Ich wurde 1920 im Gebiet Woronesch, Rossoschansker Gouvernement, Podgorensker Kreis, Pjerwomajsker Dorfsowjet, Einzelgehöft Galskij, geboren. Der Vater war Mittelbauer. Wir besaßen zwei Pferde und zwei Kühe, 10-12 Schafe, 2-3 Schweine, Hühner und Gänse, und die Eltern arbeiteten, wie man so sagte, von früh bis spät, aber auch wir Kinder bekamen nicht wenig ab: Schweine oder Gänse hüten, oder sich mit den kleineren Kindern abgeben. Aber vom 6. Lebensjahr an mußten wir auch schon Unkraut jäten, da waren wir schon so etwas wie Hilfsarbeiter, und zum Lernen war überhaupt keine Zeit.
1930 trat der Vater nicht der Kolchose bei. Dafür wurde er zu 3 Jahren verurteilt und nach Murmansk verbannt, und beiMama kamen sie an und haben sie, wie man das nannte, entkulakisiert, enteignet; alles, was wir besaßen – bis hin zu den kleinsten Dingen – wurde uns weggenommen; Vieh hatten wir nur wenig, irgendwelche Lumpen und Tücher gab es, und das nahmen sie alles mit. Das Haus, in dem wir lebten, war alt, mit Stroh gedeckt, und der Fußboden war einfach Erde. Unsere Familie bestand aus 8 Mitgliedern ohne Papa; Mama war 55 Jahre alt. Der älteste Bruder, geb. 1905, war ein Krüppel, gelähmt, die älteste Schwester war 1914 geboren, und ein weiterer Bruder 1918 und noch einer 1927, und nachdem sie bei uns alles beschlagnahmt hatten, brachten sie uns weg in einen anderen Kreis und siedelten jeweils zwei Familien in einer alten, ärmlichen Hütte an. Wir lebten dort 5 oder 6 Monate, gingen in der Weltgeschichte umher und baten um Almosen, denn wir bekamen dort nichts zu essen. Dann brachten sie uns mit einem Zug, in einem Güterwaggon (wie man früher sagte, in einem Kälberwagen), in dem mehrere Familien untergebracht waren, nach Irkutsk II – früher hieß das Inokentjewsk – und warfen uns innerhalb einer hohen Umzäunung hinaus. Das war das Alexandrowsker Zentral-Gefängnis. Wir wurden in Kasernen untergebracht, und alle Familien schliefen in einer Reihe auf dem Fußboden.Wir wurden sehr schlecht verpflegt. Ich weiß nicht mehr, wieviel Brot wir bekamen, aber es war sehr wenig, und dann eine Brühe, die war ganz dunkel und trübe von verfaultem Fisch. Wir hatten schrecklichen Hunger und waren ganz schmutzig. Die Läuse fraßen uns auf, ins Badehaus schickten sie uns selten. Von Irkutsk transportierten sie uns auf Lastkähnen weiter; wieviele Tage wir auf dem Wasser waren, weiß ich nicht mehr; dann weiter mit Pferden, die in zweirädrige Karren eingespannt waren. Wir liefen zufuß, aber kleine Kinder und Kranke saßen auf den Fuhrwerken; die Wege waren sehr schlecht, umgeben von Taiga, und überall Dreck und sumpfiger Boden; ich weiß nicht mehr, wie lange wir fuhren. Dann sind wir auf Flößen gefahren, anschließend wieder auf Lastkähnen – bis wir nach Bodajbo kamen. Dort wurden wir an die Kommandantur übergeben, und die Leitung wunderte sich darüber, daß unsere Familie aus 8 Personen bestand und nicht eine davon arbeitsfähig war; sie wußten gar nicht, wo sie uns hintun sollten. Mama und die älteste Schwester kamen zur Arbeit in den Lagerraum, wo leere Verpackungen lagen und sie Säcke ausbessern mußten. Über die Säcke, in denen sich Mehl befand,haben sie sich gefreut; sie haben sie ein wenig ausgeschüttelt und ausgeklopft und konnten so in der Tasche 200 oder 300 gr Mehl mit nach Hause bringen. Und aus dem Mehl haben wir dann eine Brühe gekocht. Uns Halbwüchsigen (mein Bruder war 13 und ich 11) haben sie gewaltsam von Mama weggeholt und zum Bergwerk Swetlyj gebracht; da kamen wir in Zelten unter und wurden gezwungen, den Wald abzuholzen, zu roden und Baumstümpfe vorzubereiten.
