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Die Repressionen der 1930er Jahre

Städtische Bildungseinrichtung
Juksejewsker allgemeinbildende Mittelschule“

Forschungsarbeit:
„Die Repressionen der 1930er Jahre…“

Autorinnen:
Schülerinnen der 10. Klasse
Marina Belkina
Sneschana Galimowa
Tatjana Purluschkina
Leitung:
Swetlana Petrowna Michajlowa

Bolschemurtinsker Bezirk
Ortschaft Juksejewo, 2006

Rezension über die Forschungsarbeit „Repressionen der 1930er Jahre…“
(am Beispiel von in Juksejewo lebenden Familien)

An diesem Thema haben drei Mädchen aus der 10. Klasse gearbeitet: Tatjana Purluschkina, Marina Belkina und Sneschana Galimowa. Die Mädchen haben sich äußerst gewissenhaft mit der Auswahl des Materials befaßt und die Zeit der Repressionen in ihrer Arbeit gut widergespiegelt. Es wurden statistische Angaben angeführt, die aus Lehrbüchern, zusätzlicher Literatur sowie Zeitungen entnommen sind. Ein Großteil der Arbeit umfaßt die Erinnerungen von Kindern repressierter Personen: Wiktoria Reinhartowitsch Kin, Walentina Wasiljewna Malyschewa, Emma Andrejewna Korkunowa.

Die Mädchen sammelten Fotos von Repressierten oder deren Kindern, die hier ebenfalls vorgestellt werden.

Das Material wird nachfolgend erläutert, und es reflektiert ein Ziel. Es besteht darin, daß über das Schicksal von repressierten Menschen, die in unserer Ortschaft Juksejewo wohnen, und über jene schreckliche Zeit berichtet wird.

Die Arbeit wird fortgesetzt. Denn in Juksejewo leben 10 Familien. Außerdem ist ein weiteres Ziel - die Schaffung eines Museums. Die ersten Vorarbeiten dazu sind bereits geleistet. In diesem Jahr werden Tanja, Marina und Sneschana die ersten Schritte im wissenschaftlichen Bereich vornehmen. Mögen diese Schritte zunächst auch noch ein wenig unsicher sein, aber die Mädchen sind in ihrem Bewußtsein unerschütterlich, daß die Fähigkeiten, die sie sich im Laufe dieser Arbeit erworben haben, für die Zukunft von Vorteil sein werden. Es ist ein Album mit dem Titel „Die Kinder der Repressierten“ geplant.

Ich bin der Ansicht, daß die Arbeit „Die Repressionen der 1930er Jahre…“ Aufmerksamkeit verdient.

Leiterin der
sozial-humanitäten Sektion
Swetlana Petrowna Michajlowa

„Opfer politischer Repressionen“
(Aus den Erinnerungen der Kinder von Repressionsopfern)

Und es fiel das steinerne Wort
Auf meine noch lebende Brust.
Macht nichts, denn ich war bereit dazu.
Irgendwie
Werde ich damit zurechtkommen.
Ich habe heute
Viel zu tun –
Vollständig muß die Erinnerung abgetötet werden,
Die Seele muß versteinert werden,
Man muß neu lernen, wie man leben soll.
A. Achmatowa

Der 30. Oktober – Tag der Erinnerung an die Opfer politischer Repressionen. Man darf die schweren Jahre des Leids und der Entbehrungen nicht vergessen. Und wenngleich viele noch nicht so alt waren, bleiben die Ereignisse jener Zeit, von der so zahlreiche Familien betroffen waren, ein Leben lang im Gedächtnis haften, denn so etwas vergißt man einfach nicht.

Das vergangene Jahrhundert ist in der russischen Geschichte gekennzeichnet durch große Taten und Errungenschaften unserer Vorfahren. Sie haben Rußland durch ihre Heldentaten, ihre Arbeit, alles, was sie in Kultur und Wissenschaft erreicht habern, berühmt gemacht. Aber die düsteren Seiten in der Geschichte der Generationen bleiben für immer.

Die 1920er Jahre – der Beginn neuer Umgestaltungen im Leben unseres Landes. Die Bolschewiken stützten sich auf Kollektivwirtschaften und trieben im gesamten Land die Kollektivierung voran. Einen besonderen Aufschwung erreichte sie 1929 unter der Losung „Organisierung der Armen und der Mittelbauern im Kampf gegen den Kulaken“. Und die tragischen 1930er Jahre … Natürlich gibt es kein einziges Dorf, das nicht von diesen schwarzen Flügeln gestreift worden wäre. Die Enteignung der Großbauern fand überall statt. Sobald man auf einem Hof ein Pferd und eine Kuh vorfand – dann galt dieser bereits als wohlhabend: es wurde alles beschlagnahmt, bis hin zu den persönlichen Sachen, und die Eigentümer in die Verbannung geschickt … Laut statistischen Angaben wurden mehr als eine Million Familien liquidiert, mehr als zwei Millionen ausgesiedelt. Züge und Trecks mit Entkulakisierten bewegten sich durch das ganze Land. Es ist unmöglich, die Namen von millionen Unschuldiger, Umgekommener aus dem Gedächtnis zu streichen. Es ist unmöglich, unsere Vergangenheit dem Vergessen anheim fallen zu lassen. Man muß alles erinnern und kennen, um eine Rückkehr zur Vergangenheit nie wieder zuzulassen, damit Verbrechen in einem derart großen Maßstab und einer so unglaublichen Grausamkeit sich niemals wiederholen.

