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Geschichte einer Familie

Der Mensch in der Geschichte. Russland – 20. Jahrhundert.

Autorin.
Anastasia Viktorowna Albert

Klasse 9 b der kommunalen fiskalischen Lehreinrichtung der Suchobusimsker Allgemeinbildenden Oberschule

Leitung:
Larissa Anatoljewna Iwakina, Geschichtslehrerin

Beim Studium der Geschichte erfuhr ich von den Stalinistischen Repressionen und den während jener Zeit durchgeführten Deportationen. Es stellte sich heraus, dass die Geschichte meiner Familie Teil der Geschichte meines Landes ist.

Ich möchte von meiner Großmutter berichten. Sie heißt Ella. Geboren wurde sie 1931 in der Ortschaft Straßburg, Bezirk Pallassowka, im Gebiet Wolgograd. Ihre Eltern waren Christian Georgiewitsch Klauser und Maria-Jekaterina Iwanowna. Insgesamt gab es in der Familie acht Kinder, die Großmama war das achte Kind.


Geburtsurkunde meiner Großmutter Ella Christianowna Klauser


Meine Großmutter in ihrer Kindheit

Auf diesem Foto sieht man die Eltern meiner Großmutter. Omas Vater konnte lesen und schreiben, er besaß einen Verkaufsstand.

Als der Große Vaterländische Krieg ausbrach, wurde Großmamas gesamte Familie 1941 nach Sibirien ausgesiedelt, denn sie waren ihrer Nationalität nach Deutsche. Soldaten kamen, verkündeten, dass alle ausgesiedelt würden, und gaben ihnen drei Tage Zeit zum Packen ihrer Sachen. Die Erwachsenen weinten, als sie die Vorbereitungen für die Reise trafen, aber sie hegten die Hoffnung, dass sie irgendwann in ihr Heimatdorf zurückkehren würden. Das ganze Vieh mussten sie schlachten. Aus dem Fleisch machten sie Koteletts, übergossen sie mit ausgelassenem Fett, damit es länger haltbar blieb; sie räucherten außerdem Fleisch und brieten Hühner. Für unterwegs nahmen sie nur die allernötigste Kleidung mit.

Zuerst fuhren sie mit dem Zug, anschließend mit einem Lastkahn auf dem Jenissei. Man brachte sie in die Ortschaft Atamanowo, später mit Lastwagen ins Dorf Kowrigino im Suchobusimsker Bezirk, Region Krasnojarsk. Im Haus einer Familie wurden sie untergebracht. Anfangs benahmen sich die Einwohner misstrauisch gegenüber den deutschen Sondersiedlern, aber mit der Zeit gewöhnten sie sich an sie, fingen sogar an zu helfen soweit es ihnen möglich war.

Die Großmutter war zu der Zeit 10 Jahre alt; sie hatte daheim an der Wolga zwei Schulklassen beendet. Im Dorf Kowrigino konnte sie nicht zur Schule gehen, weil sie der russischen Sprache nicht mächtig war. Im weiteren Verlauf lernte die Großmutter die russischen Buchstaben, lernte lesen und schreiben.

Mit 13 Jahren begann sie in der Kolchose in der Gemüsezucht zu arbeiten. Auf den Feldern wurden Kartoffeln, Kohl und Lauch angebaut. Im Herbst ernteten sie das Gemüse von den Feldern, salzten den Kohl ein und verschickten ihn in den Norden.

Ab dem 14. Lebensjahr arbeitete sie in der Holzfällerei und als Melkerin auf der Farm.

Der Krieg ging zu Ende, die Jahre gingen dahin. Man schlug vor, in die Heimat an der Wolga zurückzukehren, aber in ihren Häusern lebten bereits andere Leute, und so konnten sie nicht wieder heimkehren. So blieb die ganze vielköpfige Verwandtschaft in Sibirien.

Meine Großmutter heiratete, brachte drei Kinder zur Welt, wohnte mit uns zusammen, das heißt bei ihrem Sohn, meinem Vater. Es fiel ihr sehr schwer sich an diese unglückseligen Jahre zu erinnern; sie meinte, dass sie überhaupt nicht glauben könne, dass all das ihr, ihrer Familie passiert war. Die Großmama bat Gott, dass uns nicht auch so etwas geschehen möge, das, was sie hatte durchmachen müssen.

Erst 1994 wurde Großmama rehabilitiert, man stellt ihren ehrbaren Namen wieder her und annullierte den illegalen Gesetzesakt gegen Personen, die der Zwangsumsiedlung ausgesetzt gewesen waren.

Am 20. Mai 2015 vollendete die Großmutter ihr 84. Lebensjahr. Sie sagt, dass sie niemals gedacht hätte, ein so langes Leben zu haben. Im Herbst verstarb die Großmama, und ich hielt es für meine Pflicht, über ihr schweres Schicksal zu berichten.


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