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L.O. Petri, V.T. Petri . Wahre Begebenheiten aus dem Tajmyr-Gebiet

Zeugenaussage der Ruta Jankowitsch (geb. 1922), vertrieben aus Lettland.

Tagebuch-Aufzeichnungen. „Erinnerung ist die unabdingbare Voraussetzung für
eine sittlich-moralische Realität“.
G. Wolter.

26.10.42. Ust-Chantajka. Die Dicke des Eises beträgt bereits 30-40 cm. Jura ist inzwischen zum Eisfischen übergegangen. Im Wasser schwimmen Renken und Peled-Maränen. Nahe der Siedlung waren im Eis zwei Trawler festgefroren, die zu ihrem Winterliegeplatz abgefahren waren. Aber die Kapitäne hatten das Risiko nicht auf sich nehmen wollen, damit noch ganz bis nach Igarka zu schwimmen; sie wollten nicht, daß die Boote möglicherweise auf der 130 km langen Strecke durch das „junge“, scharfkantige Eis Beschädigungen am Rumpf davontrugen. Die Boote wurde erfolgreich an der Einfahrt des Flüßchens, in unmittelbarer Nähe der Siedlung verankert – mit der Absicht, daß sie dann im Frühjahr, bei Hochwasser, in den Fluß einfahren und vor dem gefährlichen Eisgang des Jenisej Schutz suchen konnten. Am nächsten Tag begannen beide Bootsbesatzungen ein Haus mit zwei Zimmern aus Balken zusammenzubauen, wobei sie sich das dafür notwendige Baumaterial von dem im Eis eingeschlossenen Floß holten. Auf dem Dachboden seiner Sanitätserdhütte fand Jura ein paar Skier, die dort seit dem 19. Jahrhundert verwahrt worden und mit Steigfellen versehen waren; Skier, die mit Leichtigkeit vorwärts glitten, mit denen man aber nicht rückwärts wegrutschen konnte. Die Ortsansässigen bewegten sich alle nur mit solchen Skiern fort. Außerdem fanden sich auch noch zwei Bücher: ein Lehrbuch der höheren Mathematik und ein Roman von Jack London.

30.11.42 Ust-Chantajka. Zwei Wochen liegt Jura nun schon mit Geschwüren und 40 Grad Fieber. Mama schneidet die Geschwüre mit Papas Rasiermesser auf. Winter, heftige Schneestürme; jeden Morgen warten wir darauf, daß uns jemand die Haustür freischaufelt. Von den Flußschiffern, die hier überwintern (sie besitzen einen Rundfunkempfänger), erfahren wir, daß Hitlers Soldaten bei Stalingrad eingekesselt sind.

08.12.42. Ust-Chantajka. Die Verkäuferin aus unserem Laden hat aus der Siedlung Potapowo mit Rentieren (70 km) Lebensmittel hergebracht, daher sieht die monatliche Norm für Dezember folgendermaßen aus: Tafelbutter – 200 gr, Zucker – 400 gr, Rentierfett – 500 gr, weißes Mehl – 700 gr, - Fadennudeln – 800 gr, dunkles Mehl, anstelle von Brot für 10 Tage – 4 kg. Wir verfluchen die örtlichen Behörden, die nicht in der Lage waren, die Zustellung von Lebensmitteln in den einzelnen Siedlungen rechtzeitig vor dem Einbruch des Winters über den Wasserweg zu veranlassen. Das Vorratslager im Laden ist leer, und in der Siedlung wohnen 450 Esser. Langsam krieche ich durch die Wald-Tundra, um Brennholz zu suchen – es gibt nichts, womit wir die medizinische Versorgungsstelle beheizen können. Aus einer Schlingenfalle habe ich einen Hasen mitgebracht – und drei haben wir geklaut.

16.12.42. Ust-Chantajka. Zwei NKWD-Offiziere sind eingetroffen, um wegen des Diebstahls von Fischen aus insgesamt zehn Netzen, die auf dem Jenisej zum Eisfischen ausgelegt worden waren, Verhöre zu führen. Ebenso interessierten sie sich beim Kolchosvorsitzenden E.Erdman für Jura: ihnen war zu Ohren gekommen, daß er angeblich Faschist sei. Aber alles lief ruhig ab, und es kam nicht zum Verhör.

