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Willi Antonowitsch Pirz

Geboren 1919 in den USA, in der Stadt Philadelphia, Staat Pennsylvania. Befand sich ab 1950 als Sondersiedler im Tajmyrgebiet,im Ust-Jenisejsker Bezirk. Ind en 1960er Jahren vollständig rehabilitiert. Lebt heute in Dudinka.

- Meine Eltern (Mutter Mary Franzewna und Vater Anton Antonowitsch Pirz) waren Österreicher. Sie lebten in Italien und Österreich. Der Vater war Kommunist. Um sich vor der Verfolgung durch die Behörden in Sicherheit zu bringen, flohen sie mit den beiden ältesten Söhnen Bruno und Karl nach Amerika, wo sie nochd rei weitere Kinder bekamen: Frank, ich und Schwester Klara.

Der Vater und die älteren Brüder arbeiteten auf der Werft für Kriegsschiffe in Philadelphia.

1930, als ich elf Jahre alt war, zogen wir in die UdSSR, nach Odessa, um. Vater und die Brüder fande Arbeit im Schiffbau – entsprechend ihrer beruflichen Fähigkeiten. Der Vater bekam zunächst einen dreijährigen Arbeitsvertrag, der anschließend noch einmal um drei weitere Jahre verlängert wurde. 1936 nahm unsere Familie die sowjetische Staatsbürgerschaft an. Aus diesem Anlaß gab es zahlreiche Glückwünsche, es kamen alle möglichen Vertreter, Journalisten und Fotografen. Kurz vor den Festlichkeiten zum 1. Mai erschienen in einer Ausgabe der Zeitung von Odessa Fotos unserer Familie.

Ein Jahr später, 1937, wurde der Vater aus der Partei ausgeschlossen. Für ihn bedeutete das eine tiefe seelische Erschütterung. Zum ersten Mal sah ich, wie der Vater weinte. Bald darau verhafteten sie ihn.Mit ihm holten sie auch die Mutter und die beiden ältesten Brüder. Im November 1937 wurden sie erschossen.

Einen Monat darauf verhafteten sie auch mich und meinen Bruder Frank. Wir wurden nach § 54-1 «à» des Strafgesetzes der Ukrainischen SSR mit der Formulierung „Vaterlandsverräter“ verurteilt.

Der Bruder wurde in die Region Krasnojarsk geschickt, wo er fünfzehn Jahre in der Holzfällerei arbeitete. Ich selbst wurde zu zehn Jahren Arbeits- und Erziehungslager verurteilt. Verbüßte die Strafe im Karagandinsker Lager.

Ich hatte Glück, denn ich kam in ein Lager mit nicht sehr strengem Regime. Damals war ich noch keine 18 Jahre alt. Ich saß dort zusammen mit Gwosdew, dem dritten Sekretär des All-Unions-Starosten Michail Kalinin. In diesem Lager befand sich auch Tuchascheskijs Ehefrau.

Ich arbeitete auf den Feldern der Versuchsstation als Mähdrescherfahrer. Im Lager machte ich meine Ausbildung. 1939 beendete ich dreimonatige Traktoristenkurse, 1941 schloß ich weitere Kurse für Brigadeführer von Traktoristenbrigaden mit Auszeichnung ab. Ich durfte ohne Wachbegleitung arbeiten und wurde als Spezialist auf meinem Gebiet geschätzt. So verbüßte ich die gesamte Strafe in einem einzigen Lager.

Am 28. Juni 1950 wurde ich in die Freiheit entlassen. Zur weiteren Strafverbüßung wurde ich in den hohen Norden geschickt.

In Krasnojarsk kam mein Vorname dem NKWD-Leiter merkwürdig vor. „Was ist das denn für ein Vorname? Willi, Williams? Du wirst künftig Viktor heißen!“ So traf ich 1950 mit neuem Namen auf dem Dampder „Klara Zetkin“, auf dem sich mehr als hundert ehemalige Häftlinge befanden, in Dudinka ein.

In der Siedlung Ust-Port, wo dringend Arbeitskräfte gebraucht wurden, wollte man mich nicht haben, denn ich war unterwegs krank geworden und demzufolge als „Todgeweihter“ dort angekommen. Man schickte mich in die Siedlung Karaul und von dort in die kleine Siedlung Polikarpowsk.Dort zwangen sie mich der Kolchose „Roter Takymrer“ beizutreten. Der Bevollmächtigte des Ust-Jenisejsker Bezirkskomitees schrie mich an: „Wenn du nicht Mitgkied wirst, schicken wir dich noch weiter in den Norden!“ Aber wo sollte dieses „noch weiter in den Norden“ denn sein? Es war doch nur noch ein Katzensprung bis zum Eismeer.

Die ersten Lebensjahre in der Sondersiedlung waren schrecklich. Im Lager war es besser gewesen. Dort hatten wir zu essen bekommen, und ich hatte ohne Aufsicht gearbeitet, und hier standen wir unter der ständigen Beobachtung durch den Kommandanten.

Furchtbar war es, wie sie uns beleidigten, demütigten und uns direkt ins Gesicht schrieen: „Ein Volksfeind bist du!“ – Damals wurden die Gruben für die Erdhütten mit den bloßen Händen gegraben, gefangene Fische in der Unterhose versteckt und nach Hause getragen, um die Kinder zu ernähren....

1960 wurde ich vollständig rehabilitiert, und ich zog mit Frau uns Sohn nach Dudinka um.

Zum ersten Mal nach dieser langen Trennung konnte ich meinen Bruder wiedersehen. Zu jener Zeit wohnte er in er Nähe von Odessa, war schwer krank und starb kurze Zeit nach unserer Begegnung. Die Jahre, die er im Lager verbracht hatte, hatten sich bemerkbar gemacht. Einmal hatte ihn der Lagerleiter, um den Bruder vor der Verlegung an einen anderen Ort zu bewahren, tagsüber im Zimmer mit Toten zugedeckt. Der Bruder hatte diesen Raum als grauhaariger, kranker Mann verlassen....

Auch die Schwester durchlief Lager und Verbannung. Als liebstes, teuerstes Erinnerungsstück habe ich eine Fotografie meiner Schwester in Verwahrung, auf das sie am Vorabend meiner Verhaftung folgende Worte geschrieben hatte: „Meinem lieben Bruder Willi zur Erinnerung an seine Schwester Klara“. Ich erinnere mich an unsere Jugend, die Trennung von unseren Eltern“. Die Schwester war damals erst sechzehn Jahre alt – und ich achtzehn. Unsere ganze Jugend hat sich in Lagern abgespielt.

Vieles habe ich im Leben gesehen. Ich war dem Tode nahe. Ich fürchtete ihn nicht. Schrecklich ist es, wenn sie dir keinen Glauben schenken. Schrecklich, wenn du deine Unschuld nicht beweisen darfst. Ich habe all das mitgemacht. Ich weiß .....

Leitung für Kultur und Kunst der Verwaltung des Autonomen Gebietes Tajmyr (Dolganen / Nenzen).
Heimatkunde-Museum des Autonomen Gebietes Tajmyr.
„Museumsbote“. Ausgabe 1.
Dudinka, 2001


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