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Norilsker „Memorial“, Ausgabe 5-6, Oktober 2010

Dmitrij Kormakow. Das “J.W. Stalin”-Denkmal

In den 1940er und 1950er Jahren wurde in praktisch jeder Stadt der Sowjetunion ein Denkmal, mitunter auch gleich mehrere, zu Ehren des Vaters der Völker – J.W. Stalin, errichtet. Norilsk bildete da keine Ausnahme. In den Museumsfonds werden Fotografien verwahrt, auf denen man das Stalin-Denkmal sieht, welches (in der Stadt) auf dem Territorium des „Trud“-Stadions (des Eingangs ins Stadion) steht. Es ist bekannt, dass das zwe8ite Denkmal zu Ehren Stalins in Norilsk auf dem Platz vor dem Bahnhof errichtet wurde.

Die Geschichte des Baus des J.W. Stalin-Denkmals, welches sich vor dem Bahnhof befindet, ist in den Erinnerungen von Dmitrij Iwanowitsch Kormakow dargestellt – dem Ingenieur und Architekten des Projektkontors des Norilsker Kombinats und Häftling des Norillags von 1941 bis 1951.

D.I. Kormakow studierte vor seiner Verhaftung am 04.04.1941 am Moskauer Institut für Architektur. Nachdem er gemäß § 58-10 Abs. 1 zu 10 Jahren verurteilt worden war, schickte man ihn nach Norilsk. Er arbeitete ebenfalls in der Nördlichen Verwaltung beim Bau der Bahnstrecke Salechard – Igarka. Am 10.02.1951 wurde er freigelassen. Vom 01.07.1952 bis 25.05.1968 war er im Projekt-Kontor des Norilsker Kombinats tätig.

Während seines Aufenthalts wurde vom Direktor des Norilsker Bergbau-und Metallurgie-Kombinats Swerjew (W.S. Swerjew war Chef des Norilsker Kombinats von 1948 bis 1954), in der Fabrik für Skulpturenfertigung in der Stadt Mytischtschi eine aus Einzelteilen montierte Statue für das „J.W. Stalin“-Denkmal bestellt. * (Hier wurde der Original-Stil des Dokuments gewahrt).

Für die frachtfreie Lieferung und Montage des Denkmals war der Platz vor dem Gebäude des damals gebauten (1953) Bahnhofs in Norilsk vorgesehen. Die Bestellung erfolgte etwa 1951. Damals hatte der Direktor des Kombinats eine ganze Partie fertige Büsten von Staatsmännern erworben (unter anderem auch Büsten von M.I. Kalinin, S.M. Kirow, Woroschilow und anderen – Gerüchten zufolge ungefähr 10 Stück), die zur Aufstellung an verschiedenen Stellen der Stadt gedacht waren. Die Bestellung würde ausgeführt, doch aus mir nicht bekannten Gründen traf die Partie fertiger Büsten früher in der Handelsabteilung ein, als die Einzelteile des „J.W. Stalin“-Denkmals. Letztere wurden, ebenfalls aus unbekannten Gründen, nach Igarka geliefert. Dort machte man sie 1953 ausfindig und lieferte sie dann, im Sommer 1953 am Stützpunkt der Handelsabteilung in Norilsk an.

Zu der Zeit befand sich das Lager der Handelsabteilung, von der hier die Rede ist, am Eisenbahnübergang der Bahnlinie, welche zur Holzverarbeitungsfabrik führte, d. h. gegenüber des dreistöckigen Gebäudes der ehemaligen „alten“ Verwaltung.

Laut Swerows Verfügung, war als erstes die Errichtung des „J.W. Stalin“-Denkmals vorgesehen, in der Absicht, dass seine Eröffnung am 24. Dezember 1953 stattfinden konnte – also am Tag der Wahlen. Anfang September 1953 erhielt ich von Ober-Ingenieur Strelzow die Anweisung, den Sockel für die Eisenbeton-Skulptur des zukünftigen Denkmals fristgerecht zu projektieren. Aber damit sie sich wenigstens eine entsprechende Vorstellung von dem machen können, was der Begriff projektieren damals bedeutete, bin ich gezwungen, eine Menge dazu zu schreiben, denn sonst ist es nicht verständlich.

