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P. Sokolow. Schlaglöcher

Kapitel 61.

„Drei Dörfer, zwei Ortschaften,
Acht Mädchen und einer – ich“

Der Sommer kam. Erfolgreich erschlossen wir die unglückselige Parzelle. Ich hatte, dem Zeitplan um Monate voraus, schon weitere Straßen und Wege vorbereitet und angelegt und war daher mit diesen Arbeiten schon nicht mehr beschäftigt. Man befahl mir stattdessen das Säubern der Schneisen zum Abstecken der nächsten Parzellen. Zu diesem Zweck bekam ich eine Brigade zugeteilt. Sie setzte sich aus etwa 30 Frauen verschiedenen Alters und unterschiedlicher Herkunft zusammen. Der Ton innerhalb der Gruppe wurde hauptsächlich von Schwestern aus Riga angegeben, von denen eine auch die Brigadeleiterin war. Die Schwestern waren Russinnen und waren in einer gemeinsamen Kriminalakte zusammengefaßt. In der Brigade gab es auch Lettinnen und Ukrainerinnen, politische Häftlinge und Kleinkriminelle. Sie arbeiteten schlecht und waren ungern bei der Sache. Die Brigadeführerin zeigte sich nicht streng – wie hätte sie auch ihre leiblichen Schwestern, die zudem noch aus Gaunerkreisen kamen, zur Arbeit antreiben können? Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich verhalten sollte. Schimpfen und die Frauen antreiben und herumjagen – das konnte ich nicht, und die Sache sich selbst zu überlassen – damit hätte ich mich als Vorgesetzter nur selber zugrunde gerichtet; dann hätte ich mich von dem Lagerpunkt trennen müssen, an dem ich mich trotz allem ganz gut eingelebt und empfohlen hatte und auch eine gewisse Unterstützung genoß. Die Lage wurde dadurch verschärft, daß die Arbeit nicht einträglich war, und nur für die „garantierte“ Ration arbeiten – das wollte hier keiner. Aus der Not half Kuwschinow. Er war mit dem Normsachbearbeiter befreundet, brachte mich mit ihm zusammen, und dann fanden wir gemeinsam eine Regelung, daß man bei nicht allzu anstrengender Arbeit beinahe die maximal mögliche Zusatzmenge an Verpflegung bekommen konnte. Durch diesen Anreiz konnte ich den toten Punkt, auf dem die Arbeit stehengeblieben war, wieder in Gang bringen. Zudem verlief, insgesamt gesehen, an diesem Ort alles recht erfolgreich: es gab große Reviere mit niedriggewachsenen Bäumen, die unter den Schlägen der Äxte leicht nachgaben, es gab auch Reviere mit spärlichen , großen Kieferngehölzen, was es einem nicht nur ermöglichte, wertvolle Meter zu gewinnen, sondern auch das geschlagene Holz in Raummetern zu berücksichtigen. So trödelte ich noch etwa einen Monat oder länger herum. Schließlich wurde mir, erneut über Kuwschinow, die Arbeit als Dispatcher bei der Verladung angeboten. Diese Tätigkeit soltte folgendermaßen aussehen. Das WjatLag war ein riesiges Holzbeschaffungsunternehmen und nicht nur ein Haft- und Strafverbüßungsort. Zu diesem Lager gehörten zu meiner Zeit 19 Lagerpunkte mit einer Häftlingszahl, die sich nach meinen Schätzungen auf etwa 20.000 belaufen haben mag – ein ganzer Landbezirk. Außerdem befanden sich dort mehrere hundert Freie, Beamte des NKWD, Wachleute und Siedler. Eine ganze Eisenbahnzweiglinie verlief durch das WjatLag, die Verbindung Gajno – Kajsker Bahnlinie mit der benachbarten Bahnstation. Die kostenlose Arbeit verschaffte dem Staat