Ich wurde in dem Dorf Werchnaja Keschma (Mosgowaja), Keschemsker Kreis, Region Krasnojarsk geboren, wo ich auch eine ganze Zeit lebte. Es gab in unserem Dorf etwa hundert Höfe oder vielleicht ein paar mehr. Als im März 1930 die Maßnahmen zur Entkulakisierung einsetzten, wurden bei uns 13 Familien enteignet:
Das Alter der Familienoberhäupter betrug höchstens 40–50 Jahre.
Die Entscheidung über die Entkulakisierung beschlossen wahrscheinlich Aktivisten, gemeinsam mit den Vorsitzenden der Kreisbehörden. Anschließend kamen sie in die Häuser. Zwei Männer traten ein und fragten: „Wo ist das Familienoberhaupt?“ Antwort: „Das bin ich!“ Und dann wurde ihm gesagt: „Sie müssen sich darauf einrichten, Ihre Wohnung zu verlassen“. Man siedelte die Menschen aus ihren Häusern aus und brachte das Vieh fort. Alle großen Sachen wurden beschlagnahmt: Pelzmäntel, Teppiche. Die Menschen verloren den Kopf. Sie versuchten bei irgendwem in einer anderen Wohnung unterzukommen, sofern sie nur solche Leute fanden. Zwei unserer Familien, Semenows, zogen um zu dem verarmten Großvater Nikifor Sachrjapin.
Nach etwa 15 Tagen bereitete man uns auf unsere Abreise vor: von unseren konfiszierten Pferden bekam jede Familie ein gutes Tier zugeteilt. Und später, am Umsiedlungsort, wurden diese Pferde in die Pferdehöfe der Waldwirtschaft gebracht.
Sie transportierten uns 130 km von Mosgowa fort – ans Ufer der Angara, nicht weit von dem Felsen Kosoj Byk entfernt. Auf einem Feld, in der Nähe von Kiefern wurden wir abgeladen. Lagerfeuer wurden entzündet. Die Männer fingen an Bäume zu fällen und eine Baracke zu errichten, die nach zwei oder drei Tagen fertig war. Innen wurden dreistöckige Pritschen aufgestellt; geheizt wurde mit Eisenöfen, es war feucht, von den Balken tropfte es.
An diese Orte, nach Kosoj Byk, wurden Menschen von überallher gebracht. Ich erinnere mich noch an die Familie SABRODIN aus Kansk; bei ihnen in Kansk gab es ein Gestüt; an den Sohn kann ich mich gut erinnern – Iwan Kirillowitsch Sabrodin. Ebenfalls aus Kansk war DOSTAWALOW, er hatte unweit von Kansk Felder besessen, aber die Familie selbst hatte in der Stadt gewohnt. Es waren auch Menschen aus dem Irbejsker, dem Tasejewsker Kreis dort – Daniel GUK, zwei Familien aus dem Altaj, Rubzowsker Kreis – Andrej SCHWAKIN, Semjon BARSKIJ, Leute aus Jakutien, vom Baikal-See. Hier waren Menschen der unterschiedlichsten Nationalitäten: Burjaten, Tschuwaschen, Tataren, Mordwinen.
Der Kommandantur-Punkt, der bis zu zehn Lmenschen aufnehmen konnte, befand sich in dem Dorf Dvorets. Der erste Kommandant Martynow und seine Gehilfen Miroschnitschenko und Matwienko versetzten die Menschen etwa ein Jahr lang in Angst und Schrecken. Sie führten sich wie eine Räuberbande auf: völlig unerwartet erschienen sie hoch zu Roß, mit Reitpeitschen in der Hand, und schossen in der Gegend herum. Wenn sie irgendwelchen Goldschmuck bei den Leuten sahen, trieben sie ihren Spott mit ihnen und nahmen ihnen alles weg. Einige Zeit nachdem der neue Leiter Koslow gekommen war, wurde dieser Kommandantur-Punkt geschlossen, wobei der ehemals sehr zahlreiche Personalbestand aufgelöst und die Mitarbeiter entlassen wurden. Bei uns in Kosoj Byk gab es einen Abschnittsbevollmächtigten der Miliz. Für jede Baracke wurden Staroste (Älteste; Anm. d. Übers.) ernannt, von denen verlangt wurde, daß sie aufpassen sollten, damit niemand flüchtete.
