Eine der tragischsten Seiten der Chronik des Landes und der Region sind die politischen Repressionen. Die Einführung der Neuen Ökonomischen Politik (NEP) schaffte in einem gewissen Maße die sozialen Spannungen innerhalb der Gesellschaft ab, doch das Schwungrad der Repressionen Ende der 1920er Jahre vor dem Hintergrund der Industrialisierung des Landes und der umfassenden Kollektivierung der Landwirtschaft nimmt unheilverkündende, grausame Formen an, die durch Anordnungen der Partei und der Regierung gefestigt wurden. Um jene tragische Zeit besser verstehen zu können, muss man zu den Dokumenten jener Jahre zurückkehren, definieren, wer eigentlich der Initiator des Genozids am eigenen Volk, wer Urheber der grausamen Verfolgungen am Vorabend des Großen Vaterländischen Krieges war. Und nun zurück zur Geschichte. Der Generalsekretär der Allrussischen Kommunisten Partei der Bolschewiken (WKP (B)) – Stalin – begann mit seinen Anhängern eine Politik der unbarmherzigen Entkulakisierung (Enteignung der Großbauern; Anm. d. Übers.) und der Schaffung von Kolchosen mit gewaltsamen Methoden durchzusetzen. Noch im Januar 1928 versendet er an die örtlichen Parteimitarbeiter Telegramme, in denen er die Anwendung schärfster Maßnahmen gegen die Kulaken fordert. Zu der Zeit begibt sich Stalin nach Sibirien und verlangt eine erhebliche Beschleunigung bei der Durchführung seiner Anweisungen.
Endgültig formierte der General-Sekretär seine These von der Liquidierung der Großbauernschaft als Klasse auf der All-Russischen Konferenz der Agrarier und Marxisten am 27. Dezember 1929. Diese These wurde bestärkt durch die Anordnung des Politbüros des Zentralkomitees der WKP (B) vom 5. Dezember 1930 „Über das Tempo der Kollektivierung und Hilfsmaßnahmen beim Kolchos-Aufbau“. Am 30. Januar 1930 verabschiedete das Politbüro des Zentralkomitees der WKP (B) die Anordnung „Über Maßnahmen zur Liquidierung der Kulaken-Wirtschaften in den Gegenden umfangreicher Kollektivierung“.
Am 1. Februar 1930 wird die Anordnung des Zentralen Exekutiv-Komitees und des
Rates der Volkskommissare der UdSSR „Über Maßnahmen zur Festigung des
sozialistischen Umbaus der Landwirtschaft in den Gegenden umfangreicher
Kollektivierung und zum Kampf gegen die Kulakenschaft“ verabschiedet. Dieser
Anordnung folgt der Befehl N° 4421 DES Stellvertretenden Vorsitzenden der OGPU
Jagoda „Über die Mitwirkung der OGPU an der Durchführung der Kollektivierung,
den Kulaken-Verhaftungen und der erbarmungslosen Unterdrückung jeglichen
Widerstands gegen die durchzuführenden Maßnahmen“. So wurde also gegen Beginn
der 1930er Jahre die Idee der Repressionen dokumentarisch rechtskräftig, und der
Unterdrückungsapparat vor Ort erhielt volle Handlungsfreiheit. Es begannen die
Massen-Enteignungen, begleitet von unverhüllten Plünderungen und Misshandlungen
der Menschen.
W.G. Sirotinin, Mitglied der gesellschaftlichen Organisation „Krasnojarsker
Gesellschaft für Geschichtsaufklärung und Menschenrechte „Memorial“, schreibt,
dass nach den Informationen der Archiv-Dokumente, die von der
Memorial-Mitarbeiterin A.I. Frolowa gesammelt wurden, im Kuraginsker Bezirk 2356
Bauernwirtschaften (10031 Personen) enteignet wurden. Die Trecks, Eisenbahnzüge,
Lastkähne zogen sich in endlosen Reihen dahin und brachten die sibirischen
Bauern ins Angara-Gebiet, in den Jenisejsker Norden, zu den Artemowkswer
Bergwerken, wo Hunger, Kälte und schwerste körperliche Arbeit schon auf sie
warteten. Den Repressionen waren sämtliche soziale Bevölkerungsschichten
ausgesetzt; Ärzte und Lehrer, Bauern und Arbeiter, wissenschaftliche Mitarbeiter
und Geistliche, Partei- und Sowjetfunktionäre. Die Bewohner unseres Bezirks
bildeten da keine Ausnahme. Den Repressionsopfern gab man den widerwärtigen
Beinamen „Volksfeinde“, und so ging es immer weiter. Opfer der Verfolgungen
wurden auch die Einwohner der Ortschaft Rasjesscheje – J.W. Bulatow, J.K.
Bulatow, I.W. Bulatow, I.P. Sujew, M.S. Karawajew, die 1937 erschossen wurden.
Ein Jahr später ereilte dieses schreckliche Los auch F.J. Gorbuschin, N.P.
Dolmatow, I.D. Pestow, A.A. Samoilow. Diese Leute schufteten in der
Landwirtschaft von früh bis spät und ernährten ihre Familien. Heute sind sie
alle rehabilitiert. Der Staat fand den Mut, sich vor ihnen und ihren Familien zu
entschuldigen, und nahm die verlogene Anschuldigung von ihnen, die besagte, dass
sie „Volksfeinde“ seien.
I. Sorin
Schmerz und Erinnerung. Gewidmet den Opfern politischer Repressionen in den 1930er bis 1950er Jahren im Jermakowsker Bezirk.