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I.N. Moissejewa. Erinnerungen der Jenissei-Deutschen

Erinnerungen. Friedrich Friedrichowitsch Adolf.

“ Ich wurde 1941 im Alter von dreizehn Jahren deportiert. Mir persönlich war diese Nachricht gleichgültig. Sobald der Deportationsbeschluss bekannt wurde, lebte meine Familie acht Tage lang in ihrer Wohnung.” Dann wurden sie mit dem Auto zu einem Lastkahn gebracht und auf diesem die Wolga entlang nach Engels, von dort aus reisten sie mit dem Zug. Ihm zufolge wurden sie zunächst in die Hungersteppe von Kasachstan gebracht und später nach Krasnojarsk, nach Abakan und von Abakan aus ein Jahr später nach Nasimowo gebracht. Die Neuankömmlinge waren entschlossen, zu arbeiten und ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die einheimische Bevölkerung war außergewöhnlich nett zu den Familien der Deportierten. Nur selten hörte man die Worte: Faschist, Deutscher oder Fritz. Aber trotz dieser Schwierigkeiten wurde das Dorf Nasimowo zu seiner zweiten Heimat. Nazimovo wurde für ihn zu einer zweiten Heimat.
08.07.99

Anmerkung:
Bei Friedrich Friedrichowitsch Adolf sind keine Dokumente über die Deportation erhalten geblieben. у Das, was ich in meinen Worten wiedergegeben habe, entspricht der Wahrheit. Gez. Adolf.

Erinnerungen von Eduard Friedrichowitsch Adolf

Den Vater haben sie eingesperrt, und die Mutter wurde mit uns verschleppt. Und nach Russland gelangte ich auf folgende Weise: die Deutschen vertrieben uns aus unserer Heimat. Das war 1941, als der Krieg ausbrach. In unserer Familie gab es drei Kinder. Bis Nasimowo fuhren wir auf einem Dampfer; wie er hieß, weiß ich nicht mehr. Wir nahmen nur so viele Sachen mit, wie wir tragen konnten. Die ortsansässige Bevölkerung nahm uns sehr schlecht auf, das wünscht man nicht einmal seinem ärgsten Feind.

Anmerkung: Der Befragte weinte lange Zeit und konnte sich nicht wieder beruhigen, weil er so traurige und schreckliche Erinnerungen in sich trug. Er hätte uns sicher eine Menge erzählt, aber es war für ihn sehr schmerzlich, sich an alles zu erinnern.

Das, was ich mit meinen Worten wiedergegeben habe, entspricht der Wahrheit. Gez. Adolf.

Erinnerungen. Jurij Karlowitsch Baster.

Vater war Kapitän eines kleinen Schiffs, Mutter Hausfrau. In der Familie gab es drei Kinder. Zwei sind am Leben geblieben. Die Familie hatte ihr Auskommen. Wir gelangten wie folgt dorthin: mit einem Zug brachte man uns zuerst in den Karatussker Bezirk, Region Krasnojarsk. Dort lebten wir ein Jahr lang. Und dann ging es mit einem Schlepper nach Nasimowo. Dort trafen wir im August 1942 ein. Im September kam ich in die erste Klasse; insgesamt absolvierte ich sieben Schulklassen. Danach ging ich sofort in unserer Kolchose arbeiten. Die Sachen brachten wir mit Gutscheinen hierher. Für alles wurden Gutscheine ausgegeben: für eine Kommode, ein Bett, eine Ziege usw. Aber wir nahmen nichts, weil wir so viele waren und auch noch ein paar Sachen hatten. Nasimowo betrachte ich als meine Heimat, hier wurden wir gut aufgenommen. Ich würde nicht mehr dorthin zurückkehren, von wo sie uns einfach so vertrieben haben."

Das, was ich mit meinen Worten wiedergegeben habe, entspricht der Wahrheit. Gez. Baster

