Bekanntlich verbrachte der zukünftige „Vater des Volkes“ seine zaristische Verbannung von 1913-1916 zuerst in der kleinen Siedlung Kostino, im Turuchansker Gebiet, und später dann in Kurejka am Polarkreis, wo in der Folgezeit ein Ehren-Museum errichtet wurde. Aber im großen und ganzen mochte sich der Führer in späteren Jahren gar nicht gern an die Verbannungszeit in Kurejka erinnern. Veteranen aus Igarka (Nachrichtensoldaten) sagen, daß zum 70. Geburtstag Stalins unter erheblichen Mühen eine Telefonleitung von Moskau nach Kurejka gelegt wurde, aber der Jubilar hatte nicht den Wunsch, mit Kurejka zu sprechen. Ganz außer Acht gelassen wurde auch der untertänige Bericht von Norilsker GULag-Insassen über die Fertigstellung des Ehren-Museums in Kurejka. Die Gründe dafür lassen sich nur erraten. Die Fakten sprechen davon, daß es nichts gab, worauf man hätte stolz sein können. Er erledigte keinerlei revolutionäre oder publizistische Arbeit, was dort unter den gegebenen Bedingungen auch gar nicht möglich war, befaßte sich nicht mit Selbstunterricht, erlernte keine Fremdsprachen. Er amüsierte sich auf abendlichen Vergnügungen und ließ sich irgendwelche kleineren Vergehen zu schulden kommen. Er zerstritt sich mit seinen Kameraden, von denen die meisten später in Folterkammern oder Lagern des NKWD verfaulten: Stalin duldete keine Zeugen seiner bei weitem nicht makellosen Jugend. Während Stalins Verbannung bestand die gesamte Bevölkerung Kurejkas aus 38 Männern und 29 Frauen. Die Einwohner waren Jäger und Fischer. Josef Dschugaschwili war ebenfalls Feuer und Flamme für den Fischfang. Im übrigen gab es noch eine weitere Beschäftigung, der er sich mit viel Vergnügen widmete: gesellige Abende und Saufgelage. Und hier war ihm Swerdlow, mit dem er zusammen die kleine Kate der Tarassejews bewohnte, kein guter Kamerad. Bereits nach kurzer Zeit lief Jakob Michailowitsch auf und davon und suchte sich ein anderes Quartier. Und was soll man sagen ... Der Doktor der Geschichtswissenschaften Sergo Mikojan schreibt in dem Artikel „Die Askese des Führers“ (im „Ogonjok“-Heft Nr. 15): „Stalin selbst hatte sich drei Jahrzehnte zuvor ein wenig lustig gemacht und den Mitgliedern des Polit-Büros erzählt, wie er einmal mit Swerdlow gemeinsame eine Wirtschaft geführt hatte. Um sich nicht mit dem Küchendienst abwechseln zu müssen, bereitete er extra ein ungenießbares Mittagessen. Und als Stalin eine doppelte Portion Suppe essen wollte, und von seinem Teller probiert hatte, spuckte er daraufhin in den Teller von Swerdlow. Der schob ihn natürlich beiseite, und der zufriedene „Verbannungskamerad“ aß alles auf“.
Koba wohnte nicht sehr lange bei den Tarassejews, sondern zog bald in einen Anbau der kleinen Kate der Perepryschins um. Aus den Worten der Tarassejewa, die sie einmal gegenüber den Perepryschins äußerte, ergibt sich eine für den sibirischen Bauern wenig schmeichelhafte Charakteristik: „Sie haben Hunger, aber alle singen und tanzen“. Im allgemeinen liebte man es in Kurejka viel zu trinken, was auch der bekannte englische Ornithologe, Professor Henry Siboma bezeugen kann, der zu Beginn des Jahrhunderts im Kreis Kurejka Material für sein Werk „Die Vögel Sibiriens“ sammelte: „Wir verließen die Siedlung mit der bittersten Vorahnung für ihre Zukunft. Massen-Trunksucht, Schulden und Geldpumpen, bis sie zuguterletzt alles, was wenigstens noch ein bißchen wertvoll war, an irgendwelche Zwischenhändler verloren hatten.