Es wurden 10 Baracken errichtet, dann begannen sie Häuser zu bauen, die Straßen zu zerstören. Und die neue Siedlung nannten sie Kosoj Byk.
Die jungen und gesunden Männer wurden bei ihrer Ankunft sofort zur Arbeit in einem Betrieb herangezogen – in der Waldwirtschaft. Gleichzeitig organisierte man eine Kolchose, sie wurde von Frauen, alten Leuten und Halbwüchsigen in Gang gebracht. Man rodete Kiefernwälder – die Böden dort waren fruchtbar. Zur Waldrodung fuhren sie alle aus: sowohl Frauen als auch Kinder. Sie fällten jahrhundertealte Bäume: sie gruben die Wurzelgeflechte aus, kletterten auf die Bäume, banden Taue an die Stämme, mit denen sie dann die Bäume hin- und herrüttelten und dann fällten. Maschinen zur Rodung des Bodens (ein Traktor mit einer Hängevorrichtung – „Stoßzähnen“) tauchten erst nach dem Krieg auf. Auf dem neu erschlossenen Land begann man Roggen auszusäen. Die Alten sagten, daß die Erde Früchte trug. Für die Pferde baute man Hafer an, aber hauptsächlich Weizen, der sehr kräftig war.
„Die Kulaken“ – ein fleißiges Volk und der Kolchos wurden sehr reich; man nannte das den „Weg zum Kommunsimus“. Der erste Vorsitzende der Kolchose war Nikolaj Tolstobrow, der irgendwo aus der Umgebung von Krasnojarsk stammte; diese Art von Leuten bezeichnete man als „Aktivisten“.
In der Siedlung wurde auch sofort eine Schule gebaut. In 2-3 Jahren kam man dort bis zur 4. Klasse, dann begann die Siebenklassen-Schule. Als die erste Schule einem Feuer zum Opfer fiel, errichtete man eine neue. Die Schule konnte ohne Einschränkungen besucht werden, ganz nach Belieben.
Fünf Jahre nach der Vertreibung, im Jahre 1935, nahmen wir an einer Abstimmung teil. Ab 1936 erhielten all diejenigen Pässe, die in einen andern Bezirk fuhren. Es waren hauptsächlich junge Leute, die umziehen wollten, die Alten hatten sich bereits dort endgültig niedergelassen.
Die Waldwirtschaft schickte mich zu Lehrzwecken nach Jenissejsk – zu speziellen Kursen für Traktoristen, Motoristen u.ä. Ich hatte 1936 die Keschemsker Siebenklassen-Schule beendet (zu jener Zeit gab es eine derartige Schule in Kosoj Byk noch nicht), und 1948 schloß ich in der Stadt Jenissejsk Fahrzeuglenker- und Motoristen-Kurse ab.
1936 begann man auch mit der Organisation von Komsomol-Zellen; es kamen Leute aus der Kreisstadt und nahmen Mitglieder in die Kommunistische Jugendorganisation auf.
Das Leben war in Gang gekommen. Aber im März 1936 setzten plötzlich Verhaftungen ein, selbst die kleinsten Dörfer waren davon betroffen. Sie kamen immer nachts, um die Menschen zu holen. Ich war zu der Zeit in dem Dorf Okunewka. Von den Unseren, die aus Mosgowa verschleppt worden waren, verhafteten sie:
Keiner von ihnen kehrte lebend zurück.
Aufgezeichnet mit den Worten des Iwan Afanasewitsch Semenow von K.A. Dsjuba
Gesellschaft „Memorial“, Krasnojarsk,
31. März 1990