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Aus den Erinnerungen von Alexander Jakowlewitsch Jegel

Geboren am 1. August 1933 in der Ortschaft Karamyschewka, Krasnoarmeisker Bezirk, Gebiet Saratow. Vater: Jakob Christianowitsch Jegel, Mutter: Anna Maria Andrejewna. In der Familie gab es neun Kinder: Christian, Andrej, Frieda, Wolodja, Jascha, Platon. Zwei starben im Gebiet Saratow - Sonja und ihr Bruder.

Im August 1941 waren wir Verfolgungen ausgesetzt. Ich war damals 8 Jahre alt. Im Herbst wurde unsere Familie in die Region Krasnojarsk verschleppt. Mit Lastkähnen fuhren wir auf der Wolga, anschließend mit dem Zug; in Güterwaggons gelangten wir nach Krasnojarsk. Einen ganzen Monat waren wir unterwegs. Häufig jagten sie uns auf ein Abstellgleis. Als wir von Zuhause wegfuhren, versprachen sie uns (und händigten uns sogar eine Bescheinigung darüber aus), dass sie an Ort und Stelle alles Notwendige an uns austeilen würden, unter anderem auch Wohnraum und Vieh. Wir ließen fast alles zurück, nahmen nur ein paar Sachen mit. Unterwegs wurden die Reisenden im Zug verpflegt. Der Vater brachte an den Bahnstationen einen Eimer mit heißem Essen, das er dann im Waggon verteilte. Gut, dass es draußen noch warm war, wir brauchten nicht frieren.

Im September 1941 lebten wir bereits im Dorf Kirilowka, im Ilansker Bezirk. Man hatte uns mit Pferden aus Ilansk ins Dorf gebracht. Vorübergehend kamen wir in einem leerstehenden Haus unter. Der Vater half im Herbst in der Kolchose beim Einbringen der Ernte, und im Januar schickten sie ihn zusammen mit den Söhnen Jakob und Christian in die Trudarmee. Der Vater und Christian gerieten nach Tscheremschanka, Jakob nach Mittel-Asien.

In Tscheremschanka waren eine Menge Leute. Es gab viel Arbeit, dort wurde Holz gesägt. Die Sterblichkeitsrate war sehr hoch. Nach den Erinnerungen des Vaters hoben sie mit einem Traktor einen Graben aus – dorthinein wurden die Leichen geworfen, einige waren noch am Leben, sie zappelten, zuckten noch, aber sie wurden zusammen mit den Toten bei lebendigem Leibe mit Erde zugeschüttet. Dass Vater und Sohn nicht verhungerten, verdankten sie dem Umstand, dass der Vater Pferdepfleger war. Mit der Mutter besuchte ich Vater manchmal. Über den Fluss Poima führte eine Hängebrücke, über die liefen wir und kamen dann geradewegs nach Tscheremschanka. Dort musste man einen Augenblick warten, bis der Wachmann eingeschlafen war, um dann schnell an ihm vorbei zu huschen. Später fragte er dann, wie wir das geschafft hätten. Aus Tscheremschanka fortgehen war nicht erlaubt, überall gab es Wachen.

Entlassen wurde Vater 1953. Ich habe mein Leben lang in der Kolchose gearbeitet – 37 Jahre. Eine Ausbildung habe ich nie erhalten. Ich war ab 1953 als Traktorist tätig. In Juschno-Aleksandrowka hörte ich einen Vorlesungszyklus über den Beruf des Traktorfahrers. 1981 zog ich aus dem Dorf Kirilowka nach Nowonikolajewka um. Ich schickte Anfragen an meinen Heimatort im Gebiet Saratow, doch man antwortete mir, dass meine Familie den gesamten Besitz beim Umzug mitgenommen hätte und es keine Angaben mehr über ihre Deportation gäbe. Meine beiden Brüder Jakob und Christian blieben in Mittel-Asien; später, in den 1990er Jahren, zogen sie mit ihren Kindern nach Deutschland. Sie kamen zu Besuch, forderten auch uns auf zu ihnen zu kommen, aber wir fuhren nicht. Es gab so viele Repressionsopfer: die Familien Moor, Gorras, Kaupt, Meisner. Die Deutschen lebten in Prokopjewkа, Juschno-Aleksandrowka. Aber wozu soll man sich jetzt daran erinnern? Kannst du dadurch etwa das Leben ändern?

Aufgezeichnet von T.A. Mileschko


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