Die Kosaken-Siedlung Gladkowskaja im Krymsker Kreis, Gebiet Krasnojarsk wurde 1899 als
Chutor Nowo-Blagoweschtschenskij gegründet und von den Bewohnern des Einzelgehöftes Blagoweschtschenskij (heute Siedlung Blagoweschtschenskaja) zur Nutzung des Grund und Bodens besiedelt. Wer den Wunsch äußerte, den neuen Boden im Wald urbar zu machen, der wurde vom Dienst befreit. Die Leute ließen sich in Schuppen nieder, rodeten ringsherum das Land, errichteten Bauernhöfe, bearbeiteten das Erdreich unter dem Acker, Melonenfelder, Gärten, Weinberge. Bis heute steht dort noch das erste Kosaken-Haus von Alexej Iwano-witsch Gladkij, der sich hier unter den ersten Siedlern der Familie Gladkij niedergelassen hatte. Auf dem riesigen Platz, der von Eichen gesäumt war, wurden eine Kirche und eine Schule gebaut, dort befanden sich Marktstände, wurden Jahrmärkte veranstaltet, Karussells herantransportiert und Pferde-Untersuchungen durchgeführt. Um den Platz herum gab es Verwaltungsgebäude und zwei Läden. Es existieren zwei Bezeichnungen für die Siedlung – die eine nach dem Familiennamen der Gladkijs, und die zweite kam so zustande: bis zur Besiedlung mit Menschen lebte ein Waldarbeiter Gladkij, ein Namensvetter, der dort eine Quelle einrichtete, die jahrzehntelang, als einzige, die gesamte Siedlung mit Wasser versorgte. Sie war in einer tiefen Schlucht gelegen. Heute gibt es in der Siedlung zahlreiche Hydranten, aber diejenigen, die nicht so weit entfernt wohnen, holen hier Wasser aus dieser herrlichen Quelle.
Nicht später als 1912 wurde das Vorwerk Nowo-Blagoweschtschenskij zur Siedlung Gladkowskaja. Aller Wahrscheinlichkeit nach war Fedot Wassiljewitsch Lusan erster Ataman; nach den Erinnerungen der Siedler diente er in diesem Amt eine sehr lange Zeit.
Vor der Revolution standen in der Siedlung 200 Höfe.
Der zweite Ataman war Iwan Alexejewitsch Gladkij – der Sohn von Alexej Iwanowitsch. In den Jahren der Revolution, so erinnern sich die Siedler, „spannte er ein paar gute Pferde an, setzte seine Frau und seine vier Kinder aufs Fuhrwerk und fuhr mit ihnen in die Stadt Nowo-rossijsk. Sein Gehöft und alles, was sich darin befand, ließ er zurück". Das rettete ihn, seine Frau und die Kinder vor allem Unglück, das mit der Sowjetmacht hereinbrach.
Der letzte Ataman, allerdings nur für wenige Monate, war Iwan Kondratowitsch Gladkij, ein Neffe Alexej Iwanowitschs. Er war mit unter den ersten, die sich zusammen mit seiner Frau Maria Pawlowna und dem ungefähr ein Jahr alten Sohn Semjon in dem Schuppen nieder-ließen. In den Monaten seiner Amtszeit kam General Pokrowskij in die Siedlung und die Kosaken versammelten sich zu einer Besprechung, aber in irgendeiner Frage, die mit dem Grund und Boden zusammenhing, konnten sie sich nicht einigen. Sie gaben ihren Dienst auf, gingen auseinander und begaben sich in ihre Häuser. So hörte man es von den Siedlern.
Und nach der Revolution lebte Iwan Kondratowitsch in der Siedlung in seinem Bauernhaus mit drei Töchtern und seinem Sohn; zwei Söhne waren schon aus dem Haus und lebten mit ihren Familien hier in der Siedlung, und eine der Töchter war mit einem hiesigen Siedler verheiratet. Sohn Wladimir lebte hier bis zum Ende seiner Tage, die beiden Töchter Wassilissa und Anastassia leben in der Siedlung, ohne den Wohnort jemals gewechselt zu haben.
1929 wurde Iwan Kondratowitsch entkulakisiert, verhaftet und in der Stadt Noworossijsk erschossen; seine Familie wurde aus dem Haus gejagt. Der Schreiber der Siedlung war Denis Matwejewitsch Truschtschenko.
