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Robert Riedel. Einschränkungen

16. Unsere Arbeit . Neujahr im Wald

Ein Programm für Arbeitserziehung gab es bei uns natürlich nicht, aber wir waren trotzdem ständig mit irgendwelchen Arbeiten beschäftigt. Für die laufenden Arbeiten existierte bei uns ein Auftragssystem, wie in der Armee. Der Reihe nach erledigten wir in einem Plan festgelegte Aufgaben – wir leisteten Küchen- und Kantinendienst, sägten und hackten Holz für unsere Öfen, reinigten die Schlafsäle und Korridore und hielten den Hof sauber. Aufträge außer der Reihe gab es üblicherweise, wen sich jemand etwas hatte zuschulden kommen lassen – und das waren in der Regel die Jungs.

Neben „Auftrags“-Arbeiten waren wir auch im Gemüsegarten des Kinderheims tätig, beschafften Heu und Brennholz oder arbeiteten in den Kolchosen der Nachbarschaft. Wenn wir außerhalb des Kinderheims arbeiteten, fuhren wir in Brigaden aus – Brigaden, die aus den Reihen der älteren Kinder formiert wurden. Wer mitfuhr bestimmten die Erzieher, aber einige Kinder (unter ihnen auch ich) durften freiwillig mit – denn bei solchen Arbeiten gab es immer reichlich zu essen.

Vom Mithelfen der Kinder bei der Heumahd habe ich schon erzählt. Genauso schwer war für uns auch die Beschaffung von Brennholz. Jedes Jahr zu Beginn des Sommers fuhren wir in den Wald hinaus. In der uns zugewiesenen Parzelle fällten wir Jungs, alle 12 – 14 Jahre alt, Bäume, schlugen die Äste ab, zersägten die Stämme in meterlange Stücke, die wir anschließend zum Trocknen in Holzstößen aufschichteten.

Am schwierigsten war das Fällen der Bäume – die Sägen waren schwer zu halten, sie verkanteten sich häufig, und unsere kümmerlichen Kräfte reichten nicht. Später kamen Bügelsägen auf, damit wurde das Arbeiten etwas leichter.

Die Holzbeschaffung stellte nicht nur eine schwere, sondern auch eine gefährliche Arbeit dar, aber wie durch ein Wunder gab es keine ernsthaften Verletzungen bei uns (nur Schnittwunden und alle möglichen Schrammen).

Das beschaffte Holz reichte, wie immer, nicht aus, und im Winter mussten wir mehrmals erneut in den Wald hinaus. Im Winter ist das aber viel schwieriger, als im Sommer. Besonders kompliziert gestaltete sich dann das Bäume Fällen – man musste die Stämme ganz unten absägen, damit keine hohen Stümpfe stehenblieben. In den Wäldern des Ural ist der Schnee aber sehr tief, und um bis an den untersten Teil des Baumstammes zu gelangen, musste man erst Unmengen von Schnee fortschaufeln. Und in dieser Schneegrube dann zu sägen – das war ebenfalls äußerst schwierig.

Das Kinderheim hatte seinen eigenen Gemüsegarten, in dem allerdings nur Kartoffeln gezüchtet wurden. Im ersten Jahr teilte man uns am Gemüsegarten ein Stückchen Neuland zu, und beim Umpflügen wurde lediglich der furchtbare Rasen durcheinandergeworfen. Es war schwierig, darunter Pflanzlöcher für die Kartoffeln zu graben, vor allem mit unseren Spaten; deswegen schoben wir die Kartoffeln einfach unter die Grassoden. Ehrlich gesagt – wir glaubten ganz sicher, dass unsere Kartoffeln nicht wachsen würden, aber wir bekamen eine so gute Ernte, wie wir sie nie zuvor erlebt hatten. In den Folgejahren führten wir das Setzen und Ernten der Kartoffeln mit einem richtigen Pflug aus, was die Arbeit um vieles erleichterte.

In den Nachbarkolchosen arbeiteten wir auf den Getreidetennen, sammelten auf dem Feld Erbsen, zogen Futterrüben und Steckrüben, von denen ich bereits berichtete, aus der Erde. Und einmal mühten wir uns im Sumpf ab – wir sammelten Moos, mit dem hölzerne Blockhäuser abgedichtet werden.

