aller Kreiskontore zur Beschaffung von Vieh. Man beschuldigte mich der Schädlingstätigkeit - § 58. Dann verpaßten sie mir den Artikel 111 wegen Alltagsverbrechen, Amtsmißbrauch, weil ich dem Vieh angeblich das Futter nicht in die Tröge gestreut, sondern ihm vor die Füße geworfen hatte, woraufhin dieses angeblich nicht an Gewicht zugenommen hätte.

Man mußte mich ja irgendeiner Sache beschuldigen, denn ich saß schon 6 Monate ohne Gerichtsverhandlung fest. Ich verlangte die Hinzuziehung von Zeugen, aber keiner von ihnen beschuldigte mich. Ich wurde zu 5 Jahren mit Entzug aller Rechte verurteilt. Und dann verbannten sie mich in die Region Krasnojarsk, ins Tugatschinsker Lager. Das war 1938. Ich stand nicht unter Bewachung, weil ich den Alltagsverbrecher-§ hatte. Zunächst arbeitete ich als Leiter der Versorgungsstelle, als Vorarbeiter einer Zehner-Brigade und dann als Leiter des Pferdeparks.Und später blieb ich hier; es wurde mein ständiger Wohnort. Ich heiratete, es kamen Kinder.

Ich kannte Wassilij (Sohn von Iwan) Ljutow, der in der Siedlung Tugatsch als politisch Verbannter lebte, und nach meiner Erinnerung arbeitete er als Haupt-Viehexperte beim Stab oder Kontor der Verwaltung Y-235, wo sich (im 2. Stock) eine Landwirtschafts-Abteilung befand.

In einem Amtszimmer war die Landwirtschafts-Abteilung, in einem anderen die Transport-Abteilung (Frachtfuhrwesen) untergebracht. Und ich arbeitete in der Abteilung in Marin Klin, 10 km von der Siedlung Tugatsch entfernt, einer Nebenwirtschaft, in der ich als Leiter des Pferdeparks tätig war, und dort hatten wir auch unseren Experten für Tierfragen.

Wassilij (Sohn von Iwan) kam, lebte 2-3 Tage dort, sah nach den Tieren und erklärte die Pferdezucht. Er fuhr auch noch zur 2. Nebenwirtschaft in dem Dorf Samsonowka, 40 km von Tugatsch entfernt. Dort blieb er 2-3 Tage. Er mochte sich nicht gern im Kontor und im Arbeitszimmer aufhalten. Am liebsten verbrachte er die Zeit direkt bei der Viehzucht.

Ich erinnere ihn als einen ernsthaften, beherrschten, höflichen Menschen. Aber oft war er traurig. Nach der Arbeit, in der Freizeit, sah ich ihn häufig mit einem Buch; er las alles. Sprach wenig. Ich kann mich gut an ihn erinnern, obwohl inzwischen viele Jahre vergangen sind. Zuletzt wohnte er in der Siedlung Tugatsch im Schulhaus, in einem kleinen Zimmerchen. Er erkrankte an Lungentuberkulose und starb im Herbst 1950 (Nov.). Der Sarg mit seiner Leiche stand im Klub der Siedlung Tugatsch, wo sich die Bewohner und jene, die mit ihm zusammengearbeitet hatten, von ihm verabschiedeten. Beerdigt wurde er auf dem Friedhof der Siedlung Tugatsch.

Tugatsch war von vielen Lager-Stützpunkten umgeben, und die Gefangenen, von denen viele an Hunger starben, wurden übereinander gestapelt und ohne Sarg begraben. Diese Friedhöfe wurden dem Erdboden gleichgemacht. Die Grabhügel sind nicht erhalten geblieben.

Bei der Lagerwache arbeitete der Hundeführer Iwan (Sohn von Wassilij) Medwedew. Wenn jemand versucht hatte zu fliehen, hetzte er ihn mit einem Hund und erschoß ihn höchstpersönlich. Wenn ein hungriger Strafgefangener, den die Kräfte verlassen hatten, nicht arbeiten konnte, dann ließ der Wachsoldat ihn auf einem Baumstumpf stehen, im eisigen Frost, und dort stand er so lange, bis er erfroren war. Und die Brotration betrug 400 gr. Du drückst es zusammen und Wasser tropft heraus; die Arbeit war schwer – Bäume fällen usw. überall Wanzen, Mücken, dichte Taiga.

Um die Sträflinge zu bestatten gab es nicht genügend Leute, die sich ohne Begleitwachen bewegen konnten, und auch nicht ausreichend Särge. Aus dem Lager wurden sie im Sarg abtransportiert, und dann wurden sie aus dem Sarg gekippt, mit einem an der Hand festgebundenen Holzschild, auf dem der Paragraph, die Haftdauer und der Familienname vermerkt waren. So begruben sie die Politischen. Die meisten starben vor Hunger.

Heute lebe ich unter der Anschrift:
Region Krasnojarsk
Sajan-Kreis
Siedlung Tugatsch
Bjakow, Gennadij (Sohn von Nikolaj)

Die von mir aufgeschriebenen Erinnerungen entsprechen der Wahrheit, was ich hiermit bestätigte.

Falls meine Erinnerungen veröffentlicht werden sollen, so werde ich keine Einwände dagegen erheben.

Die Aufzeichnungen mit den Worten von Gennadij (Sohn von Nikolaj) Bjakow machte

Irina (Tochter von Wassilij) Ljutowa, Mitglied des Koordinationsrates der Gesellschaft „Memorial“.

29/VIII – 1989

Siedlung Tugatsch-Nowosibirsk


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