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Norilsker „Memorial“, Ausgabe 4, Oktober 1998

Aus der Geschichte der industriellen Erschließung der Arktis (Nordwik)

Oksana Karpatschewa, Multi-Profil-Gymnasium, N° 11, 1995

…Zum Jahr 1932 tauchten in den Territorien, die unmittelbar am Ufer des Nördlichen Eismeers gelegen sind, die ersten Industriezentren auf. Im Jenisejsker Norden entstand die Holzexport-Industrie von Igarka, man schuf Kohlegruben im Norden Jakutiens, Goldförderungsanlagen an der Kolyma, und die geologischen Untersuchungen in verschiedenen Gegenden der Arktis wurden fortgesetzt.

Die Industrialisierung des Nordens vollzog sich mit voller Wucht und flächendeckend durch die Propaganda der Romantik und der Arbeitshelden unter extremen Bedingungen – zum Wohle der aufblühenden Heimat. Die entlegene Bezirke wurden sowohl von Freiwilligen als auch von unfreien Gefangenen, Verbannten und Sonderumsiedlern erschlossen. Sie waren es, die mit „bloßen“ Händen die allernördlichsten Schachtanlagen, Eisenbahnlinien, Siedlungen und Städte errichteten und Bodenschätze förderten. Die Freiwilligen, die aufgrund der Aufrufe der Sowjet-Propaganda „anbissen“, empfanden sich nicht als Helden, die als erste den Zugang zu diesen Orten ermöglichten. Von den Unfreien unterschied sie das relative Maß an Freiheit und der erbärmliche Lohn. Alles andere – die Schwerstarbeit, das Fehlen normaler Alltagsbedingungen, das Hungerdasein, Krankheiten und Invalidität war ihnen allen gemeinsam.

Ein Beispiel für so ein Erschließungsprojekt ist Nordwik (in der Übersetzung aus dem Norwegischen = „nördliche Bucht“). Die Bucht von Nordwik, gelegen am südwestlichen Ufer der Laptew-See, zwischen den Halbinseln Chara-Tumus im Westen und Nordwik im Osten, wurde von Chariton Laptews Expedition im Jahre 1737 entdeckt.

Und 200 Jahre später entstanden auf dem unbewohnten Flecken Erde, in tiefster Einöde und Kälte, die ersten Häuser, Bohrtürme, Industrieanlagen, Salzminen und Kohlegruben. Außer dem Hafen von Nordwik wurden auch Arbeiten in den Siedlungen Nordwik-Salz, Ugolnij (Kohle-; Anm. d. Übers.), Koschewnikowo, Kap Ilja, Tigjan, Kutuj u.a. realisiert.

Aber all diese Bemühungen erfüllten die Erwartungen nicht und rechtfertigten auch nicht die in sie investierten Geldmittel. Nordwik hörte als Industriebezirk und Base des Nordmeer-Seewegs bald nach dem Tod des großen Führers auf zu existieren.

Über Nordwik steht fast nichts geschrieben, mit Ausnahme einer geografischen Auskunft in der Großen Sowjetischen Enzyklopädie sowie ein paar spärlichen Informationen über geologische Untersuchungen in der „Geschichte der Eröffnung und Erschließung des Nordmeer-Seewegs“ von M. Below. Bekannt war, dass das Norilsker Kombinat zu Kriegszeiten mit dem Salz aus Nordwik versorgt wurde. Manche Geschichtsforscher des GULAG vermuteten, dass sich in Nordwik ein Gefangenen-Lager befand, und dass sie es waren, die all die schwierigen Arbeiten ausführten. Um dies zu überprüfen, organisierten das Museum der Geschichte des Norilsker Industriegebiets und die Norilsker „Memorial“-Gesellschaft die Expedition „Nordwik-90“. Die Teilnehmer der Forschungsreise besichtigten die verlassene Siedlung mit den eingestürzten Häusern und Friedhöfen, der verrosteten Technik, und nahmen von dort Alltags- und Arbeitsgegenstände mit sowie Dokumente, die dabei behilflich waren, die Wahrheit über Nordwik zu erfahren.