25.12.42. Ust-Chantajka. Jura liegt mit Geschwüren an Bauch und Rücken. Mama, Jura und ich denken an das Weihnachtsfest im vergangenen Jahr zurück, als wir noch unter normalen europäischen Bedingungen gelebt haben. Bei uns übernachten turnusmäßig lettische Familien. Mama kümmert sich um sie, denn sie sind für dieses schreckliche Leben überhaupt nicht geeignet.

01.01.43. Ust-Chantajka. Mit einer günstigen Gelegenheit haben sie uns von den Ärzten die Post aus Pirowsk (Sibirien), Igarka, Chatanga und Dudinka mitgebracht.

07.01.43. Ust-Chantajka. Spezialisten vom Staatllichen Tajmyrer Fischkonzern sind eingetroffen und haben die Erlaubnis erteilt, künftig Fisch über den Laden zu verkaufen. Sie transportierten eine ganze Fuhre Fische ab. Zum ersten mal erscheint am Himmel für eine Minute ein Sonnenstrahl.

14.01.43. Ust-Chantajka. Nun ist auch bei mir der Skorbut ausgebrochen, den ich schon längst erwartet hatte: ich kann die Wirbelsäule kaum aufrecht halten. Mama hüllt mich in eine Betttuch ein und jagt mich in den Frost hinaus. Jura beginnt mit russischen „Kulaken“, unter der Leitung des aus Potapowo angekommenen Vorarbeiters Djukow, mit dem Bau von Häusern.

17.01.43. Ust-Chantajka. Es herrschen unter minus 50 Grad Frost. Die Spatzen fallen im Flug tot vom Himmel. Ein Glas kaltes Wasser, krftvoll in die Luft geworfen – fällt zu Boden und zersplittert in hundert kleine Eissplitterchen. Und die Menschen? Sie erfrieren in ihren Erdhütten.

22.01.43. Ust-Chantajka. Jetzt sind es nur noch minus 25-30 Grad. Mama läuft von früh bis spät von einer Erdhöhle zur anderen, hebt die Menschen von ihren Pritschen hoch, treibt sie nach draußen und reibt ihnen die vom Skorbut blutigen Beine ein. Die Eingeborenen haben auf Mamas Bitten aus der Wald-Tundra Tannennadeln mitgebracht. Alle trinken sie nun den bitteren Nadelsud, der gegen Skorbut wirken soll. Aber überall liegen Leichen, Leichen .... Jeden Tag sterben ganze Familien aus. Es geht das Gerücht, daß in den Siedlungen Agapitowo und Nikolskij alle Leute den Tod gefunden haben.

08.02.43. Ust-Chantajka. Jura lernt, wie man als Tischler und Leiter einer Zehnerbrigade beim Hausbau arbeitet. Die Leningrader sind aus der Tundra zurückgekehrt, die „Bärtigen“ von der Expedition der Akademie der Wissenschaften. Diese drei unverzagten, fröhlichen und gebildeten wissenschaftlichen Mitarbeiter besserten sogleich unsere Stimmung. Als sie allerdings die Baracke und die Erdhütten mit den verstorbenen Menschen sahen, brachten sie in aller Schärfe ihre Meinung darüber zum Ausdruck. Es hat keinen Sinn, ihre Worte zu kommentieren – sie sind klar und deutlich. Die Jungs erinnerten sich an das „ungewaschene Rußland, das Land der Sklaven, das Land der Herren... und ihr mit euren hellblauen Uniformen, ihr seid ein gehorsames Volk ...“. Sie dachten an ihren Peter zuerück und dessen Mitkämpfer Lefort, der vor mehr als 300 Jahren einmal gesagt hatte: „Man muß die Russen lehren, das Eigene zu achten“. Nun in Rußland können sie derartige Verbrechen an ihrem eigenen Volk zulassen. In der russischen geschichte ist es nicht üblich, sich selbst zu achten und demzufolge auch die anderen nicht. Rußland war immer ein Land der Extreme. Hier klammerte sich die Staatsmacht stets an Gegensätze: entweder das Leben oder der Tod. Die Menschen-Vernichtungsmaschinerie ist angelaufen. Nur die Sonnenwärme kann sie wieder zum Halten bringen. Aber einstweilen werden die Leute durch die Kälte dahingerafft.

