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Norilsker „Memorial“ N° 1, April 1990

Unverfälschte Geschichte

Falls irgendwann einmal ein Wappen der Stadt Norilsk angefertigt werden sollte, empfehle ich als eine seiner Komponenten eine zweischneidige Brechstange, eine Spitzhacke und eine Schaufel in der Schubkarre mit hineinzubringen. Das wäre symbolisch gemeint und entspräche auch der Wirklichkeit – genau so, wie Hammer und Sichel in unserem Landeswappen.

Wollte man die Norilsker Geschichte anhand der Erinnerungen der ersten Komsomolzen im Hohen Norden schreiben, welche die „höchsten Pflichten“ auf sich nahmen – nämlich einen weiteren Winter durchhalten und erst mit dem Einsetzen der nächsten Schiffbarkeit der Flüsse im folgenden Jahr auf die „Große Erde“ abzufahren („Krasnojarsker Komsomolze“, VI-1977), dann wäre die Geschichte unvollständig, mehr noch, sie wäre unglaubwürdig und würde eine unausweichlich widernatürliche Realität darstellen. Aus solchen Erinnerungen ist es schwierig und sogar unmöglich, sich die Vergangenheit von Norilsk vorzustellen, besonders sein Wachstum.

Ohne die Rolle der Komsomolzen-Organisation schmälern zu wollen, muss man sagen, dass man Komsomolzen hier in den ersten Jahren nur selten begegnete; es gab sie nur vereinzelt oder – im günstigsten Fall – vielleicht ein Dutzend, aber Bauarbeiter konnte man mehrere tausend zählen. Doch gerade an sie, diese tausende von Menschen, erinnert sich niemand, als ob es sie überhaupt nicht gegeben hätte, als ob das Kombinat am Polarkreis auf ein Handzeichen des Leiters oder auf Grundlage eines Protokolls der Komsomolzen-Versammlung entstanden wäre.

Die norilsker Komsomolzen hatten in den Jahren 1937 und 1938 zweifelsohne ihre Schwierigkeiten. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass es nicht die schwierigsten waren. Wenn sie 1937 noch darüber diskutieren konnten, ob sie im Winter im Polargebiet bleiben oder lieber zurück auf das Große Land fahren sollten, so stellte sich diese Frage dem Hauptkontingent der Erbauer von Norilsk nicht. Sie hatten zu bauen – unabhängig vom Frost, ohne Rücksicht auf den schwarzen Schneesturm, den Mangel an Kleidung und Lebensmitteln. Skorbut, Nachtblindheit und andere Krankheiten wurden nebenbei behandelt – mit einem Stückchen roher Leber, einem Löffel gesalzenen Bärlauchs, einem grünen Kohlblatt.

In den 1940er Jahren hielten sich alle Norilsker mit Recht für Frontsoldaten. Sie förderten Metall, ohne das das Land, die Armee, der Flugzeug- und Panzerbau nicht auskommen konnten. Unaufhörlich wurden Fabriken errichtet, neue Bergwerke erschlossen, das Transportwesen vervollkommnet und mit dem Bau der Stadt begonnen. In Norilsk und Dudinka tauchten Sowchosen auf. Das Wärmekraftwerk produzierte die ersten Kilowatt. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie mitten in der Nacht, überall in der vorstädtischen Tundra mit aller Macht, irgendwie besonders feierlich, die Sirenen heulten, die man hier früher nie gehört hatte. Das war das Signal des Heizkraftwerks: nur so konnte es von seiner Funktionsbereitschaft Mitteilung machen. Die Bauleute versammelten sich nicht: dazu fehlte die Zeit.

Und die Arbeitsnormen wurden an allen Objekten erfüllt und sogar übererfüllt – und das geschah nicht durch die Vervollständigung der Werkbänke, Fahrzeuge und Ausrüstungen. Die Produktionswerkzeuge an vielen Objekten waren Schubkarre, Schaufel, Brechstange und Spitzhacke. Das sogenannte „Zehner“-System von Maßnahmen fand breite Anwendung bei allen Erd- und Bauarbeite; zehn Schaufeln, - eine Schubkarre, zehn Schubkarren – ein Kubikmeter, zehn Kubikmeter – das war die Norm! Selbstverständlich musste die Schaufel in diesem Fall sowjetischer Bauart sein, damit das Schaufelmaß auch den Anforderungen der von der staatlichen Normenbehörde festgelegten Standards entsprach.

