„Noch eine allerletzte Legende -
dann wird meine Chronik beendet sein“
(A.S. Puschkin. „Boris Godunow“)
So machte ich mich also daran, meine Erzählung zuende zu bringen, aber ich muß wohl noch einige Worte darüber sagen, was “Verbannung” eigentlich bedeutet. Dieser Begriff ist heute vielen fremd; nichtsdestoweniger war das damals, sowohl in sozialer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht, eine existente und bedeutungsvolle Erscheinung, und auch im Wesen dieser Verbannung selbst liegt ein rationales Körnchen, welches in Gegenwart und Zukunft eine nützliche Saat aufgehen lassen kann – im Sinne einer Resozialisierung von wieder in die Freiheit entlassenen Häftlingen. Was die Verbannung zu Zarenzeiten sowie die Lebensbedingungen von Personen dieser Kategorie betrifft, so gibt es hierüber eine ziemlich breitgefächerte Auswahl an Literatur, aber über die Verbannten der Sowjetära haben sich Schriftsteller irgendwie nicht gekümmert, und die einzige Widerspiegelung dieser Erscheinunhg war meiner Meinung nach bislang nur der Film „Der kalte Sommer des Jahres 1953“. Als ich diese Zeilen schrieb, hatte ich diesen Film noch nicht gesehen und konnte daher die Glaubwürdigkeit dieses Sujets noch nicht beurteilen. Inzwischen habe ich ihn bereits mehrmals angeschaut; er gibt ein gutes Bild wieder, aber die abenteuerlichen Motive darin bleiben ein wenig hinter dem Alltagsgeschehen, den materiellen und moralischen Lebensseiten der Haupthelden zurück. Was die realen Verbannten betrifft, so habe ich eine Unmenge von ihnen selber gesehen, und bei allen verlief dieser Zeitraum auf andere Weise, in Abhängigkeit von den örtlichen Bedingungen, den Leuten, die sich in ihrer Umgebung befanden, besonders jener, von denen sie abhängig waren.
Deshalb werde ich in meinem Bericht nicht versuchen zu verallgemeinern, sondern ich will vielmehr die konkrete Lage beschreiben, in die ich geriet, als ich aus der Lagerumzäunung in eine relative Freiheit hinaustrat. Die Siedlung, in der unsere Sowchose gelegen war, erstreckte sich entlang des Ufers eines kleinen Flüßchens namens Minderla, nach dem auch schon lange unsere Sowchose und das große Dorf am Jenisej-Trakt benannt war, das 6 km von uns entfernt lag. An einer Uferseite dieser „Wasser-Magistrale“ befand sich das Zentrum der Sowchose mit seinem Büro, dem Klub, einer 7-Klassen-Schule und einer Vielzahl von Produktionsobjekten. Am anderen Ufer, mit seinen zwei Straßen, standen private Wohnhäuser, zumeist solide gebaut, was im allgemeinen vom Wohlstand und Fleiß der Hausbewohner abhing. Die Bewohner dieser Häuser waren vorwiegend Menschen aus verschiedenen Verbannungsjahrgängen, die teilweise sofort in die Verbannung geschickt worden waren, oder solche wie ich, die erst ihre Lagerhaft verbüßt und dann hierher geraten waren. Viele hatten sich Familien zugelegt, es gab eine Menge Kinder und sogar schon halberwachsene Jugendliche. Diese Sprößlinge zählten schon nicht mehr zu den Verbannten; sie konnten ihr Leben so einrichten, wie sie es für richtig befanden – ganz nach ihrem Belieben. Manche verließen den Ort, um eine Ausbildung zu machen und ließen sich dann in Krasnojarsk nieder, aber nicht wenige der junden Leute blieben auch mit den Eltern im Dorf und arbeiteten auf den Farmen, in mechanischen Werkstätten u.