In dem kurzen geschichtlichen Zeitraum, in dem die Siedlung existierte, brach viel Unglück über sie und ihre Bewohner herein.
In der vorrevolutionären Periode gründete sich aus wenigen Siedlungen und den umliegenden Dörfern eine Gruppe von Grünen (Partisanen) in der Siedlung, die man Bande oder Rotte nannte. Sie sollten alle Einwohner der Siedlung niedermetzeln, aber die Angst oder die Vorsehung rettete sie, wie sie später erzählten – egal, aus welcher Richtung man auch versuchte in die Siedlung hineinzufahren, überall standen Mauern. Einer aus der Truppe setzte alles daran, von den geplanten Handlungen abzuraten. Während sie noch stritten, wurde es bereits hell – und so blieb die Siedlung am Leben.
Im Jahre 1918 fuhren die jungen und etwas älteren Kosaken aufgrund eines Aufrufs in die Siedlung Slawjanskaja (heute Stadt Slawjansk). Der Weg führte über die Siedlung Warenikowskaja, von wo sie mit einer hölzernen Fähre den Fluß Kuban überquerten. Auf dem Rückweg stießen sie in der Schlucht von Schtelmachowaja auf die Grünen, von denen sie aller Wahrscheinlichkeit nach in das einzige Gehöft gelockt und hingerichtet wurden; sie hatten auch kein Erbarmen mit Ermolenkos Frau, die losgefahren war, um ihren Mann zu treffen, sowie mit dem siebenjährigen Sohn aus erster Ehe. Und dies sind die Familiennamen
der Hingerichteten:
Wie durch ein Wunder blieben am Leben:
Kotschubej, Fjodor, 2. Smagljuk, Sawwa, 3. Tschub, Sawwa.
Sie waren nicht auf der Straße gefahren, sondern hatten den schmalen Pfad genommen.
Einige Tage suchte man die Militärdienstpflichtigen, dann fand man ihre Leichen, die bereits in Verwesung übergegangen waren. Sie wurden hinter der Kirchumzäunung in einem gemeinsamen Grab beerdigt.
1921 traf in der Siedlung ein Straftrupp der Roten ein, verhaftete viele Kosaken; einige ließen sie laufen, darunter auch den ehemaligen Ataman der Siedlung, Iwan Kondratowitsch Gladkij.
12 Personen, darunter eine Frau, wurden erschossen. Die Familiennamen der Erschossen lauten:
Tagsüber wurde hinter der Kosaken-Siedlung, im Birkenwald, eine Grube ausgehoben, an der sie erschossen wurden.
Das war im Oktober – eine dunkle Nacht, es regnete heftig, aber einige Bewohner sahen, wie man sie paarweise aneinander gebunden hinter die Siedlung führte.
Nach etwa eineinhalb Monaten gestattete man den Verwandten, die Toten auf den Friedhof zu überführen und dort zu bestatten. Als sie das Grab öffneten, lagen dort alle Leichen wie in Sülze eingelegt, und da entdeckten sie auch, daß Jewmen Sitnik noch nicht einmal eine Schußverletzung hatte, sondern offenbar Schreie ausgestoßen hatte – nun bringt mich doch endlich ganz um, aber die Strafmannschaften schossen in die Grube, schütteten sie zu und gingen davon.
1929 dann die Entkulakisierung. Darüber ist viel geschrieben worden. 1933 die Hungerzeit. In der Kosaken-Siedlung liefen viele aufgedunsene Menschen herum. Es starben nur wenige. Einen Teil der Nahrung konnte man im Wald und auf der Erde auftreiben.
Die Kirche wurde im Jahre 1931 geschlossen; nachts wurden sämtliche Kircheneinrichtungs-gegenstände auf Leiterwagen geladen und in die Kosaken-Siedlung Krymskaja abtranspor-tiert, heute die Stadt Krymsk. Eines Nachts nahmen sie die Glocke fort, und wie vorsichtig sie auch dabei umgingen, so gab sie doch ab und zu einen Klang von sich. Die Menschen hörten es und beteten. Im Frühjahr 1934 wurde das Kreuz entfernt, und zwar genau von jenem Mann, der es damals, während der Bauzeit, auch aufgestellt hatte – Stepan Gudko (Vater).