Lieblinge und Kriecher, Kräftige und Schwache gibt es wohl seit dem Tag, als die Welt erschaffen wurde. Es gab sie in jenen Jahren auch in Norilsk, als die Qualität der Werkzeuge die Möglichkeit der Arbeitsnorm-Erfüllung bestimmte. Ich gehörte nicht zu den Kriechern, aber ich hatte großes Glück. In der Werkzeug-Ausgabe arbeitete mein Kamerad. Er gab mir immer die schwerste, beidseitig geschärfte Brechstange mit einem Aufsatz aus Pobedit (Hartmetall-Legierung; Anm. d. Übers.). Man konnte wenigstens drei Schichten in Folge ewig gefrorenen Lehmboden mit Geröll fördern. Das half ganz hervorragend, und ich stand nicht einmal hinter den Stärksten, hinter den Bestarbeitern zurück.

Während der Kriegsjahre wurde in Norilsk gleichzeitig auch die eigentliche Stadt errichtet. Das Heizkraftwerk, das große Metallhüttenwerk, die Kupferverarbeitungsfabrik sowie zahlreiche andere Objekte. Das nicht nur für die damalige Zeit grandiose Bauprojekt kam häufig ohne Fahrzeuge, Kräne, Bulldozer, Schürfwagen, Elektromotoren und andere Technik aus, ohne die es heute undenkbar wäre, auch nur einen einfachen Hühnerstall in der Kolchose zu bauen. Die Aufgaben der Kräne und Bagger aller Kapazitäten und Variationen erledigten Tragekörbe auf dem Rücken. Der lebendige Hebekran konnte in diesem Fall grenzenlos lang sein. Ziegelsteine, Steinblöcke, Zement, Kalk und andere Materialien wurden termingerecht unmittelbar vom Lager oder den Eisenbahn-Plattformwaggons bei den Bau-Stockwerken angeliefert.

Herantransportieren konnte das alles nur die Eisenbahn. Die damals in Betrieb befindliche Schmalspurbahn gab keine Garantie dafür, dass die Fracht aus wirklich rechtzeitig aus Dudinka herangeschafft wurde. Selbst durch einem nicht sehr heftigen Schneesturm wurde der Zug mitunter derart zugeweht, dass man zuerst einmal die Lokomotive mitsamt den Waggons finden und sie dann freischaufeln musste. Und wenn der Schneesturm über einen Zeitraum von 6-7 Tagen anhielt? Dann war es schwierig. Später fanden Ingenieure eine Methode zum Kampf gegen die Schneewehen an der Bahnlinie. Das waren tolle Kerle! Und eigentlich war es ganz einfach: man musste den Schnee nicht durch Schutzzäune von den Schienen fernhalten, sondern vielmehr einen ganz bestimmten Luftzug erzeugen, damit der Schnee, wie in einem aerodynamischen Rohr, über den Bahndamm fortgetragen würde. Und das ist die ganze Weisheit. Das Geniale ist immer simple!

Auf dem Fabrikgelände waren die Schneeverwehungen an vereinzelten Stellen so hoch wie die Dächer der Gebäude. Für Fußgänger stellt Schnee kein großes Hindernis dar. Aber für Züge, die von einer Fabrik zur nächsten fahren, müssen die Geleise und Weichen stets geräumt sein. Das tat man mit Hilfe von Schaufeln praktisch den ganzen Tag, und dennoch schien es, als ob die Gleise tiefer und tiefer in ihrem Bett versanken. Deswegen lag oberhalb des Grabens eine Schneedecke, es entstand ein Tunnel, der bis zum Frühjahr gut funktionierte. In den Tunneln war es warm und gemütlich, wie in der Metro. Es fehlte lediglich das Licht. Und mochte der liebe Gott einen nur davor bewahren, dass ein Zug kam! Da gab es nur einen Ausweg – vor ihm herrennen. Man konnte dabei von Glück sagen, dass die Züge langsam fuhren, und wenn man sich nach Kräften anstrengte, dann konnte man der Lokomotive entkommen.

Manchmal endeten solche Begegnungen mit einer Tragödie. Aber hier trifft niemanden irgendeine Schuld. Fußgängern ist es immer verboten, auf den Gleisen zu gehen. Wenn du nicht hören willst – dann hast du selber schuld.