Viele fragen heute: und wozu sollen wir uns daran erinnern? Aber es handelt sich doch um unsere bittere, schreckliche Geschichte, und nicht wenige verstanden es damals, alles zu ertragen, sich selbst und andere nicht zu unrecht zu bezichtigen und in diesem Mahlwerk der Hölle das Gleichgewicht zu bewahren.

Die politischen Repressionen – das sind nicht einzeln aus dem Leben vereinzelter Territorien herausgegriffene Episoden. Repressionen (lat.) – das sind von den Staatsorganen angewendete Strafmaßnahmen. Es war eine Massenerscheinung, die beinahe jede Familie berührte, aber ganz sicher jede dritte oder vierte – das ist einfach Tatsache. Anlaß für die Entfaltung der Massenrepressionen im Lande war am 1. Dezember 1934 in Leningrad der Mord am Politbüromitglied des ZK der WKP (B), des ersten Sekretärs des Leningrader Gouvernementskomitees der WKP (B) – S.M. Kirow. Wenige Stunden nach seiner Ermordung wurde das Gesetz über die Einführung einer „vereinfachten Methode“ zur Behandlung von Ermittlungsverfahren bei Terrorakten und gegen Terrororganisationen verabschiedet. Danach sollte das Untersuchungsverfahren beschleunigt und innerhalb von zehn Tagen abgeschlossen sein; die Anklageschrift sollte demnach dem Anzuklagenden vierundzwanzig Stunden vor der Gerichtsverhandlung ausgehändigt werden. Die Prozesse sollten künftig ohne Teilnahme von Staatsanwalt und Verteidiger abgewickelt werden; Begnadigungsgesuche waren verboten, und Erschießungsurteile sollten unverzüglich nach deren Verkündigung vollstreckt werden.

Überall im Land wurden Lager geschaffen, in denen Häftlinge aus politischen Motiven gehalten wurden. Menschen wurden anhand ausgedachter, völlig aus der Luft gegriffener Anklagen sowie auf Lügen basierender Denunziationen verurteilt. Die Rolle des Gerichts wurde durch sogenannte Trojkas ersetzt, die aus Vertretern von Exekutive, Partei und NKWD-Organen bestanden. Diese außergerichtlichen Organe besaßen umfassende Vollmachten, bis hin zur Verhängung der Todesstrafe. Viele Jahre, dutzende Jahre Verbannung, Gefängnis, Zwangsarbeit, und dabei hatten doch alle Verhafteten Familie: Mütter, Frauen, Kinder. Wieviel Leid, Tränen und unwiderruflich zerstörte Schicksale. Besonders schrecklich war das Los der Kinder von „Volksfeinden“. Um sie zu beschützen, sagten Mütter sich von ihren Ehemännern los, denn sonst wären sie selber in ein Lager geschickt worden und die Kinder in ein Heim. Und all das hatte man sich im Kreml ausgedacht. Ein Kinder von 15 Jahren konnte ohne weiteres verhaftet und erschossen werden; kleinere Kinder kamen in spezielle Kinderheime, man änderte ihre Vor- und Nachnamen, tat alles, um dafür zu sorgen, daß sie sich irgendwann nicht mehr daran erinnerten, wer sie waren und woher sie kamen. Aber die Menschen hielten durch, sie zerbrachen nicht … (aus Archiv-Dokumenten).

Eine traurige Seite in der Geschichte der Rußland-Deutschen. Etwa eine Million Menschen wurden von der Wolga, aus dem Kaukasus, der Ukraine deportiert. In den Verbannungsorten trafen fast hunderttausend Personen weniger ein – die ersten, die starben, waren alte Leute und Kinder. Und wer zählte schon die Differenz in der Anzahl der Menschen. Ein einziger Ukas entschied über das Schicksal eines ganzen Volkes – und nicht nur des deutschen. Wieviele Letten, Tschetschenen, Krimtataren, Türken, Inguschen, Kalmücken sollten nie wieder in ihre angestammte Heimat zurückfahren dürfen.

