Referat von Viktor Frank, Schüler der 11. Klasse
Geschichtslehrerin T.P. Kalisljamowa
Krasnojarsker Gebiet, Kreis Suchobusimo, Siedlung Istok
2002
Die Geschichte unserer Familie nimmt ihren Anfang mit der durch die Imperatorin Katharina II angeordneten Veröffentlichung eines Manifestes vom 22.Juli 1763, in dem Ausländer aufgerufen wurden, nach Rußland zu kommen, um dort ihren ständigen Wohnsitz zu beziehen und als Ackerbauern und Handwerker zu arbeiten.
„Wir beschlossen, dem Aufruf der russischen Imperatorin Katharina zu folgen und uns auf den weiten, unbekannten Weg nach Osten zu machen. Uns winkt dort ein märchenhaftes Leben, welches wir uns in unserer Phantasie ausmalen, aber zu jener Zeit fürchten wir uns vor dem Unbekannten. Wir – das sind Deutsche vom Ufer des Rheins und vom Ostseestrand, Bürger anderer Nationalitäten, die aus Lübeck, Hessen, Berlin, Danzig und Königsberg stammen, gebürtig aus Polen und Dänemark, Schweden und Italien, Bewohnern aus Dutzenden von Dörfern, Städten und Ländern Europas“.
Der Weg unserer Ururgroßväter, der im Frühjahr 1764 begann, führte über die Ostsee sowie die Flüsse Newa und Wolga und endete etwa zweieinhalb Monate später in der Stadt Saratow. Schwierig war der Weg für die Erwachsenen und die Kinder, die, verfolgt und gejagt von ihren Lebensumständen, das Risiko eingingen, sich auf etwas völlig Unbekanntes einzulassen.
Am 20. September gingen sie nahe der Stadt Saratow an Land. In den Familienlisten derer, die 1764 in Begleitung von Kapitän Pajkul aus Deutschland an die Wolga kamen, befanden sich auch Johan Sokolowskij und seine Frau. Sie waren aus Polen gekommen. Mit ihm beginnt auch ein Zweig unseres Familienstammbaumes. Damals erreichten 101 Männer, 86 Frauen und 146 Kinder das Wolgaufer. Die Umsiedler, die unter der Bewachung von Pajkuls Truppe nach Saratow gekommen waren, wurden in Gruppen aufgeteilt und weiter die Wolga abwärts geschickt, wo sie dann zur ständigen Ansiedlung an beiden Uferseiten untergebracht wurden. Die ersten Siedlungspunkte, an denen die frisch eingetroffenen Umsiedler 1764 seßhaft wurden, befanden sich am rechten Wolgaufer, auf der bergigen Seite, südlich von Saratow. Das waren die Ortschaften Sosnowka (Schilling), Talowka (Bajdek), Sewastjanowka (Anton), Ust-Kulalinka (Galka), Nischnjaja Dobrinka (Dobrinka).
Viele Schicksalsschläge wurden unseren Vorvätern zuteil. Von Anfang an waren sie schrecklichen Prüfungen ausgesetzt: da sie an das Leben unter kontinentalen Klimabedingungen nicht gewöhnt waren, litten sie an Malaria, und die ersten zehn Jahre gab es im Wolgagebiet ständig Mißernten. Die Umsiedler waren gezwungen, auswärtige Saisonarbeit anzunehmen und zuhause handwerkliche Arbeiten zu leisten, und für ihre Erzeugnisse erhielten sie dann ein paar Groschen. In den Siedlungen brachen regelmäßig Epidemien aus, sowohl unter den Menschen als auch beim Vieh; die Sterblichkeitsrate war groß. Die Bedingungen, die eine so hohe Sterblichkeit begünstigten, herrschten auch Jahrzehnte später noch vor. Im Jahre 1909 wurden an der Wolga, in der kleinen Ortschaft Stahl, 128 Kinder geboren und 178 Menschen starben, in Kukkus kamen 109 zur Welt, es starben 128. In diesen schweren Jahren wurden auch meine Urgroßväter geboren: Weniamin Sokolowskij (1905) Fjodor Jakowlewitsch Frank (1905), Georgij Jakowlewitsch Gof (oder Hof, geb. 1901), sowie die Urgroßmütter: Amalia Sokolowskaja (Miller, geb. 1908), Natalia Frank (Grenz, geb. 1903), Jekaterina (oder Katharina) Gof / Hof (Weinberger, geb. 1902). (Siehe Geburtsschein / Geburtsurkunde).