Da waren die technischen Schwierigkeiten … und von ihnen gab es jede Menge. Für sämtliche Norilsker Architekten, unter anderem auch für mich, waren Denkmäler und die dazugehörende Projektarbeit eine absolute Neuheit, gar nicht zu reden von der Schaffung eines Denkmals unter den ganz besonderen Bedingungen, die der ewige Frost mit sich brachte. Bevor man sich überhaupt an die Sache heranmachte, musste man die genaue Größe der Statue kennen. Doch genau die wusste man nicht, obwohl die Blöcke, aus denen sie bestehen sollte, am Stützpunkt angeliefert waren. Einzelne Details – die Blöcke, mit einem Gewicht von jeweils 5 Tonnen, eingespannt in eine Verkleidung aus Bohlen und Platten und eingefasst von Metallreifen (für die Greifer des Krans), und das alles von einer Eisschicht bedeckt, lagen dort auf der Seite. Und keine der Halterungen durfte man lösen oder öffnen, denn sonst hätte man keinen einzigen der Blöcke vom Lager zum Montage-Platz überführen können. Allein mit diesen ganzen Ärgernissen begann die Epopöe. Zum angelieferten Denkmal gab es keinerlei Begleitpapiere – keine Auftragsbestätigungen, keine wichtigen Anlagen oder Montageanleitungen – eine Kiste mit einem Modell der notwendigen trägen Baumaterialien, aus denen die Skulptur gegossen war, und, was besonders entscheidend war: man kannte die Ausmaße der einzelnen Teile nicht. Es stellte sich heraus, dass nachlässige Expeditoren all das nach und nach im Verlauf der Anlieferung verloren hatten. Wie Sie sehen, sollten wir mit der Arbeit beginnen, wobei uns jede Menge scheußliche Tätigkeiten bevorstanden. Um die Größe jedes einzelnen Blocks zu ermitteln, mussten spezielle Zeichnungen der Hilfsaufbauten angefertigt werden, um auf die Gesamtgröße der Statue zu kommen. Und all das musste bei Frost und Wind stattfinden, ohne die Verkleidung zu öffnen. Die selbe Situation ergab sich mit den Kisten, in denen sie die Büste angeliefert hatten. Allerdings verhielt es sich hiermit ein wenig einfacher: das geringe Tara-Gewicht ermöglichte es zumindest, durch die Ritzen das Ausmaß der Unversehrtheit des Erzeugnisses zu definieren. Um die ganzen Widrigkeiten komplett zu machen, waren nicht alle Kisten mit den Büsten-Teilen an ein- und derselben Stelle gruppiert; ein Teil war an einem unbekannten Ort des Lagers geblieben, unter irgend welchen anderen Frachtstücken verborgen. Ich erinnere mich, dass in jenen Tagen eine fieberhafte Suche nach einem „verloren gegangenen“ Waggon mit Dekorschichten im Gange war. Der zusammen mit mir zum Stützpunkt gekommene Bildhauer Schilzow geriet buchstäblich in Entsetzen, dass es zu der gelieferten Fracht keine Kiste mit dem notwendigen Baumaterial gab. Damit waren die wichtigsten Bedingungen für die Schaffung des Denkmals nicht erfüllt. Wie sollte man eine abgebrochene Ecke wieder anbringen oder die Nahtstellen „schützen“? Denn jedes inerte Material besitzt eine ganz bestimmte Färbung, die nur ihm zu eigen, die nur ihm von der Natur gegeben ist. Nach unmenschlichen Mühen gelang es mir schließlich, die Maße der Blöcke für die Statue zu „beschaffen“.

Nun begann die zweite Etappe der Projektierung – die Bestimmung der Höhe des gesamten Denkmals (einschließlich der Höhe des Sockels, des Unterbaus und der Statue), ausgehend von der mittleren Entfernung der Statue in Abhängigkeit von der auf dem Denkmal lastenden Höhe des nebenan gelegenen Bahnhofsgebäudes. Ich betrachtete die Örtlichkeit von verschiedenen Standorten aus und musste mich sogar auf dem Bahnhofsdach eine Zeit lang aufhalten. Und all das nur, um die gewünschte Größe von 95 Metern zu finden.

Der dritte Schritt bestand in der Definition der Höhe des Sockels. Hier ging ich von der Notwendigkeit aus, die Proportionalität der Architektur zwischen der Höhe der Skulptur und der Höhe des Fundaments zu wahren, auf dem sie stehen sollte, und zwar so, dass unbedingt ein Übergewicht der Statuen-Höhe über den Sockelaufbau gewährleistet war. Die Aufgabe bestand darin, das optische Gleichgewicht zwischen den oberen und unteren Teilen des Monuments zu beheben, um einen „Rotationseffekt“ zu vermeiden.

Das Projekt wurde unter der N° 92294, Blatt-Nummern 103, 104 und 105 freigegeben, und zwar mit der Bezeichnung „Projekt zur Aufstellung eines Monuments auf dem Bahnhofsplatz“, bestätigt von Swerew am 19. September 1953.

