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Die Lebensgeschichte des Andrej Iwanowitsch Miljuschkin

Ich wurde am 16. August 1904 (nach dem alten Kalender) in eine arme, mittellose Familie hineingeboren.

Ich möchte etwas zum Leben meines Vaters sagen. Der Vater und der Onkel, Vaters Bruder, lebten zusammen, nicht jeder für sich. Der Onkel hatte keine Kinder.

Die beiden waren Grubenarbeiter; eine Wirtschaft (mit Vieh oder Gemüseanbau; Anmerkung der Übersetzerin) besaßen sie nicht. In der Mine haben sie gearbeitet. Alles, was sie besaßen waren ein Bauchladen und ein Ruder. Eine alte Kate stand da; mit Ackerbau taten sie sich befassen. Sie liehen sich zwei Pferde, einen hölzernen Hakenpflug und säten auf ihrem Bauernzehnten ein paar Sachen an: Weizen, Gerste und Buchweizen auf einem kleinen Landstreifen. Dann liehen sie sich noch ein Pferd und fingen an selbständig zu leben - einer zuhause, der andere in der Mine. So haben der Vater und der Onkel es erzählt.

1913 kam ich in die Dorfschule. Der Lehrer war streng - wir mußten während des Unterrichts auf Kies oder hartem Buchweizen knien. 1914 kam ich in die 2. Klasse - und der Krieg mit den Deutschen begann. Der Vater wurde einberufen, und der Lehrer mußte auch in den Krieg ziehen. In dem Jahr hatten wir dann keinen Schulunterricht mehr.

Im Jahr darauf kam ein junger Lehrer - gerade selbst mit der Schule fertig. Er hat schlecht unterrichtet; die meiste Zeit verbrachten wir mit Bockspringen, Reiten und Schlagballspielen - und dem Spiel "Tschischik". Der Winter verging mit Spielen; ich blieb in der zweiten Klasse.

Im folgenden Winter kam der Lehrer Jan Sintipolowitsch; der war ein guter Lehrer, er hat gut unterrichtet. Und bei mir ergab sich eine neue Lebenssituation: mein Vater spannte mich mit in die Arbeit ein. Du kommst aus der Schule - und sollst anschließend auf dem Dreschplatz mit dem Klöppel des Dreschflegels Getreide dreschen. Morgens fährst du mit den Pferden Getreide holen, ißt und gehst dann zur Schule - die Hausaufgaben habe ich nicht gemacht. Ein Geistlicher unterrichtet - montags, mittwochs, samstags. Ich brach die Schule ab. Ich wandte eine List an - der Vater war nicht da - ich stellte mich krank, und manchmal habe ich es so angestellt - von den Schuhen habe ich die Schuhsohle abgetrennt und zur Mutter gesagt: "Mit sowas lauf ich herum, ich habe gar keine Schuhe". Und Mutter antwortet: "Zieh meine Filzstiefel an". Das hatte ich vorher schon gedacht, daß Mutter mir das sagen würde!

Ich nehme einen Filzstiefel und werfe ihn in die Grube der Vorratskammer. Na los, such den Stiefel! Mutter schimpft mich aus - "wohin hast du ihn weggeworfen? " - "Ich hab ihn nicht gesehen". Auf diese Weise blieb ich der Schule fern. Der Vater kommt nach Hause, Mutter erzählt ihm alles. Dann hat der Vater sich allein sich selbst an die Arbeit gemacht. Und ich bin nicht in die Schule gegangen.

Die Wirtschaft wurde größer, es fehlte an Arbeitskräften. Wir stellten Arbeiter ein - Saisonarbeiter und ganzjährige. Der Vater zahlte ihnen nur 60 Rubel im Jahr, ansonsten bekamen sie alles in Naturalien. Weil ein Saisonarbeiter im Frühjahr bei ihm wohnte, durfte Vater einen halben Hektar Getreide mehr ansäen.

Ich wurde 17. Der Vater schlug mir vor zu heiraten; ich wollte mich dem Willen des Vaters nicht widersetzen: dann soll doch der Vater seinen Willen haben!

Aus Daurien kam der Vetter Ilja Fjodorowitsch Gussew. Er kommt zu mir und sagt: "Andrej, wollen wir morgen nach Uimun gehen?" Er hatte dort eine Braut. Wir fuhren zusammen dorthin. Bei der Sache kam nichts heraus: die Braut hat ihm irgendetwas geschenkt. Wir haben das Geschenk zerrissen und bei Vater zuhause am Tor aufgehängt. Der Vater erfuhr davon und fing an die Tochter auszuschimpfen. Sie bestellte sie zu sich: fahrt nach Pokrow.

Wir fahren dahin und begeben uns zur Tante, Mutters Schwester. Die Tante ging los, um der Braut das zu erzählen. Der Tag neigte sich dem Ende zu, es wurde dunkel. Wir sehen aus dem Fenster - da kommen sie zu zweit an. Unsere Pferde stehen bereit. Da kommt die Braut in Begleitung, wir setzen uns in die Pferedekutsche und fahren ab. Wir fahren nach Hause; man kommt uns schon entgegen. Kurz darauf bereiten wir die Hochzeitsfeier vor. Und dann fahren wir zur Kreisverwaltung um uns registrieren zu lassen. Ich habe mir die Begleiterin näher angesehen und bin an sie herangetreten. Da haben sie mir geholfen. wir kemen zusammen nach Hause und haben uns vor Vater und Mutter verneigt. Der Vater bricht in Tränen aus - was habe ich da bloß gemacht!? Und ohne ihn zu fragen!

Meine Ausbildungszeit begann. Ich fuhr zur Mine Ildikan, - dort war ein mir bekannter Chinese; man nannte ihn Wassilij, - ich wollte um ein bißchen Gold für die Hochzeit bitten. Ich fahr also hin, er ist zuhause und begrüßt mich. Ich begann zu erzählen, und da gab er mir 30 Zolotniks (1 Zolotnik ca. 4,26 gr; Anmerkung der Übersetzerin). Ich nehme sie, fahre wieder nach Hause und gebe sie dem Vater. Der Vater fährt nach China.

Als er zurückkommt, bringt er Waren für den Bräutigam und die Braut mit und Alkohol für die Feier. Wir lassen uns nach kirchlichem Zeremoniell trauen. 1925 werde ich in die Armee zum aktiven Dienst einberufen. 1927 kehre ich aus der Armee zur Familie zurück. Ich begann als Bauer zu arbeiten. Der Vater muß hohe Steuern zahlen. 1928 wird ihm eine schwere Aufgabe auferlegt: 270 Zenter innerhalb einer Monatsfrist. Das haben wir alles erfüllt. Ein oder zwei Monate verstrichen: sie fordern noch 68 Zentner mehr. Unser Getreide war ausgedroschen und lag im Speicher. Wir harken alles zusammen und transportieren es hin, wir haben das Soll erfüllt!

Wir machten Pläne in einem eigenen Wohnraum zu leben und kauften ein Haus mit einem Flur. Dieses Haus ist alt, man muß es umbauen. Auf dem letzten befahrbarenWeg transpor-tierten wir Balken aus dem Wald dorthin. Man konnte nicht in die Siedlung hineinfahren, der Weg war unpassierbar. Wir haben alles am Rande der Siedlung vom Wagen geworfen.

Dafür haben sie nachher eine Bestandsliste des Inventars gemacht und wollten eine Versteige-rung durchführen. Der Vater hat gegen all das Berufung eingelegt, und dann haben sie die Versteigerung sein lassen.

Von der Kreis-Verwaltung werde ich dazu bestimmt, als Zwangsarbeiter Brot zum Bergwerk Schachtoma zu fahren. Nichts haben sie dafür bezahlt. Dreimal bin ich hin und zurück gefahren, und dann haben sie mich zur Holzbeschaffung zur Mine Bystra geschickt. Wir arbeiten, transportieren Holz, legen es in Stapeln aufeinander, und im Wald lag kein Schnee mehr. Der Vater und seine Frau traten in die landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft "Musgin" ein. Die Genossenschaft schickte mir meine Frau hinterher - 18 km bis zur Mine Bystra und noch 3 Kilometer bis in die Taiga.

Da lebten wir in einer Winterhütte. Der Koch war Chinese. Um 8 Uhr morgens marschieren wir zur Arbeit aus - da kommt meine Frau. Ich frage, weshalb sie gekommen ist, und sie antwortet: "Deinetwegen". Ich: "Das weiß ich doch, daß du meinetwegen kommst, Schura, ich fürchte jedes Wort. Wollen sie dich etwa verhaften?" - "Nein, Papachen und ich sind in die Kolchose eingetreten, in die landwirtschaftliche Genossenschaft "Musgin", sie haben mich deinetwegen geschickt!"

"Gut. Gibt es irgendeine Bescheinigung? Gib her". Ich nehme die Bescheinigung und gehe zum Vorarbeiter: "Genosse Tonkich! Meune Frau ist gekommen; sie hat eine Bescheinigung mitgebracht, daß wir in der landwirtschaftlichen Genossenschaft sind. Hier ist sie".

"Na schön, dann fahr los. Gute Reise".

Wir spannen den Schlitten vor den Leiterwagen und fahren ab.Schura hatte Goldstückchen mitgebracht. Wir fahren kurz bei der Mine vorbei, geben das Gold ab und nehmen einige Waren mit. Dann sind wir nach Hause gefahren und machten uns an die Kolchos-Arbeit.

Ich werde als Brigadier der 1. Brigade aufgestellt. Nachdem ich etwa einen Monat gearbeitet habe, kommt ein Anwerber aus der Mine Kurlja. Er hatte die Arbeit so verteilt, daß er noch ein paar freie Leute zur Verfügung hatte. Die können sich anwerben lassen. Ich äußere den Wunsch auch - und bewerbe mich dafür.

Ich fuhr zu der Mine mit einer Brigade aus 5 Leuten. Wir haben unter Verwendung von Ammoniumnitrat Sicherheitssprengstoff in Bergwerken; Anmerkung der Übersetzerin) Schürfstellen aufgerissen - und brachten das Gestein mit Pferden fort. Danach mußte ich als Zimmermann arbeiten. Über den Fluß Gazimur wurden eine Brücke und eine zweischichtiges Floß gebaut. Den Winter arbeitete ich durch. Im Frühjahr, im Mai, werde ich verhaftet und komme ins Miliz-Gefängnis. Einen Tag und eine Nacht sitze ich dort, dann schicken sie mich nach Kultuma, von Kultuma weiter. Sie bringen mich zu ihrem Dorfsowjet. Ich wende mich an den Abschnittsbevollmächtigten der Miliz. Jener sagt zu mir: "Andrej, ich werde nach Alexej schicken. Die brauchen dich. Ich habe Alexej vorgeschlagen der Kolchose beizutreten. Er kam kurz vorbei und man hat ihm alles verziehen. Sie sind frei". Vier Tage lief ich umher, fuhr zur Mine, von wo sie mich mitgenommen hatten. Ich fuhr hin - und erhalte meine Entlassung.

