„BARTER“ – das ist eine geschäftliche Abmachung,
die auf dem Tausch von Waren basiert.
(Aus einem Kurzwörterbuch für angehende Geschäftsleute).
Der neue Lagerpunkt befand sich an der Bahnstation „Tschuna“, am gleichnamigen Flüßchen gelegen. Wir arbeiteten in der Holzfällerei. Der Weg zur Arbeit führte teilweise am Fluß entlang, der zwar nicht sehr breit, aber dafür wasserreich war. Am jenseitigen Ufer stand ein wunderbares Kieferngehölz. An unserer Uferseite war der Wald nicht so schön, aber auch mächtig und mit viel Raummetern. Hier waren die Arbeiten ein wenig anders organisiert. Innerhalb einer Brigade gab es sowohl Holzfäller als auch Fuhrleute, und der Produktionsausstoß einer Brigade wurde anhand des zum Holzlager abgefahrenen Nutzholzes berechnet. In so eine Komplexbrigade geriet ich auch zusammen mit Sotow. Verständlich, dass wir uns in dieser Situation noch enger anfreundeten; anfangs arbeiteten wir gemeinsam beim Aufladen der Stämme, d.h. wir rollten die Balken auf eine Protze, einen einachsigen Karren, auf dem sie auch zum Holzlager abtransportiert wurden. Später entschied man sich beim Abtransport des Holzes für den Einsatz eines Pferdes, welches auch die Lebensmittel, Geschirr u.ä. zur Küche brachte. Dieses Pferd übergab man mir – zusammen mit dem Karren. Ich beförderte darauf allen möglichen Kleinkram, der sich auf der Protze nur schwer transportieren ließ, und ich belud das Gefährt auch selber. Diese zweifache Beladung erbrachte eine recht gute Produktivität, die mich vollauf zufriedenstellte. Das Pferd namens Son („Schlaf“; Anm. d. Übers.) war in der Tat schläfrig. Zu früheren Zeiten beim Fortziehen der Baumstämme aus dem Wald überanstrengt und entkräftet, war es während der Arbeit für die Küche fett und träge geworden und befleißigte sich, alle möglichen Wehwehchen zu simulieren. Beim geringsten Anlaß tat es so, als ob die aufgeladene Fracht über seine Kräfte ging, es nahm das Ladegut genau in Augenschein, seufzte kläglich, trat mit den Beinen auf der Stelle u.ä. Ich zeigte Geduld und Ausdauer und gewöhnte das Pferd nach und nach ans Arbeiten, und nach einiger Zeit war es auch tatsächlich wieder für die Verwendung an dem einachsigen Karren geeignet. Allerdings brachte dieses Tier ein paar neuartige Nuancen in die Beziehung zwischen Sotow und mir. Wir, die Reiter, verließen das Lager etwas früher und begaben uns in den Pferdestall, wo wir die Pferde säuberten, fütterten, ihnen das Geschirr anlegten und uns anschließend, die Tiere an den Zügeln führend, in die allgemeine Kolonne einreihten. Im Pferdestall hatten wir immer die Möglichkeit, uns mit den freien Mitarbeitern ein wenig zu unterhalten. Zu der Zeit gab man neue Trikotunterwäsche an uns aus, wie sie bei Bedarf auch von den „Freien“ verwendet wurde. In der Lagerzone herrschte, wie immer, ein großes Defizit an Rauchwaren. Sotow, in dem ständig die Leidenschaft zu kommerziellem Handeln kochte, versäumte es auch hier nicht, sichmit Geschäftemacherei zu beschäftigen. Für den Anfang ließ er dem Pferdepfleger durch mich ein paar Wäschestücke übergeben, für die wir dann eine beliebige Anzahl von Machorka-Päckchen erhielten. Der Warentausch vollzog sich mit Hilfe eines Verstecks in dem Verschlag, in dem man Pferd Son stand. Einen Teil des Tabaks tauschten wir erneut gegen Wäsche ein, einen anderen Teil gegen Brot. Auf diese Weise existierte bei uns ständig eine Art Umlaufkapital, die Brotration wurde erhöht und, wie man so schön sagt: es gab für jede Nase auch wieder etwas Tabak. Das Geschäft blühte und endete natürlich damit, dass wir schließlich selber keine Hemden mehr besaßen. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie unsere Firma eigentlich pleite ging, aber danach liefen wir jedenfalls lange Zeit ohne Hemden und ähnliche Wäschestücke herum und mußten uns mit der einfachen Lager-„Robe“ begnügen, während wir auf den russischen „Zufall“ hofften. Im übrigen war der Sommer zu dieser Zeit auf seinem Höhepunkt angelangt, und unsere leichter gewordenen Garderobe beunruhigte uns deswegen nicht mehr sonderlich. Als Son wieder mitarbeiten konnte, wurde er an einen anderen Fuhrmann übergeben, während man mir ein neues Pferd zur Umerziehung überließ, das durch ungeschickten Umgang verdorben worden war – die Stute Maschka. Wenn Son in der ersten Zeit unserer gemeinsamen Arbeit immer den Zustand der völligen Überanstrengung simulierte, wenn er eine Fuhre Holz von der Stelle bewegen sollte, wobei in seinen Augen der große Weltschmerz zu lesen war, so trat Mascha erst eine Zeit lang auf der Stelle, um dann mit einem jähen Ruck das Gefährt anzuziehen, es in flottem Trab bis zum nächsten Baumstumpf zu bewegen, wo die ganze Verhaltensprozedur wieder von vorne losging. Ich plagte mich bis zum Mittagessen gehörig mit ihr ab. Bei dem Versuch sie zu beruhigen und zärtlich mit ihr umzugehen, antwortete sie mit Kopfschütteln und Zähnefletschen. In der zweiten Tageshälfte spannte ich Machka erneut ein und brachte mit ihr noch ein bis zwei solcher liederlich verlaufenden Fahrten zustande. Im folgenden belud ich den Karren mit Brennholz, einer erheblich leichteren Fracht, und fuhr los. Alles wäre wohl gut verlaufen, wenn nicht das Vorderrad über einen Holzklotz gefahren wäre und Maschka erneut zu „tanzen“ begann. Ich beruhigte sie ein wenig, beugte mich herab und versuchte den Holzklotz unter dem Rad hervorzuziehen. Und da warf mich ein furchtbarer Schlag ins Gesicht wohl drei Meter weit nach hinten. Maschka hatte es fertiggebracht ihr Bein aus der Wagendeichsel zu befreien und mir mit dem Huf einen Tritt zu versetzen. Die spitzen Beschläge der Hufeisen rissen meine Wange auf, verletzten die Arterie und das Blut schoß wie eine Fontaine aus der Wunde. Die offene Stelle mit der Hand bedeckend lief ich los, um den Feldscher zu suchen, der mit seiner dicken Sanitätstasche zum Holzeinschlag hinausgegangen war. Ich fand ihn nahe der Feldküche. Der Feldscher öffnete seine Tasche, in der sich nichts weiter als ein kleines Roman-Bändchen befand, und schlug kläglich die Hände vor dem Gesicht zusammen. Und so saß ich bis zum Arbeitsende da, hielt die Hand auf die Wunde und gelangte schließlich blutüberströmt ins Lager zurück. Dort legte mir der Arzt einen Verband an und stellte mich von der Arbeit frei. Eine Woche hielt ich mich so über Wasser. Das Gesicht schwoll an, das verletzt Auge war mit Blut überzogen. Am Ende dieses Zwangsurlaubs fand ich in der Küche als Tellerwäscher Arbeit, und sogar nach meiner Genesung bat der Koch gelegentlich den Brigadeführer mich als Aushilfe in der Küche zu lassen, wofür er mich mit einer Extraportion Abendessen bezahlte. Ich arbeitete also wieder im Wald, aber nicht mehr als Fuhrmann. Mit Maschka wollte keiner arbeiten; sie wurde aus dem Produktionsprozeß abgeschrieben, aber andere verfügbare Pferde gab es nicht.
Einmal, gleich nach dem Mittagessen, wurde auf einem an einem Ast hängenden Schienenstück Alarm geschlagen. Das war das Signal zum Sammeln. Die Leute wurden anhand einer Liste herausgerufen, und einer von ihnen war auch ich. Die betreffenden Männer wurden unter der Begleitung eines Wachmanns ins Lager geführt. Dort wurde erneut eine Auslese getroffen, und alle Auserwählten sollten sich anschließend auf einen Transport vorbereiten. Zu dieser Prozedur gehörte u.a. das Abgeben der Bettwäsche, die Inventarisierung der ausgegebenen Sachgegenstände u.ä. Bei mir bemerkten sie nun natürlich das fehlende Hemd. Ich erklärte, dass ich es aufgrund der Hitze beim Arbeiten ausgezogen und an einen Ast gehängt und nach unserem Zusammentrommeln leider nicht mehr die Gelegenheit gehabt hätte, es von dort mitzunehmen. Ob sie es glaubten oder nicht – jedenfalls wurde das Fehlen des Hemdes nicht registriert, und ich trieb irgendwie später die fehlenden Teile meiner Garderobe wieder auf. Gegen Abend desselben Tages wurden wir auf die uns schon bekannten beheizbaren Waggons verladen und gen Osten abtransportiert. Wir fuhren mehrere Tage und hatten zwischendurch lange Aufenthalte. Einer davon war an der Angara, wo 2-3 Waggons mit der Fähre über den Fluß gebracht wurden. Schließlich hatten wir unser Ziel erreicht und konnten aussteigen. Zum Zug gehörten Waggons mit Proviant, Kleidung, Bettzeug und anderen Frachten. Das Abladen und Hinüberschaffen der Sachen nahm einen vollen Tag in Anspruch. Wir befanden uns in der abgelegenen Taiga, am äußersten östlichen Ende der noch im Bau befindlichen Eisenbahn-Magistrale, am Zugang zur Lena.