Das Nordwiker Archiv wurde während der Evakuierung im Jahre 1953 nicht mit abtransportiert – offensichtlich hat man es bei all der Hektik schlicht und ergreifend vergessen. Dem Zufall ist es zu verdanken, dass es fast 40 Jahre lang unter freiem Himmel lag. Diese Dokumente sowie Materialien aus den Moskauer Archiven bildeten die Grundlage für die vorliegende Arbeit, deren Ziel es ist, die grausamen sozialistischen Methoden der industriellen Erschließung der Arktis aufzuzeigen.

Im ehemaligen Zentralen Partei-Archiv ist ein Dokument erhalten geblieben – der Entwurf einer Anordnung des Zentralkomitees der WKP (B) „Über das Norilsker Salz“, welches von den Leitern der GUSMP* - O.J. Schmidt und S.A. Bergawin (dem Leiter der politischen Abteilung der GUSMP, der später der Verfolgung ausgesetzt war) vorbereitet wurde und in dem folgender Punkt zu lesen steht: „Es ist dem Volkskommissar für innere Angelegenheiten, dem Genossen Jagoda der Vorschlag zu unterbreiten, der GUSMP zum Sommer 1936 bis zu 1000 Lagerhäftlinge für den Aufbau von Bergwerken in Nordwik bereitzustellen“.

* Hauptverwaltung des Nordmeer-Seewegs

Ein Lager wurde für die Gefangenen in Nordwik nicht eingerichtet, aber die GULAG-Verwaltung hatte trotzdem etwas damit zu tun, wenngleich nicht in dem Umfang, wie es eigentlich geplant war. Aus Archiv-Materialien geht hervor, dass die Auswahl der Arbeiter durch die Kader-Abteilung der Behörde für Bergbau und Geologie erfolgte. Gemäß einem Abkommen zwischen dem „Nordwik-Bauprojekt“** und dem GULAG des NKWD vom 27. Mai 1936 wurden für die Durchführung der Arbeiten im Salzstock Spezialisten aus Archangelsk (186 Mann) und Wladiwostok (113 Mann) übergeben. Die Anwerbung des verbleibenden Kontingents erfolgte durch das Moskauer Kontor des „Nordwiker Bauprojekts“ in Moskau oder anderen Städten mittels der Bevollmächtigten, und zwar durch da Abschließen individueller Arbeitsverträge. Es ist unverständlich, wozu die GUSMP von der GULAG-Verwaltung 1000 Mann anforderte, wenn gleichzeitig Sonderumsiedler aus Wladiwostok zurückgeschickt wurden.

** Russisches Staatsarchiv für Ökonomie, Fond 9570, Verz. 2, Akte 2047, Blattsammlung 27-61

Zum Jahr 1937 arbeiteten im „Nordwiker Bauprojekt“ vor Ort 114 Personen, 96 von ihnen waren Umsiedler. Aber nicht einmal dieser geringen Anzahl Menschen konnten sie genug zu essen geben: im September wurden 23 Mann aus Mangel an Lebensmitteln an das „Nord-Bauprojekt“ abgegeben und mit Kuttern abtransportiert. Etwas später trafen 65 Personen mit zwei Schiffen, der „Kusnezstorj“ und der „Krasin“ ein. Die Ankömmlinge wurden dahingehend orientiert, dass das „Nordwik-Bauprojekt“ ein Umschlagplatz sein sollte, dessen Aufgabe darin lag, Menschen aus dem Polargebiet in Richtung „Festland“ zu verfrachten. Dementsprechend forderten viele ihre Verschickung auf das Festland. Natürlich wurde dieser Wunsch nicht sofort erfüllt, denn der Konzern brauchte ja die Transportmittel für seine Produktionsbelange.