Die ganze Kosaken-Siedlung strömte hinaus auf den Kirchplatz, die einen sahen schweigend zu, andere bekreuzigten sich. Als das Kreuz auf den Boden stürzte, erscholl aus der Menge ein Ruf der Verzweiflung. Wir, die allgegenwärtigen Kinder, sahen das alles.
In der Kirche eröffneten sie einen Club, aber niemand ging hin. Im Herbst 1934 wurde ein Braunbär herantransportiert. Ein Bote benachrichtigte die gesamte Kosaken-Siedlung, daß es eine kostenlose Bären-Vorstellung geben würde. Fast die gesamte Siedlung sowie das Vorwerk, aber besonders die jungen Leuete, stürzten sich zu dieser Veranstaltung. Zum ersten Mal im Leben sahen sie einen Bären. Nach der Vorstellung wurde ein Tanzfest organisiert, viele gingen dorthin, und so wurde schließlich in der ehemaligen Kirche ein Klub eröffnet.
Während der Besatzungszeit richteten die Deutschen sich in der Kirche einen Pferdestall ein, nach dem Krieg diente sie der Kolchose als Getreidespeicher. Ende der fünfziger Jahre wurde sie vollständig abgetragen und auf dem Platz des früheren Kirchhofes einige Häuser mit kleinen Scheunen für das Vieh errichtet. Auf dem verbleibenden freien Teil des Platzes wurden Pappeln angepflanzt. Während der Besatzung befand sich um die Kirche herum ein deutscher Friedhof; beim Rückzug wurden die Kreuze beseitigt, die Gräber eingeebnet, aber die eingefallenen Gruben blieben noch lange Zeit sichtbar. Um die Kosaken-Siedlung herum gab es zahlreiche deutsche Friedhöfe.
1935 wurden aus allen Kosaken-Siedlungen im Kuban-Gebiet einige Familien verschleppt, aus unserer Siedlung waren es vier Familien:
Man deportierte sie in die Region Krasnojarsk. Manch einer kehrte in die Heimat zurück.
Semjon Iwanowitsch Gladkij und Fjodor Kusmitsch Kotschubej wurden im Mai 1938 verhaftet; am 31. August desselben Jahres erschoß man sie in der Stadt Jenissejsk. Inzwischen sind sie rehabilitiert worden.
In den Jahren 1936-1938 brachen in der Kosaken-Siedlung zwei große Brände aus; bei dem ersten verbrannten eine Darre und ein Tabak-Speicher, beim zweiten eine neue Scheune für Viehzucht. Die Schuldigen wurden nicht gefunden. Man vermutet, daß die Feuer von Aktivisten gelegt wurden, weil man sie nicht in geschäftsführende Ämter gewählt hatte.
In der Kosaken-Siedlung lebten die Kolchosbauern sehr schlecht; es gab keine Kleidung, keine Schuhe, viele Steuern wurden ihnen auferlegt, Fleischabgaben und Schuldver-schreibungen.
In den Vorkriegsjahren fand eine Erweiterung der Dörfer statt; viele Einzelgehöfte wurden in die Kosaken-Siedlung eingegliedert; viele waren junge Leute, die sich abends auf dem Platz versammelten, an Sonntagen, sangen und zum Klang der Ziehharmonika tanzten.
1941 brach der Krieg aus, viele Siedler kamen ums Leben – an den Fronten, in der Gefangenschaft, in deutschen und sowjetischen Lagern. Friedfertige Bewohner starben zuhause, denn dort führte die sogenannte Blaue Linie vorbei, ein schmaler Streifen Landes, nahe Noworossijsk gelegen, den während des Krieges eine kleine Gruppe von Rotarmisten eingenommen hatte. Die Kosaken-Siedlung geriet 15 Monate lang unter Besatzung, von denen 10 unter unaufhörlichen Kampfhandlungen verstrichen; die Menschen waren die ganze Zeit über in Schützengräben, wurden krank, die Kinder litten an Vitaminmangel. Vielen blieb kein Dach über dem Kopf kein Tiere mehr, und die steinernen Bauten wurden von den Deut-schen niedergerissen, um damit die Landstraßen auszubauen.
In den Wäldern befanden sich auch sowjetische Landetruppen; zwei Deutsche nahmen sie gefangen und richteten sie auf dem Dorfplatz hin. Die in der Nähe wohnenden Menschen hörten ihr Stöhnen im Todeskampf.