Die heutige Schönheit – die Stadt Norilsk –auch Palmyra des Nordens genannt, auf das die Norilsker stolz sind und das von Kanadiern, Japanern und anderen gerühmt wird, entstand nicht plötzlich und nicht auf einer kahlen Stelle. Zuerst standen dort Holzhütten. Gewöhnliche, dickwandige, mit kleinen Abmessungen, niedrige und äußerst provisorische. Später kamen die Baracken: geräumige – von außen eingeschossig und drinnen in vielen Ebenen. Welches Bauprojekt der ersten Fünfjahrespläne kam ohne Baracken aus? Darin liegt nichts Besonderes. Es ist einfach so, dass ein derart hohen Koeffizient von einem Quadratmeter Boden- und Wandfläche in keiner anderen Art von Wohnhaus, in keiner anderen Zeit in der Geschichte der Menschheit jemals erreicht wurde.

Eine Baracke kann man in dieser Beziehung lediglich mit einem Schlafsack vergleichen. Hier
beträgt die „Wohnfläche“ pro Mensch bis 0,7 oder 0,8 qm. Versuchen Sie einmal, solche Ausmaße beim Bau eines Sargs zu erreichen – bei strikter Einhaltung der zur Verfügung stehenden Friedhofsfläche. Ein Barackenbewohner, hineingepresst in seinen Platz, ähnelt wahrscheinlich ehr einer Patrone in ihrem Patronenrahmen. Er fühlte sich „sicher“ und „gemütlich“, weil er von allen Seiten in die Wärme und das Schnarch-Geräusch seiner Kameraden gehüllt war.

Es gab, wie üblich „Shanghai“ und außerdem – das Dorf „Paschkina“, von dem es heute keine einzige Spur mehr gibt, aber zu der damaligen Zeit war es eines der bedeutendsten Wohnbezirke – ein einzigartiger Mikrorayon der Stadt, mit der charakteristischen Besonderheit „ländlicher Architektur“: die Holzhütten wurden sehr dicht beieinander gebaut. Für jede zusätzliche Behausung reichte es aus, drei Wände zu zimmern, und mitunter kam man sogar mit nur zwei aus. Hier gab es keine Straßen und Gassen, keine Plätze und Viertel. Man kam ganz ohne Ansprüche auf Stil und individuelle Ansprüche aus. Die Kommunikation geschah über ein Labyrinth von Ecken und Winkeln. Einen Adressaten ohne Wegweiser zu finden war praktisch unmöglich…

Auch heute muss ich mich wundern, weshalb so selten Feuer im Dorf „Paschkina“ ausbrachen. Schließlich wurden die Holzhütten mit Eisenöfen und gewaltigen Elektrolampen bis zu drei Kilowatt beheizt. Die Öfen waren aus dickem Eisen zusammengeschweißt. Wenn so ein „Kanonenofen“ gut angeheizt war, stieg die Temperatur in der Hütte auf 50-60 Grad, und selbst bei sperrangelweit geöffneten Türen drang Frost von minus 40 Grad nur langsam ins Innere.

Im Jahre 1947 bildeten zwei aus Ziegelstein errichte mehrgeschossige Häuser der Städtebau-Behörde den Sewastopol-Prospekt der heutigen Stadt. Diejenigen, die lange am Polarkreis gelebt haben, gewöhnt an den Frost, die elastisch federnden Schaumstoff-Matratzen und das Moos der Tundra, besuchten den Prospekt nur aus dem Grunde, um ein wenig auf dem Asphalt der Bürgersteige spazieren zu gehen und dann zu sagen:

- Ich bin gestern auf dem Bürgersteig gegangen!

Übrigens war es damals Fußgängern gemäß den geltenden Verkehrsregeln erlaubt, nicht nur die Fußwege, sondern auch die Fahrbahnen des Prospekts zu benutzen. Sie störten den Fahrzeug-Verkehr nicht. Um es ganz offen zu sagen: die Leute kamen vom Bärenbach und anderen entlegenen Orten zu dem berühmten Sewastopol-Prospekt nicht nur herüber, um harten Boden unter den Füßen zu spüren. Der Hauptgrund war ein ganz anderer. Mit der Entstehung echter Stadtwohnungen tauchten auf den Straßen Frauen auf und … Kinder.

Die ersten Kinder in Norilsk waren ein derart ungewöhnlicher Anblick, dass die erwachsenen Männer, wenn sie ihnen begegneten, jedes Mal stehenblieben, einige zogen den Hut, andere taten so, als ob ihnen ein Sandkörnchen ins Auge geraten war, manche wiederum drehten sich weg und rieben sich nachdrücklich die Wange.