Nichtsdestoweniger wurden jedoch auch Arbeitskräfte auf den Kontinent abtransportiert, bei denen es sich in erster Linie um körperlich geschwächte Personen handelte. Psychische Erkrankungen, Blutarmut, Furunkulose, Geschwüre und andere Krankheiten gehörten zum allgemeinen Erscheinungsbild bei den in der Arktis überwinternden Menschen. Dieser Umstand wurde noch durch die unzureichende Ernährung, den Mangel an Vitaminen, schlechte Kleidung und die allgemeinen Lebensbedingungen verschärft. Die Arbeiter wohnten in Häusern, die in zwei Schichten aus Brettern zusammengesteckt waren; den Zwischenraum hatte man mit Kohle oder Holzspänen zugeschüttet, damit es wärmer war, aber die Kälte kroch trotzdem durch alle Ritzen. Es war unmöglich unter derartigen Bedingungen gesund zu bleiben.

Bei all dem wurden in Nordwik in erster Linie Parteiorganisationen, politische Abteilungen und eine Miliz geschaffen. Außerdem ein Straf-Isoliergefängnis für Leute, welche die geltende Ordnung verletzt hatten und über deren weiteres Schicksal das örtliche Gericht verfügte. Diejenigen, die sich etwas hatten zu Schulden kommen lassen, wurden in Besserungs-/Arbeitslager geschickt (was für ein Glück, dass man gute Kontakte zu ihnen hatte). Doch ungeachtet aller Schwierigkeiten und anfänglichen Misserfolge gab es zum Jahr 1937 in Nordwik doch genügend Arbeitskräfte und Ausrüstungsgegenstände für die weitere Arbeit. Das „Nordwik-Bauprojekt“ begann mit dem Salzabbau auf der Halbinsel Jurung-Tumus und in der Bucht von Koschewnikow noch in demselben Jahr, indem es organisiert worden war.

Bis 1939 befasste sich die GUSMP weiter mit der Erkundung von Salzvorkommen und gab dabei zwischen 1933 und 1939 für die Suche 37252 Rubel aus – und in den Jahren 1940 und 1941 noch einmal 37931 Rubel. All diese Aktivitäten brachten nicht den gewünschten Effekt, denn bei den Forschungstätigkeiten wurde vor allem eine niedrige Salzqualität festgestellt. Doch selbst dieser schwerwiegende Grund konnte die weiteren Arbeiten nicht stoppen. Neben der Salzqualität hatte man noch einen weiteren Umstand außer Acht gelassen. Um während der schiffbaren Zeit des Jahres (25-30 Tage) etwa 100000 Tonnen Salz auf dem Wasserwege abzutransportieren, wären 25-30 Schiffe nötig gewesen, und die Verladung hätte 45 und mehr Tage in Anspruch genommen. Wie man sieht, war das ganze Unterfangen mehr als unrealistisch, und außerdem wäre für das Durchlotsen dieser salzbeladenen Schiffe bis nach Kamtschatka und andere Orte die Verfügbarkeit der gesamten Eisbrecher-Flotte notwendig gewesen. Aber leider kam die Administration des „Nordost-Passage“ erst 1948 zu dieser Schlussfolgerung, also ganze zwölf Jahre nach dem Beginn des grandiosen, „gewinnbringenden“ Projekts.

Während des Krieges stellte die Regierung der GUSMP und dem „Nordwik-Bauprojekt“ eine ganz konkrete Aufgabe – sie sollten mit den lokalen vorhandenen Salzreserven die Fischindustrie des Fernen Ostens, das Norilsker Kombinat sowie die ortsansässige Bevölkerung versorgen. Um diese Aufgabe erfüllen zu können beginnt man mit der Zulieferung von Ausrüstungs- und Einrichtungsgegenständen aus den USA. Diese im Rahmen des Land-Lease-Abkommens gewährte Hilfe wurde in Gold bezahlt, welches an der Kolyma gefördert wurde. Interessant ist die Tatsache, dass das Salz von schlechter Qualität war und alle Bezirke, die es bekamen damit äußerst unzufrieden waren. Aber nichtsdestoweniger wurde es auch weiterhin gefördert und ausgeliefert.

