Geboren 1926 im Dorf Grimm, ASSR der Wolgadeutschen. 1941 in die Region Krasnojarsk verschleppt. Verbrachte die Sonderansiedlung (Zwangsansiedlung) ab 1942 im Gebiet Tajmyr. Fischer und Jäger. Lebt heute in der Siedlung Potapowo.
- Ich war dreizehn Jahre alt, als sie meinen Vater verhafteten. Das geschah zwei Jahre vor Kriegsausbruch. Der Vater arbeitete in der Kolchose an der Kontrolltafel. Mit ihm wurden auch noch ein paar weitere Männer fortgeholt. Alle wurden nach § 58 als Volksfeinde verurteilt.
Meine Mutter, Jelisaweta (Elisabeth) Schefer arbeitete als Melkerin und Getreidebäuerin. Ich selber war Tierhüter und Mähdrescherfahrer auf den Gemüseplantagen.
Wir wohnten in einem großen Dorf. Dort lebten 13.000 Menschen, und es gab sogar eine Molkerei.
Im September 1941 begannen sie mit der Aussiedlung aller Deutschen. Ich kann mich daran erinnern, wie herzzerreißend das von den Menschen zurückgelassene Vieh brüllte. Auf der Suche nach ihren Herren liefen Kühe und Ziegen ziellos auf der Straße herum. Sie gingen sogar in die Häuser hinein, deren Türen offenstanden. Und die Leute, die noch nicht abgefahren waren, molken die Kühe noch einmal in aller Eile und ließen dabei die ganze Milch einfach auf den Boden fließen. Im September 1941 trafen Mutter und ich im Dorf Reschoty, im Nischne-Ingaschsker Bezirk, Region Krasnojarsk, ein. In diesem Dorf befand sich die Arbeitsarmee; wir arbeiteten in der Kolchose.
Ein Jahr später brachten sie uns erneut fort: wir sollten im Hohen Norden arbeiten. Wir gerieten in die kleine Siedlung Ust-Chantajka in Bezirk Dudinka. Man hatte uns für einen geplanten Zeitraum von 5-6 Monaten dorthin gebracht, aber wir blieben dort für lange Zeit. In der Siedlung lebten mehrere Familien: die Mirgunwa, die Tschirkows und die Grischkos. Mit unserer Ankunft wurden sie alle in die Siedlung Potapowo verlegt.
Nach dem ersten Winter waren von ursprünglich 450 Sondersiedlern nur noch 180 am Leben. Alle anderen waren an Skorbut, vor Hunger oder wegen des ungewöhnlich harten Klimas gestorben. Unsere Mutter lag ein ganzes Jahr darnieder, stand von ihrer Pritsche überhaupt nicht mehr auf, aber sie überlebte.
In Chantajka fingen wir Fische. In den Jahren des Krieges war folgende Losung weit verbreitet: „Fischer, denk dran:je mehr du fängst, um so mehr Fische haben wir für die Soldaten!“ Es kam vor, dass wir 24 Stunden ununterbrochen arbeiteten. Wir selbst aßen keinen Fisch, alles wurde an die Front geschickt.
Mit der Zeit wurde ich ein ganz guter Fischer und Jäger. Ich lernte, wie man Fallen aufstellt und Fangeisen für die Polarfüchse auslegt. Am liebsten mag ich Rebhühner jagen. Ende der 1950er Jahre zog ich mit der Familie nach Potapowo um. Fünfzehn Jahre in Folge war ich der Beste unter den Fischfängern von Potapowo.
Die erste Ehrenurkunde erhielt ich aber erst im Jahre 1955 ...
Zusammenmit uns lebten in der Siedlung auch Finnen und Letten. Die Finnen waren gute Pilzsucher. 1956 reisten alle ab, nur die Deutschen blieben...
Aufgezeichnet in Potapowo im Jahre 1992