Verstreut durch die Hand
Des Führers – überall in der Union,
Man befahl ihnen, ihre Bräuche, ihre Sprache zu vergessen.
Elend und Kränkungen
Lagen wie eine schwere Last auf ihnen.
So wurde das Wichtigste in der Kultur
Ausgelöscht…

Wenn du all diese Befehle und Abschriften aus den Beschlüssen des Politbüros liest, die das Jahr 1937 bezeichnen, verstehst du, wie weit wir uns – Gott sei Dank! – von dieser Zeit schon entfernt haben. Der tränenreiche Weg wird von den Poeten nicht gerühmt, die Stimme versagt einem. Möge Gott den Kindern und Enkeln dieser Menschen Güte und Vernunft bringen und sie vor Rachegefühlen bewahren.

Auf dem Grab anstatt von Rosen –
Vorwurfsvoll ein Tannenzweig,
Gott, wer zählt die Tränen
Unserer Brüder und Schwestern?
Ausgestoßen sein, verachtet werden –
Das ist demütigend.
Keine Hoffnung, keine helfende Hand –
Denkt an uns
In euren Gebeten,
Liebe Landsleute.

Liste der Repressionsopfer, die in Juksejewo gelebt haben

1. Kin, Wiktor Reingartowitsch (Reinhardowitsch)
2. Malyschewa, Walentina Wasiljewna
3. Korkunowa, Emma Andrejewna
4. Fail (Feil), Wiktor Iwanowitsch
5. Trofimowa, Wera Leonidowna
6. Trofimowa, Maria Dawydowna
7. Sluschiwaja, Tamara Andrejewna
8. Golomako, Aleksander Nikolajewitsch
9. Skobelewa, Anna Konstantinowna
10. Dikalowa, Sophia Nikolajewna


Wiktor Reinhardowitsch Kin

Aus den Erinnerungen meines Vaters
Reinhard Augustowitsch Kin

Das Schicksal meines Vaters fügte sich in komplizierter und tragischer Weise zusammen. Die Familie war groß; sie lebte in der Ukraine, im Bezirk Tschernigow. Bereits 1914 begann man aufgrund einer Entscheidung seitens der Zarenmächte und im Zusammenhang mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, mit der Aussiedlung der Deutschen aus der Ukraine an die Wolga und hinter den Ural. So gerieten zahlreiche Familien nach Sibirien, und meine Eltern ließen sich im Bezirk Orenburg nieder. Nach der Revolution erhielten sie Landzuteilungen; da die Familie ziemlich groß war, bekamen sie auch ein entsprechend gewichtiges Stück Ackerland zugeteilt. Sie lebten einträchtig miteinander, besaßen zwei Kühe, ein Pferd, ein Schaf, Ziegen und Schweine. Für die damalige Zeit führten sie ein recht wohlhabendes Leben, aber bezahlte Arbeiter hatten sie in ihrem Haus nicht, sie erledigten alle Aufgaben in Haus und Hof selber. 1932 wurde die Familie entkulakisiert und per Zug nach Krasnojarsk abtransportiert. Es war bereits Ende September. Der Vater erzählte, daß er und sein Bruder (16 und 18 Jahre alt) an jeder Bahnstation die Toten aus dem Waggon luden. Es starben vor allem Alte und Kinder. Man erlaubte ihnen nicht sie zu bestatten; der Zug fuhr sofort weiter. Von Krasnojarsk bis Jenisejsk gingen sie meist zufuß, Kinder und alte Leute fuhren in Trecks (mit Fuhrwerken). Um nicht so viele Menschen in Jenisejsk unterbringen zu müssen, erlaubten die Behörden, daß die Leute auf Lastkähnen weiter den Jenisej flußabwärts gebracht wurden, obwohl auf dem Fluß bereits überall matschiges Eis schwamm. MJein Großvater und weitere drei Personen aus dem Treck machten sich auf den Weg zu den Behörden, damit man ihre Familien wenigstens bis zum Frühjahr in Jenisejsk ließ. Aber die Wachmannschaften trieben alle an Bord des Lastkahns. Die Unwilligen wurden an Ort und Stelle erschossen. Unter ihnen befand sich auch mein Großvater. Es konnte vorkommen, daß die Frachter bis zur Insel Tomarowo fuhren, die 250 km von Jenisejsk entfernt liegt. Die Verstorbenen und Erfrorenen wurden während der Fahrt im Fluß versenkt, die Überlebenden ließ man auf der unbewohnten Insel zurück. Von den Passagieren der etwa zehn Schiffe blieben 200 am Leben. In den Schnee gruben sie sich ihre Zufluchtsstätten und Erdhütten. Sie ernährten sich von ihren kümmerlichen Vorräten: Rinden und Nüssen. Zum Glück hatte es in jenem Jahr eine gute Ernte an Tannenzapfen und Beeren gegeben. Die Zapfen waren noch nicht von den Bäumen gefallen (es kommt im Norden vor, daß die Zapfen mitunter bis zum nächsten Frühjahr am Baum hängenbleiben). Sie gruben im Schnee und sammelten Moosbeeren und Tannennadeln und angelten unter dem Eis nach Fischen. Sie überlebten … und zum Jahr 1940 war auf der Insel ein ganz gewöhnliches sibirisches Dorf entstanden. Die Neuankömmlinge brachten den Ortsansässigen (Tschaldonen genannt) bei, wie man Kartoffeln und andere Gemüsearten zieht. Im Sommer, dank der langen, hellen Tag und kurzen Nächte, wächst und gedeiht dort alles schnell. Sie fingen an Roggen anzubauen. Es entstanden Kolchosen. Die Menschen begannen ein eingermaßen gutes Leben zu führen. Neue Familien wurden gegründet. Dort auf der Insel begegneten sich auch meine Eltern. Das Schicksal meiner Mutter ist beinahe genauso verlaufen wie das meines Vaters. 1941 brach der Krieg aus. Und erneut kamen Wachmannschaften, verhafteten alle Deutschen, junge Burschen und Mädchen und schickten sie zum Holzfällen in ein Lager. Alte Leute und Kinder blieben auf der Insel zurück.