In den Jahren des Krieges wuchs Nordwik merklich an. 1945 wurde, wie aus dem Jahresbericht ersichtlich ist, für die Bergwerksverwaltung von „Nordwik-Salz“ das Jahr, in dem es aus einer Hilfswirtschaft zu einem normal funktionierenden Industrie-Unternehmen organisiert wurde. In demselben Jahr 1945 wurde das geförderte Salz aus Mangel an Arbeitskräften nicht abtransportiert, sondern vorübergehend eingelagert. Die Primitivität der Einrichtung der unterirdischen Schachtanlagen, die lange Lagerung des Salzes in offenem Gelände, ohne irgendeine einstweilige Verarbeitung, sowie der Transport des Salzes in selbstgebauten, eigentlich ungeeigneten Loren wirkten sich noch negativer auf dessen Qualität aus und gaben schließlich den Anlass für merkliche Verluste. Die Kommission, die von der Bergwerksverwaltung organisiert wurde, stellte fest, dass die Verluste des Jahres 1945 mehr als 9000 Tonnen ausmachten. Aber wozu wurde das Salz dann gefördert? Womit wurde diese Unüberlegtheit und Unwirtschaftlichkeit gerechtfertigt? Es stellt sich die Frage, aus welchem Beweggrund man etwas beschafft, was nirgends gebraucht wird. Natürlich hingen die Arbeit aller Unterabteilungen der Bergwerksverwaltung sowie Leben und Alltag der Arbeiter von der Versorgung mit allem Notwendigen ab. Mangel bei der Versorgung wirkten sich ungünstig auf die Produktion aus, denn es gab beispielsweise durch das Fehlen von Elektrobohrern Fälle, in denen die Arbeit im Kohlenschacht tagelang zum Stillstand kam. Der Mangel an Unterwäsche und Decken bei einem Großteil der neu eingetroffenen Arbeiter schuf völlig unzulängliche Lebensbedingungen in der Mine. Und ein Teil der defizitären Materialien, die für den Produktionsbedarf angeliefert worden waren, wurden nicht bestimmungsgemäß genutzt. Eine ganze Reihe von Erschwernissen löste die Unzulänglichkeit der Versorgungsabteilung aus, aber auch der Umstand, dass die Lagerräume von „Nordwik-Salz“ weit vom Hafen entfernt lagen und lediglich temporäre Räumlichkeiten darstellten, die für eine längere Aufbewahrungsdauer von materiellen Werten keineswegs geeignet waren. Platzmangel und schlecht eingerichtete Räumlichkeiten zwangen die Leute, ihre Ausrüstungsgegenstände in Kisten im Freien zu verwahren, was zu Beschädigungen und einer schnellen Ausmusterung der Objekte führte. Auch heute noch liegen im Nordwiker Boden ungeöffnete riesige Kisten mit amerikanischen und sowjetischen Werkzeugen.

Aber es waren nicht nur Produktionsprobleme, die wegen unvollständiger Lieferungen nicht rechtzeitig gelöst werden konnten. Auch die Menschen litten, weil sie keine warme Fell-Kleidung unter den Bedingungen des arktischen Klimas besaßen, und oft reichten auch die Lebensmittel nicht, um die Zeit bis zur nächsten Schiffbarkeit der Flüsse zu überbrücken. Und manchmal kam es vor, dass Ausrüstungsbedarf geliefert wurde, man jedoch die Lebensmittel vergessen hatte mitzunehmen. Wahrscheinlich erklärt gerade diese Vergesslichkeit die Tragödie, die sich 1948 in Nordwik abspielte, in Folge derer Hunger herrschte und viele Bewohner für immer „Quartier“ im ewigen Frostboden bezogen. Als erstes starben die Kinder. Von den 96 Grabstellen des Nordwiker Friedhofs gehört die Hälfte ihnen. Viele davon datieren aus dem Jahr 1948. Das findet darin seine Erklärung, dass bei den Müttern aufgrund der mangelhaften Ernährung die Milch wegblieb und sie nichts hatten, womit sie ihre Säuglinge hätten ernähren können. Und das war die Losung – „Das Beste für die Kinder“.