Ich kehrte erneut in die Kolchose zurück und begann dort als Brigadier zu arbeiten. Im Mai nehmen sie mich zu Kriegsvorbereitungen in die Stadt mit, nach Sretensk, zum Sammelpunkt. Mich behält man als Reservisten zurück. Ich nehme den Militärausweis und gehe in eine Herberge. Dort treffe ich den Siedler Wladimir Wedernikow. Mit ihm spreche ich darüber, daß Funfusen (Chunchusen) aus China zu uns gekommen sind; in unserer Sprache heißt das "Räuber" - sie plündern und töten.

Dafür schnappen sie mich und stecken mich ins Sretensker Gefängnis. Ich bestelle dem Vater, daß er mir eine Bescheinigung schicken soll. Der Vater holte so eine Bescheinigung von allen Genossenschaften. Er bringt sie und gibt sie einem brüderlichen Genossen - der stand auf dem Wachturm des Gefängnisses. Wir machen unseren Hofgang, und da wirft er mir Lebensmittel und die Papiere hinunter. Alles nehme ich in die Zelle mit. Von der Bescheinigung wurde eine Kopie gemacht. Bald darauf ging eine Kommission durchs Gefängnis. Zu dem Zeitpunkt trug der Leiter der Kriminalabteilung die Verantwortung für mich und hatte darüber zu entscheiden, ob ich im Gefängnis bleiben sollte oder nicht. Er betritt unsere Zelle, ich wende mich an ihn und sage, daß ich irgenwelche Dokumente vorzeigen kann. Er nahm sie, sah sie an und dann fragte er: "Wie sind sie denn an dich gelangt?" - "Ich bin zur Ziegelei gegangen, und da hat der Vater sie mir persönlich übergeben". - "Na gut. Sie wissen nicht zufällig, wer Ihr Begleitsol-dat war?" - "Weiß ich nicht".

Nach 7 Tagen jagten sie mich fort. Zu der Zeit arbeitete ich in einer Schusterwerkstatt. Ich begebe mich zum Haus des Bauern. Dort übernachtete ich und ging am nächsten Tag nach Hause zur Familie. Der Weg war weit. 180 km. Ich hatte weder Geld noch irgendeinen Lebensmittelvorrat bei mir. Ich schaffte es auf verschiedene Weise: irgendwo gab es Essen; und wer einfach reist, ohne Gepäck, - der wird mitgenommen; du schaust bei irgend jemandem herein, bittest um etwas zu essen, und jener gibt dir ein Stückchen ... Auf diese Weise ist es mir gelungen!

Ich kehre zur Familie zurück und beginne wieder zu arbeiten. Ich arbeite als Brigadier; der Vater ist Vorsitzender der Revisionskommission. Es kommen welche aus dem Kreis-Kolchosverband und entfernen uns aus der Kolchose. Nirgends gibt man uns eine Arbeits-stelle.

Ich fahre zur Mine Urjumkan - ein neues Bergwerk, ganz neu eingerichtet. Dort war eine Baustelle für Wohnungen; Häuser haben sie da gebaut. Ich habe als Zimmermann gearbeitet, insgesamt 15 Tage lang. Dann kommen sie mich und Andrejan Bojarkin holen und stecken uns ins Untersuchungsgefängnis. Am 12. April haben sie den Vater eingesperrt. Schura ist bei der Familie geblieben: Mutter, 4 Kinder. Sie ging in der Mine arbeiten, als Tagelöhnerin - Goldwäscherin. 20 Dol. (?) in Gold hat sie da verdient. 10 Tage arbeitet sie und bekommt Gold; sie geht zur Aufkaufstelle. Da holt sie Lebensmittel, backt etwas und geht damit zu uns. In drei Teile hat sie es geteilt: uns bringt sie davon, den Kleinen läßt sie was zurück und für sich selbst braucht sie ja auch etwas. Da war es schwer für Schura.

Gegen eine Bürgschaft läßt man uns frei. Ich finde Bürgen und dann gelangen wir auf freien Fuß. Wir kommen nach Hause. Da ist die Mutter mit meinen Kindern. Schura ist in der Goldgrube Ildikan. Von dort kam der alte Lossejew angefahren, sah uns und hat Schura Bescheid gesagt. Sie unterbricht ihre Arbeit, und als es abends dunkel wurde, ging sie nach Hause.

Ich hatte mir Arbeitskleidung angezogen und wollte auch zu ihr, zur Mine. Als ich mich ihr nähere, wird es schon dunkel. Ich begegne Schura. Sie hatte gehört, daß wir nach Hause gekommen sind und ist von der Arbeit in die Nacht hinausgegangen. 12 km muß man gehen, einen Teil davon durch den Wald. Ich hab sie angehalten: wohin gehst du denn! Und wir gehen gemeinsam zurück.

Am nächsten Tag ist Schura gekommen; sie hat Mehl, Butter und andere Lebensmittel geholt und Sauerteig angesetzt. Sie schicken eine Vorladung aufs Gericht, dadurch kommt sie erst nach mir zur Mittagspause!

Wir haben uns hingesetzt, gegessen - und dann kommt sie und sagt, daß sie eine Gerichtsvorladung gebracht haben. "Schura, setzt dich hin und iß!" - "Ich habe keine Zeit zum Essen . Schnell - gehen wir!" Auf dem direkten Weg über einen Hügel sind wir gegangen und dort gegen Abend angekommen. Ich konnte mich noch nicht einmal ausziehen, da kommen schon die Vollstrecker und - ab zum Gericht.

Sie fingen mit Verhören an, - mit solchen Verhören, daß einem so etwas niemals in den Kopf gekommen wäre; man wußte gar nicht, was machen machen sollte, all diese Verleumdungen. Drei Tage ging das Gericht, sie verlesen das Urteil: 10 Jahre Gefängnis und Lager mit anschließendem Entzug der bürgerlichen Rechte für einen Zeitraum von 5 Jahren.

Sie stellten uns unter Bewachung und wiesen uns einen Platz beim Dorfsowjet zu. Am nächsten Tag brachten sie uns in die Kreisstadt. Da brachten wir 5 Tage zu. Auf der Schelopuginsker Landstraße wurde eine Etappe von 50 Menschen in die Stadt Nertschinsk transportiert, ins Nertschinsker Gefängnis.

In der ersten Zeit gab es Schwierigkeiten mit der Verpflegung. Du erhältst eine Portion Suppe, - die ist so dünn, daß du im Eßgeschirr kaum irgendein Stückchen findet, so sehr man auch sucht. Ich ging mit dem Vater auf Zimmermannsarbeiten innerhalb der Gefängnis-mauern. Dort bekamen wir zusätzlich noch Maisbrei. Dafür leisteten wir schwere Arbeit. So lebten wir bis zum Herbst, und dann gingen wir auf der Insel arbeiten – Kartoffeln roden. Die warme Verpflegung ist gut – Kartoffelsuppe; wir werden satt. Man darf essen. Ich dachte noch: ich hab doch einen Krug, in den ein Liter hineinpaßt. Ich stellte ein Reibeisen aus Metall her. Während der Arbeit habe ich mir Kartoffeln in diesen Krug hineingerieben; du gehst zum Mittagessen, bekommst deine Suppe und gießt sie um in das Eßgeschirr, - das ergibt dann einenBrei. Irgend jemand verpfeift mich, daß ich so etwas mache. Wir kommen zum Mittegessen, ich erhalte die Suppe – und da finden sie den Krug mit den geriebenen Kartoffeln!

Sie nehmen mir das Mittagessen weg; sie geben mehr keins mehr. Der Vater schreit: komm, iß mit mir! Da nahmen sie ihm auch das Essen weg. Ich überredete sie: nicht dem Alten weg-nehmen. Sie sollen ihm die Suppe lassen, und dann hat der Vater seine Mittagsmahlzeit auf-gegessen! Ich habe an dem Tag nur gefrühstückt, danach wollte ich gar keinen Kartoffelbrei mehr, lieber Suppe! Der Vater befindet sich als Wächter auf der Insel.

Mich entsenden sie mit einem Kommando von Freien zum Dreschen. Hier mußte ich alle möglichen Arbeiten machen. Der Aufseher ist ein guter Mensch; er läßt uns nachts aufs Feld hinaus, - Kartoffeln klauen. Da haben wir auch Weizen eingeweicht: das Kochgeschirr mit dem Getreide stellst du vom Abend an in den Ofen, - und morgens hast du fertigen Brei. Während der Arbeitszeit – einen Spaten voll Getreide ins Feuer werfen und knusprig braun braten. Du ißt den ganzen Tag. Nach so einer guten Verpflegung kannst du gut furzen - weithin ist es hörbar, und sie laufen weg vor dem herrlichen Geruch!

Ich greife ein wenig zurück: weiter oben habe ich angegeben, daß wir losgingen, um Kartoffeln zu roden. Du beendest die Arbeit etwas früher, bevorratest dich mit einer großen Kartoffel, schneidest sie der Länge nach durch, bindest sie an Arm oder Bein fest. Wir nähern uns den Gefängnistoren – die Menschenkolonne kommt zum Stillstand; sie nehmen eine Durchsuchung vor. Wir müssen uns splitternackt ausziehen und alles ablegen. Sie kassieren insgesamt 5 große Säcke voll Kartoffeln ein!

Sie entlassen mich von der Drescharbeit und rufen mich ins Gefängnis: Miljuschkin, du wirst zur Holzbeschaffung fahren. 2 Tage blieb ich dort; ich bekomme eine Uniform. Alles habe ich vollständig erhalten, auch ein paar Pferde, eine Kiste mit Mehl, so groß wie ein Pferdeschlit-ten. Ich spanne die Pferde ein, und dann fuhren wir hinaus in die Taiga, nach Sulsa. Und von dort noch 40 km weiter!

Wir kommen im Wald an. Da schärfte ich das Werkzeug, nahm mir einen Partner mit, und dann fuhren wir zur Arbeit aus. Am Abend kommen wir zu dem Feldlager, wo wir jetzt leben, und da verkünden sie mir, daß „du freigelassen worden bist“. Ich zum Aufseher, der sagt mir das auch. Am morgen mache ich mich auf den Weg in die Stadt. An diesem Tag ging ich bis zur Herberge. Dort wohnte der Herbergsvater; bei ihm machte ich halt. Ich erzählte ihm, woher ich komme. Er sagt zu mir: „Wenn du kein Geld hast – dann übernachtest du kostenlos“. Ich habe ein Kilogramm Brot. Ein halbes Kilo habe ich gegessen, die andere Hälfte habe ich für das Frühstück morgen zurückgelegt; bis Sulsa sind es noch 10 Kilometer. Ich legte mich schlafen.