Darüber, dass sie so schwere Arbeit leisten mußten, berichteten die Eltern nicht gern. Aber an den Orten, an denen die Eltern damals gearbeitet haben, gelang es mir, mich eine Zeit lang aufzuhalten und mit eigenen Augen all die mit der Zeit verfallenenen Baracken, den Stacheldraht und die zahlreichen vernachlässigten, zugewucherten Gräber zu sehen. Aber das Leben nahm seinen Gang, und dann kam der Sieg. Die Menschen begannen, in ihre Dörfer zurückzukehren.

Nicht nur aus den Erzählungen der Eltern, sondern auch aus Berichten der Alteingesessenen, konnte man erfahren, dass die Kolchose auf der Insel eine der besten im ganzen Bezirk war. Trotz der hohen Steuern und Erhebungen konnten die Menschensich dort wieder sattessen. Aber dann kam das Jahr 1951, das Jahr meiner Geburt, und mit der Zeit entwickelte sich mein eigenes Schicksal. Ich wurde am 1. April, am selben Tag wie mein Bruder Wolodja geboren (Zwillinge), aber das Schicksal wollte es so, dass schon in den ersten zehnTagen eine Entscheidung fallen sollten, ob wir überleben würden oder nicht. Leider, und das betraf zahlreiche Familien, gab es viele Kinder. Und so trafen am 10. April Fuhrwerke unter Wachbegleitung im Dorf ein, und transportierten alle, ohne Ausnahme – Jung und Alt, bis auf den Letzten – in Schlitten ab, um sie an einen vierzig Kilometer entfernt liegenden neuen Ort zu bringen – das Dorf Nasimowo. Wieder mußten unterwegs und auch gleich nach der Ankunft in Nasimowo Menschen beerdigt werden, Menschen, welche die Fahrt nicht ertragen oder sich erkältet hatten. Man brachte unsere Familie in einen Pferdestall, wo wir bis zum Herbst hausten, nachdem wir im Laufe des Sommers ein Haus gebaut hatten. Man mußte in der Kolchose arbeiten und auch an seine Familie denken. Mein Bruder und ich bekamen eine schwere Erkältung; mein Bruder starb, und ich überlebte wie durch ein Wunder. Auch ich mußte im Leben eine Menge Schicksalserprobungen durchstehen. Aber das ist schon eine andere Geschichte. Wir wuchsen mit Arbeit auf: ab meinem fünften Lebensjahr hütete ich in der Kolchose bereits das Vieh, fuhr Heu und stellte Gärfutter her, und so arbeiteten alle Kinder in der damaligen Zeit in der Kolchose vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Aber was mich verblüffte war, dass die Menschen, trotz aller durchlebten Schwierigkeiten und tragischen Umstände, keineswegs erzürnt waren, sondern sich einträchtig und gesellig verhielten – und nur das half ihnen wirklich zu überleben.


Walentina Wasiljewna Malyschew (Lauk)

Erinnerungen an die Jahre der Repressionen der Familie von Irma Jakowlewna Lauk


Irma Jakowlewna Lauk

In den 1930er Jahren, als durch Kollektivisierung die Kolchosen entstanden, wurde meine Mutter als Großbäuerin eingestuft. In der Familie waren 14 Kinder. Der kleine Hof verfügte über ein Pferd, eine Kuh, Hühner, Schweine. Der Vater meiner Mutter war handwerklich sehr geschickt, er baute mit seinen eigenen Händen eine Mühle, die im ganzen Dorf genutzt wurde. Die Familie war fleißig, alle Erwachsenen, alle Kinder arbeiteten. Mit einem Wort: sie erledigten alles selber und verließen sich auf keinen anderen. Während der Entkulakisierung starben die Eltern, und die Kinder wurden, halb entkleidet und nachdem man ihnen alles fortgenommen hatte – das Haus, die Hofgebäude und allen übrigen Besitz – auf Fuhrwerke gesetzt und aus ihrem heimischen Wohnort ausgewiesen.

