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L.O. Petri, V.T. Petri . Wahre Begebenheiten aus dem Tajmyr-Gebiet

Iwan Tschaschkos Geheimnis. Der Bau von Booten

„Ein Besuch bei Gott ist nie zu spät“
W. Wysotzkij.

Bis zu dem Zeitpunkt war ich empört darüber gewesen, dass er als Frontsoldat eine so schöne Wohnung hatte bekommen können, und ich war entschlossen, mich morgen zum Kriegskommissariat zu begeben und das dort an die große Glocke zu hängen. Daraufhin meinte Iwan: „Ganz ruhig, ganz ruhig, du brauchst nirgends hingehen, ich werde dir mein Geheimnis verraten. 1941 wurde ich in die Armee einberufen und für ein Jahr zur Militärfachschule geschickt. Nach Ablauf dieses Jahres wurde ich im Rang eines Offiziers in die Schlacht bei Stalingrad geschickt. Nachdem ich einen Monat lang an den Kämpfen teilgenommen hatte, erhielt ich eine schwerwiegende Aufgabe: ich sollte, zusammen mit sechs Soldaten, auf einem Lastwagen Kriegsvorräte, Kanister mit Wodka und Lebensmittel bei einer Traktorenfabrik abliefern. Da in diesem Gebiet schwere Kämpfe im Gange waren, gab es nur eine einzige Möglichkeit bis zum Traktorenwerk vorzudringen – wir mußten am äußersten Uferrand der Wolga entlangfahren. Und dann haben wir, nachdem wir eine ungefährliche Stelle am Ufer ausfindig gemacht hatten, innerhalb einer Woche den gesamten Wodka vertrunken und alle Nahrungsmittel aufgegessen. Wir gelangten auch noch bis zur Traktorenfabrik, wo meine sechs Soldaten allesamt im Gefecht fielen. Ich wurde verwundet; daher brachte man mich an den Flußübergang der Wolga, um mich weiter ins Hospital zu schicken. Damals interessierte sich kein Mensch dafür, ob ich meinen Auftrag erfüllt hatte oder nicht. Ich wurde aus Stalingrad fortgebracht, und damit war meine Teilnahme am Kriegsgeschehen beendet. Wenn unser Verbrechen, das unter meiner Leitung stattfand, der obersten Leitung zu Ohren gekommen wäre, dann hätten sie mich auf der Stelle erschossen. Diese Sünde trage ich nun mit mir herum, und sie läßt mich nicht zur Ruhe kommen.

Nachdem wir nun miteinander gesprochen haben, wird mir ein wenig leichter ums Herz sein. Siehst du; Leo, das ist der Grund, weshalb ich dir nicht erlaubt habe, ins Kriegskommissariat zu gehen; sie müssen dort nicht an meine Vergangenheit erinnert werden, ich werde mich schon selber bestrafen“. Iwan arbeitete als Chauffeur auf dem Fäkalien-Fahrzeug. So ging unsere Begegnung auf traurige Weise zuende. Im folgenden Jahr fuhren wir erneut nach Astrachan, in die uns vertrauten, heimatlichen Gefilde. Wir kamen zur Herzengasse Nr. 5 und gingen um unser ehemaliges Haus mit den drei Fenstern herum, das wir in den Jahren 1934–1941 bewohnt hatten. Wir betraten auch den Hof an der Kursker Straße 18, in dem Iwan Tschaschko lebte. Eine Nachbarin erkannte uns und sagte, dass Iwan kurz nach unserem Besuch im vergangen Jahr verstorben sei. Iwan Tschaschko war ein Mann, der sich sein in jugendlichem Leichtsinn begangenes Vergehen zeitlebens nicht verzeihen konnte, und er hielt Wort: er bestrafte sich selbst. Auf diese Weise verlor ich zu meinem großen Bedauern einen guten Freund aus Kindheitszeiten, nachdem ich im Gegenzug sein grausames Geheimnis enthüllt bekommen hatte. Ja, möge Gott Iwan vergeben. Aber kehren wir ins Jahr 1936 zurück.

Im zweiten Jahr unseres Lebens in Astrachan begann Papa sich auf den Bau eines hölzernen Motorboots vorzubereiten, was er beim Fischfang und bei der Jagd nutzen wollte. Im Hof war für die Lagerung der Baumaterialien und den eigentlichen Bootsbau genügend Platz vorhanden.