Gegen Morgen kommt ein Wagenzug – die bringen irgendwelche Lasten zur Mine. Männer kommen herein und fragen den Herbergsvater, was das für ein Mensch ist. Er erzählte es ihnen. Ein Mann tritt an mich heran; er weckt mich auf: „Steh auf, iß irgendwas. Mit uns nach Sulsa fahren ist besser, als wenn du zufuß gehst“. Ich setzte mich hin, aß und fuhr mit ihnen. Einer hat zwei Pferde. Im Morgengrauen kommen wir nach Sulsa. Es bagann hell zu werden. Wir fahren zu seinem Vater. Der hieß uns willkommen, stellte den Samowar auf, kochte zwei Eimer voll Wasser; und dann bringt er Kalatschen (Weißbrot). Vom Hof, aus dem Frost, holt er Selbstgebrannten. Da haben wir mit ihm getrunken, gegessen und uns kennengelernt. Der Mann heißt Georgij. Er sagt: „Jetzt gehen wir zu mir“. Wir gehen zu ihm. Er ging hinein,um seine Frau zu wecken, während ich die Pferde ausspannte, ihnen das Kummet abnahm und es an den Platz hängte, wo es hingehörte.

Georgij kommt wieder heraus; er hat seine Frau geweckt. „So, du wirst jetzt hier bei mir mit als Herr im Haus wohnen“. Wir gehen in die Hütte. Ich begrüße seine Frau; er macht mich mit ihr bekannt. Georgij sagt zu mir: „Ruh dich aus, Andrej“. Ich lege mich zum Ausruhen auf die Ofenbank und schlafe sofort ein. Ich höre Lieder, erhebe mich, setze mich hin. Ich sehe – am Tisch sitzen Männer. Ich geh zum Tisch: „Komm, setzt dich zu uns, Andrej“. Ich setz mich mit an den Tisch, und dann trank ich mit ihnen. Sie fingen an Lieder zu singen, und ich mußte auch anfangen zu singen.

Bei Georgij wohnte ich vier Tage; er wollte mich nicht gehen lassen: „Wohn doch bei mir“. Georgij schreibt seiner Schwester einen Brief, die 20 km entfernt wohnt. Mit diesem Brief ging ich zu ihnen, wie einen Verwandten haben sie mich aufgenommen. Und sie schreiben eine Brief ins nächste Dorf, den ich auch mitnehme. Auf diesem Wege gelangte ich in die Ortschaft Luk (Lug?).

Hier mußte ich eine Zeit lang durch die Siedlung gehen: keiner will mich übernachten lassen. Ich gehe noch zu einer ganz am Rande gelegenen Kate – sie lassen mich nicht rein; da gehe ich zum Dorfsowjet. Ich betrete die Hütte. Da sitzt eine Alte. Ich wende mich an sie: „Frauchen, laß mich übernachten! Die ganze Siedlung hab ich schon abgeklappert – sie wollen mir kein Nachtquartier geben. Frauchen, hab keine Angst vor mir, ich bin doch nicht irgendein Räuber, ich habe Familienangehörige, kleine Kinder, eine Frau und eine alte Mutter, einen alten Vater. Ich bin nicht auf meinen Wunsch hin in dieses Leben hineingeraten; schlechte Menschen haben es mir aufgezungen!“ Ich setzte mich auf dem Ofenbank, fing an zu weinen, mit meinem Halstuch wischte ich die Tränen ab. Bei der Frau rollten auch die Tränen: „Söhnchen, bleib“. Sie brachte einen Topf mit Milch, ein Stückchen Brot. Das aß ich und legte mich dann auf den Ofenbank zum Schlafen.

Diese Alte hatte ich mit meinen Worten an einem wunden Punkt getroffen. Man hatte ihren Schwiegersohn verhaftet, und das war gerade drei Tage her. Die Tochter arbeitet jeden Tag acht Stunden in einem Geschäft als Verkäuferin. Die Tochter kommt; es gab viel zu erzählen. Am nächsten Tag gibt die Tochter mir 5 Rubel. Ich bedanke mich für alles und sage: „Meine Familie hat Gerüchten zufolge das Haus verlassen. Ich habe vier Kinder, einen Vater und eine alte Mutter“. Sie erwidert: „Ich gebe Ihnen den Vornamen, Vatersnamen und Nachnamen – versuchen Sie, etwas über sie herauszufinden; seien Sie so gut!“ – „Gut, ich werde etwas in Erfahrung bringen. Das Sretensker Gefängnis ist mir bekannt, ich war da ja schon mal. Und im Nertschinsker bin ich auch gewesen, aber was du auch machst - das ist eben mein Glück!“

Ich gehe in die Stadt, in einer Freiwilligen-Brigade. Ich betrete kurz das Kontor, erhalte Dokumente. Dann begebe ich mich zum Bahnhof, kaufe eine Fahrkarte und fahre in die Heimat. Ich erreichte Sretrensk und ging ins Haus des Bauern. Da traf ich einen Bekannten aus unserer Gegend: Innokentij Schirokow aus Uschmun. Ich fragte ihn, wo meine Familie sei, und er sagt: „ Andrej, ich habe von Afanassij gehört, daß sie deine Familie verschleppt haben“. Fahren Sie doch! Der Mann von der Schwester - der kann dir das genauer sagen“. Ich beschloß bei dem Mann von der Schwester vorbeizufahren. Ich fahr dahin. Sie haben einen Brief von Schura bekommen. Ich habe die Adresse mitgenommen und bin zum Bruder zur Mine Kurej gefahren. Der Mann der Schwester bringt mich bis nach Kultumi, von dort gehe ich zu Fuß weiter.

Ich komme beim Bruder an. Man heißt mich freundlich willkommen. Beim Bruder verbrachte ich 15 Tage; ich habe dort als Goldsucher gearbeitet; dann fuhr ich mit dieser Adresse zur Familie. Der Bruder hatte ein Fuhrwerk ausfindig gemacht. In Sretensk angekommen holte ichmir eine Zugfahrkarte und fuhr nach Tscheremchowo. Ich fragte, wo sich das Holzverar-beitungskombinat Swirsk befindet. Sie zeigten es mir – noch 25 Kilometer von hier. Ich ging zu Fuß; gegen 2 Uhr kam ich dort an. Ich traf Bekannte; die hab ich nach meiner Familie gefragt. Sie sagten: „Deine Familie ist hier“.

„Gehen Sie in die Richtung, die Anhöhe hinauf – da, sehen Sie, die Anhöhe; die zweite Baracke ist es; darin finden Sie Ihre Familie“.

Ich machte mich auf den Weg, erklomm den Hügel – und nähere mich der Baracke. Meine Kinder kommen herausgerannt; sie hatten mich gesehen und fingen an zu schreien: „Papa, Papa“. Sie kamen auf mich zugerannt. Wie sehr habe ich mich da gefreut und wieviele Tränen sind geflossen, daß ich wieder mit der Familie zusammen war. Ich betrete die Wohnung; da sah ich die alte Mutter – und erneut Freude und Tränen. Der Vater und meine Frau kommen von der Arbeit nach Hause. Wir setzen uns alle an einem Platz zusammen, freuen uns und weinen. Ich habe einen Laib Brot. Schura hat Wodka geholt. Wir haben uns an den Tisch gesetzt, getrunken, zuessen gab es nichts.

Ich habe im Pferdehof einen Pferdestall errichtet; zwei Monate habe ich daran gebaut. Und dann wurde dieser Hof liquidiert. Ich fuhr mit der Familie nach Krasnojarsk. Ein bißchen Geld hatte ich dabei; auf dem Bahnhof von Tscheremchowo gibt es kein Brot, da habe ich Plinsen (Pfannkuchen; Anmerkung der Übersetzerin) gekauft: 1 Rubel für einen Pfannkuchen.

Zwei Tage und zwei Nächte haben wir uns dort aufgehalten, das Geld schwindet dahin.

Wir kommen in Krasnojarsk an; ich fange an, als Zimmermann im Forsttechnischen Institut zu arbeiten. Die Arbeiter erhielten die Brot-Norm, nichtverdienende Familienmitglieder nicht. 1932 wurden meine Eltern krank. Die Eltern sterben. Der Vater am 11. März, die Mutter am 13. März.

Danach blieb ich bis zum April, dann fuhr ich zur Waldwirtschaft nach Basaicha. Dort arbeiteten wir, und die nichtarbeitenden Familienmitglieder erhielten eine Norm von 10 Kilo-gramm. Wir haben Akkord gearbeitet und konnten so die doppelte Norm herausschlagen. Wir mußten Kartoffelschalen essen. Unsere Arbeit bestand darin Bäume zu fällen, sie zum Abflößen vorzubereiten und die Stämme ins Wasser zu rollen. Danach haben wir das Holz abgeflößt. Im August haben sie die Familie nach Magansk abtransportiert, bis dahin hatten sie in der Umgebung von Jerlykowa gelebt. Ich arbeitete im Vortrupp. Einige Male passierte es, daß ich zweimal am Tag unter Wasser ging. Die lose dahintreibenden Stämme waren irgendwo hängengeblieben, hatten sich verkantet und aufeinander geschoben. Das Floß war auseinandergetrieben. Ich kletterte auf dieses Durcheinander von Baumstämmen und versuchte mit einem kräftigen Ast die Stämme voneinander zu trennen. Der ganze Haufen fiel auseinander, ich geriet zwischen die Stämme. Ich setzte mich auf einen Baumstamm, der reichte bis zum nächsten verkanteten Haufen. Ich stolperte über den Stamm, und da lag ich auch schon unter so einem ungeordneten Floß. Oben versuchten die Leute schnell die Stämme auseinander zu werfen. Halbtot zogen sie mich heraus. Am Ufer stand eine kleines Holzhäus-chen. Dort trugen sie mich hinein, zogen mich ganz aus und heizten den Ofen an – ein Eisen-ofen stand dort. Da hingen sie meine Wäsche zum Trocknen auf.