Die Familie fiel auseinander. Jeder suchte sich irgendwo etwas Eßbares. Mama, das vorletzte Kind in der Familie, war 8 Jahre alt; sie ging den Geschwistern verloren, lief über Felder und sammelte dort verfaulte Kohlblätter, um nur ein wenig Nahrung zu sich nehmen zu können. Obdach gewährte ihr schließlich eine fremde alte Frau, half ihr, in der Kolchose unterzukommen, indem sie ihr Alter mit 12 Jahren angab, denn sie war ein lang aufgeschossenes Mädchen. Nach und nach erlernte sie das Fahren auf den ersten Radtraktoren. So lebte sie, versuchte zu überleben, aber sie war einsam. Es gab keinerlei Möglichkeit, ihre Verwandten zu suchen. Interessant und schwierig war das Schicksal meiner Mama, die damals noch ein ganz junges Mädchen war. Zusammen mit allen Repressierten brachte man sie aus dem Kaukasus, derm Gebiet Ordschonikidse, nach Kasachstan, in die Stadt Pawlodar, später, im Jahre 1943, wurde sie in die Gegend hinter der Wolga mobilisiert.

In der Zeit der Entstehung der Otradnensker Verwaltung für Bohrarbeiten im Gebiet Kujbyschew bildeten Frauen dort den Grundstock. Es waren Mädchen, in die Trudarmee mobilisierte Deutsche. Die ganze Schwere der Arbeit lastete auf den schwachen Schultern der Frauen. Sie mußten Rohre schleppen und ziehen, Baugruben ausheben, das Heben des Bohrwerkzeugs bewerkstelligen, mit einem Wort – sie waren gezwungen, in ausgesprochenen Männerberufen zu arbeiten – als Gehilfe des Bohrarbeiters an den Bohrlöchern, beim Fördern von Erdöl aus dem Erdinneren. Das Land und die Front brauchten Erdöl. Die halb verhungerten Frauen, unter ihnen auch meine Mama, hatten nichts weiter als ein paar Kartoffeln und ein Stück Brot; das war alles – und damit mußten sie 12 Stunden täglich arbeiten.

Sie lebten in Baracken – Männer und Frauen getrennt. Heiraten durften sie untereinander nicht. Und dafür gab es nur ein Argument – sobald die eine Familie gründen, muß man ihnen auch ein Plätzchen, eine Wohnung zuweisen, aber die gab es zu der damaligen Zeit nicht. Aber das Leben nahm sich das Seine. Mädchen und Jungen verliebten sich ineinander, trafen sich heimlich, heirateten heimlich. Aber jeder lebte weiterhin in seiner Baracke. Sowohl in den Männer- als auch in den Frauenbaracken befanden sich Informanden („Enten“), welche die Alltagsgespräche belauschten und über alles Meldung machten. Menschen verschwanden spurlos. Zu den Verschollenen gehörte auch mein Vater.

1946 wurde ich geboren. So blieben Mama und ich allein. Mama arbeitete drei Tage und Nächte – wir wohnten und arbeiteten bei den Bohrstellen, und ich wurde während ihrer Abwesenheit von Hand zu Hand gereicht und bekam eine Lebensmittelration angerechnet. Offiziell genehmigter Urlaub stand einem nicht zu. Ich erinnere mich: als ich 5 oder 6 Jahre alt war, gingen Mama und ich zur Kommandantur, um uns dort zu melden und registrieren zu lassen – sie lag einen Kilometer von unserer Siedlung entfernt, und wir gingen zufuß dorthin. Die NKWD-Mitarbeiter in der Kommandantur waren nicht sonderlich wohlwollender Laune; man ließ mich im Korridor stehen, und auf Mama ging ein Geschrei hernieder, als wollte man sie einschüchtern; ich weiß nicht, was sie von ihr wollten. Und auf dem Heimweg hatten wir beide Tränen in den Augen. Und so lebte ich praktisch mit fremden Leuten, denn Verwandte hatten wir ja nicht. Ich weiß noch, wie diese fremden Mütter und Großmütter sich meine Hilflosigkeit zunutze machten, indem sie mich zum Sauberhalten des Hofes, der Ställe und des Gemüsegartens ausnutzten. Einige, die Mitleid mit mir hatten, schenkten mir ein paar Kleidungsstückchen. Aber aus irgendeinem Grund ist der geheime Haß auf meine deutsche Nationalität viel tiefer in meiner Erinnerung verwurzelt geblieben. Sie verboten meiner Mama in unserer Muttersprache mit mir zu reden und begründeten es damit, dass wir unter Russen lebten und ich, ihre Tochter, an einer russischen Schule lernte.