und dem Lager eine solide Einnahmequelle, aber natürlich kam diese Einnahme lediglich vom tatsächlich produzierten und verladenen Nutzholz. Daher war die Verladung in puncto Lebensmittelversorgung und größe der Ration privilegiert. Zu den Pflichten des Dispatchers gehörte es, die verfügbare Menge und das Warensortiment an den Bahngleisen in Erfahrung zu bringen und weiterzugeben, Informationen über die beladenen Waggons entgegenzunehmen und herauszugeben, den rechtzeitigen Abtransport der Verladebrigaden zu gewährleisten u. ä. mehr. Bei diesem Posten handelte es sich nicht um eine feste Anstellung, sondern die Stelle wurde vielmehr aufgrund der starken Verladetätigkeit geschaffen. Die Frauen, die sie für dieses Amt eingestellt hatten, kamen mit der Arbeit nicht so zurecht, wie
der Leiter der Lagerwirtschaft – Kurowskij . Er war ein freier Arbeiter, der aus den Reihen der Polen stammte und der irgendwie als Sonderumsiedler hierher geraten war. Kuwschinow hatte mich an ihn empfohlen. Der technische Leiter machte keine großen Einwände, aber der Chef der Planungsabteilung Kamnew, einst Häftling aus den Jahren 1937-38, der für uns schlimmer war als ein Tschekist, versuchte uns einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Er versuchte mit aller Kraft das Plansoll zu erhöhen und gleichzeitig die ihm entstehenden Kosten zugunsten einer Heraufsetzung der Arbeitsnormen zu senken und die festen Planstellen zu kürzen; er war für uns ein boshaftes Genie, aber dafür erhielt er große Unterstützung seitens der örtlichen und höhergestellten Obrigkeit. Er hatte den Posten gerade erst gemeinsam mit jenem Andrejew besetzt, über den ich bereits schrieb, und begann schnell alle Schwachstellen herauszufinden, die Andrejew einst geschaffen hatte. Dieser Kamnew also war lange Zeit gegen mich eingestimmt und verwies darauf, daß man doch eine geeignete Frau suchen und den Mann an einer anderen Stelle einsetzen könnte, wo es für die Produktion am vorteilhaftesten wäre. Kurowskij allerdings blieb beharrlich bei seiner Meinung und sagte, daß er mich aus meinen Limits herausbringen wolle und daß ich unter keinen Umständen Kamnews Leistungen verschlechtern sollte. Widerstrebend willigte dieser schließlich ein. Im weiteren Verlauf übertrug Kamnew mir die Erledigung verschiedener schematischer Darstellungen, die er , als aufrichtiger Bürokrat, sehr vergötterte, und als er sah, daß diese Bestellungen innerhalb der gesetzten Frist und in einer sehr sorgfältigen Ausführung erledigt wurden, da schloß er endlich mit meiner Anwesenheit Frieden, wenngleich der Schatten der Feindseligkeit bis zum Schluß zwischen uns stand. Anfangs ging mir die neue Arbeit nicht so gut von der Hand, aber dann irgendwann begriff ich, wo die Besonderheiten bei dieser Arbeit lagen und welche Forderungen Kurowskij dabei stellte; ich dokumentierte alles ordnungsgemäß und konnte ohne zu stocken jede beliebige Frage über die vorhandenen Holzstoffe, die Bereitstellung von Waggons, die innerhalb von vierungzwanzig Stunden oder innerhalb eines Monats verladene Holzmenge beantworten. Ehrlich gesagt, häufig griff ich diese ganzen Angaben auch aus der Luft, und das tat ich ziemlich schnell, ohne erst lange in den Papieren herumzuwühlen.