Laut Bestand am 31.12.1945 umfasste das gesamte Kontingent von „Nordwik-Salz“ 498 Personen, den Kohleschacht in Nordwik, Kotuj und am Kap Ilja mit eingeschlossen. Inmitten dieses Bildes am charakteristischsten der Salzstock mit einer Gesamtzahl von 336 Personen. Davon waren 261 Männer und 75 Frauen. Es gab 24 Minderjährige, 35 Menschen, die nicht arbeitsfähig und 39, die aufgrund einer ärztlichen Bescheinigung eingeschränkt arbeitsfähig geschrieben worden waren.

Hier waren Neurasthenie, Erkältungskrankheiten, Bandscheibenschäden, Hauterkrankungen, verschiedene Formen der Gastritis als überwiegende Mehrheit der Magen-Erkrankungen ständig präsent. Man hat das Gefühl, dass es unter allen Arbeitern nicht einen einzigen gesunden Menschen gab. Kälte, eisiger Frost, beißender Wind und die alle Kräfte übersteigende Schwerstarbeit blieben auch nicht ohne Auswirkungen.

Was waren die ersten und letzten Bewohner Nordwiks für Menschen? Das statistische Durchschnittsalter belief sich auf 18-35 Jahre. Die nationale Zusammensetzung gestaltete sich vielfältig: Russen – 258, andere – Weißrussen, Tataren, Jakuten, Juden, Usbeken, Türken, Kirgisen, Armenier, Chakassen, Udmurten, Burjaten, Tschuwaschen, Mordwinen.

Vom gesamten Arbeiter-Kontingent waren 185 Personen vorbestraft, ihre durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Arktis betrug 5-6 Jahre. Über eine höhere Bildung verfügen 8 Personen, über eine nicht abgeschlossene höhere Bildung 2, 30 haben den mittleren Bildungsweg beendet, die übrigen Arbeiter haben keine oder nur eine sehr niedrige Grundausbildung genossen. Die Aufklärungsarbeit der Partei findet in Nordwik so gut wie kein Echo. Dafür aber kennen alle den besten und redlichsten Philosophen und Aufklärer Lenin und alles Übrige – nicht unbedingt.

1945 wurden wegen Verletzung der Arbeitsdisziplin verurteilt: 31 Personen – die Urteile lauteten: bei 20 Personen – Haft zwischen 3 und 10 Tagen; bei 14 Personen wurde die Akte ans Gericht übergeben. Zumeist waren die Übertreter der Ordnung neu eingetroffene Arbeiter, die man in Norilsk angeworben hatte, und Frauen, die in der Region Krasnojarsk mobilisiert worden waren. Dazu muss angemerkt werden, dass die Aufstockung mit Arbeitskräften sich 1945 als am wenigsten gelungen herausstellte. Die große Anzahl ehemaliger Gefangener im Kollektiv erschwerte zumindest die Arbeit der Administration, wirkte sich jedoch auf die Arbeitsfähigkeit des Kollektivs insgesamt gesehen äußerst unbedeutend aus.