20.02.43. Ust-Chantajka. E.Erdman ist aus Potapowo zurückgekehrt, wo man sie wegen der schlecht funktionierenden Arbeitskommandos und der geleisteten Arbeit getadelt hat. Dort war man entrüstet, daß sie dort wohl nichts verdienen würde, wenngleich Jura die Menge des ausgehobenen Bodens korrekt eingetragen hatte – 172 Kubikmeter. Auf diese Weise erkannte er zum ersten Mal die Notwendigkeit des russischen „Hinzufügens“ und der „Beziehungen durch die Hintertür“. 6 Bauarbeiter wurden zufuß ins 75 km entfernte Potapowo geschickt, um dort Bauarbeiten zu verrichten. Einer von ihnen ist unterwegs erfroren.

27.02.43. Ust-Chantajka. Aus Igarka (130 km) sind die drei Finnen zurückgekehrt, die dort waren und innerhalb von vier Monaten ganz gut dort verdient haben. Aber was am Wichtigsten ist – sie berichteten von einer unheimlichen Tragödie.

„Nachdem wir in Chantajka unsere ganze Ausweglosigkeit und den aufgrund von Hunger und Kälte herannahenden Tof sahen, sind wir Anfang November des vergangenen Jahres heimlich nach Igarka aufgebrochen, um dort Geld zu verdienen und Kleidung sowie Lebensmittel zu erwerben. Unsere Marschroute verlief am rechten Ufer des Jenisej entlang – mitten über das Eis. An der Siedlung Agapitowo (45 km) erblickten wir eine Zeltstadt, wo die Menschen in den großen Dreißig-Mann-Zelten an den Stangen und Unterlagen festgefroren waren, vor allen Dingen Frauen, Kinder und wenige alte Leute. In den Zelten gibt es keine Eisenöfen, man sieht nirgends Brennholz und es gibt über haupt keine Lebenszeichen von dieser Masse an Leuten. Um die Zelte herumzugehen war für uns ganz schrecklich – überall lagen Leichen. Aber trotzdem fanden wir auch noch ein „lebendes“ Skelett und erfuhren von ihm , daß hier, unmittelbar vor dem endgültigen Zufrieren des Jenisejs, mit einem Dampfer eine weitere Partie von 500 Menschen abgeliefert worden war, hauptsächlich Deutsche aus dem Wolgagebiet und aus den baltischen Ländern. Man hatte den Leuten lediglich Zelte gegeben – keine Öfen, keine Ofenrohre, um den Rauch abzuleiten, keine Äxte oder Sägen zur Beschaffung von Brennholz; aber am Schlimmsten war, daß man die Menschen einfach ohne Nahrung ausgesetzt hatte. Im Großen und Ganzen hatte man die Leute dort vollständig abgeschrieben. Und das Ergebnis – sie starben vor lauter Hunger und erfroren.

Mehr kriechend als gehend erreichten wir schließlich Igarka und setzten über das, was wir in Agapitowo gesehen hatten, sogleich die NKWD-Sonderkommandantur in Kenntnis. Nachdem der Kommandant uns angehört hatte, fragte er: „Leben denn da überhaupt noch welche?“ Wir verstanden aus der Unterhaltung, daß das in Agapitowo abgelieferte Sonderkontingent von den Behörden schlichtweg „in Vergessenheit geraten“ war. Wie dem auch sei, jedenfalls starben durch die Schuld der Behörden ungefähr 500 Menschen.

Man gab uns zu essen und schickte uns dann zum Arbeiten in den Hafen zu Schiffsreparaturarbeiten. Vier Monate später, auf dem Rückweg, begeneten wir in Agapitowo keiner einzigen lebendigen Seele mehr. Möglicherweise wurden die wenigen am Leben gebliebenen Deutschen und Letten aufgrund unseres Gesprächs in der Sonderkommandantur von Igarka gerettet“.