So wurde Norilsk bevölkert. In organisierter Weise, mit Hilfe von Reisescheinen, aber nicht allein dem Ruf des Herzens folgend – das kam, das kam … erst später, aber die allerersten Siedler trafen mit Häftlingsetappen hier ein.

Ich musste, neben anderen Objekten, die zukünftige Nickelfabrik mit errichten, später arbeitete ich auch dort. Seit der Zeit, als von der Halbinsel Kola Fabrik-Einrichtungen für die Elektrolyse von Nickel eintrafen, wurde dieses Bauprojekt zum wichtigsten von allen, wenn man einmal von der Errichtung des Heizkraftwerks, ohne das man die Elektrolyse überhaupt nicht hätte realisieren können.

Mit einem Wort, 1942 waren alle Bauprojekte von immenser Bedeutung, aber die Nickel-Zeche war die aller-allerwichtigste. So also kam ich noch vor dem Vorarbeiter an die Baustelle. Wahrscheinlich kannte er (der Vorarbeiter) sich in Agronomie genau so wenig aus, wie ich in der Konstruktion von Raketen, weswegen wir auch schon sehr bald zu einer gemeinsamen Sprache fanden.

- Agronom?

- Ja.

- Das heißt, Du kennst Dich mit dem Boden aus!

- Man kann wohl sagen – das ist mein Element.

- Hervorragend. Dann kannst Du hier eine Zehnerbrigade bei den Erdarbeiten leiten.

Mir, der ich in die Ingenieur-Weisheiten überhaupt nicht eingeweiht war, war es vollkommen unverständlich, wie sich die riesigen Fässer mit Patschuk (dünnflüssige Beton-/Zement-Mischung; Anm. d. Übers.), die Filterpressen, die zukünftigen Elektrolyse-Wannen und andere sperrige Einrichtungen auf den unterschiedlichen Stockwerken, die eigentlich noch gar nicht existierten, halten konnten. Die komplizierte Verflechtung von Rohren und Armaturen, Beton und Ziegelsteinen halten sich wie ein Wunder in der Weite des Raums. Der „Wunder“-Effekt wird vermutlich durch die schlechte Beleuchtung der Baustelle noch verstärkt.

Unten tiefe Gräben, ausgehoben für die Fundamentlegung des Gebäudes, ruhten lange Zeit in Erwartung des Betons, denn die ganze Mischung wurde erst einmal auf den Berghinauf befördert – zu den Objekten, deren Fertigstellung noch dringlicher war. Es kam jedoch vor, dass, wenn ein Graben in aller Eile ausgehoben wurde, man die Holzverschalung anbrachte, den Beton einfüllte und, sobald die Technologie verfügbar war, auf dem kurzfristig gelegten Fundament eine Wand oder Stützpfeiler errichtete.

Selbstverständlich ruhten die Erdarbeiten nicht durch meine Schuld. Ich war als Leiter einer Zehnerbrigade nicht schlechter als die anderen. Ich kannte mich gut mit der Kategorie des ausgehobenen Untergrunds aus, konnte mit einem Blick den Rauminhalt ermitteln, unterzeichnete rechtzeitig den Arbeitsplan für die Brigadiere und übergab ihn dann dem Vorarbeiter, und natürlich „übertrieben“ die Arbeiter den tatsächlich geleisteten Arbeitsumfang.

Mögen meine Nachfahren es uns verzeihen – uns, den Hungernden und Frierenden. Denn das damalige „Hinzuschreiben“ war die einzige Methode für materiellen und seelischen Ansporn. Alle wussten das – vom Vorarbeiter bis zum Ober-Ingenieur.

Der Bau der Fabrik ging schnell voran, und in Betrieb ging sie schon lange vor Beendigung der Bauarbeiten. Man brauchte die hergestellten Produkte wohl ziemlich nötig. Einige Gräben, die ebenfalls für Fundamente gedacht waren, wurden nicht mit Beton ausgegossen, und mich hatte man bereits als Zehnerbrigade-Leiter in die technische Kontroll-Abteilung der Schlammwasser-Station.

Jetzt kann ich mich schon nicht mehr daran erinnern, aus welchen Gründen sie den Meister und die zehn Brigade-Arbeiter zusammenstellten. In meine Werkstatt geriet ich wahrscheinlich deswegen, weil Schlamm der guten südlichen Schwarzerde sehr ähnlich ist. Und vielleicht auch, weil ich dem Ober-Ingenieur der Fabrik gewandt und ohne zu stocken die chemischen Formeln für Schwefelsäure und Kupferoxyd nennen konnte – das war etwas, was der mittlere Kommandostab unbedingt wissen musste.