In meinem Kontor befand sich das einzige Büro-Telefon, und so liefen sämtliche Neuigkeiten, die für das Lager bestimmt waren, über mich, und ich wurde zur bestinformierten Person über alle Seiten des Lebens. Außerdem mußte ich die verschiedene Kontakte per Telefon oder Rundsprechanlage mit zahltreichen Lagern aufrecht erhalten, und so besaß ich auch recht umfangreiche Informationen über das, was sich außerhalb unserer eigenen Lagergrenzen zutrug. Im allgemeinen war es eine lebendige und interessante Arbeit, die ich dort verrichtete, und dies war wohl auch die beste Zeit meines Lagerlebens.

Allerdings konnte es auch noch ein weiteres Hindernis geben – die Meinung des operativen bevollmäächtigten. Mit ihm war meine Kandidatur für den Posten, den ich nun belegte, nicht abgesprochen worden, aber er rief mich zu sich, als ich im Büro erschien, und interessierte sich bis in jede Kleinigkeit für meine Vergangenheit, den Paragraphen, aufgrunddessen ich verurteilt worden war und ähnliche Daten. Ich sprach mit ihm ganz offen über meine Verurteilung und auch darüber, daß ich in einer Strafbrigade gewesen war, denn ich nahm an, daß er sowieso schon alles wußte oder in nächster Zeit erfahren würde und daß mir irgendwelche Ausreden nicht von Nutzen sein, sondern eher schaden würden. Insgesamt war es ein ruhiges und gut gemeintes Gespräch, und es hatte auch keinerlei Folgen für meine Arbeit. Die unangenehmste Seite meiner neuen Tätigkeit war die Notwendigkeit, zu jeder beliebigen Tages- oder Nachtzeit, sobald eine Mitteilung über die Bereitstellung von Waggons erfolgt war, den Ausmarsch der Brigaden zum Verladen zu gewährleisten. Eigentlich mußte ich nur die Brigadiere und den Ladeaufseher, einen gewissen Djomin, benachrichtigen – eine gorillaähnlichen Halbkriminellen. Nichtsdestoweniger konnte kaum jemand mein Auftauchen als Ankündiger des zu erfolgenden Arbeitsabmarschs, vor allem wenn es Nacht war, begrüßen. Mit solchen Gedanken machte ich mich dann auch in der ersten Nacht auf den Weg, um die Brigade zu wecken. Ich hatte zuvor erfahren, wo die einzelnen Arbeiter schliefen. Nachdem man mir mitgeteilt hatte, daß die Waggons zur Beladung bereitstünden, begab ich mich in die Baracke, in der in zwei Sektionen alle drei Frauen-Verladebrigaden untergebracht waren. Ich bemühte mich keinen Lärm zu machen, um ausschließlich die Brigadearbeiterinnen zu wecken und rechtzeitig wieder den Rückzug anzutreten, bevor ich mir deren ganzen Segenswünsche anhören mußte. Aber aufgrund meines sechsten Sinns, daß bei meinem Eintreffen viele bereits wach waren und gespannt darauf warteten, was ich ihnen wohl mitgebracht hätte. Unentschlossen blieb ich vor den Bettstellen stehen; auf einer der unteren schlief die Brigadeleiterin, eine ziemlich intelligente Frau, die Ehefrau eines Oberst. Ich hatte meinen Mund noch nicht ganz geöffnet, als ich ein leichtes Rauschen vernahm und sah, wie auf die Brigadierin von oben ein Strahl absolut eindeutiger Herkunft herabrieselte. Das brachte mich in eine noch größere Verwirrung, aber was sollte ich tun? Ich rüttelte die Brigadeführerin an der Schulter, sie hieß Wladimirowa mit Nachnamen, und sagte leise: „Stehen Sie auf! Erstens ist Ihnen ein kleines Mißgeschick passiert, zweitens müssen Sie zur Arbeit gehen!“ – Bevor ich zuende gesprochen hatte, ertönte von allen Seiten lautes Gelächter. Am meisten machte sich meine Freundin Roska Mersljakowa lustig, die zu der Zeit Leiterin einer anderen Verladebrigade war. Sie hatte meine Worte bereits auf ihre Art umformuliert, und das Lachen wurde noch lauter. Ich weiß nicht mehr, ob wir in dieser Situation unsere erste Bekanntschaft machten oder ob es noch einen anderen Anlaß gab, aber die Frauen benahmen sich jedenfalls von diesem ersten Tag an freundlich mir gegenüber, auch wenn sie gelegentlich ein wenig mürrisch waren, aber auf jeden Fall schimpften und fluchten sie nicht, wie sie es häufig mit meiner Arbeitspartnerin Schura Schumowa taten, die ziemlich begriffsstutzig war, aber von Kurowskij geduldet wurde, denn sie stand mit dem Buchhalter in Verbindung, der für die Versorgung zuständig war,und über den auch die freien, nicht zu den Häftlingen zählenden Mitarbeiter Zugang zu verschiedenen Mangelwaren in den Vorratslagern fanden.