Der Bau von Baracken fand unter der Aufsicht der Kommandantur statt. Wir bekamen schlechtes Essen. Dort gab es den Fluß Schuja. Und wir wurden Sonderhäftlinge und nicht Kulaken genannt, und dann fingen sie an, uns als Sonderzwangsansiedler zu bezeichnen.
Wir lebten am linken Ufer des Flüßchens, die Freien auf dem rechten. Einmal wurden meine Freundin und ich aufgefordert, in der Kantine der Freien nachts den Fußboden aufzuwischen; darüber haben wir uns sehr gefreut, weil wir annahmen, daß wir uns dort sattessen könnten; dreimal gingen wir hin und zurück und bewiesen das auch dem Kommandanten. Er rief uns hinaus und verpaßte uns dafür 5 Tage und Nächte Arrest im Kittchen. Wir saßen dort eine Nacht lang, zwei Mädchen im Alter von 12 Jahren, und natürlich weinten wir, und unsere Mama hat auch geweint. Uns wurde nicht gestattet irgendwo anders zu arbeiten als in der Forst-Abteilung; seit 1932 besitzte ich ein Arbeitsbuch, und darin steht die Eintragung, daß ich in der Forst-Abteilung als Holzfällerin gearbeitet habe (ein 12-jähriges Mädchen). Dann lebte ich als Kindermädchen bei irgendwelchen Leuten, und als bei uns der Klub errichtet wurde, da war ich schon 16 oder 17 Jahre alt. Da fingen wir an, im Dramaturgie-Kreis mitzumachen – das heißt also nicht im Wald leben, sondern zuhause. Damals hat die Kommandantur uns erlaubt, im Schacht zu arbeiten. Ich habe die Fördereimer getragen und war auch selber Förderarbeiterin. Dann habe ich Kurse absolviert. Ich fing an, die Kompressoren oder die Ankerwinde an den Pumpen zu bedienen. Im allgemeinen sind wir immer da hingegangen, wo es nötig war, und haben uns nie geweigert; eigentlich kann man das alles gar nicht beschreiben, aber man mußte viel Kummer ertragen - und wofür? Wir wissen es nicht. 1941 erhielten wir Pässe, und unsere Brüder und alle Zwangsumsiedler wurden an die Front geschickt, und so kam mein Bruder auch nicht zu uns gefahren, sondern verstarb an einer Verwundung in der Stadt Koltschugino.
Als wir unter der Aufsicht der Kommandantur standen, abgesondert von den Freien, da haben wir so ein Lied komponiert, aber wir hatten Angst es zu singen, weil der Kommandant uns Arrest geben und uns bestrafen würde, wenn er es hörte. Das erinnere ich noch: Ach, du Schicksal, mein Schicksal, mein bitteres Schicksal, du bist schwer und trostlos, schwer und bitter, bitter Tag und Nacht". Den Boden hab' ich bearbeitet, die Mutter Erde hab' ich umgepflügt, und nach dem Dreschen, mußte ich der Regierung Getreide abgeben: Und da setzte die Zeit des Bösen ein; kräftige, junge Burschen wurden verurteilt, nicht verurteilt, sondern angeklagt; alle wurden verhaftet, alles wurde mitgenommen, bis alles wie leergefegt war, und die Kinder wurden zusammen mit der lieben Ehefrau nach Kotlas abtransportiert. Ich sitze im Gefängnis und leide, die Tränen fließen aus den trüben Augen; ich sitze da und stelle mir vor, wie es jetzt im Norden ist: nackt, barfüßig, die armen Kinder kriegen eine ganze Woche nichts zu essen. Am Sonntag kam die alte Mutter zu den Gefängnis-Toren, um ihrem leiblichen Sohn ein Paket zukommen zu lassen; geben Sie es ihm, sonst sagen die Leute noch, daß man die Häftlinge im Gefängnis schrecklich hungern läßt, und der Pförtner schmunzelte und gab ihr zur Antwort: dein Sohn ist letzte Nacht zum Tod durch Erschießen verurteilt worden. Das Urteil ist vergangene Nacht am Gefängnisfenster vollstreckt worden: Als man das Urteil verlesen hat, haben die Sterne und der Mond das erfahren. Ich habe das Paket von den allerletzten Groschen gekauft, so geben Sie es den anderen Häftlingen zur Erinnerungen an ihn. Die alte Mutter geriet ins Wanken, ging durch das Gefängnistor, und niemand weiß, was sie im Herzen mit sich davontrug. Und wer das alles durchmachen mußte, dem schmerzte das Herz.