Die geschnittenen Moosschichten fädelten wir auf dünne Stangen auf, an denen sich unten eine kleine Astgabel befand. Wir fädelten so viel Moos auf, bis die Stange voll war. Dann nahmen wir die nächste Stange, und die ganze Prozedur begann wieder von vorn. Die moosgefüllten Stangen brachten wir zur Straße und luden sie dort auf den Leiterwagen.

Im „Herrenhaus“ wurde für uns eine Tischlerwerkstatt organisiert. Ein alter Meister besserte dort für uns Möbel aus und fertigte nach und nach auch neue an. Ein paar von uns Jungs wurde der Vorschlag gemacht, in der Werkstatt ein wenig mitzuarbeiten, und natürlich waren wir einverstanden. Der Meister brachte uns das Tischlerhandwerk bei, und nach einiger Zeit konnten wir schon selber Hocker und Stühle anfertigen. Und einmal brachten wir sogar einen ganz tollen Diwan zustande.

Wir führten auch Zimmermannsarbeiten aus - um unser Territorium setzten wir einen Zaun (aus dünnen Stangen – ich schrieb bereits darüber) und wirkten beim Bau unseres Badehauses mit. Die Stämme für das Blockhaus wurden im Wald von herbeigerufenen Zimmerleuten beschafft. Zu uns brachte man sie bereits vollständig zerlegt, um sie dann hier wieder zusammenzufügen. Wir halfen beim Errichten der Trennwände, zimmerten die Sitzbänke zusammen und legten den Fußboden aus. Aber das Einzige, was man uns ganz allein anvertraute, war das Zuschütten des Dachbodens mit Schlacke.

Wir waren auch als Verputzer tätig. Die zweite Etage unseres Gebäudes stellte sich als unverputzter Kiefernholzbau dar. Um ihn abzudichten, wurde beschlossen, ihn von innen zu verputzen. Zu diesem Zweck holte der Direktor einen seiner Verwandten und wählte eine Brigade aus unseren Jungs zu seinen Gehilfen aus. Einige Wochen schleppten wir Dachschindeln heran, rührten Mörtel an und begannen in einigen Revieren mit dem Verputzen. Wir bekamen sogar ein wenig Geld dafür. Und der Verwandte des Direktors bekam, wie später erzählt wurde, eine schöne Stange Geld für seine Arbeit.

Jedes Jahr, immer Ende Dezember, begab sich unser Lagerverwalter nach Swerdlowsk, um dort Waren einzukaufen. Von dort brachte er Kinderkleidung, Schuhwerk, Decken, Stoffe und noch vieles andere mehr mit, was ein Kinderheim im Jahr braucht. Es war viel, was er dort besorgte, und deswegen nahm er immer ein paar Kinder mit. Zweimal war auch ich mit dabei.

Von der letzten Fahrt kehrten wir mit einem Eineinhalbtonner zurück. Es war bereits der späte Abend des 31. Dezember 1947. Der Lagerverwalter saß neben dem Fahrer in der Kabine, während wir drei Kinder uns im Wagenkasten befanden. Es waren ungefähr 200 km zu fahren, und um nicht zu erfrieren, gruben wir uns in en Kleiderhaufen ein und deckten uns mit den neuen Decken zu. Schließlich waren noch etwa zehn Kilometer zu fahren, als uns die Straße durch einen dichten Wald führte – zu beiden Seiten erhoben sich hohe, schneebedeckte Tannen. Der Lagerverwalter lehnte sich aus der Fahrerkabine und fragte laut, ob mit uns alles in Ordnung wäre. Dann fügte er noch hinzu, dass es bis zum neuen Jahr nur noch 15 Minuten Zeit wären, dass wir in Kürze ankommen würden. Wir lebten wieder auf, fingen an zu raten, was sie für uns wohl für eine Tanne aufgestellt, womit sie sie geschmückt hätten.

Plötzlich blieb der Eineinhalbtonner stehen, die Scheinwerfer, die den Weg erhellt hatten, erloschen. Offenbar war das Benzin ausgegangen. Der Lagerverwalter und der Fahrer machten sich schimpfend auf den Weg ins Nachbardorf, um Hilfe zu holen. Wir blieben allein zurück. Es war totenstill und schrecklich gruselig. Einige Zeit verging, wir lehnten uns aus unserer Höhle hinaus und sahen uns um – es war eine klare, frostige Nacht, im Mondlicht funkelte der Schnee und über den hohen Tannen flimmerten unzählige Sterne. Wir wurden etwas fröhlicher.

In dieser märchenhaften Stimmung, im Wagenkasten liegend, begrüßten wir dann auch das neue Jahr 1948!


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