Die Schlamm-Abteilung ist deswegen so gut, weil es hier nicht zieht und so warm ist, dass man sich vor Verbrennungen nur mittels einer Jacke aus speziellem Tuch retten konnte. Aber über zu viel Wärme im Winter beschwerte sich in Norilsk niemand.

Nach dem Brennen im Muffelofen wurde der Schlamm in doppelte Baumwoll-Taschen verpackt, anschließend in Kisten aus Spundbrettern und dann ins Lager für Fertigprodukte geschickt. Von da ging es per Flugzeug nach Krasnojarsk. Wahrscheinlich war das im Schlamm enthaltene Platin nicht weniger notwendig als Nickel - weshalb wäre man sonst so sorgfältig und behutsam damit umgegangen?

Die Arbeiter unserer Zeche waren stolz auf ihre privilegierte Stellung. Sie mussten angesichts des Fehlens von Kränen nicht wie die anderen Fässer mit kaustischem Soda, Säcke mit Pulver und Chemikalien auf unseren Schultern schleppen oder auf den Etagen frieren, auf denen es noch keine Wände gab. Im Übrigen benahmen sich die Arbeiter dort, wo Erz geschmolzen oder gegossen wurde, so, als wenn sie zumindest einen Kopf größer wären, als die anderen Sterblichen. Professionelle waren sie! Weniger berühmte entluden beispielsweise Schlacke von Eisenbahnwaggons, - und das war wohl die schwerste und unangenehmste Arbeit.
Nur gut, wenn die schlacke bröckelig ist: nimm ein bisschen mehr auf die Schaufel, wirf sie häufiger hoch – und gegen Abend wird die Plattform leer sein. Schlecht ist es, wenn die Schlacke sich als monolithische, kochende Masse darstellt, ähnlich der erstarrten Lava eines Vulkans. Mit der Schaufel kannst du in dem Fall gar nichts ausrichten. Mit lautem Klirren prallen Brechstangen und Spitzhacken ab. Niemand versucht dir zur Hilfe zu kommen. Man kann einzig und allein auf das eigene Können, seine eigene Kraft zählen. Die gesamte Brigade schlägt auf eine Stelle, damit irgendwann ein Riss entsteht, in den man die spitze Brechstange hineintreiben kann. Danach teilt man den Klumpen mit einem Hebel in 2-3 Stücke und stößt diese dann von der Waggon-Plattform.

Die Schlacke-Halde des großen Metallhüttenwerks stellt sich mir heute als Ort dar, an dem die am wenigsten geliebten Söhne der Fabrik arbeiteten. Und beim Bau der großen Anreicherungsanlage gaben sie manch einem täglich bei Schichtende 100 Gramm Schnaps. Sie wurden von vielen beneidet, die der Ansicht waren, dass die Anreicherungsarbeiter eine Menge Glück gehabt hätten. Natürlich war das hier weder eine Frage des Glücks, noch der Gutmütigkeit seitens des Bau-Leiters; es ging vielmehr darum, dass die tiefen Gräben, die für das Fundament des Gebäudes ausgehoben wurden, ständig mit Wasser vollliefen. Bevor man also den Beton hineingießen oder mit dem Ausheben der Grube fortfahren konnte, mussten sie das Wasser mit einer Feuerwehrpumpe herauspumpen, es mit Eimern hinausschleppen und mit Schaufeln wegschöpfen, und egal, wie vorsichtig man auch war, zum Ende des Tages war man vollständig durchnässt. Besonders unangenehm war es mit diesen Taufbecken im Winter; da wurden dann 100 Gramm Schnaps zum prophylaktischen Erhalt der Gesundheit ausgegeben. Leider konnte der geplante gute Zweck nicht immer verwirklicht werden. Der Schnaps geriet in den Einzugsbereich des Brigadiers, für dessen Ehrlichkeit man sich nicht immer verbürgen konnte.

Meine Erinnerungen an Norilsk – sind nur die kleine Information eines Augenzeugen, ein Einschub in die Geschichte der ruhmreichen Stadt und des Kombinats.

Nikolaj Suprunenko

Der Artikel wurde 1977 für die Zeitung „Krasnojarsker Arbeiter“ geschrieben. Er wurde nie veröffentlicht.


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