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Wladimir Worobjew. Späte Rehabilitation

Im Durchgangslager

Im Durchgangslager kamen wir in eine große Baracke; in der einen Sektion waren wir 260 Mann, hauptsächlich solche, die nach §58 verurteilt worden waren. Irgend so ein Tatar war der Brigadeführer, um ihn herum war eine Gruppe von "Nahestehenden" – „Lakaien" der Kriminellen, er bekam Brot und Zucker und teilte das alles auf seine Weise, indem er natürlich weder sich selbst noch seine Truppe benachteiligte. Aber es war bereits der Wendepunkt eingetreten, als die hartgesottenen Kriminellen, häufiger die sogenannten „suki" ("Hündinnen“; Anm. d. Übers.), anfingen, ihre Macht über die Häftlinge zu verlieren. In diesem Lager blieben wir bis Oktober 1950. In unserer Brigade bereitete sich das Kontingent hauptsächlich zur Abreise in den Norden vor, deswegen kamen die Menschen hier nur an, wurden jedoch seltener von hier abtransportiert - nur dann, wenn sie in die Tajschetsker Lager geschickt wurden. Es gab sehr viele ehemalige Soldaten, die wußten, was Disziplin war, viele waren bereits in Lagern mit besonders strengem Regime gewesen, einige kehrten in ihr Lager zurück, nachdem sie über den Ort des Verbrechens ausgesagt hatten, wenn sich im Gefängnis einer gefunden hatte, der mit ihnen zusammen bei den Deutschen gedient hatte, usw.

Viele trafen ihre Mitlagerinsassen und schloßen sich zu Gruppen zusammen, aßen gemeinsam und verteidigten sich gegenseitig. Sie waren auch der Kern der Gruppe, die, anfing für Ordnung zu sorgen. In den beiden Türen wurden jeweils zwei Stubendienstler postiert, und die achteten darauf, daß keine Fremden zu uns hereinkamen. Einmal drang eine Gruppe von Kriminellen in die Baracke ein und begann Sachen zu rauben. Aber alle stürzten sich gemeinsam auf sie, zwei wurden sogar zu Tode geprügelt. An jenem Abend gingen fünfzehn von unseren Leuten zu den Anführern der Kriminellen, redeten eine Zeit lang mit ihnen und warnten sie, daß sie uns nicht belästigen und nicht „Faschisten“ rufen sollten, wie wir damals von den Kriminellen und der Lagerleitung genannt wurden. Danach ließen sie uns in Ruhe.

Täglich spielten sich vor unseren Augen Schlägereien unter den Berufsverbrechern und den „Hündinnen“ sowie diversen anderen “Schattierungen“ von Alltagsverbrechern ab. Es kamen Etappen an, irgendeiner war irgendeinem anderen „verpflichtet“ und auf diese Weise, bis hin zum Totschlag, klärten sie die Verhältnisse untereinander. Im Durchschnitt ereigneten sich, wie wir zusammenrechneten, täglich 8-10 Morde. Die Lagerleitung machte sich darüber nur lustig. „Wozu euch umbringen, wenn ihr euch schon selber totschlagt“. Sehr selten wurde aufgrund dieser Tötungsdelikte eine Strafakte angelegt - die Leute wurden einfach im Archiv abgelegt. Das Lager war in Zonen unterteilt, die sich untereinander feindlich gesinnt waren, bei der Ankunft der Häftlinge, am Wachhäuschen, fragte der operative Bevollmächtigte sie, in welche Zone sie wollten. Unsere Brigade wurde hauptsächlich im Lagerdienst verwendet: wir trugen das Essen in die verschiedenen Zonen aus, waren in der Arbeitszone in der Tischlerei, reparierten die Baracken und räumten sie auf, wenn Gefangene auf Etappe geschickt worden waren. In der Wirtschaftszone kauften wir am Kiosk Machorka, Papirossi und handelten dann damit in den Zonen. Für ein Päckchen Papirossi konnte man einen schönen Anzug erwerben. Anschließend verkauften wir diese Dinge gegen Geld an andere weiter. Für unsere Kleidung und unser Essen sorgten wir selbst. Irgendwie mußte man ja leben und überleben.

Es gab eine Reihe außergewöhnlicher Ereignisse. Einmal kamen Kriminelle aus Workuta, eine große Etappe, ungefähr tausend Mann. Und gleich nach dem Betreten der Zone stürzten sie auch schon los, um ihre Schuldner zu suchen, überall entbrannten Schlägereien, häufig sogar Kämpfe mit blanken Waffen. Zu dieser Zeit befanden wir uns in der Arbeitszone, kletterten etwas höher hinauf, um das geschehen zu beobachten. Von den Wachtürmen wurde aus automatischen Waffen das Feuer in die Zone eröffnet. Danach wurde das Tor weit geöffnet - sie rollten Maschinengewehre herein und begannen wie in einer Schlacht zu schießen. Jedoch dauerte das Gefecht so lange, bis Soldaten mit Schäferhunden in die Zone kamen und alle „Kämpfer“ auf dem Boden lagen.

Im Gedächtnis haften geblieben ist die Zeit, als Seeleute aus Kaliningrad ankamen. Es war eine ganze Mannschaft, die da mit irgendeinem Kreuzer eintraf. Beim Betreten der Zone fingen sie an, die Kriminellen zu jagen und sie zu zwingen zu „Hündinnen“ zu werden und sich der Lagerleitung gefügig zu machen. Acht Mann, die am starrköpfigsten waren, worden aufgehängt. Die Kriminellen stürzten sich auf die Lagerleitung, und diese brachte sie in der BUR (Baracke mit verschärftem Haftregime) unter. Den Seeleute gratulierte die Leitung. Sie konnten überall zu mehreren hingehen, erhielten Essen und stellten eine mit Stöcken bewaffnete Wache auf, welche sie bis zu der Baracke begleitete, in der sie wohnten.

Außer Mitja Medwedew war auch Pjotr Wlaschtschik mit mir in dieses Lager geraten. Wir verstanden uns gut und arbeiteten zusammen. Im Sommer kam mein Vater zu Besuch. Ich sah ihn damals zum letzten Mal, sein Herz hielt die Tragödie nicht aus – er starb ein Jahr später. Den Inhalt des Paketes, das er mitgebracht hatte, teilten wir unter uns Kameraden auf. Zu dieser Zeit lernte ich Boris Schulwalow kennen, einen ehemaligen Panzersoldaten und Major. Er stammte aus der Altai-Region und zählte auch mich zu seinen Landsleuten. Er erzählte, wie er aus dem Lager geflüchtet war, in der Taiga gelebt hatte; später hatten sie ihn gefaßt, und dann hatte er eine weitere Haftstrafe erhalten. Damals las er sehr viel, konnte gut erzählen, wir lauschten, und nach und nach wurde er unser Anführer. Er konnte boxen, beschützte uns, die jungen Leute, und die, die uns beleidigten, bekamen von ihm ihre Strafe ab.

Bereits im Herbst, so im Oktober 1950, wurden wir auf einen Schleppkahn verladen und in den Norden gebracht. Der Kahn war in vier Sektionen unterteilt. Schuwalow umzingelte mit einer Gruppe Soldaten unseren Bereich und warnte die Kriminellen davor, daß sie auf der Stelle getötet würden, sobald einer von ihnen anfing die anderen Häftlinge zu unterdrücken. Der Häftlingstransport verlief ohne besondere Vorkommnisse. Wir waren drei oder vier Tage und Nächte auf dem Wasser, bis wir Dudinka erreichten.

 

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