An diersem Arbeitsplatz verbrachte ich also einige Monate. Schura und ich teilten uns eine 24-Stunden-Schicht, aber für gewöhnliche schaute ich auch an freien Tagen häufig im Kontor vorbei, um Schura mit Ratschlägen zur Seite zu stehen und ein wenig mit Kuwschinow und den anderen zu schwatzen. Zu jener Zeit bekamen wir einen neuen Leiter der KWTsch, der Stelle für Kultur und Erziehung. Ganz allgemein hatte man nach der Reorganisieurng des Lagers bei uns praktisch alle Chefs ausgetauscht, angefangen bei Leiter Sajzew. Der neue Chef der KWTsch war ein junger Leutnant. Er trug einen Mantel mit stark vorgewölbter Brustpartie und angehobenen Schultern und war, alles in allem, ein ziemlicher Geck mit übermütigem Bärtchen und ähnelte seinem Äußeren nach einem Husaren. Der Eindruck wurde dadurch verdorben, daß eines seiner Augen aus Glas war, und damit blickte er stumpfsichtig drein und schielte ein wenig zur Seite. Er verhielt sich ein wenig hochmütig, wie es die jungen Leute häufiger zu sein pflegen, aber im Großen Ganzen handelte es sich bei ihm um einen harmlosen Burschen. Er suchte die Amtszimmer auf, machte sich mit ihren Bewohnern bekannt. Unsere erste Begegnung fand im Korridor statt, wo ich gerade mit einem der Buchhalter am Rauchen war. Der Leutnant trat heran, fragte als was wir arbeiteten, wie wir hießen und nach welchem Paragraphen wir verurteilt worden waren. „58-10“ – antwortete der Buchhalter. „Aha, das heißt: meine Zunge ist mein Feind“ – erwiderte der neue Leiter. – „Nein, es bedeutet: die Zunge meines Freundes ist mein Feind“, antwortete er, und alle lachten. Schon bald darauf stellte die KWTsch fest, daß ich zeichnen und malen konnte, und so schlugen sie mich für die Anfertigung einer Wandzeitung vor. Anfangs erteilte ich ihnen einen ablehnenden Bescheid, dann willigte ich schließlich ein, aber nur für Themen aus den Bereich Satire und Humor. So wurde es dann auch beschlossen, und so stellte ich in meiner Freizeit einige Nummern dieser Lager-„Krokodil“-Zeitschrift her. An eine der Ausgaben kann ich mich noch erinnern, weil sie einen ganzen Haufen Reaktionen auslöste und vor allen Dingen Proteste. Auf der Zierleiste war eine Stadt bei Nacht dargestellt, mit der schwarzen Silhouette von Häusern, mit spärlich erleuchteten (in gelber Farbe gemalten) Fenstern. Am schwarz-grünen Himmel leuchtete der Vollmond und spiegelte sich auf den Schuppen eines Krokodils wider, welches über die Dächer der Häuser kroch und dabei in die Fenster hineinschaute.

Den Inhalt für die Ausgabe hatten wir der gemalten Vorschau entnommen: das Krokodil sah, welche Träume die Bewohner der Stadt hatten. Bei diesen Bewohnern handelte es sich natürlich um Personen aus unserem Lager. Zu jedem Ereignis gab es eine entsprechende Karikatur sowie ein kleines Gedicht, aus dem hervorging, wovon die Person gerade träumte oder wovor sie sich fürchtete. Dort gab es eine große Vielfalt, so daß ich mich heute schon nicht mehr an alle Themen erinnern kann. Aber es war beispielsweise eine Fahrerin dargestellt, die neben ihrem Fuhrwerk stand, sowie die Warenabnehmerin an der Holzbörse. Die Fahrerin zeigte drei Finger hoch, die Frau an der Warenannahme – zwei. Und es war auch ohne Worte der ewige Konflikt zwischen den Holzbeschaffern und der Börse. Neben den einzelnen Karikaturen waren die Träume beschrieben, die der Meister der Waldarbeiter hatte:

... ein Traum wie in der Natur,
Man quetscht heraus, was irgendwie geht
.... Raummeter für die Holzbörse ...

