Ich kann nicht verzeihen
Nach dem Verlassen der Todeszelle im Nowosibirsker Gefängnis musste ich die allerschlimmste Erfahrung in eben diesem selben Jahr 1938 am Lagerpunkt „Ziegelfabrik“ durchmachen. So etwas würde ich nicht einmal meinen ärgsten Feinden wünschen… Der Polar-Sommer war trocken, sonnig, die Lagerleitung war bemüht, die Pläne für die Bau- und Montage-Arbeiten zur Errichtung einer zweiten Fabrik mit Macht voranzutreiben und den Frostboden rechtzeitig für den zukünftigen Ton-Tagebau zu öffnen. Die Normen für den erhalt einer vollen Essensration waren ungeheuer groß. Bei den Antreibern und Aufsehern wurde kein Mangel beobachtet, und die Gefangenen kehrten nach einem anstrengenden Tag dermaßen erschöpft in ihrer Baracke zurück, dass sie nach dem Abendessen sofort todmüde auf ihre Pritschen fielen.
Keiner von ihnen konnte wissen, wann und wen von ihnen man in der kommenden Nacht wecken würde.
Die völlig ermüdeten Leute schlafen; eine kleine Lok mit zwei Plattform-Güterwagen nähert sich dem Lager. Auf dem einen befindet sich eine Gruppe Mitarbeiter der 3. oder, wie sie selber sich gerne nannten, „der operativen Tschekisten-Abteilung. Die kleine Lok bremst ab, die „Tschekisten“, genauer gesagt – die Henker und Vollstrecker, welche, anstatt mit roten Kaftanen, mit einer Militäruniform bekleidet sind, wie auf Kommando gleichzeitig abspringen. Die Lok entfernt sich in Richtung Walok, während diese Bande das Kontor betritt, sämtliche Arbeitsanweiser zu sich ruft und die Listen präzisiert – wer sich in welcher Baracke befindet; der „Militär-Mann“ geht mit dem Anweiser, die Liste in seiner Hand haltend. In der Baracke nennt er ganz leise, nach Diebesart, die Nachnamen der Verurteilten; der Anweiser weiß nicht nur, wie jeder aussieht, sondern auch, wo er schläft. Er tritt an einen schlafenden Mann heran und weckt ganz leise den noch lebenden Toten:
- Mach dich fertig! Es geht auf Etappe!
Und der Henker fügt hinzu: „Komm mit!“ Diese ganze Erklärung geschieht beinahe im Flüsterton. Die Herausgerufenen versammeln sich am Wachhäuschen, und dann wird die Gruppe, 30-40 Leute, weggebracht…
Von solchen Nächten gab es in den Monaten Juli und August nicht nur eine oder zwei. Auf Etappe nach Norilsk-2 ging auch mein Landsmann Alexander Masur aus der Umgebung von Nowogrudok, im Gebiet Grodno. Auch der Spaßmacher und Witzbold, der Sanitätsarzt Letkow, und viele-viele andere fuhren ab, die bereits in Gefängnissen gesessen und sich auch in Lagern schon eine Zeit lang herumgequält hatten. Keiner von ihnen konnte vermuten, dass ihnen ein derart schwarzes Ende ihres Lebenswegs zuteil werden sollte.
Bis zum heutigen Tage füllt sich bei den Worten „Norilsk-2“ die Seele mit tiefem Hass gegenüber den Henkern
Stadt Bijsk