Ich erlange das Bewußtsein wieder, blicke um mich – finde mich in nacktem Zustand vor. Ich weiß nicht, was los ist; los – anziehen. Alles scheint da zu sein, bloß die Schirmmütze fehlt. Die Schirmmütze ist verschwunden. Ich mache mich fertig und gehe zur Familie. Schura haben sie schon gesagt, was mit ihrem Andrej passiert ist, und sie kommt zu mir gelaufen. Ich begegne ihr unterwegs und sie glaubt mir nicht, daß ich nicht untergegangen bin. Ich sage zu ihr: „Ih habe mich in den Unterstand begeben und mich dort aufgehalten“.

Danach erkrankte ich an Wassersucht. Der Arzt kommt; an den hatte ich mich gewendet. Neun Tabletten hat er mir gegeben, und dann ging alles vorbei.

Anschließend habe ich im hintersten Trupp gearbeitet. Schura lebt mit den Kindern in Magansk. Die Leitung hat gesagt: die Norm für Kinder beträgt jeweils 15 kg. Wir arbeiten beim Abflößen und hoffen, daß unsere Familien versorgt sind. Die Leitung der Holzflößerei hat nur zwei Monate bewilligt. Schura organisierte eine Frau mit Kindern, brachte alle mit. Dann hat sie sie alle ins Kontor geführt und sie dort stehenlassen. Der Abend naht, sie müssen in die Häuser zurückgehen. Da haben die Jungs angefangen die Bürgerin Miljuschkina zu suchen. Sie war fortgegangen und hatte sich versteckt. Sie finden andere Mütter und fragen, wo die Miljuschkina ist. „Soll sie doch die Kinder hier wieder wegnehmen, wir geben ihnen ja schon Graupen“. Dann kam sie. Sie sagen zu ihr: „Nimm die Kinder, wir geben euch Grau-pen“. – „Gut, wiegt gleich welche ab“. Sie gingen. Man hatte ihnen 4 kg abgewogen!

Sie nahm die Kinder und brachte sie nach Hause, und im Frühjahr mußte sie Kartoffeln sam-meln, und daraus haben sie dann Fladen gebacken. Sohn Innokentij kommt zu mir in die Taiga. Ich frage ihn: wie geht’s zuhause? Und er hat mir alles erzählt. Ich gehe zum Leiter und erkläre ihm die häusliche Situation. Der erlaubte mir dorthin und wieder zurück zu fahren und teilte mir 12 kg Hafer-Graupen zu. Innokentij und ich gingen nach Hause. Gegen Abend kommen wir zuhause an. Ich frage: „Wie ist es mit eurem Leben?“ Schura sagt: „Sehr gut. Als ihr weggefahren seid, haben sie uns nichts gegeben, wir lebten wie es gerade kam, vonder Hand in den Mund. Wir mußten uns hinlegen, ohne gegessen zu haben. Fladen aus Kartoffeln haben wir gebacken, so haben wir gelebt!“

Die Leitung sagt uns: „Alles ist in Ordnung. Ihre Familienangehörigen bekommen regelmäßig Verpflegung“. Von dieser Zeit an ging ich nicht zur Arbeit, sondern fing in der kolchose in Sykowo eine Lohnarbeit an – Getreide dreschen und in Schober setzen, 7 kg war die Norm. Ich bleibe zum Arbeiten in der Kolchose. 5 Tage habe ich gearbeitet – ich bekomme 5 Pud Mehl; ich fahre zur Familie. Schura geht herum, sie tüncht die Wohnungen. Hier haben Schura und ich angefangen zu leben und haben Brot gegessen, bis wir satt waren! Die Kolchose begann uns bei der Holzbeschaffung einzustellen. Ich fuhr hin. 10 Pud Mehl bekomme ich dort. 2 Pud nehme ich für mich mit, den Rest lasse ich bei der Familie.

Ende April kam ich von der Holzbeschaffung; als Bezahlung erhalte ich einen Laib Brot, - 4 Zentner (Getreide); ich habe das Mehl fertig gemahlen; sie haben angefangen es zu verbrau-chen. Schura begann in der Magansker Kolchose zu arbeiten. Ich fuhr nach Krasnojarsk, und finde Arbeit im Mühlenkombinat. Das Kombinat verschickt Leute zum Bau der Brotfabrik Nr. 2. Zwei Monate lang arbeitete ich; und ich habe meine 2 Kinder mitgebracht. Die anderen beiden sind bei Schura in Magansk geblieben, um ihre Prüfungen zu bestehen. Ich erhalte einen Paß. Schura hat erst später einen bekommen. Im August ist Schura mit den Kindern hergekommen; man gab uns eine Wohnung in einer Gemeinschaftswohnung für fünf Familien, in einer der Baracken des Lokomotiven-Reparaturwerkes. Sohn Innokentij lernte ein paar Städter kennen, mit denen er am 13. August zum Tannenzapfen-Sammeln an den Fluß Katscha fuhr. Hier erleidet er einen Unfall. Wir fanden den Toten; am 18. August beerdigten wir ihn. Zuvor sieht Schura im Traum, daß der Vater auf einem Fuchshengst herankommt. Schura hat zwischen Brust und Kleidung zwei Flaschen mit einem und eineinhalb Litern versteckt Der Vater sagt: "Gib mir den Liter." Schura tut es nicht, und da zieht er mit Gewalt den halben Liter heraus und fährt weg. Weithin war sichtbar, wie der halbe Liter in der Sonne glänzte.

1939 fuhr ich zur Station Kritowo, zur Spiritus-Fabrik, wo Alkohol für technische Zwecke hergestellt wurden. Von dort wurde ich 1941 zum Kriegsdienst abberufen!

In den ersten Septembertagen holen sie mich weg in den Krieg. Abends verließ ich meine Arbeit und habe mit Schura abgemähtes Heu und eingebracht und in den riesigen Heuschober hinaufgeworfen. Als wir fertig waren, sind wir nach Hause gegangen. Wir haben gegessen; ich bin hinausgegangen, um mich vor dem Hauseingang ein wenig auszuruhen. Da kommt der Vollstrecker angerannt; er bringt den Gestellungsbefehl. Den gibt er mir; ich schrieb eine Vollmacht für den Erhalt meines Lohnes. Am nächsten Tag schicken sie mich zum Sammelpunkt nach Bogotol, und von da aus fuhren wir nach Westen.

Am 1. Oktober 1941 werde ich an der linken Schulter verwundet, ein Schulterdurchschuß. Ich fuhr ins Krankenhaus. 20 Tage lag ich im Krankenhaus in Tichwin. Anschließend brachten sie mich ins Slobodsker, wo ich bis 1942 blieb. Eine Kommission schreibt mich gesund. Zum zweiten Mal fuhr ich an die vorderste Front, - mein Arm ist auf Schulterhöhe hochgebunden, an die Kaliningrader Front. Und da geriet ich in Gefangenschaft. Man brachte uns in die Stadt Reval in Estland.

Hier lebten wir in Militär-Kasernen. Bis zu 2000 Leute gingen dort hinein. Als Verpflegung gab es ein deutsches Brot von 1100 gr, das in 3 Portionen geteilt war. Das Brot war mit Sägemehl vermischt: du fängst an zu essen – und kaust ohne Ende. Die warme Mahlzeit bestand aus ungesäuberten Kartoffeln – lediglich abgespült und dann gekocht. Morgens bekommst du dein Brot und kochendes Wasser, dann gehst du bis zwei Uhr zur Arbeit. Du kommst von der Arbeit zurück, ißt zu Mittag – und dann mußt du bis zum nächsten Frühstück warten.

Und was das für Klamotten waren, ganz abgetragene. Wir fingen an hölzerne Schuhsohlen zu tragen, und die Wäsche war aus Papier. Es gab einen interessanten Fall: wir arbeiten im Hafen und verladen gepreßtes Heu. Ein Deutscher brachte ein kleine Tüte mit irgenwelchen Stückchen: „Kameraden hört auf zu arbeiten – hier gibt’s was. Ich blicke auf. Unsere Jungs nehmen sich davon. Ich springe gerade von oben herunter. Meine hölzernen Schuhleisten zerbrachen. Bis zur Stadt mußte man 4 Kilometer laufen – und dann barfuß. Die Füße wurden ganz blutig. Am nächsten Tag erhalte ich in der Kleiderkammer Holzsohlen; darin bin ich zur Arbeit gegangen!

Dann geschah das: die Deutschen tragen einen Sack Zwieback heraus. „Kameraden, an die Arbeit, es gibt Zwieback“. Ich war in der ersten Reihe. Soviele Leute wie nötig versammelten sich, einen Sack Zwieback bringt er heran, die Leute halten ihre Kopfbedeckung hin. Was da hineinfällt! 4 oder 5 Zwieback, sie sind groß – dafür arbeitest du die ganze Nacht. Wir gingen in die Kleiderkammer, in der sich Frontsachen befinden. Das nannte sich "Fabrik-Waggon Hans und Franz". In dem Kleiderlager fing ich an zu arbeiten. Da habe ich mir Schuhe angezogen und mich eingekleidet. Dann habe ich beim Lager Arbeit als Maurer gefunden. Hier sind die Bedingungen besser, man bekam auch abends noch etwas zu essen. Hier ging es normal zu: abends gehst du los, machst die Fliesen sauber, siehst nach, ob die Ofenroste in Ordnung sind, - sie füllen dir dein Kochgeschirr mit Suppe, ein halber Laib Brot. Du bist satt und kannst auch noch was verkaufen. Ich wurde krank, hatte Geschwüre. Zwei Monate lag ich damit. Ich komme aus dem Krankenhaus, und da schicken sie meine Brigade nach Riga. Wir kommen in Riga an.

Wir haben gearbeitet, haben gepreßte Lehmziegel verladen. Wir gehen zur Arbeit and fangen an Waggons mit solchen Lehmziegeln zu beladen. Ich klettere in einen Waggon, der erste Packen fällt herunter und hat mir den Fuß an einem Pfosten zerdrückt, und an einem anderen Pfosten geht meine Kniescheibe kaputt; ich breche mir das Bein. Im Krankenhaus komme ich wieder zur Besinnung: ich liege da, und das Bein ist in Gips. Drei Monate bin ich mit dem Gips gelaufen. Sie zwangen mich zum Stubendienst, ich ging auf Krücken. Anschließend brachten sie mich nach Tallinn. Wir kamen da an, und die Bombardierungen setzen ein. Ich ging im Hafen arbeiten. Die Bomben fielen, ein Luftangriff – 700 Flugzeug. Von der Papier-fabrik und dem Benzinlager blieb nicht ein einziges Gebäude übrig. Den Basar haben sie zerstört, kein einziger Pilz blieb übrig. Ich rettete mich in dieser Zeit in die Kanalisation, von 7 Uhr abends bis 6 Uhr morgens. Eine Bombe fiel ins Lager – ausgerechnet in die Sanitätsabteilung, die im 3. Stock lag.