Der Konflikt kam mit einem gewissen Worwul auf, der bei der Schieneninstandsetzung Brigadeleiter war. Daneben war eine Lokomotive mit weinerlich-verwunderter Gestalt gezeichnet, die aus den Gleisen gesprungen war, und dazu die Worte:

„Grischa Worwul hat geträumt,
Was heute ein Alptraum ist:
Die Lok ist entgleist,
Und mit ihr der gesamte Güterzug....“

Darauf folgte eine ziemlich gelungene Karikatur von Djomin, mit einer vor lauter Lachen ganz weit aufgerissenen Fresse. Darunter die Worte:

„Der Ladearbeiter hat den gleichen Traum,
Er lacht vor lauter Freude:
Nicht eine einzige kleine Lore
Wird den Weg zur Holzbörse machen.“

Worwul fing laut an zu schreien, dass seine Gleise immer im besten Zustand wären; dies hier sei reine Diskrimination. Ich versuchte vergeblich ihn davon zu überzeugen, dass es sich bloß um eine witzige Darstellung handelte, alles nur ein Alptraum und keine Realität. Aber er war trotzdem tödlich beleidigt. Der Konflikt glättete sich genau einen Tag später, als vor der Einfahrt zur Holzbörse tatsächlich eine Lok eintgleiste. Imter den Leuten, mit denen ich mich angefreundet hatte, befand sich auch ein alter Traktorist, d.h. ein Mann der zuvor bereits den Vorrat an Nutzholz am Holzeinschlagplatz geschätzt hatte. Es gab eine ganz bestimmte Methode für die Berechnung, aber ich denke trotzdem, dass alles nur aus der Luft gegriffen oder zumindest nur nach Augenmaß erfolgt war, und die Zahlen zu nichts verpflichteten. Sollte es mehr sein – dann ist es gut, wenn nicht – Bestechungsgelder werden es glattbügeln. Auf diesem unsauberen Posten also saß Iwan Iwanowitsch Semenzow, ehemaliger Sekretär des Gebietskomitees in Weißrußland. Er saß seit 1938, und er hatte bis zu seiner Entlassung nur noch wenige Monate nach. Iwan Iwanowitsch war ein kleines, hageres altes Männchen, sehr fröhlich und lebenslustig. Nach seinen Worten stand er in heftigen Konflikten mit den Juden, und sie fraßen ihn auf. Nichtsdestoweniger war er überzeugter Kommunist, und zwischen ihm und Kuwschinow entbrannten häufig ideologische Querelen, in denen ich gewöhnlich eine neutrale Position einnahm, allerdings mit großem Wohlwollen gegenüber Iwan Iwanowitsch, der mit Überzeugungskraft, logischen Ansichten und Humor zu Werke ging. Einmal, im Feuereifer der Diskussion, stellte Kuwschinow die Frage, welches die leitende Losung der gegenwärtigen Generation sei. Semenzow zögerte mit seiner Antwort und antwortete schließlich nachdenklich: „Vorärts, vorwärts...“, und setzte nach einer Sekunde Pause in Versform etwas hinzu, dass sogar der äußerst zurückhaltende Michail Iwanytsch sich vor Lachen kugeln mußte – so typisch war das für unsere Zeit und unser kulturelles Niveau. Semenzow ging ohne Wachbegleitung, erhielt gelegentlich Pakete und Geldanweisungen, durfte am Kiosk für die Freien so manches einkaufen und spendierte auch uns manchmal etwas davon. Im allgemeinen gab er aber alles für die Mädchen aus, denen er großen Liebesreichtum entgegenbrachte.


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