Die Jahre gingen dahin, das Leben änderte sich, die seelischen Wunden meiner Mama vernarbten nach und nach, während meine schulischen eine Wendung nahmen. Mein Nachname ließ den anderen keine Ruhe, und sie erinnerten mich häufig daran, dass mein Vater und meine Mutter Faschisten waren. Natürlich war das eine kindliche Logik, welche meine Seele heftig untergrub.

Trotz ihres schwierigen Lebens verstand meine Mama Irma Jakowlewna Lauk es, zwei Töchter großzuziehen. Nachdem sie ihr Leben lang nur in der Erdölindustrie gearbeitet hatte, gab es auch nur einen einzigen Vermerk in ihrem Arbeitsbuch – mit einem Arbeitsleben von 47 Jahren. Sie besaß zahlreiche Belobigungen und Medaillen aufgrund ihrer glänzenden Arbeitsleistungen in den Jahren des Krieges und zu Friedenszeiten.

Ich und mein Schwesterchen, das 9 Jahre jünger war als ich, tragen das ewige Gedenken an unsere Mama in uns, die unverbrüchlich an unsere wundervolle Zukunft glaubte und immer wünschte, dass aus uns einmal gute, wohlwollende Menschen würden. Der Wohnort meiner Mutter vor Anwendung der Repressionsmaßnahmen war die Region Ordschonikidse. Im Gebiet Samara befanden wir uns in Sonderansiedlung. Die Repressionen erfolgten aufgrund politischer Motive auf administrativem Wege – aus Gründen der Nationalitätenzugeörigkeit (§ 1/1 des Gesetzes der Russischen Föderation).


Emma Andrejewna Knaub (Korkunowa)

Aus den Erinnerungen meines Vaters Andrek Jegorowitsch Knaub


Andrej Jegorowitsch Knaub

Meine Eltern, Andrej Jegorowitsch und Anna Andrejewna Knaub, lebten zu der Zeit im Gebiet Saratow. In der Familie meines Vaters gab es drei Söhne. Ich wurde 1935 in der Sowchose „99“, im Bezirk Gmelin, Gebiet Saratow, geboren. Der Vater arbeitete als Viehpfleger, Mama war Melkerin. Später zogen wir an die Bahnstation Gmelinskaja um, wo der Vater als Verladearbeiter und Mama als ungelernte Arbeiterin tätig waren.

Unmittelbar nach der Ankunft am neuen Wohnort lebten wir in einer Erdhütte. Etwas später baute Vater ein neues Haus, aber wir konnten darin nicht sehr lange wohnen. Der Krieg brach aus. Innerhalb kürzester Zeit sollten wir uns zur Umsiedlung nach Sibiren fertigmachen. Wir hatten damals eine kleine Hofwirtschaft: eine Kuh, Schweine, Hühner. Und alles, was sich im Haus befand - Kleidung, Küchengerät usw. – mußten wir zurücklassen. Man hiekt uns für „Kulaken“. Aber worin eigentlich unsere Schuld lag, das ist bis heute ein Rätsel geblieben. Die Eltern arbeiteten vom frühen Morgen bis zum späten Abend, um die Familie durchzubringen, denn es war eine sehr schwere Zeit. Unsere gesamte Familie wurde in einen Güterzug gesetzt und ins Ungewisse abtransportiert. Die Bedingungen waren unerträglich. Wir waren sehr lange unterwegs. Endstation war die Stadt Krasnojarsk. Danach wurden wir auf Lastkähne verfrachtet und über den Jenisej bis in die Ortschaft Juksejewo gebracht. Dort trafen wir am 13. September 1941. Entsprechend der einzelnen Ortschaften wurden die Menschen neu zusammengestellt. Unsere Familie war für Beregowaja Podjomnaja zugeteilt. Dort wohnten wir bei einer alten Frau. Der Vater arbeitete in einer Kolchose. 1942 zogen wir von Podjomnaja nach Juksejewo um. Den Vater holten sie an die Arbeitsfront. Mama, ich und mein älterer Bruder blieben zurück. Um die Familie zu ernähren, arbeiteten Mutter und Bruder bei der Getreidebeschaffung. Der Vater blieb bis 1947 in der Trudarmee. Nach seiner Rückkehr nahm er ebenfalls eine Tätigkeit bei der Getreidebeschaffung auf. Die ganze Zeit über stand unsere Familie unter ständiger Kommandanturaufsicht. Es waren sehr schwere Zeiten, als wir keinerlei Rechte besaßen, die Ortschaft, geschweige denn den Bezirk, in dem wir wohnten, nicht verlassen durften. Einmal im Monat mußten wir uns in der Kommandantur melden und registrieren lassen.