Die Menschen, die oben lagen, fielen aus ihren Krankenbetten im 1. und 2. Saal. Drei Mann, die sich hinter dem Schornstein befunden hatten, wurden gerettet – die blieben am Leben. Am nächsten Tag wurden wir nach Ostpreußen gebracht!

In Preußen war alles vollgestopft mit Menschen. Dort gab es viele Massengräber; sie nahmen einen Fläche von 2 Hektar ein. Schmale Gräben waren auf zwei Meter Tiefe ausgehoben wor-den, voll mit Toten, das Wundwaser floß nur so. Wir haben Erdhügel über ihnen aufge-schüttet. Die Verpflegung bestand aus Wurzeln und Steckrüben. Abends haben wir sie gesäubert und gewaschen – und wer an der Reihe war, mußte bei der Arbeit helfen. Ich hatte einen Kameraden, der war Koch; der hat mich zum Arbeiten eingestellt.

Ein Basar wurde errichtet – wer dort etwas machen kann, tut es. Wir trugen zu der Zeit Häft-lingsnummern: da fragt einer nach dem Familiennamen – dann kennt dich keiner, aber wenn du nach der Nummer fragst, dann wissen sie, wer du bist. Die Nummer befindet sich auf der

Vorderseite der Jacke bzw. Hose. Da hab ich zwei Koffer fertiggemacht, 100 Anhänger, runde Schildchen (?). Ich habe einen Vorrat für einen Monat angelegt. Wir fuhren nach Litauen, wo wir einen Monat zubrachten. Zur Norm gab es noch etwas hinzu, und so hielt ich einen Monat durch; ich erhielt ein Glas Mehl. Ich gab kaltes Wasser dazu und trank das aus.

Im folgenden Tag brachten sie uns nach Tallinn. Wir fahren bis zur Station Ilzy; ein Flugzeug fing an Bomben abzuwerfen. Deutsche sprangen heraus, versteckten sich. Für uns gab es keinen Ausweg aus der Situation. Niemandem geschah irgendein Leid. Man bringt uns nach Reval zurück. Dort lebten wir einen Monat, und dann verladen sie uns in einem baltischen Hafen. Zuerst haben sie Minen aufgeladen und darauf dann uns untergebracht und uns übers Meer nach Ljubawa (Liepaja) gebracht. Man fing an unsere Schiffe zu bombardieren. Wir kamen unversehrt in Ljubawa an und hatten keinen einzigen mann verloren. Hier leben wir ruhig. Zwei Tage vergingen, dann kamen zweimal täglich Flugzeuge angeflogen. Wir befanden uns in großer Gefahr. Unser Lager befand sich zwischen zwei Häfen: dem Kriegs-hafen, dem Passagierhafen und der Fabrik, in der Spaten hergestellt werden. Jedes Mal bei einem Bombenangriff haben sie das Lager getroffen. Viele unserer Brüder kamen ums Leben!

Ich mußte in großer Entfernung arbeiten – 25 oder 30 km vom Lager weg. Als die Bombar-dierungen losgehen, bringen sie uns nicht zurück. Danach kommst du angefahren – alles ist überfüllt mit den Unseren. Als die Bombenabwürfe anfingen, waren die Jungs in den Luft-schutzraum geflüchtet, und bei mir hatten sie Fladen hingestellt. Ich fing an sie zu backen, während die anderen in den Luftschutzraum rannten; mir war es schade um die Fladen – die wollte ich nicht zurücklassen. Was soll ich machen – ich werde sie zuende backen, jetzt, wo ich schon damit angefangen habe. Ich lege sie in die Bratpfanne, backe und warte. Da kommen sie (die Flieger) angeflogen und werfen die Fladen durcheinander. Aber alles ist gut ausgegangen. Meine Jungs kamen wieder zurück, ich aß mit ihnen und sie haben mich ausgeschimpft, daß ich nicht mit in den Luftschutzraum gegangen bin. Danach schlief ich tief und fest.

Später haben sie uns wieder verladen, zu ehemaligen Einzelgehöften (Vorwerken) gebracht und uns auf zwei solcher Gehöfte verstreut untergebracht. Und da wurden wir auch unter verschärfte Bewachung gestellt. Aber Ljubawa wird bombardiert und die Wachtruppen ziehen in den Kampf. Beim Mittagessen sagt uns die Begleitwache: „Kameraden, wir werden euch nicht bewachen. Die Deutschen kapitulieren, Kameraden!“ – „Können wir jetzt gehen?“ – Ja. könnt ihr!“ Und unsere Jungs streiften durch die Vorwerke, um sich was zu essen zu suchen. Mein Brigaden-Kamerad Fjodor Schemajew aus dem Altaj-Gebiet ging fort und kam auch abends nicht zurück. Ich mache mir große Sorgen: auf dem Einzelgehöft blieb ich allein, alle sind auseinander gegangen. Vom zweiten Vorwerk kommt jemand heran: „Komm mit, Andrej!“ – „Ich habe nichts zu verkaufen!“ – „Irgend etwas“. Ich nahm ein Stückchen Haushaltsseife – in Wahrheit ist die Seife aus Lehm. Die nehme ich mit, und dann gehen wir. Hinter dem Hof stehen ein paar Häuschen. Da begeben wir uns hin.

Wir treten ein; ich wende mich an diese Frau da. Sie öffnet den Kellerraum, steigt hinab und holt einen Eimer Kartoffeln herauf. Aus dem Hinterzimmer kommt unserer Kommandant Urizkij und fängt an uns auszuschimpfen, daß hier so viele Leute vorbeikommen und betteln. „Wer soll euch denn schon was geben?" Wir haben die Kartoffeln genommen; unsere Seife wollte die Frau nicht annehmen. Wir haben die Kartoffel mit ihnen geteilt. Abends haben wir sie gebraten, gegessen und uns dann schlafen gelegt. Am nächsten Tag kommt mein Brigaden-Kamerad und bringt 10 Kilogramm Fleisch. Wir haben das mit den Kartoffeln gedünstet; ein Begleitsoldat nähert sich, wir laden ihn zum Mittagessen ein!

Ich gehe los zur Bäckerei und hole einen großen Sack voll Brot. Unterwegs treffe ich meinen Kameraden; der hat mir dann geholfen. Dann sind unsere Truppen gekommen. Die haben uns aufgestellt, in kleine Einheiten unterteilt, in Züge und Kompanien; ebenso haben sie die Kommandeure aufgeteilt und uns die Marschroute vorgegeben. Wir gingen los. Die Deut-schen waren von unseren Begleitsoldaten entwaffnet worden. Da haben wir dann ihr Lager überfallen, ihnen die Lebensmittel weggenommen und unter uns aufgeteilt. Am nächsten Tag

reisten wir ab und haben zwei Paar Pferde mitgenommen. Wir kommen am Bestimmungsort an und lassen uns in Zelten aus Tannenzweigen nieder. Aus solchen Tannenzweigen haben wir Hüt-ten hergestellt. Es regnete; in den Hütten wurde es feucht. Etwa eine Woche lebten wir dort, dann haben sie uns überprüft, verteilt – einige zu den Reserve-Einheiten, einige nach Mytawa – alle wurden irgendwohin aussortiert. Ich komme in die Reserve-Truppe.

Eine Zeit lang habe ich gearbeitet. Wir bekommen eine Zeitung; darin steht, daß sie die älteren Jahrgänge häuserweise demobilisieren. Mein Jahrgang fällt auch unter die Demobi-lisierung. Wir sollen zum Sammelpunkt kommen, wo wir eine Trockenration erhalten: 1 Pud Mehl, Fleischkonserven – insgesamt ergibt das einen Vorrat für einen halben Monat. Am Sammelpunkt treffe ich die Siedlungsbewohner Flegon Grigorjew und Derbin. Lange Zeit habe ich die beiden nicht gesehen. Da hatten wir gleich viel zu erzählen. Wir werden mit der Eisenbahn auf Reisen geschickt und können gar nicht glauben, daß wir uns Richtung Heimat, zu unseren Familien, bewegen.

Wir kommen in Bogotol an. Auf dem Bahnhof schauen wir uns um, ob wir Bekannte erblicken, die wir nach unserer Familie fragen können, - aber wir sehen niemanden. Wir erreichen die Station Kritowo; ich steige aus dem Zug. Ich betrat den Bahnhof und saß dort ungefähr ein Stündchen – kein Bekannter ist weit und breit zu sehen. Da hab ich meine Siebensachen aufgenommen und bin fortgegangen. Zwei Kilometer bin ich gegangen; da treffe ich eine Alte und ein junges Mädchen – die wollten nach Atschinsk. Die fragt: „Wer ist dieser Onkel?“ Ich antworte: „Miljuschkin“. Das Mädchen sagt mir: „Ihre Tochter studiert am Technikum für Landwirtschaft in Atschinsk“. Ich frage, wo sie sich jetzt befinden. Und sie erwidern: an der Stelle, von der sie weggegangen sind. Da hab ich mich bei ihnen bedankt und bin zu meiner Familie gegangen. Ich komme zur Fähre; da fragt mich ein junger Bursche: „Wer bist du, Onkelchen?“ Ich antworte: „Miljuschkin“. – „Dein Iwan arbeitet mit mir zusammen“. Da wurde mir ganz fröhlich ums Herz, - ich ging und fühlte meine Beine gar nicht mehr. Ich gehe an der Fabrik für technische Alkohole vorbei, bis zum Teich. Eine Frau, die dort Wäsche ausspült, fragt: „Wer bist du, Onkelchen?“ Ich antworte: „Miljuschkin“. Da laufen sogleich zwei Mädchen vorüber. Ich schaue hin – nach der Richtung zu urteilen biegen sie zu meiner Familie ein. Nach kurzer Zeit kommen eine Frau und ein Bursche herausgelaufen. Das sind meine Tochter und mein Sohn, und ich habe sie gar nicht erkannt!

Wir begrüßten uns und nahmen uns in die Arme. Im Vorbau standen alle, die aus dem kleinen Häuschen heraus gekommen waren, um mich zu willkommen zu heißen. Da habe ich mich schrecklich gefreut, und ein paar Tränen sind auch geflossen. Marusja Kowalewa weint: sie hat eine Todesbenachrichtigung erhalten.

Ungefähr eine Woche habe ich mich ausgeruht; dann ruft der Ingenieur der Alkoholfabrik mich zu sich: „Miljuschkin, du mußt wieder zur Arbeit gehen“. Wir gehen also arbeiten – Koljanin, Simagin und ich; da haben wir die Gärungskessel repariert. Die Kessel, die haben wir wieder in Ordnung gebracht.