Aber der verbannte Koba, nun 35 Jahre alt, tauchte völlig in diesen Strudel ein und mußte sich auch gar nicht erst an diese Gewohnheiten anpassen. Später, nachdem er zum uneingeschränkten Kreml-„Selbstherrscher“ geworden war, erzählte er N.S. Chruschtschow auf der Datscha in Kunzewo während einer der üblichen Zechereien, mit denen er gern seine wahren Kampfgefährten testete, voller Stolz von seinem Vater, der in einer Schlägerei mit Betrunkenen mit einem Messer abgeschlachtet worden war: „Als ich noch in der Wiege lag, tauchte er den Finger in ein Glas Wein und ließ mich dann daran saugen. Er hat mir das Trinken schon in der Kindheit beigebracht“. Wodka war in dem entlegenen Kurejka teuer. Eine Flasche Alkohol, zum Beispiel, kostete 4-5 Rubel. Woher sollte ein Verbannter das nehmen? Die staatliche Unterstützung reichte nur zum Leben. Und so verschickte Stalin mitleiderregende Briefe an seine Bekannten, mit der Bitte, ihm Geld zu schicken (später wird er all diese seine Wohltäter in Lager bringen lassen). Auch aus der Parteikasse schickte man ihm nicht wenig Geld. Allein innerhalb der ersten drei Monate seiner Verbannung erhielt der arme Soso 69 Rubel. Ferner kamen Überweisungen in Höhe von 650 und 100 Rubel. In dem Buch „J.W. Stalin in der sibirischen Verbannung“, gibt es eine enthüllende Antwort; darin hielt der Redakteur K.U. Tschernenko es für möglich, daß der „Herr“ es vorgezogen hatte zu vergessen. Beispielsweise eine Fotokopie der einzigen mit dem Nachnamen Dschugaschwili unterzeichneten Unterschriftenliste zur Unterstützung von armen und besitzlosen Verbannungsgenossen. Diese Unterschrift ist, im Gegensatz zu der von ihm selbst eingetragenen Summe in Höhe von ... 50 Kopeken, sehr schön anzusehen. Mitleid und Seelengröße zählten auch schon damals nicht zu seinen Vorzügen.
Der sowjetische Poet Kasimir Lossowskij erwähnte irgendwann einmal sehr lobend die Lampe, die in Stalins Museumszimmer auf dem Tisch stand: „Der Lichtschein dieser Lampe war weithin sichtbar. Alle diejenigen sahen ihn, die sich für den Kampf um die Freiheit und das Glück der arbeitenden Bevölkerung erhoben hatten“. Im großen und ganzen, wie es in dem Lagerlied heißt „habt ihr hier aus Funken Flammen entfacht; Dank sei euch –ich kann mich am Lagerfeuer erwärmen“. Wie in Kurejka das Mitglied des Russischen Büros des Zentralkomitees der Russischen Sozialdemokratischen Arbeiterpartei der Bolschewiken
J. Stalin die Flammen „entfachte“ ist ja bekannt. Den zweiten Band seines Gesamtwerkes vollendet ein von ihm im Februar 1913 verfaßtes Flugblatt. Der dritte Band beginnt mit einem Artikel „Über die Arbeiterräte und Soldatendeputierten“, der am 14. März 1917 in der „Prawda“ gedruckt wurde.