Erinnerungen. Elsa Friedrichowna Jessina

Elsa Friedrichowna Jessina wurde 1940 deportiert. Der Vater war Angehöriger der Arbeitsarmee, an die Mama kann sie sich nicht erinnern. In der Familie gab es drei Kinder. Heute sind alle noch am Leben. Fjodor, Eduard und Elsa. Und so gelangten sie dorthin: mit Pferden nach Minussinsk, von dort nach Krasnojarsk mit einem Dampfer, und von Krasnojarsk weiter – ebenfalls mit einem Schiff. Man erlaubte ihnen nicht, irgendwelche Sachen mitzunehmen; so wie sie sich angezogen hatten, so begaben sie sich auch auf die Fahrt. Lediglich einige Lebensmittel nahmen sie mit. Haus und Vieh mussten sie zurücklassen. Im Herbst 1942 trafen sie ein. Anfangs wurden sie schlecht aufgenommen, aber später wurden Freundschaften geschlossen. Man brachte sie im Klubhaus unter, später lebten sie in einem Haus. Nasimowo wurde für sie zur Heimat (hier wuchs sie auf, arbeitete und heiratete). In die alte Heimat möchte sie nicht zurückkehren; ihre Heimat ist hier. Dort wartet sowieso niemand mehr auf sie.
Das, was ich mit meinen Worten wiedergegeben habe, entspricht der Wahrheit. Gez.: Jessina

Erinnerungen. Olga Jowewna Conradi

Mama saß zu Hause, sie arbeitete nicht, und Papa war Kapitän auf einem Schiff. In der Familie gab es drei Kinder. Zwei sind am Leben geblieben. Wir fuhren zuerst mit einem Schiff, es ging langsam und schwierig voran. Man setzte sie in Tamarowo ab, aber einige Zeit später siedelte man sie nach Nasimowo um. Die Ortsansässigen verhielten sich ihnen gegenüber neutral: weder gut noch schlecht, sie kümmerten sich einfach nicht um sie. Aber noch einer gewissen Zeit wurden die Einwohner von Nasimowo freundlicher und liebenswerter. Unter uns entstanden sogar Unterhaltungen. Mein ganzes Leben lang habe ich als Melkerin auf der Farm gearbeitet. Olga Jowewna will diesen Ort nicht verlassen, weil „Nasimowo und überhaupt ganz Russland zu ihrer zweiten Heimat geworden ist. Nach den Worten von Olga Jowewna „ist ihre Heimat dort, wo sie ihre Kinder und Enkel großgezogen hat, und nicht dort, wo sie nur Leid und Qual erleiden musste.

Das, was ich mit meinen Worten wiedergegeben habe, entspricht der Wahrheit. Gez.: Conradi
08.07.99

Erinnerungen. J.F. (Jakob Philippowitsch) Conradi

«Wir waren eine große Familie. Vater war Mitglied des Obersten Sowjets. Von der Umsiedlung erfuhren wir so: in der Zeitung „Prawda“ wurde ein Artikel veröffentlicht, und dann, nachdem wir noch ein paar Tage zu Hause verweilten, mussten wir mit Schiffen nach Nasimowo aufbrechen. Die Menschen verhielten sich uns gegenüber gut. Tagsüber arbeiteten wir gezwungenermaßen und nachts verdienten wir Geld zum Essen. Im Großen und Ganzen konnten wir uns nicht ausruhen, und das Leben ging so an uns vorüber. In unserer Familie gab es drei Kinder, heute sind nur noch zwei von ihnen am Leben (Anm. unverständlich). Viele Jahre hegte ich Groll in meinem Herzen, doch die Zeit heilt manches; jetzt ist Nasimowo mir zur Heimat geworden, und wenn man mir die Möglichkeit geben würde, in die alte Heimat zurückzukehren, würde ich sagen, dass meine Heimat nun hier ist!
Das, was ich mit meinen Worten wiedergegeben habe, entspricht der Wahrheit. Gez.: Conradi

Erinnerungen. Frieda Philippowna Sucharebrik

Mutter und Vater arbeiteten in der Kolchose. In der Familie gab es viele Kinder, aber nur drei sind noch am Leben. Der Vater starb 1944, weil er sich so große Sorgen gemacht hatte. Sie hatten doch schon so lange gelebt, so viel erreicht und dann wurde ihnen mit einem Schlag alles weggenommen. Bis zum Dorf gelangten wir so: wir fuhren in Viehwaggons, es war eng, die Kinder weinten, es gab kein Wasser, nur wenn der Zug kurz anhielt, konnte man hinausspringen und schnell Wasser holen, aber es bestand dabei die Gefahr, dass man von seinen Angehörigen getrennt wurde. Man durfte nur wenige Sachen mitnehmen. Sie versprachen uns, dass wir vor Ort Vieh und Kleidung bekommen würden. Zuerst setzte man die Menschen in Tamarowo ab, wo sie in Baracken hausten; einige Zeit später siedelten sie nach Nasimowo um. Die Ortsansässigen nahmen sie wie gewöhnliche Leute auf: «ohne sie besonders zu mögen oder zu hassen . Und erst mit der Zeit, als man sich besser kennenlernte, entstanden freundschaftliche Beziehungen. Sie arbeiteten in der Kolchose, später in der Sowchose. Ich arbeitete viele Jahre als Melkerin. Die Jahre vergingen und Frieda Philippowna gewöhnte sich an Nasimowo und (falls sie die Chance hätte) würde sie nicht dorthin zurückkehren wollen, von wo sie gekommen ist. «Der Ort, an dem ich so lange Zeit gelebt habe, ist mir zur Heimat geworden, nicht der Ort, wo ich geboren bin».