Im Oktober werde ich von der Miliz abgeholt, die bringen mich nach Bogotol und stecken mich ins Untersuchungsgefängnis. Verhört werde ich nicht. Am 7. November jagen sie mich nachts davon, Papiere bekomme ich nicht. Ich ging in die Nacht hinaus, immer an der Bahn-linie entlang. Gegen Morgen erreiche ich Kritowo. Ich betrat den Bahnhof, wärmte mich etwas auf und ging dann zur Spiritusfabrik. Ich nahm aber nicht den üblichen Weg: der war weit. Ich nahm einen schmalen Pfad. Aber irgendwie kam ich vom Weg ab und verirrte mich. Ich komme einfach nicht wieder auf den Weg zurück: ich versinke im Schnee, der mir bis zum Gürtel reicht. Da hab ich eine Grube ausgehoben, mich hineingesetzt und bin eingeschla-fen. Im Traum stürzte sich ein Hund auf mich. Das hat mir wieder Mut gemacht – na los, sieh zu, daß du den richtigen Weg findest. Es begann schon hell zu werden. Und ich sehe: da ste-hen Telegraphenmasten. Dahin bin ich gegangen. Ich fand den Weg und ging zum Fähran-leger. Ich komme da an – der Fluß Tschulym ist gefroren und von hartem Schnee bedeckt, die Fähre liegt da fest. Ich schrie zum anderen Ufer hinüber. Sie schickten mir ein Boot her – der alte Sitnikow brachte mich damit auf die andere Seite.

Ich ging zu meiner Familie, sie hatten mich nicht erwartet: ich komme da hin, und sie wun-dern sich. Ich gehe in die Fabrik zum Arbeiten. Am 27. Dezember verhängen sie Arrest über mich. Sie kommen zur Fabrik, führen mich unter Wachbegleitung ab und transportieren mich nach Bogotol. Da habe ich übernachtet, und dann schicken sie mich nach Krasnojarsk, in das Haus des NKWD, auf dem Platz der Revolution. In dieses Haus haben sich mich mitten in der Nacht gebracht. Am nächsten Tag komme ich ins Krasnojarsker Gefängnis, Zelle Nr. 48. Die Zelle ist nicht groß, 6 Mann befinden sich darin.

Da begann für Schura ein schweres Leben – zwei Schläge mußte sie an ein und demselben Tag hinnehmen. Mich haben sie verhaftet – und die älteste Tochter wollte wegen Dienst-angelegenheiten nach Bogotol gefahren, und an der Station Kritowo gerät ihr Bein zwischen die Eisenbahnpuffer. Ihr rechtes Wadenbein wurde zerquetscht; man hat sie nach Bogotol gebracht. Da muß Schura viel durchstehen, und sie ist krank geworden!

Ich befinde mich im Gefängnis. Sie führen mich zu Verhören. Ein paarmal ist ein Schwarzer Rabe (das damals übliche NKWD-Fahrzeug; Anmerkung der Übersetzerin) gekommen und hat mich ins innere Gefängnis gefahren. Am 16. Februar 1946 habe ich einen Traum: ich betrete ein Zimmer, darin befinden sich drei Hunde – 2 weiße und 1 schwarzer. Der schwarze stand in der Mitte. An dem Tag kommt ein Schwarzer Rabe, ich muß einsteigen; sie bringen mich ins innere Gefängnis und stecken mich in eine Einzelzelle. Abends um 5 Uhr rufen sie mich heraus. Ich betrete das zweite Amtszimmer – und erkenne jene drei Hunde wieder, die ich im Traum gesehen habe. An den Enden sitzen die Vollstrecker und in der Mitte der schwarze (schwarz gekleidete) Richter!

Sie haben mir nicht gestattet auch nur ein Wort zu sagen, verlesen das Protokoll: 10 Jahre Zwangsarbeit im Lager und Entzug der bürgerlichen Rechte für 5 Jahre. Das Urteil ist vom Krasnojarsker Militärtribunal gefällt worden. Sie bringen mich wieder in jene Zelle zurück. Ich betrete die Zelle – das sitzt ein Neuer, der anfängt mich in Gespräche zu verwickeln. Es handelt sich um eine sogenannte „Glucke“ ("Aushorcher"; Anmerkung der Übersetzerin) von der Miliz; das wußte ich schon, daß man sich vor einer „Glucke“ hüten muß!

Zehn Tage verbrachten wir im Gefängnis, dann schicken sie uns ins Lager am rechten Fluß-ufer. In Ladejka arbeitete ich als Zimmermann. Ich bekam 1 kg Brot und abends eine warme Mahlzeit, zwei Brötchen. Die Hauptnahrung war – Bärenlauch, morgens, zum Mittagessen und abends auch. Ich konnte das nicht essen. Ich habe nur vom Brot gelebt. Wenn du ein Kochgeschirr besitzt, dann kannst du essen; hast du keins – dann gibt es auch nichts zu essen. Ich habe für so ein Kochgeschirr zwei Brot-Rationen gegeben.

VERSCHICKUNG IN DEN NORDEN

Am Morgen habe ich einen Traum: ich sehe einen weggeworfenen Schlauch, so lang, daß ich ihn mit den Augen gar nicht ganz erfassen konnte, und das Ende rollte sich nach hinten. Ich stehe an dem Morgen auf, erzähle den Jungs davon und sie sagen: „Andrej, wir wissen nicht, was das zu bedeuten hat“. Da kommt der Diensthabende und sagt: „Miljuschkin, ich habe Sie für den ganzen Tag zugeteilt bekommen. Sie werden auf Etappe geschickt. Frühstücken Sie jetzt, und dann gehen Sie zu Baracke 7 – dort ist der Sammelpunkt“. Ich ging dort hin. Drei Tage dauerte das Sammeln der Leute, am vierten Tag brachten sie uns ins Krasnojarsker Gefängnis – in die große Transitzelle. Das hier ist eine wahre Räuberhöhle: wer irgendwelche Habseligkeiten oder Verpflegung bei sich hat, dem werden sie von den blatnye (Kriminelle) weggenommen – Es herrschen Geschrei und Lärm!

Sie rufen uns anhand von Karteikarten heraus – und ab geht’s in die Waggons. Dann brachten sie uns gen Osten. In den Waggons mußten wir viel Leid hinnehmen: da waren fünf

Kriminelle, die nahmen uns die beste Verpflegung weg. Zum anderen fängt der Begleitsoldat an, mit einem hölzernen Hammer hin und her zu rennen und uns abzutasten. Wem es nicht gelang, sich wegzudrehen – der bekam etwas mit dem Hammer auf den Buckel. Aber ich war gewandt und standhaft auf meinem Beinen, und es gelang mir, mich herauszuwinden, mich zu drücken.

Sie bringen uns in die Bucht von Nachodka. Dort waren wir zwei Monate. Es gab große Streitigkeiten zwischen den Dieben und denen, die dem Verbrecherkodex abgeschworen hatten. Es gab Gemetzel, jeden Tag Gemetzel!

Am 23. Juli werden wir auf einen Dampfer verladen und nach Magadan gebracht. Am 26. Juli kommen wir dort an. Es geht sofort ins Bad. Du kommst da rein und gibt’s deine Unterwäsche und sonstige Bekleidung in der Desinfektionskammer ab. Du kommst aus dem Bad heraus, trittst an einen Schalter – bekommst ein Bündel ausgehändigt. Da ist alles drin, bis hin zu den Fußlappen. Wir haben uns angekleidet, die Schuhe angezogen, etwas gegessen, und nachts haben sie uns dann abtransportiert. Nach drei Tagen und Nächten kommen wir in der Siedlung Susuman, in der großen Zone, an. Von hier kommen wir zur Mine Swetlij, ungefähr 3 km von Susuman entfernt, und nachts bin ich zur Arbeit gegangen.

Im August brachten sie uns, die Sonder-Zwangsansiedler, nach Susuman in eben diese Zone.

Eine Kommission fertigt uns ab. Ich werde als Invalide 2. Grades eingestuft, mich lassen sie in der Zone und bringen mich im halbstationären Krankenrevier unter.

Die übrigen, die gesund sind, kommen zur Mine Schirokij. Ich blieb etwa einen Monat in dem halbstationären Krankenrevier, und dann verlegen sie mich in die Genesungsabteilung. Mein Brigaden-Kamerad Kitow aus Leningrad fand eine Arbeit als Oberkoch. Er bringt den Kranken das Essen; Kitow kommt herein. Er sieht mich da, - er war zum Arzt gegangen und hatte gesagt, daß abends Andrej zu ihm kommen würde, um nach dem Rechten zu sehen. Der Arzt erlaubte es. Und dann habe ich noch Fausthandschuhe für die Arbeiter genäht. Hier fing ich an ein wenig leichter zu leben und begann Hoffnung zu schöpfen. Der Arzt setzt mich als diensthabenden Sanitäter ein.

Zwei Jahre blieb ich dort. Dann habe ich mich mit der Leiterin der Sanitätsabteilung gestritten, und sie hat mich in die kleine Zone geschickt. In der kleinen Lagerzone habe ich dem Ältesten Michail Ogorodnikow ein Bärenfell gereinigt. Und er beschaffte mir – Suppe und andere Lebensmittel. Der Lageraufseher meinte: „Andrej, geh und erneuere den Stacheldraht um die Zone herum“. Ich machte mich an die Arbeit. Und da hat er mich auf eine zusätzliche Brotration gesetzt. Ein Kilo und 100 gr erhielt ich abends extra , außerdem – die übliche Ration. Ich richtete mein Leben irgendwie ein. Die Bergwerksleitung kommt angefahren; sie holen mich zur Mine „Oktober“. Nicht nur mich, sondern viele!