Im Dezember 1949 wurde mit großem Elan der 70. Geburtstag des Generalissimus begangen. Damals wurde beschlossen, mit den Mitteln und Arbeitskräften des Norilsker Bergbau- und Metallurgie-Kombinats in Kurejka ein Museum zu Ehren von J.W. Stalin zu errichten. Die kleine Kate, in der er damals gelebt hatte, war vollständig erhalten geblieben. Dorthin, ans Ufer des Jenissej, schickte er im Sommer 1950 aus Norilsk eine Brigade erfahrener Bauarbeiter-Häftlinge, die nur zu geringfügigen Haftstrafen verurteilt worden waren, ungefähr 200 Mann. Unter den Gefangenen befand sich Pawel Tscheburkin. Auch er gab seine Erinnerungen bei der Zeitung „Sapoljarnaja Prawda“ bekannt. In Kurejka war im Krieg eine Sowchose (Nebenwirtschaft) des Norilsker Kombinats gegründet worden, in der mit großen Verlusten Gemüse in Gewächshäusern gezüchtet wurde. Auf der Milchfarm, wo wenig ertragreiche Kühe gehalten wurden, stellte man Tafelbutter her, die ebenfalls um ein Vierfaches teurer war als gewöhnliche. Gemüse und Butter gelangten auf die Tische der Norilsker Leitung und wurde auch an die Kindergärten geliefert. In der Sowchose arbeiteten weibliche Gefangene und Verbannte. Bei Ankunft der Männer-Baubrigade wurden die Frauen ans andere Ufer des Jenissej gebracht, wo sie dann in der Holzbeschaffung arbeiten mußten.
Der Urheber des Projektes für das Ehren-Museum, der in Moskau selbst Fuß gefaßt hatte, war der norilsker Architekt Sergej Wladimirowitsch Chorunschij. Dem Sonderbüro für Bauprojekte stand Ingenieur Polosow voran. Aus Norilsk wurde es betreut vom Leiter der Verwaltung für Großbauprojekte des Kombinats, Nokolaj Pawlowitsch Jepischew und dem ehemals inhaftierten Ingenieur Josef Adolfowitsch Schamis. Unter dem Eisenbeton-Fundament des Pavillons fing man an, dicke Lärchenholzpfähle einzuschlagen. In den Holzfabriken von Jenissejsk und Podtjossowo wurden zwanzig Stück davon beschafft. Da sie nicht der Fäulnis unterworfen waren, rechnete man damit, daß sie zweihundert Jahre halten würden. Es wurde entschieden, Kurejka mit den angrenzenden Territorien vorbildlich auszubauen, um einen entsprechenden Hintergrund für das erhabene Museum zu Ehren des Führers zu schaffen. Eilig sollten eine neue Zehnklassen-Schule, ein Internat, ein Krankenhaus, ein Klub, zweistöckige Häuser mit Wasserleitungen für die Führung, die Spezialisten und Lehrer, und ein Pionierlager für die Kinder von Norilsk errichtet werden. Dieses Bauvorhaben ging schnell voran, und den Häftlingen wurde die Arbeitstage für eine vorzeitige Entlassung angerechnet.
Die Wände des Museumspavillons aus dicken Lärchenholzplatten wurden mit einer märchenhaften Geschwindigkeit errichtet. Von außen waren sie mit speziellen Stuck-Ornamenten verkleidet – unter rotem Granit. Es wurde auch ein besonderes Kraftwerk für die Beleuchtung des Pavillons rund um die Uhr sowie für die Beheizung erbaut. Die hohen, vom Fußboden bis zur Decke reichenden Fensterrahmen, waren so konstruiert, daß nirgends etwas einfrieren konnte, selbst bei grimmigstem Frost nicht. Für das Projekt war der Einbau von großen Fenstern aus Spiegelglas vorgesehen, zwischen denen warme Luft zirkulieren sollte.
Zum Sommer 1952 war die Bauerei beendet. Unter den zwölf Meter hohen Gewölben des Pavillons sorgte die helle Beleuchtung für eine Imitation des Nordlichts und ließ die kunstvoll bemalte Kuppel und die mit rotem Samt überzogenen Wände und Ausstellungsstände erstrahlen, an denen Bilder heroischer Biographien großer Führer hingen. In den Innenräumen hatte man diagonal einen Gang aus Parkettboden verlegt. Vor dem Gebäude war einen eine Grünfläche, ein Blumengarten und Beete angelegt worden. Der Museumsdirektor, Nikolaj Fjodorowitsch Kwassow führte nun mit den Passagieren eines jeden Dampfers, der regelmäßig für zwei Stunden am Ufer von Kurejka festmachte, eine Exkursion durch und erzählte, wie hier in der Abgeschiedenheit der „zaristischen Verbannung“ der „geniale Führer“ die proletarische Revolution in Rußland vorbereitet hatte.