Nach elf Jahren voller Mißernten brach 1920 eine Hungersnot aus, welche hundertausende Menschenseelen im Wolgagebiet dahinraffte, und auch das Hungerjahr 1930 brachte kein geringeres Ergebnis mit sich. Zu der sich ständig verschlimmernden wirtschaftlichen Situation der Deutschen an der Wolga und in anderen Gebieten des Landes kamen nun noch eine in breitem Umfang zunehmende Einschränkung der Rechte und unmittelbare Verfolgungen der deutschen Bevölkerung hinzu.
Es wurde ein System praktiziert, bei dem chauvinistische Feindseligkeit gegenüber den Deutschen russischer Staatszugehörigkeit geschürt wurde, und das ganze wurde mit ausgefeilten Methoden und von verschiedenen Stufen des Machtappartes aus durchgeführt.
In den Jahren 1916-1920 wurde von der Zarenregierung und später - nach deren Sturz – von der Sowjetmacht die Schließung der deutschen Kirchen-Schulen vorangetrieben.
Von 1926-1936 waren die Plünderungen der deutschen Bauern unter dem Zeichen der „Entkulakisierung“ im Gange, die mit ihrer Vertreibung und physischen Vernichtung einhergingen. Zwischen 1931 und 1935 wurden die deutschen Kirchen zerstört.
1936-1940 schloß man alle deutschen Schulen.
1941-1955 wurden die Deutschen nach Sibirien und Kasachstan verbannt, wo sie in die stalinistischen Konzentrationslager gesteckt und ihre Familien in weit voneinander entfernte Gebiete auseinander gerissen wurden, so daß Tausende von ihnen zeitlebens nicht mehr in der Lage waren, ihre Väter, Mütter und Kinder wiederzufinden.
Am 22. Juli 1941 drang auch den Wolgadeutschen eine schreckliche Nachricht an die Ohren. Zahlreiche Männer liefen zum Kriegskommissariat, aber dort wurde ihnen mitgeteilt: „Geht nach Hause zurück und haltet euch zur besonderen Verfügung bereit“. Aber hätte etwa irgendeiner der in der Wolgarepublik lebenden Deutschen auch nur im voraus erahnen können, was diese „besondere Verfügung“ bedeutete? Selbst in den wildesten Träumen hätte man sich nicht das ausmalen können, was einmal zur bitteren Tatsache werden sollte, was die Ohren gehört hatten und die Augen dann am 28. August 1941 in den Zeitungen sahen: „In Anbetracht dessen, daß unter der deutschen Bevölkerung der ASSR der Wolgadeutschen viele Spione und Diversanten entlarvt worden sind, wird die Republik durch Ausweisung der deutschen Bevölkerung an andere Orte der Sowjetunion aufgelöst“.
In irgendeiner verfluchten Minute, in irgendeiner Stunde war dem „Vater aller Völker“ dieser in seiner groben Einfachheit naive und in seinem unmenschlichen Wesen ganz schreckliche Gedanke in den Sinn gekommen.