Heute kann man mit Gewissheit sagen, dass Nordwik sich in der ersten Etappe seiner Inbetriebnahme überlebte. Zum Jahre 1948 hin zeichneten sich die Grenzen des Abgrunds, auf den es zusteuerte, bereits deutlich ab. Dies schrieb der Leiter der Nordwiker Politabteilung der Massenmedien – Michail Lawruschenkow – in einem schriftlichen Bericht an den Ministerrat der UdSSR und die GUSMP: „Da der Bezirk bewohnbar gemacht und zur Basis des Nordmeer-Seeweges geworden ist, wurde infolge der erfolglos verlaufenen Erdölerkundung beschlossen, sich stattdessen mit der Förderung von Steinsalz zu befassen. Die Fördermaßnahmen verliefen in einer vollkommen unorganisierten Art und Weise, und aufgrund mangelnder Erfahrung, einer unkorrekten Lenkung der Bergbau-Arbeiten und der äußerst schwierigen hydrogeologischen Bedingungen stürzten beide Schachtanlagen – zuerst der vertikal verlaufende und dann auch der nach unten geneigte nach mehrmaliger Überflutung ein, wodurch die Fundstätten dann endgültig unbrauchbar gemacht wurden.

Später, als man dann genauere Angaben zur Verfügung hatte, wurde ein kapitaler Salzstock Gegenstand der Projektierung. Die Produktion minderwertiger Qualität und der Abtransport waren von großen Schwierigkeiten begleitet.

Schlussfolgerungen

1. Man soll und muss den Abbau der Nordwiker Fundstätten durchführen, jedoch unter Berücksichtigung der unklaren Sachlage bezüglich des Abtransports des Salzes an die Orte, in denen es benötigt wird, der teuren Arbeitskräfte sowie der langsamem Wirkung der gemachten Kapitaleinlagen müssen letztere beschränkt und auf ein Minimum gekürzt werden.

2. Die Organisation und die Ausbeutungsmaßnahmen des Salzstocks sind an das Norilsker Kombinat zu übertragen, um hier ein Gefangenenlager zu schaffen, deren Insassen bei allen Arbeiten, die mit dem Bau und der Anlage des Nordwik-Komplexes und seiner weiteren Ausbeutung in Zusammenhang stehen, als billigstmögliche Arbeitskräfte eingesetzt werden können, wobei der Komplex aus der Zuständigkeit der GUSMP auszugliedern ist“.

Die Übertragung des Salzstocks ans Norilsker Kombinat fand nicht statt. Offensichtlich war die Administration des Norilsker Kombinats in dieser Frage kompetent genug, um die ganze Unbesonnenheit und Tollkühnheit dieser Idee zu begreifen. Infolgedessen erfolgte die Inbetriebnahme Nordwiks ganz mechanisch, ganz aus Gewohnheit, und funktionierte bis zum legendären Jahr 1953 – danach kam der Zerfall. Es stellt sich die Frage, ob man dieses Vorhaben vielleicht als misslungenes Experiment werten soll, es so nehmen wie es ist und dann die Sache einfach vergessen. Aber es geht darum, dass ähnlich Fälle eine ganz alltägliche Erscheinung waren. Die ganze Küste der Arktis war übersät von vergleichbaren Vorhaben (in der Tat wieder einmal vollkommen unnötigen, über die man heute schon nichts mehr hört).

Aber das, was an diesen ganzen Plänen und Ideen meiner Ansicht nach am unmenschlichsten ist – das sind die vernachlässigten Friedhöfe mit all den Kindergräbern und den erhaltenen Täfelchen darauf: „Dem geliebten Töchterchen“ oder „Dem geliebten Söhnchen von d3en Eltern“. Und vor diesen Gräbern verneigen sich schon seit langer Zeit nur noch die Vögel und seltene arktische Blumen…


In der Siedlung Juchnij Tigjan, 1900


Schiffs“friedhof“ in Nordwik (Fragment), 1990


Dokument gefunden während der Expedition nach Nordwik 1990.
Das Kärtchen datiert aus dem Jahre 1945


Einwohner von Nordwik, 1940er Jahre


Friedhof in der Siedlung Solerudnik (Salzstock; Anm. d. Übers.), 1990

Norilsker Memorial 4, Oktober 1998
Ausgabe des Museums für die Erschließung und Entwicklung des Norilsker Industriegebiets und der Norilsker „Memorial“-Gesellschaft


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