02.03.43. In der Tundra. Mama hat einer Eingeborenen bei der schweren Geburt geholfen. Der kleine Junge blieb am Leben.

04.04.43. Ust-Chantajka. Finnen und Deutsche aus Leningrad sterben aufgrund der unzureichenden Ernährung, dem Fehlen warmer Kleidung und dem fortgeschrittenen Skorbut gleich familienweise aus. Die Rebhühner haben ihre weiße Färbung verloren und fliegen in die Tundra davon; Hasen werden weiterhin gejagt. Bald kommt der Frühling.

09.05.43. Ust-Chantajka. Frühling. Das Wasser des Jenisej ist auf 2 Meter angestiegen. Man ist mit aller Intensität dabei, die im Herbst eingefrorenen Flöße mit Baumaterialien in Sicherheit zu bringen. Alle sind mit Abladen beschäftigt; sie ziehen und schleppen die Stämme ans hochgelegene Ufer. Aus Agapitowo traf, wie durch ein Wunder, das unversehrt gebliebene „Skelett“ ein – kaum noch am Leben, es konnte nicht einmal mehr sprechen. Man brachte es sogleich zu meiner Mutter in die medizinische Betreuungsstelle. Ob es wohl überleben wird?

15.05.43. Ust-Chantajka. Erst Schneesturm, dann heftiger Frost. Das um die beiden Trawler herum gesprengte und fortgeräumte Eis hat sich in eine breiige Masse verwandelt und ist anschließend erneut gefroren. Ein Kanal mußte ins Eis gehackt werden, damit sie bei Hochwasser aus dem Jenisej ins Flüßchen hineifahren können. Und dann, dann endlich setzte auf dem Jenisej die erste Bewegung der Eisschollen ein. Die gesamte Eisschicht bewegt sich in einer Breite von 3 km. Gleichzeitig steigt der Wasserspiegel immer mehr an. Man hört das gewaltige Knirschen und Krachen des Eises, wenn es sich am Ufergestein vorbeischiebt. Der große, mächtige Jenisej – er ist wieder erwacht. Eine Stunde später war alles wieder zum Stillstand gekommen. Nach dem zweiten Eisgang, schien der Fluß ganz sauber zu sein, was bedeutete, daß es oberhalb von Ust-Chantajka zu einer Stockung einer Stauung des Eises gekommen war. Die Fischer warfen ihr 100-m-Netz aus und zogen mehrere Eimer Barsche (Seewölfe) aus dem Wasser, welche sie sogleich an Ort und Stelle am Ufer an die Hungernden verteilten. Sie schafften es gerade noch, das Schleppnetz in Sicherheit zu bringen, denn schon wieder setzte sich das Eis in Bewegung – der Eisstau war durchbrochen. Unsere Flöße wurden durch das Eis weiter ans Ufer hinausgestoßen, und wir fingen gleich damit an, die Stämme zu sichern, wenngleich das gefährlich war; der Eisgang war uns dabei behilflich, die Stämme höher und höher emporzuheben.

20.05.43. Ust-Chantajka. Ein heftiger Wind hat eingesetzt, es herrscht unaufhörlicher Eisgang. Der Lastkahn wird unter dem Druck der riesigen Eisschollen wie ein Spielzeug am Ufer hin und her geworfen. In einem solchen Augenblick kann man die ganze Macht, welche die Natur über den Menschen ausübt, erkennen. Am nächsten Tag wurde der Lastkahn auf den „Schultern“ des Jenisej ins Eismeer fortgetragen. Vier Tage lang stieg das Wasser weiter an, und der Trawler schaukelte ruhig ins Flüßchen hinein; der Eisgang stellte für ihn kein Hindernis dar.

30.05.43. Ust-Chantajka. Der Jenisej befreite sich nach und nach vom Eis, und sogleich gab es einen „Vogelbasar“ – die Schwäne flogen, die Gänse, Enten und alle anderen Schwimmvögel ebenfalls. Auf dem Fluß herrscht dichter Lärm, das Stimmengewirr der Vögel – ein herrlicher Auftritt.