Am 1. September eilten die Kinder, anstatt in die Schule zu gehen, mit den Eltern geschäftig hin und her, halfen beim Zusammensuchen und Verpacken ihrer Siebensachen. Niemand wußte, wohin sie gebracht würden, welche Kleidung sie mitnehmen sollten, und deshalb legten sie in ihre Flechtkörbe sowohl Bastmatten, als auch die traditionellen Strohhütte und Westen. Für alle Fälle versteckten sie ganz unten, unter der Wäsche, die Bibel und Lutheraner-Kreuzchen, Lehrbücher und die Alben mit den Familienfotos. Und so begaben sich Weniamin und Amalia Sokolowskij, meine Urgroßeltern mütterlicherseits, gemeinsam mit ihrem fünfjährigen Töchterchen Berta (meiner Großmutter), auf eine lange Reise. Aus der Linie meines Vaters wurden die Urgroßväter und Urgroßmütter mit ihren Kindern nach Sibirien verschickt. Fjodor Jakowlewitsch Frank und Natalia Andrejewna mit den Kindern: Maria (16 Jahre), Fjodor (14 Jahre), Robert (11 Jahre, mein Vater). Georgij Jakowlewitsch Gof (oder Hof) mit seiner Ehefrau Jekaterina (Katharina) und den Kindern: Georgij (18 Jahre), Fjodor (17 Jahre), Maria (13 Jahre, meine Großmutter), Milja (11 Jahre), Lydia (3 Jahre). Sie wurden in aller Eile mitsamt ihren Sachen in Viehwaggons verladen. Der Zug, mit dem meine Urgroßeltern fuhren, rollte zunächst in nördlicher Richtung, durch Orte, die schon seit der Kindheit bekannt waren, nach Krasnij Kut; von dort änderte er die Fahrtrichtung und fuhr weiter nach Kasachstan. Und so krochen viele Tage und Nächte dahin, es ging durch endlose Steppen; sie dachten, daß man sie in Semipalatinsk aussteigen lassen würde, aber die beiden zusammengehängten Lokomotiven zogen den Zug weiter, und erneut das Rattern der Räder an den Verbindungsstellen der Schienen, Hügel und Birkenwäldchen hinter den Waggontüren, lange Zughalte, bei denen es niemandem gestattet wurde auszusteigen – als ob Kriegsgefangene transportiert wurden. Erst am 20. September wurde ihnen in Krasnojarsk verkündet, daß sie aussteigen sollten. Es ist nicht bekannt, durch welche Instanzen die Sache lief und was für Papiere ausgestellt wurden, aber es war längst festgelegt, in welchen Kreisen der Region sie sich ansiedeln sollten. Meine Urgroßeltern wurden dem Suchobusimsker Kreis zugeteilt. Früh am Morgen brachte man sie nach Saton. Manchmal wurden für diese Fahrten Passagierdampfer benutzt, ein anderes Mal war ein derartiger „Komfort“ nicht vorgesehen. Hunderte von Menschen, darunter auch Kinder im Säuglingsalter und älter, wurden auf das Bugsierschiff „Krasnojarsker Arbeiter“ verladen, und zwar in die Hälfte, wo sich die Ankerwinden und Fässer mit Erdölrückständen befanden und in den Boxen die Taue lagen.
Sie erreichten Atamanowo. An der Getreideannahmestelle kam ein Wagenzug mit Getreide aus Kowrigino an, und dieser Treck nahm die Familie meines Großvaters Robert Frank und noch ein paar weitere Familien mit. Nach zwanzig Tagen voller Strapazen überraschte niemanden die Antwort des Fuhrmannes, daß es bis nach Kowrigino vierzig Werst weit war. Fast eine Stunde lang stiegen sie bergauf. Alle, mit Ausnahme der Kleinkinder, gingen zufuß. Nach zwei nicht so großen Abhängen, als sich auch die Erwachsenen in den engen Reihen seitlich auf den Leiterwagen niederließen, kam erneut eine große Anhöhe. Erst in der Dämmerung erreichten sie Kowrigino, und wurden zur Unterbringung bei einer alleinstehenden, kranken Frau eingewiesen. Dort lebten sie bis zum Frühjahr. Die Familie von Großmutter Maria (Gof / Hof) geriet nach Schila, die Familie der anderen Großmutter, Berta (Sokolowskaja) kam nach Krasnyje Gorki.