Das, was ich mit meinen Worten wiedergegeben habe, entspricht der Wahrheit. Gez.: Sucharebrik

Erinnerungen. Wladimir Karlowitsch Schäfer

Wladimir Karlowitsch Schäfer wurde 1928 geboren. Als er 12 Jahre alt war, wurde seine Familie deportiert (1941). Seine Eltern waren in großer Sorge. Er wollte auf jeden Fall mit seinen Eltern gehen, aber wohin sie fuhren, verstand er damals noch nicht.

Direkt aus der Einzäunung «brachte man sie direkt mit Autos in die Ortschaft Salidoj, 35 km von der Wolga entfernt. Und von dort mit einem Schiff bis in die Stadt Saratow. Von Saratow bis nach Nischnij Ingasch ging es weiter mit der Eisenbahn», sie fuhren in offenen Waggons. Neun Monate lebten sie in Nischnij Ingasch. Dann brachte man sie von dort mit dem Schiff in das Dorf Nasimowo. Nach Wladimir Karlowitschs Worten verhielt sich die Bevölkerung von Nasimowo bei ihrer Ankunft gut, aber manchmal hörte man, wie sich der von uns Befragte erinnert, unter den Halbwüchsigen die Worte Faschist, Deutscher und andere.

Jetzt hat Wladimir Karlowitsch keine Angehörigen mehr, aber im Dorf Nasinowo lebt seine leibliche Schwester. Nasimowo wurde für seine Familie zur Heimat und wenn man ihm den Vorschlag zur Rückkehr machen würde, würde er nicht fahren.
6.07.99

Das, was ich mit meinen Worten wiedergegeben habe, entspricht der Wahrheit. Gez: Schäfer

Erinnerungen: Viktor Genrichowitsch Stumpf

Wir wuchsen ohne Vater auf: er kam bereits in jungen Jahren nicht aus der Armee zurück, und die Mutter arbeitete ihr ganzes Leben lang in der Kolchose und zog allein fünf Kinder groß. Derzeit sind alle Kinder am Leben. Nach Nasimowo gelangten wir so: zuerst fuhren wir mit dem Zug nach Minussinsk. Dort lebten wir ein Jahr, dann wurde unsere Familie mit dem Schiff in die Ortschaft Nasimowo geschickt. Als wir dort ankamen, war ich 10 Jahre alt. Wir durften keine Sachen besitzen, und die ortsansässige Bevölkerung benahm sich gegenüber uns, als wären wir Hunde. Einige Zeit später lebten wir dann schon etwas besser, wir hatten uns aneinander gewöhnt. Aber in die Heimat möchte ich nicht zurückkehren. Ich denke, dass meine Heimat Nasimowo ist.

Das, was ich mit meinen Worten wiedergegeben habe, entspricht der Wahrheit. Gez: Stumpf

Anmerkung: der Befragte kann nicht schreiben; die Aufzeichnungen hat seine Ehefrau für ihn vorgenommen

Daten aus dem Fragebogen
1. Stumpf, Viktor Genrichowitsch
2. Zeit und Ort der Geburt: Gebiet Saratow, Ortschaft Warenburg
3. Nationalität: deutsch
4. Bildung ----
5. Titel ------
6. Parteizugehörigkeit ____
7. Arbeits-/Beschäftigungsort___ Schmied
8. Berufstätigkeit --- Schmied
9. Regierungsauszeichnungen – Lenin-Jubiläumsmedaille, Veteran der Arbeit
10. Wo arbeitet oder lernt der heutige Rentner zum gegenwärtigen Zeitpunkt
11. Wohnanschrift: Russland, Region Krasnojarsk, Bezirk Jenisseisk, Ortschaft Nasimowo, Haus Nr. 110
12. Wohnort zur Zeit der Ausweisung: Gebiet Saratow, Ortschaft Warenburg
13. Deportiert wann: 1941
14. Eingetroffen am Bestimmungsgort: 1942
15. Zu diesem Ereignis vorliegende Dokumente: Zeugenaussage


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