Wir kommen bei der Mine an und machen uns an die Arbeit – wir sollen Gold suchen. Am zweiten Tag gehen wir hinaus, und der für die Ordnung zuständige Leiter fragt: „Wer kennt sich mit Zimmermanns-, Putz- und Tüncharbeiten aus?“ Ich hebe die Hand nach oben – zwei Schritte vortreten. Sie führten die Brigade fort, uns lassen sie zurück. Sie bringen uns zur Wache; sie sahen sich unsere Akten an – ohne Wachbegleitung dürfen wir nicht gehen. Wir sind drei Leute. Gegenüber dem Lager befindet sich ein alter Schacht, der mit Wasser überflutet ist. Jetzt ist dort alles ganz vereist. Sie treiben uns dorthin, damit wir den Schacht säubern. Es war ein Horizontal-Schacht, dorthin jagten sie uns. Der Brigadeführer hieß Rosenberg; der begrüßt uns mit den entgegenkommenden Worten: „Ich werde euch Simulanten und Faulenzer schon in diesem Schacht begraben!“ Da wurde ich traurig, weil ich nicht wußte, wie ich aus dieser Situation herauskommen sollte, und da schoß mir der Gedanke durch den Kopf, daß man in den Schacht hineinklettern muß. Zehn Mann sind im Schacht, die Jungs rennen beständig hinaus. Der Brigadeführer steht mit einer Brechstange an der Kalkgrube des Schachtes. Wer dort auftaucht bekommt aus irgendeinem Grund eins mit der Brechstange übergezogen. Manche hat er zu Tode geschlagen, anderen die Arme gebrochen. Ich schaue mir das Bild an, friere, sitze im Schacht. Da ertönt das Kommando zum Mittagessen. Wir treten an, werden durchgezählt und gehen los. Wir kommen zur Kantine; da haben wir gegessen, uns ein Stündchen erholt. Ich blicke umher – und da sehe ich, daß beim Brigadeführer die Nähte von Kopfkissen und Matratze aufgegangen sind. Ich nehme die Sachen und nähe sie zu. Er bedankt sich; wir gehen wieder zur Arbeit und er sagt zu mir: „Andrej, da liegt ein Stein, setzt dich dort hin und warte auf meine Anweisungen“. Ich setze mich auf den Stein – und da saß ich bis zum Abend. Es kommt das Kommando: „Abmarsch von der Arbeit. in Reih und Glied aufstellen“ – und wir gehen ins Lager zurück. Am nächsten Tag, als wir wieder zur Arbeit abmarschieren sollem, nähert sich mir der Leiter der Sanitätsabteilung: „Wie lautet Ihr Nachname?“ Er schreibt auch den Vor- und Vatersnamen auf. „Morgen früh ziehst zu in die Baracke Nr. 11 um, du zählst als Invalide 2. Grades“. Ich dankte ihm und ging zur Arbeit. Am folgenden Tag ziehe ich in die 11. Baracke um und werde nun als Invalide 2. Grades geführt.

Ich arbeite nun im Krankenhaus: 5 Leute sind krank, und die soll ich pflegen. Und ich werde zu noch einer Arbeit verpflichtet: dreimal am Tag den elektrischen Wasserboiler anmachen.

Im September fuhr ich als Kranker ins Kreis-Krankenhaus, wo ich zwei Monate lag. Ich fange an als Sanitäter zu arbeiten, danach ging ich als Hausmister. Die Verpflegung war ausreichend, da hab ich ganz gut gelebt – ich wollte von da nicht weg! Die Leitung kommt angefahren und holt mich wieder weg – zum Bergwerk „Kalinin“.

DAS „KALININ“- BERGWERK

Wir erreichen das Bergwerk „Kalinin“ um 5 Uhr abends; sie verteilken uns auf die baracken. Am nächsten Tag marschieren wir brigadenweise zur Arbeit. Unsere Brigade wird aufgerufen. Es ertönt das Kommando: „Im Laufschritt – Marsch!“ Wir treten aus dem Tor heraus und ich sehe, daß da gar keine Begleitwachen sind. Ich frage, wo denn unsere Begleitsoldaten sind, und sie sagen, die Brigade braucht kein Wachpersonal.

Wir begeben uns an unseren Arbeitsplatz. Da stehen fünf Häuschen, in denen Freie wohnen –Freigelassene. Der Leiter der Geräteabteilung kommt heraus und fragt: „Wer kann zimmern?“

Ich melde mich, und dann gehen wir in die Gerätekammer, wo ich als Werkzeugmacher arbeiten kann. Ich fing an zu arbeiten; und so sah die Arbeit aus: Stiele an Spitzhacken und Spaten anbringen, im Wald Holz beschaffen. Ich ging ohne Bewachung zum Holzlager und brachte den Freien Holz. 3 km trägst du es, jeweils 4 oder 5 Stangen mit Seilen zusammenge-bunden, oder du ziehst es. Du findest einen Käufer, zerhackst es, schichtest es auf. Sie geben dir ein Stücken von dem, was sie sonst in den Abfall werfen würden. Ich stellte auch noch Bastbesen in der Kantine her. Etwa ein Jährchen arbeitete ich dort, dann wurde ich krank. Ich liege im halbstationären Krankenhaus. Dort herrschte folgende Ordnung: die, die keine Unterwäsche besitzen, befinden sich dort nackt. Ich habe alte Wäsche.

Hier helfe ich dem Diensthabenden, wenn er das Mittag- oder Abendessen bringt. Ich half auch die Kranken zu füttern. Drei Mann schliefen unter einer Bettdecke. Ein Badehaus gab es – aber in 2 Kilometer Entfernung. Du kommst in dieses Badehaus – sie geben dir eine kleine Kelle Wasser um den Kopf naß zu machen, und eine zweite Kelle – damit du dich rasieren kannst. Und damit mußte man sich begnügen. Irgendwann habe ich neue Wäsche erhalten, sie war weiß; du trägst sie eine Zeit lang – und sie zerfällt vor Schmutz!

Zu uns ins halbstationäre Krankenrevier kommt ein junges Bürschchen: „Gibt es bei euch einen Miljuschkin?“ - Ich antworte: „Den gibt es!“ Es ist schon spät, die Leute haben sich schlafen gelegt. Wir gehen nicht weit, nur bis in die Zone. Ich komme dorthin und begrüße sie. Wir begannen uns zu unterhalten. Sie fangen an mich auszufragen: „Was hat ihr Vater gemacht – und Sie selbst?“ Ich erzählte. Und die sagen zu mir: „Sie können frei sein“. Ich ging an meinen Platz, legte mich unter die Bettdecke und schlief ein. Da kommt dieser Mensch: „Miljuschkin, gehen Sie in die Brotschneiderei“. Ich gehe da hin, und man schlägt mir vor, als Helfer des Brotschneiders zu arbeiten. Ich bin einverstanden und beginne mit der Arbeit. Der Ober-Brotschneider gab mir Unterwäsche und Oberbekleidung. Es lebte sich gut, die Verpfle-gung war ausreichend. Den Winter über arbeitete ich, der Frost kam. Im April kommt der Disziplinar-Offizier. Er sah, daß ich mich in der Brotschneide-Küche befand, – „Was? Hier bei euch gibt es Mäuse – sieh zu, daß du zur Schürfstelle kommst!“ – „Ich habe nichts anzuziehen!“ – „Sie sind doch angezogen!“ – „Das ist nicht meine; die gehört doch dem Ober-Brotschneider“. Sie trieben mich fort, ohne Kopfbedeckung, ohne Mütze. Dort nimmt er einfach die Mütze von einem anderen und setzt sie mir auf. Ich kam mit gesenkten Kopf in die Brigade von Bandarew. Er war mit mir unzufrieden, weil ich ihm kein Brot gab. Er verpflichtete mich an zwei Schürfstellen. Seine Günstlinge hatten nur eine Schürfstelle, die sie bearbeiteten, sie waren Stachanow-Arbeiter. Er benahm sich mir gegenüber gehässig – der Brigade gibt er Tabak, ich trete an ihn heran, aber er sagt nur:“Die steht nichts zu, los, geh zurück!“

Wir marschieren zur Arbeit aus, von der Wache aus zwingen sie mich umzukehren und zum Disziplinar-Offizier zu kommen, und der schlug vor, daß ich in seiner Wohnung Reparaturen vornehmen soll. Das hab ich gemacht, und dann zwang er mich, die Zone abzusperren. Ich baute also eine Trennwand und begann in der Zone zu arbeiten. Sie schicken mich zu Babkin in die Brigade, einen Kilometer von der Zone entfernt. Ich komme also in die Brigade, und der Brigadeführer fragt mich: „Kannst du zimmern?“ – „Kann ich!“ Er machte für mich einen Fuchsschwanz (Säge) und eine Axt ausfindig, und dann machte ich Reparaturen und fuhr mit der Schubkarre herum (?). Ich machte mich an die Arbeit. Den Begleitsoldaten kenne ich, der hat mich dann sogar hinter die Absperrung gelassen. Der Leiter des Gerätelagers verpflichtete mich die Schubkarre immer abzuzeichnen. Es arbeiteten drei Brigaden; ich führte den Arbeitsnachweis. Der Brigadier, dessen Schikanen ich ausgesetzt gewesen war, hatte sich irgendetwas zuschulden kommen lassen; er kam in die Babkinsche Brigade und mußte dort Schubkarren schieben. Ich habe den Jungs immer ein paar Karren dazugeschrieben. Dieser Brigadier tritt an mich heran: „Andrej, verschaffe mir ein paar Schubkarren“. – „Das kann ich nicht; es gibt einen Leiter für das Gerätelager, soll der das dazuschreiben“. Und ich selber denke: „So wie du mir gesagt hast „das darf man nicht“, genauso sage ich es jetzt zu dir!

Sie schicken mich nach Susuman in die große Zone.

SUSUMAN

Wir bekamen Brot. Dreimal –morgens, mittags und abends. Der Soldat, der Tagesdienst hatte, erhielt Brot für den ganzen Tag: „Miljuschkin, ich habe für euch Brot für einen ganzen Tag bekommen“. Ich frage: „ Wieso denn das?“ – Ihr fahrt zum „Festland“ (sibirische Polargebiete, die nur während der eisfreien Zeit zu Wasser oder per Luft erreichbar sind; Anmerkung der Übersetzerin). Ich gehe in die Brotschneiderei zu Jakow Wassilitsch und erkläre ihm das. Da gibt er mit 5 Laibe Brot. Sie transportieren uns nach Sussuman. Als wir da ankommen, kommt der Arbeitsanweiser Iwan Iwanitsch Dochin heraus: „Welche beruflichen Qualifikationen habt ihr?“ Wir antworten: „ Zimmermann, Tischler, Putzer“. – „Ihr könnt bleiben. Gehen wir!“ Wir gehen zur Baracke Nr. 11, treten ein und lassen uns dort nieder. Am nächsten Tag gehen wir zur Arbeit ins Sägewerk. Eine Woche lang arbeiteten wir dort, dann fingen wir mit Verputz-Arbeiten an. Danach machte ich Steinarbeiten; mein Kamerad war Schakir Osmanytsch. Die Leitung hatte ihn von einer Bewachung durch Begleitsoldaten freigestellt und ihn als Bauleiter der OKS (Abteilung für Großbauprojekte) eingestellt. Da arbeitete er eine Weile – dann wurde er Ingenieur. Er kommt ins Lager: „Gebt mir Miljuschkin, ohne Begleitwache!“ Ich ging unbewacht mit ihm zur Arbeit und stelle fest – ohne Wache wurden uns weniger Arbeitstage für eine mögliche vorzeitige Entlassung gutgeschrieben. Und als wir mit Bewachung arbeiten – da rechneten sie für einen Tag sogar zwei an. 1951 werde ich freigelassen und erhalte einen Paß. Ich beginne eine Arbeit beim Kolymsker Versorgungsamt und erledige dort Maler und Ofensetzter-Arbeiten. Sechs Monate habe ich dort gearbeitet. Ich gebe diese Tätigkeit auf und fahre zum Festland. Wir kommen in Magadan an. Dort erhalte ich im SWITL (Nordöstliches Besserungs-Arbeitslager; Anmer-kung der Übersetzerin) 600 Rubel. Ich hole mir eine Fahrkarte 2. Klasse und fahre zum Festland.