Im Januar 1942 wurden die erwachsenen Männer und die etwas älteren Burschen zur Arbeitsarmee eingezogen. Auch meine Urgroßväter Weniamin Sokolowskij, Fjodor Frank und Georgij Gof (Hof) wurden in die Arbeitsarmee abberufen und kamen zur Holzfällerei. Die Arbeit dort war sehr schwer, und man gab ihnen schlecht zu essen. Viele kehrten damals nicht zu ihren Familien zurück. Auch meine Urgroßväter kehrten nicht mehr heim. Die Frauen blieben allein mit den Kindern zurück, aber man mußte ja weiterleben, und so gingen alle Kinder, mit Ausnahme der Kleinsten, zur Arbeit. Im Winter bereiteten sie Brennholz für das Suchobusimsker Heizkraftwerk vor, und im Sommer stellten sie in Handarbeit ungebrannte Lehmziegel mit Stroh oder anderen faserigen Beimengungen her.
In diesen unheilvollen Jahren hatten auch die Ureinwohner Sibiriens ein schweres Leben. Im Jahre 1941 beriefen sie meinen anderen Urgroßvater, Leonid Wasiljewitsch Bykow, gebürtig aus der Ortschaft Nachwalka, zur Armee ein. Er war dort Sergeant der Garde und kommandierte eine Einheit. Er kam im Februar 1945 bei einem Gefecht ums Leben. Man begrub ihn in der Ortschaft Prerstitten (damalige Bezeichnung) im Kalingrader Gebiet (Polen). Das haben wir aus dem „Buch der Erinnerung“ erfahren. Und der Urgroßmutter hatten sie ein Telegramm geschickt, daß er verschollen war. Urgroßmutter Lisa blieb ebenfalls allein mit ihren kleinen Kindern an der Hand zurück. Darunter auch mein Opa Nikolaj Leontjewitsch Bykow. Ihm gelang es lediglich die Grundschule zu absolvieren, länger konnte er nicht zur Schule gehen, denn zu der Familie gehörten sieben Kinder, aber es gab nur einen Ernährer – die Mutter. Man mußte der Familie helfen, und so ging er arbeiten. Sie arbeiteten Tag und Nacht, viele Stunden lang, und das auch nur für ein kleines Stückchen Brot. Er wurde erwachsen und heiratete Berta Sokolowskaja. Seine geringen Lese- und Rechtschreibfähigkeiten hinderten ihn nicht daran, ein erstklassiger Fahrer und später führender Traktorist zu werden. Für seine gewissenhafte Arbeit und seine hervorragenden Leistungen wurden ihm nicht nur einmal Ehrenurkunden, Ehrennadeln und Geldprämien verliehen. Er arbeitete bis zu seiner wohlverdienten Rente. Und kaum, daß er in Rente gegangen war, da reparierte er bei einigen Traktoren des Typs K-700 die Motoren, denn niemand, außer unserem Großvater, war in der Sowchose „Tajoshnij“ in der Lage diese Arbeiten auszuführen. Jetzt lebt er in Bolschyje Prudy, aber seine Gesundheit gestattet es ihm nicht, sich mit irgendwelchen Dingen zu beschäftigen.