Nach dem Krieg arbeiteten dort Minenfachleute, die herumliegende Minen und Geschosse einsammelten und vernichteten. Kinder, die durch die Wälder liefen, fanden Minen und Geschosse und entschärften sie; vielen gelang das, aber manchmal endete es auch auf tragische Weise.
Diejenigen, die aus dem Krieg zurückkehrten, nahmen ihre Familien und fuhren in die Stadt, hauptsächlich nach Noworossijsk. Die Kosaken-Siedlung verödete. Man schloß die Schule und brachte die Schüler ins Nachbardorf. Jetzt gibt es in der Siedlung eine Post, ein Geschäft, eine Sowchosen-Brigade, eine Krankenstation und einen kleinen Raum für den Leiter kultu-reller Massenveranstaltungen.
Heute gibt es in der Siedlung auch Elektrizität, Radios, in vielen Häusern Fernseher, Kühlschränke, und es fahren regelmäßig, bei gutem Wetter, Autobusse; nur gibt es wenig junge Familien, die meisten sind alte Leute. Hinter der Kosaken-Siedlung, am Fluß Psebeps, befindet sich ein Stausee; dort wird Fischzucht betrieben.
In den fünziger Jahren erlebten die Bewohner der Siedlung den Nachhall des Krieges, und das kam so: ein Mädchen, das während der Besatzung in dem Kreis gelebt hatte, wurde, nachdem sie erwachsen geworden war, zur Ausstellung über Errungenschaften der Volkswirtschaft geschickt und bemerkte plötzlich einen Mann, der bei der Polizei oder Gendarmerie
gedient hatte; Sie meldete das, und er wurde sogleich festgenommen. Dabei hat er dann gleich noch zwei verraten. In Handschellen führten sie ihn durch das Kosaken-Dorf und die Umge-bung geführt, wo sie friedliche Bewohner erschossen hatten. Als sie gefragt wurden, weshalb denn die Kinderknochen alle unten lägen und die der Erwachsenen obenauf, antworteten sie – zuerst habe man die Kinder erschossen, damit sie nicht schrien; dann schichtete man die Leichen jeweils eine mit dem Kopf am Fuß der anderen auf, damit möglichst viele in die Grube hineinpaßten. Auf dem Dorfplatz wurde Wasser in Kesseln gekocht, die sterblichen Überreste gewaschen und in Särgen auf dem Friedhof beigesetzt, und die ganze Zeit über spielte ein Blasorchester Trauermusik. Die Bewohner erinnern sich auch heute noch an diese grauenvolle Zeit; auf dem Friedhof hat man ein Denkmal errichtet – eine Mutter, die sich schützend über ihre Kinder neigt.
Im Jahre 1989 beging die Kosaken-Siedlung ihren 90. Jahrestag, und man überreichte der ältesten Einwohnerin, Wassilissa Iwanowna Filin, geboren am 19. Januar 1903, die dieses Jahr 90 Jahre alt geworden ist, ein Geschenk. Väterlicherseits ist sie meine Patentante. Der einzige Mensch, der in der Siedlung den Familiennamen Gladkij trägt, ist Anna Dmitri-jewna Gladkaja, die Ehefrau meines verstorbenen Onkels Wladimir Iwanowitsch Gladkij.
1992 kamen Bauleute aus Mangyschlak und Surgut in die Siedlung; man will ein komfor-tables Heim für ihre Arbeiter, die bereits in Rente sind, errichten. Man will das Kosaken-Dorf Gladkowskaja wiederaufleben lassen.
Meine Erinnerungen habe ich nach den vor langer Zeit gemachten Erzählungen der verstorbenen Mutter, Olga Matwejewna Gladkaja (Truschtschenko), sowie nahestehenden Verwandten und meinen eigenen Kindheitserinnerungen aufgeschrieben.
Für mich ist die Siedlung Gladkowskaja das beste Fleckchen Erde in ganz RUSSLAND, ich sehne mich nach ihr und wenn es irgend geht, besuche ich sie.
Niedergeschrieben von Antonina Semjonowna Gladkaja-Popljujkowa, der zweiten Tochter von Semjon Iwanowitsch Gladkij und zweiten Enkelin von Iwan Kondratowitsch Gladkij, dem letzten Ataman des Kosaken-Dorfes Gladkowskaja.
Februar 1993.