ä. Zu den Freien gehörten der Direktor der Sowchose, Iwan Karpowitsch Anufrijew, eine Reihe von Spezialisten, Lehrer sowie eine vergleichsweise kleine Schicht von gewöhnlichen Arbeitern. Im übrigen stellte wohl niemand irgendwelche Berechnungen an, genau so, wie es auch keine merklichen Grenzen zwischen diesen beiden Gruppen gab. Was das nationale Gefüge betraf, so war dies recht zusammengewürfelt – vor allen Dingen unter den Verbannten: hier gab es nicht nur Vertreter der Völker der UdSSR, sondern auch Deutsche, Polen, Koreaner und treue Chinesen – Mischa und Wanja, und im allgemeinen gab es von jeder dieser Kreaturen ein Paar, einschließlich zweier russischer Emigranten – einer davon war ich, der andere ein gewisser Jaworskij aus der Tschechoslowakei, ein äußerst intelligenter Mann, ordentlich, aber wenig aktiv, der sich in der Sowchose in erster Linie als Leiter der Geflügelfarm eingelebt und sich gewissermaßen körperlich und seelisch niedergelassen hatte. Die Beziehungen aller untereinander waren wohlwollend, niemand machte irgendwelche Unterschiede zwischen den Nationalitäten, und wenn dem einen oder anderen auch mal ein Streich gespielt wurde, so war das nicht als Kränkung gemeint, sondern als gutgemeinter Scherz. Praktisch waren alle verbannten Politische, und nur einige wenige fielen unter einen Strafrechtsparagraphen, und die waren nicht „wetterbestimmend“, sondern fügten sich ganz organisch in die Gemeinschaft mit ein; sie waren gute Arbeiter und sparsame Wirtschafter. Einer von ihnen, genauer gesagt zwei, arbeiteten mit mir in ein- und derselben Brigade. Mit einem davon arbeitete ich als Paar gleich in den ersten Tagen meines Lebens in der Sowchose zusammen, und zwar im Lagerraum eines großen Siloturms. Der zweite, der mit Spitznamen „Kolka-Smech“ (der lachende Kolka“; Anm. d. Übers.) hieß, weil er immer so einen liebenswerten Ausdruck hören ließ: „Zum Totlachen!“. Und den wandte er selbst dann an, wenn er gestürzt war und sich das Bein gebrochen hatte. Er war als Fuhrmann tätig und brachte Baumaterialien zu den verschiedenen Objekten. Kolka war verheiratet, besaß sein kleines Häuschen, wo er in der Regel immer einen Teil seiner Ladung ablud. Wenn er bei einem neuen Bauobjekt eingetroffen war, stellte er immer zuerst die Frage: „Was kann man hier klauen?“ – Natürlich drückte er sich noch viel farbenprächtiger aus. Alle mochten ihn wegen seines fröhlichen Wesens, mit Ausnahme des zweiten Fuhrmanns – Wanja, der Chinese. Wanja war ein alter, häßlich aussehender Chinese, aber er war verheiratet mit einer kräftigen, jungen Russin und hatte einen Haufen Kinder. Kolka machte sich über Wanja immer lustig, indem er ihn genauestens über seine Intimitäten ausfragte. Wanja wurde böse: „Du bist gräßlich Kerl! Pfui Deibel! Du Hund! Pfui!“, spuckte er, rief jedoch bei Kolka und den anderen Umstehenden nur ein Lachen hervor. Da nun schon die Rede von den familiären Angelegenheiten Wanjas des Chinesen ist, so macht es durchaus Sinn, etwas mehr Klarheit in diese Sache zu bringen, denn es war die Widerspiegelung der gesamten sozialen Erscheiningsbildes jener Epoche. Es war nämlich so, daß fast bis in die 1960er Jahre hinein Kolchosarbeiter überhaupt keine Ausweise und auch nicht das Recht besaßen, ihre Kolchose zu verlassen. Burschen, die zur Armee eingezogen wurden, durften nach ihrer Demobilisierung in der Stadt bleiben, ein Paß erhalten und ein „freier Vogel“ werden. Natürlich kehrten nur wenige in ihre Kolchosen zurück. Für Mädchen bestand die einzige Möglichkeit aus ihrer Leibeigenschaft zu kommen darin, einen Mann zu heiraten. Wir brauchen dabei gar nicht groß vom Defizit an örtlichen Bräutigamen zu sprechen – jedenfalls nahmen Mädchen und Frauen sich gern jemanden zum Mann, um nur in den Genuß eines Ausweises zu gelangen und sich damit das Recht auf Handlungsfreiheit zu erwerben. Auf diese Weise wurde die benachbarte Kolchose für unsere Sowchose zum Zulieferer von Bräuten. (Die Arbeiter waren von den Paß-Beschränkungen nicht berührt). Sie gingen aus und ein, ohne dass jemand hinschaute, wie man so schön sagt. Die meisten von ihnen wurden in der Sowchose seßhaft, wobei sie ihre bisherige Lebensart in keiner Weise änderten, aber offenbar schuf schon die Möglichkeit, für sein eigenes Schicksal zuständig zu sein und es gewissermaßen zu lenken und zu verwalten, einen ganz bestimmten psychologischen Komfort. Gelegentlich stieß man auf ganze Dynastien. So wohnten beispielsweise in unserer Nachbarschaft die drei Schwestern Purik aus dem Nachbardorf Bulankowa. Zwei von ihnen hatten zu unterschiedlichen Zeiten Männer aus unserem Verbanntenkreis geheiratet; der Mann der dritten Frau war Zootechniker – ein freier Mann. Die vierte Schwester lebte immer noch mit den Eltern, ziemlich wohlhabenden Leuten, in Bulanowka. Ich war mit ihr bekannt. Es war ein sehr liebenswertes Mädchen von 15-16 Jahren. Sie gefiel mir, und auch sie blickte hoffnungsvoll auf die Entwicklung unserer Beziehungen. Ich fühlte das sehr deutlich, sah jedoch ein, dass es sich für mich, einen Stadtmenschen, der an die Führung einer Hilfswirtschaft nicht gewöhnt war, ohne die das Leben auf dem Lande sinnlos gewesen wäre, ohne Dach über dem Kopf sowie ohne jegliche Perspektiven für das weitere Leben, einfach nicht lohnte, diesem treuherzigen Mädel noch länger den Kopf zu verdrehen, und so bemühte ich mich, ihren Weg nicht mehr zu kreuzen, obwohl mich das sehr traurig machte. Ich habe bereits geschrieben, dass ich mit 40 Rubeln in alter Währung in der Sowchose eintraf. Aber der Direktor war ein guter, wenngleich strenger Herr, der seinen Arbeitern gegenüber zwar anspruchsvoll war, ihnen jedoch bei Lebensproblemen immer entgegenkam, denn er verstand nur zu gut, dass die Einstellung zur Arbeit auch immer von den Bedingungen abhängt, unter denen man lebt. Deswegen veranlaßte er, den Neuankömmlingen gleich am ersten Tag einen Vorschuß auszuzahlen, und er stellte natürlich für sie auch eine Unterkunft sicher, für manche im Wohnheim, für andere in irgendeiner privaten Wohnung.
Je nach Charakter und Neigung beeilten sich die Leute, im Geschäft ein Paar Stiefel, eine modische Schirmmütze oder, wie ich, eine Wolldecke zu erwerben. Damit begann auch meine Haushaltsausstattung. Die Verpflegung erfolgte vorwiegend in der Sowchosen-Kantine, in der die Preise wirklich „lachhaft“ waren: so kam ich in der Anfangszeit mit 7 Rubel (70 Kopeken vor der Reform) pro Tag aus, ohne beim Füllen meines Bauches zu sparen. Wie ich bereits sagte, wohnte ich zunächst in einer Privatwohnung, dann erhielt ich einen Platz im Wohnheim. Dort freundete ich mich mit zwei Kameraden aus dem Sowchosenalltag an – Schenka Hutmanis, einem Lettland-Russen (oder umgekehrt) und Iwan Beskorowajnij, einem West-Ukrainer, ein schon etwas älterer Mann, obwohl auch Schenka und ich unsere besten Jahre hinter Gefängniszäunen zurückgelassen hatten. Nichtsdestoweniger waren wir nach Iwans Meinung noch „flotte Burschen“, als er bereits ein „alter Kavallier“, also ein alter Junggeselle, war. Uns vereinte unsere humorvolle Wahrnehmung des Lebens, die Neigung zum Spotten und Grinsen. Iwan war besonnen, mochte gern alles gut und umsichtig erledigen, und wenn er etwas kaufte, dann war es immer nützlich und solide. „Du nimmst es in die Hand und merkst, dass du was Vernünftiges hast!“ – sagte er in solchen Fällen. Abends, nach der Arbeit, gingen wir oft ins Kino oder auch einfach nur spazieren, sofern das Wetter gut war. Manchmal gingen wir auch zum Tanzen in den Club, wo meist nur die Mädchen tanzten, während die Burschen entlang den Wänden auf Bänken saßen und Sonnenblumenkerne knackten. Iwan ging aufgrund seiner physischen Mängel und seines Alters nicht gern in den Club, höchstens um in Gesellschaft zu sein. Er schaute nicht nach den Mädchen, obwohl er manchmal, wenn er eine Schönheit mit besonders dickem Hintern erblickte, aufseufzte und meinte: „Das ist vielleicht ein Prachtweib!“, woraufhin Schenka erwiderte: „„Du nimmst sie in die Hand und merkst, dass du was Vernünftiges hast!“ – Manchmal holten wir uns zu dritt eine Flasche Rotwein; zum Trinken gingen wir nach draußen und sangen dabei russische und ukrainische Lieder. Eines schönen Tages, wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel, traf die Nachricht von N.S. Chruschtschows Rede auf dem 20. Parteitag über Stalinsn Personenkult ein. Diese Nachricht erschütterte die Öffentlichkeit in keinem geringeren Maße, als die Nachricht über den Tod des Großen Führers. Unter den Verbannten setzte in Erwartung von entscheidenden Veränderungen ihrer persönlichen Lage eine gewisse Belebung ein, die Freien waren fassungslos. Und tatsächlich wurde schon bald darauf für viele eine Amnestie verkündet, für andere wurde der Verbanntenstatus aufgehoben und wiederum andere wurden rehabiltitiert. Viele kehrten in ihre ursprüngliche Heimat zurück, verkauften spottbillig ihre Häuser und ihren Besitz. Diejenigen, die beschlossen, ihr Leben mit der Sowchose zu vereinen, erwarben diese Häuser. Die Sowchose stellte Darlehen zur Verfügung. Auch ich hätte mich hier natürlich niederlassen können, aber, wie ich bereits sagte, fühte ich mich zur Landwirtschaft nicht hingezogen, um so mehr, als ich auf Veränderungen in meinem Schicksal hoffte.
Auch Ausländer wurden allmählich nach Hause entlassen; und mein Brigade-Kamerad Heinz Schuhmacher, der Flugkapitän der Luftwaffe, reiste ebenfalls ab. Übrigens schien er mit der Aufklärung in Verbindung zu stehen, ähnlich jenen Fliegern, die mich seinerzeit in den Wäldern von Wologda abgesetzt hatten. Einmal rief man mich in die Kommandantur. Es war genau derselbe Bursche, der uns auch in die Sowchose gebracht hatte, und nach dessen Idee wir uns eigentlich jeden Monat einmal hätten melden und registrieren lassen müssen. Das war wohl die einzige Einschränkung, und auch sie wurde nur von Fall zu Fall durchgeführt. Der Kommandant verkündete, dass ich nun auch einen Antrag auf Abfahrt aus dieser Gegend stellen könnte, und zwar Wahlweise auf Ausreise nach Bulgarien oder Deustchland. Ich selber hatte auch schon lange Zeit vorher darüber nachgedacht. Dorthin zurückkehren, wo ich vor dem Nichts stehen und, wie früher, das ziellose Dasein eines Emigranten, ohne jegliche Perspektiven, fristen würde? Oder mich lieber wieder in die Dienste irgendeines CIA oder Geheimdienstes begeben, und diesmal dann ein ganz bewußter Vaterlandsverräter werden? Ich wollte weder das Eine noch das Andere. Ich hatte auch so schon teuer genug für die Möglichkeit bezahlt, meine Heimat zu besitzen, ein eigenes Leben mit meinem Volk zu führen, und wenngleich meine Zukunft noch mit düsterer Ungewißheit verhangen war, war meine Antwort eindeutig: ich werde nirgends hingehen. Das teilte ich auch offiziell dem Kommandanten mit und übergab ihm gleichzeitig ein an den Obersten Sowjet gerichtetes Gesuch, in dem ich darum bat, die Staatsbürgerschaft der UdSSR zu erhalten. Weiter brauche ich hier nichts beschreiben: ich kehrte nach Krasnojarsk zurück, erhielt die Staatsbürgerschaft, begann eine berufliche Ausbildung und machte gemeinsam mit meinem Lande alle Etappen durch – vom Flug in den Kosos, bis zum Hineinkriechen in den Sumpf der „demokratischen Perstrojka“. Ich erfuhr keinerlei Diskriminierungen, weder bei der Suche nach Arbeit, noch bei meiner Immatriulation am Institut. Die ganze Region war damals mit Leuten wie ich überfüllt, und das Wort „Verbannter“ war kaum eine bessere Empfehlung beim Antritt einer Arbeitsstelle. Was bleibt mir noch hinzuzufügen, wenn ich die Bilanz meines Lebens ziehe? Die undankbarste Sache ist die zu bedauern, was geschehen ist, und darüber zu seufzen, was gewesen wäre, wenn ... Ich bereue nichts. Ich habe mit offenem Herzen gelebt, ging beharrlich auf alle gesteckten Ziele zu, obwohl ich dabei vielleicht nicht gerade die besten Wege beschreiten konnte; aber ich erreichte diese Ziele, erwarb mir eine Heimat und meinen Platz darin.
Ich lebte,wobei ich nicht immer nur an mein eigenes Wohlergehen dachte, sondern vielmehr auch an den Nutzen für die Gesellschaft; ich habe für mich kein Haus aus Stein gebaut, finanziell nie große Sprünge gemacht, aber ich hatte auch nie Angst, den Menschen fest in die Augen zu schauen, und ich zuckte auch nicht gleich zusammen, wenn es an der Tür klopfte. Zwanzig Jahre arbeitete ich als Lehrer, nachdem ich ganz bewußt diesen Beruf gewählt hatte, obwohl man dafür nur ein bescheidenes Gehalt erhielt; ich tat das, um meine Lebenserfahrung, meine Weltanschauung und politische Überzeugung an diejenigen weiterzugeben, die uns eines Tages ablösen werden. Ich weiß nicht, wie weit mir das gelungen ist, aber ich glaube, dass ich in manchem Herzen meine Spuren hinterlassen habe. Die wertvollste Belohnung für mich waren Briefe meiner Schüler mit der Anrede „Lehrmeister!“, sowie jene halb scherzhafte, halb ernstgemeinte Medaille, die mir meine Arbeitskollegen und Schüler überreichten und die die Aufschrift „Für erwiesene Menschlichkeit“ trägt. Was jene politische Idee betrifft, deretwegen ich mein ganzes Leben lang gekämpft habe,so bin ich ihr treu geblieben, und das nicht aus Eigensinn, sondern aufgrund des Vergleichs zwischen der realen und nicht der theoretisch-ideellen Wirklichkeit der kapitalistischen Welt, mit der fernab von allen wohltätigen Dekorationen liegenden Wirklichkeit der Welt des Sozialismus.
Ich fand im Land des Oktober in bedeutendem Maße jene Ideale des Humanismus, der sozialen Gerechtigkeit, der Möglichkeit seinen Weg zu wählen und der Gewißheit über den morgigen Tag, von denen wir in den 1930er Jahren geträumt hatten, wir, die jungen kommunistisch angehauchten Idealisten aus illegalen Kreisen. Mögen diese Ideen auch von Bürokraten-Umwälzern diskreditiert worden sein, mögen auch diejenigen bespuckt und in den Schmutz gezogen worden sein, die, wie das unter einer Eiche lebende Schwein in Krylows Fabel, von den Früchten der Arbeit des Volkes Fett ansetzten, selber nicht wußten, wie sie irgendetwas zustande bringen sollten, aber weder in der Vergangenheit, noch in Gegenwart und Zukunft wird die Idee des Sozialismus sterben. Weder das Kreuz Golgathas, noch die Feuer der Inquisition, die Folterkammern der Bastille und des Tower oder der sibirischen Zwangsarbeit konnten sie zugrunde richten. Sie geht auch aus dem Müll der „Perestrojka“ hervor, kommt erneut und entsprechend den verantwortungsvollen Erfordernissen der Zeit, nachdem sie von allen Verfälschungen und Dogmen gesäubert ist. Jetzt stehen das Land und das leidgeprüfte russische Volk an der Schwelle neuer, noch unvorhersehbarer Schicksalserprobungen, und sie sind gesetzlich. Das Volk, wie auch der Einzelne, zahlen unausweichlich für ihre Fehler, ihre Faulheit, ihren nicht geleisteten Widerstand gegen das Böse – um der eigenen Ruhe willen. Aber ich glaube, dass das russische Volk wieder einmal die Kraft in sich finden wird durch den Schmutz zu schreiten und wieder aufzuerstehen – für ein neues, helleres und vernünftigeres Leben. Das Flämmchen dieses Lebens kann nicht erlöschen. Es glimmt irgendwo in den nördlichsten Dörfern, den uraltenen russischen Städten des Nicht-Schwarzerdegebiets, in halbvergessenen Liedern und Märchen unserer Vorfahren weiter. Es glimmt auch in den Angelegenheiten derer, die sich zum Kampf für einen gerechten sozialen Aufbau der Gesellschaft erheben, die die Zukunft des russischen Volkes im tödlichen Kampf gegen den Faschismus verteidigen.
In diesem Glauben beende ich mein Manuskript und auch meinen irdischen Lebensweg.
AMEN! – JA, SO SEI ES!