Meine Grußmutter, Berta Bykowa (Sokolowskaja), beendete in der Pawlower Region die Siebenklassen-Schule, die achte Klasse konnte man nur an der Suchobusimsker Schule absolvieren. Da ziehen Oma Berta und ihre Mama in die dritte Abteilung der Sowchose „Tajoshnij“ um, und jeden Morgen geht Oma Berta, zusammen mit den anderen Kindern, zufuß in die Suchobusimsker Schule und abends wieder zurück. Am liebsten mochte Oma Berta im Winter in die Schule gehen – da fuhren sie mit Skiern, und in einer halben Stunde waren sie an Ort und Stelle. Sie beendete die Schule, fing an zu arbeiten. Sie arbeitete sehr gut, anfangs als einfache Arbeiterin in einer Ackerbau-Brigade, später ernannte man sie zur Gruppenleiterin. Die Verantwortung für die gesamte Gruppe lag auf ihren Schultern, und sie kannte keine Müdigkeit, sondern arbeitete von früh bis spät. Der Großmutter wurden Ehrenurkunden verliehen und wertvolle Geschenke überreicht. Oma Berta wurden drei Medaillen für ihre Teilnahme an der Allunions-Landwirtschaftsausstellung in den Jahren 1955, 1957 und 1958 überreicht. Aufgrund ihrer guten Arbeit wurde sie zum Studium auf das Rybinsker Landwirtschaftstechnikum geschickt. Sie beendete das Technikum und kam zur zweiten Abteilung, wo sie als Technikerin im Tierzuchtsektor arbeitete. Großmutter war eine aufmerksame Frau, verantwortungsvoll und unentwegt bemüht. Als der Buchhalter im Kontor ausgetauscht werden mußte, erklärte sie sich damit einverstanden, den Posten zu übernehmen, aber ihre Hauptarbeit ließ sie deswegen nicht liegen. Und es war leicht, mit ihr im Kontor zu arbeiten; man schickte sie zu Buchhaltungslehrgängen. Diese Aufgabe bewältigte Großmutter Berta ebenso, wie jede andere auch – ganz hervorragend. Sie begann als Ökonomistin und Normsachbearbeiterin zu arbeiten. Sie war ein fröhlicher, verständnisvoller Mensch, jederzeit bereit, anderen zu helfen. So haben die Leute sie noch heute in ihrer Erinnerung. Ich habe meine Oma nie gesehen, weil sie starb, als ich noch gar nicht auf der Welt war.
In der Familie von Nikolaj und Berta Bykow wurden insgesamt vier Kinder geboren: Vladimir (1962), Viktor (1965), Valentina (1966) und Alexander (1976).
Aber kehren wir nun zu meinen Großeltern väterlicherseits zurück. Nachdem sie in Atamanowa an Land gegangen waren, geriet die Familie von Oma Maria Gof (Hof) nach Schila und lebten dort, wie alle übrigen Zwangsumsiedler auch, bei anderen Leuten einquartiert. Die Wohnungsbesitzer nahmen die Deutschen mit Zurückhaltung auf; wahrscheinlich hatten sie begriffen, daß diese Leute nicht auf eigenen Wunsch nach Sibirien gekommen waren, nachdem sie an der Wolga die ihnen zur Heimat gewordenen Häuser hatten zurücklassen müssen. Das Schicksal hatte es so eingerichtet, da konnte man nichts machen. Alle schweren Prüfungen des Lebens ertrug Oma Maria (sie war damals 13 Jahre alt) schweigend und mit großer Geduld; in jener Zeit beklagten die Kinder sich nicht, sie weinten höchstens vor lauter Hunger. Im Jahre 1944 zog die Famile von Oma Maria nach Kirpitschnij – und erneut kräftezehrende Arbeit. Hierher nach Kirpitschnij war bereits im Jahre 1942 die Familie von Großvater Robert Frank gezogen. Alle Kinder der Zwangsumsiedler arbeiteten zusammen, und so waren der Großvater und die Großmutter damals auch noch Kinder, als sie sich kennenlernten. Aber 1948 fährt Robert Franks Familie nach Krasnojarsk zur Woroschilowsker Nebenwirtschaft, aber die Wirtschaft zerfiel, und sie mußten erneut des Weges ziehen. 1949 kamen sie zur vierten Abteilung in die Sowchose „Tajoschnij“, aber dort konnte man nirgends wohnen. Sie lebten in einer Wohnung in Abakschino, etwa 3-4 km von der 4. Abteilung entfernt, wo sie auch jeden Tag zur Arbeit hingehen mußten. So überstanden sie den Winter, und als der Frühling kam, da keimte in den Menschen die Hoffnung auf ein besseres Los auf. Einige Familien taten sich zusammen und begannen, sich eine gemeinsame Erdhütte zu bauen. Und gerade, nachdem es ihnen gelungen war, sich dort einigermaßen einzuleben, mußten sie sie auch schon wieder verlassen, denn sie hatte die Erdhütte auf fremdem Boden gebaut. Nach den Worten des Großvaters „bastelten sie sich später eine kleines Häuschen aus Holzbrettern zusammen, nagelten Dachschindeln darauf und strichen alles an“. In so einem Häuschen lebten sie dann also, und 1951 begab sich der Großvater zu Pferde nach Kirpitschnij und brachte seine Ehefrau Maria Gof (Hof) mit nach Hause. Wie man sagt, wurden die Kinder „in größter Enge geboren, aber niemand hat sich beschwert":
Neun Jahre später verbesserten sich die Lebensbedingungen ganz erheblich; sie zogen in ein Haus aus Balken in einer neuen Siedlung, und dort leben sie auch heute noch. Großmutter zog die Kinder groß, und als die Möglichkeit bestand zu arbeiten, da verdingte sie sich als Saison- und Hilfsarbeiterin. Ihre Dienstjahre betrugen 20 Jahre; die Kinder wuchsen heran. Jetzt ist sie in Rente.