Um unter solchen schwierigen Bedingungen überleben zu können, streiften wir durch die Felder und sammelten Ähren oder baten um Almosen. Die Einstellung uns gegenüber war nicht gerade freundlich. Oft wurden wir beschimpft und beleidigt und mußten die Worte „Faschisten“, „Fritze“ über uns ergehen lassen. Das hat meine Seele heftig untergraben. Zur Schule ging ich erst spät; soweit ich mich erinnern kann, muß ich damals 10 gewesen sein; wir konnten kein Russisch. 1953 beendete ich die 7-Klassen-Schule in Juksejewo und fing danach an, in einem Laboratorium am Mikroskop zu arbeiten.

1991 kam das Gesetz der RSFSR vom 26. April, N° 1107-1 „Über die Rehabilitation der repressierten Völker“ heraus. In diesem Gesetz gab der Staat seine Fehler zu. Aber obwohl das eine große Freude war, hinterließ jene Zeit doch einen tiefen Abdruck in meinem Schicksal. Die Zeit ist vorbei. Natürlich ist es kränkend, dass meine Schulkameraden irgendwann einen Beruf erlernten, während ich nicht die Möglichkeit dazu hatte; ich stand ja unter Kommandanturaufsicht. Man kann nicht ohne Schaudern und ohne Tränen in den Augen begreifen, was wir durchmachen und ertragen mußten. Aber trotz des verdorbenen Schicksals glauben wir auch weiterhin an eine glückliche Zukunft.

Tamara Sergejewna Manakowa
Minderjährige Gefangene faschistischer Konzentrationslager

Aus den Erinnerungen:

Meine Kindheit fiel in die Kriegsjahre. Ich ging weder in den Kindergarten, noch spielte ich mit Puppen, denn ich wurde 1939 im Gebiet Tula geboren. Im Juni 1941 begann der Große Vaterländische Krieg, und die Faschisten waren auf dem Vormarsch nach Moskau. Alle Männer, junge und alte, unter ihnen auch men Vater, gingen an die Front. In aller Eile wurden die Waffenfabrikten ins Hinterland, hinter den Ural evakuiert, mit ihnen auch viele Menschen, aber nicht alle waren damit einverstanden. Bei Blitzangriffen des gut auf den Krieg vorbereiteten faschistischen Deutschlands gerieten junge Frauen mit Kindern und erwachsene Kinder, die ihre Eltern verloren hatten, in faschistische Gefangenschaft. So wurde meine Mama im Alter von 31 Jahren mit zwei kleinen Kindern (ich war damals 2, mein Bruder 1 Jahr alt) als billige Arbeitskraft nach Deutschland verschleppt. An den Kriegsausbruch kann ich mich nicht mehr erinnern, aber die Zeit danach ist mir klar im Gedächtnis geblieben, besonders die Bombardierungen.Manchmal hatten wir ganz stille Tage.... und plötzlich das Dröhnen von Flugzeugen. Mama legte uns schnell auf den Boden, mit dem Gesicht nach unten, während eine ihrer Hände mich, die andere den Bruder festhielt; und so lag sie lange Zeit mit uns da, bis das Bombenwerfen beendet war und die Flugzeuge wieder davonflogen – und dann herrschte wieder Stille, angespannte Stille. Die Menschen schauten nach, ob jemand umgekommen war. Und so trieben die Faschisten Frauen und Kinder nach Deutschland – zufuß, manche fuhren auch in Viehwaggons oder auf offenen Zugplattformen.

Russische Soldaten überfielen den Konvoi und holten die Kinder von den Faschisten zurück, aber dennoch verzeichneten die Deutschen damals mehr Siege. Uns trieben die Faschisten ins Konzentrationslager Falkensee in Deutschland, wo wir mit Mama von 1944 bis zum Ende des Krieges blieben, also bis Mai 1945. Dort wurden wir folgendermaßen gehalten:an Kleidung besaßen wir nur das, was wir auf dem Leib trugen; sonstige Gegenstände – ein Korb mit einer Flasche Wasser. Zu essen gaben sie uns eine wässrige Brühe (Steckrüben in Wasser gekocht), aber man fand kein einziges Rübenstückchen darin, Brot – ein winziges Stück von der Größe einer Streichholzschachtel. Sonntags bekamen wir zusätzlich ein Glas heißes Wasser mit einer kleinen Saccharin-Tablette, von der alle an Skrofulose erkrankten. Tag und Nacht fielen Bomben. Es waren sowohl deutsche, als auch russische Flugzeuge, zumeist fanden die Angriffe in der Nacht statt. Kaum hat die Dämmerung eingesetzt, da hört man auch schon vom Wachturm ein lautes: „Achtung, Achtung!....“. Die männliche deutsche Stimme sagt noch irgendetwas, und dann beginnt die Sirene ganz schrecklich zu heulen. Mama nahm schnell den Bruder auf den Arm und ergriff den Korb, in der sich die Wasserflasche befand, während ich mich mit beidenHänden krampfhaft an Mamas Rockzipfeln festhielt, denn sonst wäre ich wohl zertreten worden. Und so liefen alle, soweit ihre Kräfte es erlaubten, zum Luftschutzbunker. Manchen gelang es nicht, rechtzeitig dorthin zu gelangen, und sie gerieten mitten in den Bombenhagel – die Menschen starben im Laufschritt... Stöhnen, Schreie, Weinen – es war ganz entsetzlich! Der Luftschutzraum sah folgendermaßen aus: ein tiefer, mit Betonplatten abgedeckter Graben, die Wände aus Erdreich und an der Seite Stangen, auf die man sich setzten konnte. Meine Mama ließ sich auf einer der Stangen nieder, nahm mich auf das eine Knie, das Brüderchen auf das andere; sie umarmte jeden von uns mit einem Arm und hielt uns so lange Zeit in ihrer Umarmung fest – mitunter die ganze Nacht hindurch oder sogar noch länger, so lange die Flugzeuge flogen und ihre Bomben abwarfen.