Für die schwere Eisenbeton-Statue war ein entsprechendes Fundament erforderlich. Es war mit einer Säulenkonstruktion geplant, mit einer perimetrisch zur Säule angeordneten Eisenbeton-Konsole, die den Unterbau stützte. Mit dem Fundament befassten sich die Konstrukteure. Der Bau, der während der ersten einsetzenden Fröste unter einer wärmenden Abdeckplane errichtet wurde, erschien auf den ersten Blick nicht groß.


„J.W. Stalin“-Denkmal vor dem Bahnhofsgebäude. Norilsk, 1954

Ganz zu Beginn der Montage der Statue, nachdem Fundament und Sockel bereits fertiggestellt waren, stellte sich heraus, dass die Hersteller-Firma Materialfehler zugelassen hatte – ein Viertel des Eisenbetonteils für den Kopf passte nicht in die dafür vorgefertigte Fuge des vorausliegenden Blocks. An der äußeren Oberfläche der Rückseite der Figur entstand somit ein Vorsprung. Man musste ihn mit einem Stahlmeißel um den gesamten Blockumfang abschlagen. Beim „Schützen“ der entstandenen Nahtstellen halfen die große Erfahrung, die beharrliche Mühe und das doch recht große Talent des Bildhauers Schilzow. Unter außergewöhnlich schwierigen Bedingungen – in einem kalten Schuppen, „Werkstatt“ genannt, suchte er nach einer Material-Rezeptur, die er schließlich auch fand. Die Norilsker Architektur war in vielen Dingen der großen Arbeit und dem Talent von Witold Stanislawowitsch Nepokojtschizkiy verpflichtet, doch wenn ich mich heute an diesen edlen Namen erinnere, muss man daneben auch den Namen des Bildhauers Schilzow nennen, auf dessen Schultern zahlreiche Bemühungen für den Skulpturenguss vieler Gebäude beim Aufbau der Stadt lasteten. Und wenngleich Schilzow mit dem Sockel des Monuments nichts zu tun hatte, so tat er doch eine Menge für das Denkmal in seiner damaligen Ansicht: er sorgte dafür, dass die Nahtstellen der Statue einwandfrei „geschützt“ wurden.

Nach Stalins Tod wurde die Statue des Denkmals, in der Tat, fortgeschafft – man riss sie mit zwei Traktoren von ihrem Standort herunter, stieß die zerfallenen Blöcke in den nahe gelegenen See der Kupferfabrik.

Nun stand der Sockel „seiner Persönlichkeit beraubt“ für lange Zeit dort. Gerüchten zur Folge konnte man ihn nicht anderweitig verwenden, da es keine andere, bereits fertig gestellte Statue gab, die ungefähr die gleiche Größe hatte, wie die „J.W. Stalin“-Statue. Damals wurde beschlossen, auf den vorhandenen Sockel eine der Büsten zu stellen, die am Lager vorrätig waren, wobei man die auswählte, die am besten halten würde. Alle anderen erforderten Reparaturen, und die konnte Schilzow nicht schnell vornehmen, weil es schwierig war, die entsprechenden Materialien auszusuchen. Auf diese Weise fiel dann die Wahl auf eine Büste Kalinins – ein anderen Grund dafür gab es nicht. Allerdings beriet sich niemand vorher mit mir oder mit Schilzow darüber, was wodurch und wie ausgewechselt werden sollte, - das oben Dargelegt ist mir bekannt aus Unterhaltungen mit Schilzow. Durch wen die Anordnung erfolgte, die Statue gegen die Büste auszutauschen, weiß ich nicht. Versteht sich von selbst, dass jede beliebige, auf einen unverhältnismäßig großen und keineswegs für ihre Ausmaße geschaffenen Sockel gestellte Büste albern und absurd aussehen muss, denn sie stört, ja verletzt in gewissem Sinne, all jene äußerst gewissenhaften Arbeiten, die ausgeführt werden müssen, bevor man so ein Denkmal aufstellt. Sie können sich selber davon überzeugen, indem sie die Geschichte des Baus dieses „J.W. Stalin“-Monuments lesen, über das ich in diesem, meinem Brief schreibe, um zu zeigen, dass das Aufstellen einer Büste oder eines Denkmals keineswegs eine einfache Angelegenheit ist, sondern eine, die einem viel abverlangt, so dass sich tatsächlich ein Architekt damit befassen muss. Und er kann sich damit nicht „nur mal eben so“ beschäftigen, sondern muss dies äußerst ernsthaft und „wissenschaftlich“ tun.

26.10.1985, Moskau

Norilsker „Memorial“, Ausgabe 5-6, Oktober 2010
Ausgabe des Museums der Geschichte der Erschließung und Entwicklung des Norilsker Industriegebiets und der Norilsker „Memorial“-Gesellschaft

 


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