Bis 1966 arbeitete Großvater Robert bei verschiedenen Arbeitsstellen als Fuhrmann; 1966 wurde er zum leitenden Pferdepfleger ernannt, denn er ist ein sehr verantwortungsbewußter Mensch. Auf diesem Posten blieb er bis 1991. Der Großvater hat 42 Jahre lang gearbeitet – und gut hat er seine Arbeit gemacht. Das kann man in seinem Arbeitsbuch nachlesen, das mit dem 20. August 1963 beginnt und bis zum 17. November 1988 geht. Darin gibt es 22 Eintragungen von Dankbarkeitsbekundungen sowie Verleihungen von Geldprämien. 1957 erhielt der Opa eine Medaille „Wegen der Urbarmachung von Neuland“, und 1984 die „Arbeitsveteranen“- Medaille wegen seiner langjährigen gewissenhaften beruflichen Tätigkeit. Jetzt ist der Großvater schon 10 Jahre in Rente.
Beginnend mit dem Jahr 1764 ist das Wolgagebiet die Heimat unserer Familie gewesen, und erst für meine Eltern, mich und meine Geschwister wurde es Sibirien. Meine Mutter wurde im Suchobusimsker Kreis geboren und ist auch dort aufgewachsen; nach Beendigung der Bolscheprudowsker Schule erhielt sie eine Spezialausbildung als Lehrerin für untere Schulklassen am Gorki-Institut für Lehrerbildung in Krasnojarsk. Nun arbeitet Mama schon seit 17 Jahren in der Istoksker Schule und lehrt ihre Kleinen schreiben, rechnen, lesen, das Schöne zu sehen und die Natur zu lieben. All das hat sie auch mir beigebracht, Mama – meine erste Lehrerin.
Papa wurde auch im Suchobusimsker Kreis geboren und hat all die 42 Jahre in der Siedlung Istok gelebt. Davon hat er 26 Jahre in der Sowchose „Tajoschnij“ als Pferdepfleger gearbeitet. Er liebt diese Tätigkeit sehr, kennt alle Pferde mit Namen weiß genau, welche Charakter-eigenschaften ein jedes Pferd hat und ist immer äußerst wachsam. Viele Sorgen gibt es, wenn die Kleinen geboren werden, denn sie brauchen eine besondere Pflege. Mein Papa ist ein Tausendkünstler, weiß, wie man Sattelzeug repariert, ist in der Lage neues zusammenzunähen und es zu verzieren, damit es für ihn selbst eine Augenweide ist und er es anderen zeigen kann.
Die Geschichte unserer Familie umfaßt einen Zeitraum von 237 Jahren und beginnt mit den polnischen Kantonen; im Verlauf der ersten 140 Jahre gibt es wenig, was erforscht wurde. Nachdem ich mich mit meinen Vorfahren näher bekannt gemacht habe, kann ich mit Überzeugung sagen, daß sie fleißige Menschen waren und auch geblieben sind. Ich kann stolz auf sie sein.
Literatur: