Leidvolle Lehren aus der Geschichte
Geboren am 18. Dezember 1937.
Im Jahre 1941 wurde ich aufgrund des Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August zusammen mit meinen Eltern, Adam Iwanowitsch Kober und Antonina Kelestinowna Lewaschowa, aus Marxstadt ausgesiedelt. Im Bezirk Ujar, Region Krasnojarsk, befanden wir uns anschließend in Sonderansiedlung. Außer mir gab es in der Familie noch meine Schwestern Brigita (geb. 1931), Alisa (geb. 1935) und Isolda (geb. 1940).
Aus der Sonderansiedlung wurden wir am 12. Januar 1956 aufgrund des Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 13. Dezember 1955 freigelassen.
1947 kam ich in die Schule. Früher haben sie mich nicht angenommen, weil ich kränklich und zu klein war. Ich war immer sehr erschöpft und wurde wegen des Mangels an Vitaminen nicht so schnell groß. Was für Vitamine mochten das wohl auch sein, wenn es schon nicht einmal genügend Brot zu essen gab. Ich kann mich noch daran erinnern, wie sie uns in der Schule, in der letzten Stunde, ein Stück Roggenbrot gaben, das mit einem Teelöffel Zucker bestreut war. Es war eine Wonne. Diese Mahlzeit war für uns genau so lecker, wie das erlesenste Gebäck.
Als ich meinen Paß erhielt, zwangen sie mich auch sofort mich regelmäßig in der Kommandantur zu melden. Mein Vater war Agronom. Im August 1941 hätte er seine Aspirantur antreten sollen, aber da begann der Krieg. Mama unterrichtete Deutsch an der Mittelschule. Sie waren beide Komsomolzen der 1930er Jahre. Und natürlich – Enthusiasten. Ungeachtet ihres schweren Schicksals und der rauhen Kriegsjahre funkelte in ihren Herzen immer die Liebe zur Heimat – zu Rußland.
Wir haben von ihnen nie ein böses Wort gegen diejenigen vernommen, die an der Spitze des Landes standen. Obwohl die Eltern verfolgt, unterdrückt und ausgesiedelt wurden, sprachen sie niemals schlecht über die Regierung. Wir, die Kinder, wurden im Geiste des Patriotismus erzogen. Ich weiß noch, wie wir abends am Ofen niedersetzten und Lieder über die Heimat und die Partei sangen. Mama hatte eine sehr schöne Stimme, und auch wir Kinder bemühten uns, mit Hingabe zu singen.
1960 heiratete ich. Nachdem ich sieben Schuljahre absolviert hatte, suchte ich mir in Krasnojarsk eine Arbeit beim Zentralen Telegraphenamt. Später arbeitete ich am Fernschreiber im Chemie- und Buntmetallwerk und als Sekretärin des Direktors in der Metallurgischen Fabrik in Krasnokarsk.
Ich habe zwei Töchter. Eine wurde 1961 geboren, die andere 1973. Beide haben das Krasnojarsker Institut für Buntmetalle absolviert.
Zur Zeit arbeitet die Älteste im Aluminiumwerk als stellvertretende Generaldirektorin im wirtschaftlichen Bereich. Im Augenblick befindet sie sich auf einer Dienstreise beim Bogutschaner Wasserkraftwerk.
Die jüngere Tochter hat ihre Aspirantur hinter sich gebracht und ist jetzt Hochschullehrerin (auf dem Posten einer Dozentin). Sie arbeitet an der Universität für Fianzrecht.
Unsere Eltern haben ihre Kinder zur Güte und Aufrichtigkeit erzogen. Außerdem haben sie uns gelehrt, Schwierigkeiten durchzustehen, tapfer zu sein und sich für die Zukunft edelmütige Ziele zu setzen. Und das Wichtigste – niemals den Glauben an sich selbst zu verlieren, immer optimistisch zu bleiben, sich des Lebens zu erfreuen, ihre Hoffnungen zu erfüllen. Egal, mit wem ich in meinem Leben auch zusammenarbeiten mußte, ich habe niemals Menschen gekränkt, habe den Leuten, die mich umgaben, immer Verständnis und Mitleid entgegengebracht.
Viele Jahre sind vergangen. Und ich bin in meinem Herzen immer noch dieselbe geblieben wie früher. Bis heute bin ich der Meinung, dass das Leben schön und wunderbar ist. Ich freue mich über jeden neuen Tag, bemühe mich über das Leben und die Gesundheit nicht zu jammern. Ich denke, dass das gelebte Leben nicht umsonst ist, obwohl es darin viele Mißgeschicke und unglückliche Umstände gab. Ich bemühe mich Optimist in allen Lebenslagen zu sein.
Mein Ehemann, Jewgenij Nikolajewitsch Dudkin, wurde 1938 geboren. Seine Eltern wurden 1933 repressiert und nach Nowokusnezk im Gebiet Kemerowo ausgesiedelt. Sein Vater hat sein Leben lang im Schacht gearbeitet. Die Mutter war Hausfrau.
Mein Mann habe ich in Ujar kennengelernt. Dort versah er seinen Armeedienst bei den Eisenbahntruppen, baute die Eisenbahnlinie zum Abzweiger Abakan – Tajschet. 1960 heirateten wir. Nach dem Militärdienst zogen wir nach Krasnojarsk. Er fand dort eine Arbeit als Elektromonteur im Aluminiumwerk.
Später absolvierte er das Industrietechnikum, arbeitete als Meister und anschließend als Obermeister und stellvertretender Leiter der Werkstatt.
1977 zogen wir nach Sajanogorsk um, wo mein Mann bis zur Rente als stellvertretender Werkstattleiter am Sajaner Aluminiumwerk tätig war. Diese Stadt gefällt uns sehr- sie ist ruhig, sauber und gemütlich. Wir lieben auch Sosnowoborsk. Mein Mann hat immer gern Pilze und Beeren gesammelt, ist fischen gegangen. Auch heute tut er das manchmal noch. Im Winter liebt er es, einfach nur durch den Wald zu gehen, frische Luft zu atmen, sich an der Winterlandschaft und den Tieren des Waldes sattzusehen. Von der Natur her ist er wie ich ein Optimist. Auch er sieht im Leben einen Sinn. Er ist mit seinen Töchtern zufrieden, die in ihrem Leben schon viel erreicht haben.
Nicht umsonst haben wir einander gefunden, und wir sind froh, dass das Schicksal uns zusammengeführt hat. Wir werden einander bis ans Ende unserer Tage unterstützen.
Auf den Fotos:
Lydia Adamowna Dudkina (in ihrer Jugend).
Die Eltern von Jewgenij Nikolajewitsch Dudkin, aufgenommen 1965.
Das Material wurde von der sosnowoborsker Organisationfür die Opfer politischer Repressionen zusammengestellt.