Lange suchte Papa mit Hilfe bekannter Leute nach den besten Meistern für den Bootsbau in kleinem Stil. Schließlich fand er zwei Fachleute, die ihm sagten, dass er soundsoviele Fichtenholzbretter (für den unter Wasser befindlichen Teil des Rumpfes), soundsoviele Kiefernholzbretter (für den über der Wasserlinie liegenden Teil und die Aufbauten) benötigte. Schwieriger war es schon mit dem Kauf eines Motors. Es war nämlich so, dass Papa der Zuverlässigkeit den von der örtlichen Fabrik produzierten, ölbetriebenen Motoren kein Vertrauen schenkte, die auf eine Kapazität von 4,5 PS für solche Boote ausgerichtet waren. Denn es durfte auf keinen Fall geschehen, dass der Motor bei Sturm plötzlich mitten auf dem Fluß aussetzte. Deswegen setzte Papa seine Hoffnung auf den Erwerb eines Motors ausländischer Produktion. Und tatsächlich fand er einen. Verkauft wurde er von einer Frau, deren Mann gestorben war, der jedoch noch in den zwanziger Jahren ein Melonenfeld besessen und mit Hilfe eben dieses Motors Wasser aus dem Fluß Kutum auf die Plantage gepumpt hatte. Es handelte sich um einen hervorragend erhaltenen Motor der schwedischen Firma „Bolinder“, 5 PS, 600 Umdrehungen/Minute, mit Öl angetrieben, ein Zweitakter mit einem Ballon, den man zum Anlassen des Motors mittels einer Öllampe erhitzte. In unserem Hof begann nun der Bau des Bootes, das mit dem Einsetzen der schiffbaren Saison 1936 fertiggestellt war. Das Boot stellte eine raffinierte Kombination dar: es konnte sowohl als Motor- wie auch als Segelboot betrieben werden. In diesem Zusammenhang war die Kajüte ein wenig niedriger gebaut worden, so dass man sich sitzend darin aufhalten konnte; vor der Kajüte befand sich eine Öffnung im Dach zum Setzen des Mastes für ein schräges, dreieckiges Segel, welches wir selber aus Nesselstoff zusammennähten. Auf diese Weise konnten wir „Seebären“ bei gutem Fahrtwind wunderbar mit dem Segel vorankommen, nachdem wir den Motor abgestellt hatten. Der überdachte Bug des Bootes beherbergte neben der Ankerkette noch einen Öltank mit 300 l Brennstoff; er war durch ein Rohr mit dem kleinen Tank im Maschinenraum verbunden. Dies machte es Papa, wenn er auf der Jagd war, möglich, mit seinem Brennstoffvorrat weit in Richtung Meer hinauszufahren. Unser Motorboot hatte seinen Liegeplatz an der Bootsstation, gleich neben dem städtischen Heizkraftwerk. Meine Aufgabe war es, ständig darauf acht zu geben, dass sich, wenn es regnete, im Boot kein Wasser unter den Sitzbrettern ansammelte. Das Boot stand frei im Wasser, und die Ankerkette war in ihrer vollständigen Länge ans Ufer geworfen worden. Das Boot verfügte über eine Geschwindigkeit von 15 km/Stunde und konnte, dank des hervorragend arbeitenden Motors, alle anderen Boote seiner Art mühelos überholen. Wenn man bei laufendem Motor auch noch das Segel hißte, dann konnte kein einziger schwimmender Kahn mehr mit uns mithalten, außer vielleicht Gleitboote mit Luftschrauben – aber die überholten uns so langsam, dass es uns vorkam, als ob sie auf gleicher Höhe stehenblieben. Die ganze Konstruktion des Bootes war sehr angenehm; so war beispielsweise das Dach ganz eben und geradlinig; Papa und ich befestigten daran einen Vorhang zum Schutz gegen Mücken. So konnten wir herrlich an der frischen Luft schlafen, ohne dabei, wie es sonst der Fall war, wenn man auf dem Erdboden kampierte, Gefahr zu laufen, von kriechenden Lebewesen heimgesucht zu werden. Während der zweijährigen Bootsnutzung kam es kein einziges Mal vor, dass in einem kritischen Moment (Sturm) der Motor ausfiel. Papa pflegte und wartete ihn auch mit äußerster Sorgfalt, reinigte ihn gründlich, denn aussetzen konnte der Motor nur aus einem einzigen Grund – wenn die Einspritzdüse verschmutzt war. Daher wurde das gesamte in den Motor eingeflossene Öl sorgsam mit einem Zusatzfilter gefiltert. Da es sich bei dem Motor um einen Zweitakter handelte, konnte man den Motor an dem 60 kg schweren Schwungrad entweder durch Drehen im Uhrzeigersinn oder durch Drehen in entgegengesetzter Richtung in Gang setzen.


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