Noch vom 27.05.11. gegen den Wind zwischen den Eisschollen hindurch kreuzend, fuhren wir mit dem Boot nach Kap Tomskij (6 km), um dort für die Fischer ein Zelt zu errichtrn; und anschließend beschlossen wir das Schleppnetz auszuwerfen. Die Strömung des Wassers erwies sich als so stark, daß unser Netzzug sich über 4 km erstreckte, mit nur ein paar Eimern Fisch darin.

01.06.43-. Ust-Chantajka. Nach dem Eisgang zog die erste Schiffskarawane aus Krasnojarsk in Richtung Dudinka an uns vorüber. Der Fluß war wieder schiffbar. Allerdings lief der Eisgang für Ust-Chantjka nicht immer ohne Opfer ab. So starb am 08.06.48 das junge Mädchen Anna Maisinger im Alter von nur 26 Jahren. Als ich von Jahre später von ihrem Tod erfuhr, trug ich diese Tragödie noch nachträglich in mein Tagebuch ein.

Ein junger Bursche und zwei Mädchen waren mit der „Rettung“ von Baumstämmen aus dem Wasser beschäftigt. Vom Ufer aus versuchten sie über die schaukelnden Eisschollen bis zu den Stämmen zu gelangen, als sich plötzlich das ganze Eis in Bewegung setzte. Der junge Mann sowie eines der Mädchen sprangen von Eisscholle zu Eisscholle und gelangten unverseht wieder ans Ufer zurück, aber Anna bewegte sich zu langsam vorwärts. In diesen wenigen Minuten war zwischen ihrer Eisscholle und dem Ufer ein großer, wassergefüllter Zwischenraum entstanden, und sie wurde auf dem Eis immer weiter vom Uferrand fortgetragen. In einer solchen Situation war es unmöglich, ihr vom Ufer aus irgendeine Hilfe zukommen zu lassen. Anna wurde auf ihrer Eisscholle immer weiter zur Flußmitte hinausgetragen. Obwohl sie laut schrie, bestand keine Möglichkeit ihre bei dem unaufhörlichen Eisgang zur Hilfe zu kommen; Hubschrauber gab es damals im Norden nicht. Gerüchten zufolge sah man Anna noch auf einer Eisscholle zwischen Potapowo und Nikolskoje vorbeischwimmen. Es konnte einem schon schrecklich leid tun, daß die junge Fischerin Anna Maisinger so enden mußte.

15.06.43. Ust-Chantajka. Mit einem Boot ist eine Kommission aus Dudinka gekommen, um die Gründe zu ermitteln, weshalb so viele Menschen hier im vergangenen Winter umgekommen sind. Jemand hatte gegen Mama Klage eingereicht.Man befahl ihr, ihre Sachen zu packen und nach Dudinka zu fahren. Wir begriffen, daß so etwas in der UdSSR geschehen kann, wenn sie aufgrund einer Anklage einen Schuldigen suchen. Einer kam aus dem Kontor und schrie den „Bürokraten“ etwas zu, um die Mutter zu schützen und zu verteidigen. Es gab einen gräßlichen Tumult. Von Bord brachten sie die Post mit Briefen – die Nachricht von Papas Tod im Lager. Mama verlor das Bewußtsein. Ich forderte von E. Erdman mich gehen zu lassen, damit ich Mama begleiten konnte.

In Dudinka wurde Mama drei Tage lang „gefoltert“; danach sprach man sie frei. Nach allem, was geschehen war, kehrte unsere Familie nicht mehr nach Chantajka zurück, sondern arbeitete danach auf Anordnung der Sonderkommandantur in anderen Revieren“.

Damit enden Jurij und Ruta Jankowitschs Tagebuch-Aufzeichnungen. Das Tagebuch-Material, in dem sich historischer Zeugnisse und Ansichten von Menschen aus dem „Ausland“ über die in den 1940er Jahren in der UdSSR herrschende Unordnung widerspiegeln, ist für die Leser dieser von den Sondersiedlern durchgemachten und beschriebenen Tragödie im Tajmyr-Gebiet von ganz besonderem Interesse.

Die Ärztin Natalia Viktorowna Jankowitsch starb 1985, ihre Tochter Ruta 2006, beide liegen in Riga begraben. Jurij Jankowitsch lebt in Riga (Lettland).


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