AUF DEM FESTLAND!

Wir erreichen die Bucht von Nachodka, werden ausgeladen; am Bahnhof haben wir übernachtet. Am nächsten Tag haben wir uns Fahrkarten für die Eisenbahn geholt. Ich nehme

eine bis Krasnojarsk. Ich fahre und überlege, wie ich mein Leben weiterführen soll. Ich habe keine Frau, sie ist 1951 gestorben – 1952 bin ich darüber benachrichtigt worden. Ich fahre und denke darüber nach, wie ich mein Leben wieder aufbauen soll; ich habe doch keine Frau mehr, aber viele Kinder – die jüngste Tochter studierte am Technikum für Nahrungsmittel-Industrie. Mein Jahrgang ist doch noch nicht so alt – wie werde ich allein zurechtkommen? Nachdem ich an Ort und Stelle angekommen war, da zeigte mir das Leben selbst, wie es weitergehen sollte!

Wir nähern uns Krasnojarsk. Am Bahnhof steige ich aus dem Zug und schaue mich um, ob nicht vielleicht meine Verwandten hergekommen sind. Aber niemand ist da. In jener Nacht blieb ich bis zum frühen Morgen am Bahnhof sitzen. Ich wartete, bis der Morgen anbrach, um mich dann aufzumachen und eine Wohnung zu suchen. Ich begebe mich zur Straße der Gewerkschaft und frage, wo sich das Haus Nr. 8 der Gewerkschaften befindet. Man sagte es mir. Ich ging los und kam zum Pumpenhaus. Da steht eine Frau mit Eimern. Ich frage nach meiner Familie, und die Frau sagt: „Die wohnen mit uns in demselben Haus“. Wir gehen zu dem Haus. Die Frau wohnt unten, die Tochter oben. „Da wohnen ihre Verwandten“. Ich höre Schritte – die Tochter kommt die Treppe herunter gelaufen, ich habe sie erkannt. Wir begrüßen uns – es herrscht Freude, daß ich die Kinder sehe, aber es fließen auch Tränen, weil meine Frau nicht mehr da ist. Meine Seele grämt sich, ich bin traurig. Ich trete in das Häuschen ein und mache mich mit der Mutter des Schwiegersohnes bekannt. Wir sitzen eine Weile, dann gehe ich zur zweiten Tochter – Nadjeschda. Sie studierte und arbeitete am Forsttechnischen Institut. Ich habe sie auch wiedergesehen. Die Kleine Studierte am Technikum in Barnaul, der Sohn in Tscheremchowo. Ich sehe sie alle wieder, bloß Schura nicht; ich bin schrecklich traurig!

Am nächsten Tag ging ich zu der Baracke, in der ich wohnte. Ich trete ein. Sie begrüßten mich und nahmen mich freundlich bei sich auf. Wir haben viel getrunken, und ich mußte dort übernachten: ich hatte keine Kraft zu gehen. Mir wurde fröhlich ums Herz, daß ich bekannte sah.

Die Lebenssituation zeigte mir, daß man allein nicht leben kann. Ich bin doch noch nicht alt. Ich beschloß, mich mit einer anzufreunden – mit Jewdokija Iwanowna Kotschetowa. Am

7. November ziehe ich um zu ihr. Wir beginnen ein gemeinsames Leben. Anfangs ging alles gut, dann begann sie sich so aufzuführen, wie es sich nicht gehört. Ich sehe – so geht es nicht. Ich mache mich fertig, begebe mich zu meiner Tochter Nadjeschda und wohne bei ihr.

1955 schließe ich mit Jelena Petrowna Sokolowa Freundschaft. Am 2. Oktober ziehe ich zu ihr, und da leben wir seitdem zusammen. Wir heirateten nach kirchlichem Ritus; kirchlich haben wir uns trauen lassen. Wir leben in einer freundschaftlichen Beziehung miteinander. Das Kirchengesetz verbindet die Menschen untereinander, erhellt ihr Gewissen und bewahrt sie vor erbitterten Grobheiten!

Dann beging seine Ehefrau eine Verfehlung (?). Der Mann kam dahinter. Da meldete sich ihr Gewissen, sie unterläßt ihre Dummheiten und kehrt zur altgewohnten Lebensweise zurück. Der Ehemann machte ebenfalls einen Fehltritt (?) – die Ehefrau kann dahinterkommen. Er begann zu trinken, sich zu prügeln, zu schimpfen und Gemeinheiten zu begehen. Die Ehefrau versucht ihn zu überreden und er fügt sich!

Es verhält sich so: der Ehemann ist gläubig, seine Frau nicht. Sie wird durch seinen Glauben erleuchtet Die Frau ist gläubig, der Mann nicht – dann wird der Mnn durch seine Ehefrau erleuchtet. Die Kinder kommen dann gesegnet zur Welt.

Wenn sie nicht das religiöse Gesetz annehmen, dann gelten sie nicht als Mann und Frau und werden nur Liebhaber sein.

Als der Herr in Samara herumging, da machte er in der Stadt halt, um sich am Isaak-Brunnen auszuruhen.

Die Jünger kamen in die Stadt, um Lebensmittel zu kaufen. Jesus setzte sich am Brunnen nieder, um auszuruhen. Da näherte sich eine Samarerin; sie wollte Wasser holen und kam mit einer Wassertrage. Jesus spricht: „Gib mir etwas zu trinken!“ – „Wie kann das denn sein, Judäer? Du bittest eine Samarerin um etwas zu trinken?“

Die Samarer vertragen sich mit den Judäern nicht gut. Wenn ihr wüßtet, mit wem ihr redet, würde man dir auch vom Wasser des Lebens zu trinken geben. „Du wärest nicht an diesen Brunnen gekommen, sondern zu einer der Quellen eures Lebens gegangen“. – „Ich sehe, daß zu euch der Messias oder sein Prophet gekommen ist. Oh Herr, gib mir dieses Wasser!“

„Gut, nur bring deinen Ehemann hierher“. „Ich habe keinen Ehemann“. – „Du hast recht daran getan zu sagen, daß du keinen Ehemann hast. Bis jetzt hast du fünf Männer besessen. Jetzt hältst du bei dir einen Ehemann, der gar keiner ist – er ist nur ein Liebhaber“. Das ist es, worin das religiöse Gesetz besteht. Den Ehemann und die Ehefrau mit einander zu verbinden.

Und was passiert heute? Sie nehmen das kirchliche Zeremoniell nicht an! Alles nur Unanständigkeiten, Gesetzlosigkeiten, Unzucht im Leben!

Die Menschen sind grob geworden: sie sagen Mutterflüche und verhöhnen andere – so geht es zu, wenn man nicht kirchlich getraut wird. Ich habe zweimal kirchlich geheiratet. Das erste Mal war ich 18 Jahre alt, das zweite Mal 55; zweimal habe ich das gemacht.

Wir haben zu zweit gelebt. Danach ist Lenkins Enkel Slavik gekommen. Die Tochter meldete sich beim Schwiegersohn polizeilich an. Bald bekamen sie eine Wohnung, wo sie gemeinsam lebten. Eine Dreizimmer-Wohnung für 4 Personen. Im Vergleich mit der vorherigen Enge bedeutete das Freiheit und Ruhe, Stille – es gab keinen Lärm. Ich arbeite beim städtischen gesundheitsamt und in einem Restaurant; mein Gehalt betrug 40 Rubel.

Ich habe Jelena Petrowna formell eingestellt. Ich arbeitete allein und erhielt Geld für mich und für sie. 1961 erkrankte ich an Gelbsucht und wurde krankgeschrieben. Dann erlitt ich einen Infarkt. Eine Ärztekommission kam an und dasnn wurde ich als Invalide 2. Grades eingestuft – 12 Rubel, 50 Kopeken.

6 Monate habe ich nicht gearbeitet, dann bestellt mich das städtische Gesundheitsamt wieder zur Arbeit. Ich gehe hin und mein Gesundheitszustand wird überprüft. Ich arbeite wieder und muß noch zwei Schichten zuende arbeiten.Unterwegs – ein Anfall. Bis zum „Kosmos“ bin ich gefahren – die Herzklappe hat sich geschlossen. Ich habe kein Empfinden mehr. Sie bringen mich ins Krankjenhaus – ein krepierter Mensch. Die Ärzte bemühen sich, pflegen mich gesund und beleben mich wieder. Lidia Andrejewna Danilowa war sehr geschäftig, eine Rente von 11 Rubel bekam ich dazu. Ich erhielt 22,50 Rubel. Jelena Petrowna – 30 Rubel. Tochter Anna und der Schwiegersohn unterstützen uns mit 10 Rubel. Tochter Nadjeschda schickt etwas Geld zu Feiertagen, 20-30 Rubel.

Und davon leben wir.

Ich habe einen Sohn, und Jelena auch, beide heißen Iwan. Die haben nur das Trinken im Sinn, aber ich habe nichts zu trinken. Er will mich nicht besuchen.

Also Jelena Petrowna hat einen Sohn, Iwan heißt er – und da ist ein und dasselbe Bild!

Du stellst beide auf eine Waage und keine der Waagschalen hat das Übergewicht. Iwan Sokolow fragt nicht danach, wie es um Mamas Gesundheit steht. Kinder hat er nicht, aber er gibt auch der Mutter keinen einzigen Rubel: Mutter, nimm, nimm irgendetwas Gutes, damit du etwas Schmackhaftes zu essen bekommst – so etwas gibt es nicht!

Jetzt gilt es nur zu leben, die Nahrung reicht, Kleidung, Schuhe. Ich bin alt und krank geworden. Am 1. September 1973 werde ich 69 Jahre alt.

 

Damit enden die Erinnerungen des Andrej Iwanowitsch Miljuschkin (1904-1973), die von ihm selbst aufgeschrieben wurden. Kopie – 1991, W.S. Birger.


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