Im April 1945 (ich war schon 6 Jahre alt) tauchten in der Nähe unseres Konzentrationslagers russische Soldaten auf (hoben den Boden mit Spaten aus, stellten Geschütze und Kanonen auf). Sie gaben uns Kindern zu essen – Brot und Konserven. Und dann kam endlich die langersehnte Minute. Am 25. April 1945 wurden wir befreit. Wir waren frei! Wieder gingen Frauen und Kinder, krank und hungrig, so gut sie konnten zufuß zu den russischen Soldaten, die mit ihren Fahrzeugen herangekommen waren – und wieder ging es Richtung Heimat, in die Stadt Mzensk im Gebiet Orel. Aber dort ... – alle Häuser niedergebrannt, alles in Trümmern, keine Angehörigen mehr; sie waren entweder umgekommen oder irgendwo weit weg, in der Fremde. Irgendwie stand unsere Mama den Winter in der Heimat durch, schließlich mußte sie ja auch uns Kinder durchbringen, aber es gab nichts; und so kam sie nach Sibirien, in die Stadt Nowokusnezk zu ihrem Bruder, und 1947 fand unser Vater uns. Die Eltern arbeiteten, mein Bruder und ich gingen zur Schule; es war eine schwere Zeit: es herrschte Kälte, es gab kein Brot, aber wir lernten gut. Nach dem Schulabschluß in Nowokusnezk, Gebiet Kemerowo, besuchte ich das Nowokusnezker Institut für Pädagogik, das ich als Lehrerin für Physik beendete. Ich heiratete. Mein man absolvierte das Sibirische Institut für Metallurgie im Spezialbereich „Bergbau-Ingenieur bei der Förderung nutzbarer Bodenschätze“. Als junge Fachkräfte arbeiteten wir in Nowokusnezk, später in Kirgisien in der Stadt Tian-Schan. Ab 1990 war ich als Studiendirektorin und Lehrerin für Mathematik und Physik and er Juksejewkser Mittelschule tätig. 36 Jahre lang habe ich als Pädagogin gearbeitet. Ich besitze den Titel einer „Arbeitsveteranin“ mit föderaler Anerkennung.

Ich bin ehemalige minderjährige Gegangene faschistischer Lager. Und der Tag des Sieges ist für mich ein großer Feiertag. Nicht nur ein Feiertag des Sieges; dieser Tag soll uns, die Lebenden, auch erinnern und mahnen, dass man den Frieden bewahren muß und um welchen Preis unser Glück und der friedfertige Himmel über unseren Köpfen errungen wurde. Das ist Freude mit Tränen in den Augen, das ist Leben!
Ich bin bereits 65 Jahre alt. Ich bin meinem Schicksal dafür dankbar, dass ich in meinem Haus, in meinem Dorf wohnen darf, was mir so gut gefällt.

Schlußbemerkung

Lassen Sie uns einen Auszug aus der Bibel aufgreifen: „Steine werfen hat seine Zeit, Steine aufsammeln hat seine Zeit“. Im April 1991, als das Gesetz über die Rehabilitation repressierter Völker herauskam, anerkannte der Staat seine Schuld vor den Bürgern für die Verbrechen der damaligen Zeit. Allein bis zum 1. Januar 1948 waren in den Lagern und Kolonien 2 199 535 Menschen umgekommen ... Aber wenn einmal die Stunde der unvoreingenommenen Erforschung der russischen Geschichte schlägt und die genaue Zahl der in den Lagern vernichteten und gefangenen, der vertriebenen und verschleppten Menschen ermittelt sein wird, dann wird die Welt ihren Augen und Ohren nicht trauen.

In unserer Arbeit haben wir nur ein kleines Teilchen jener Zeit am Beispiel unserer Siedlung widergespiegelt, aber damit wollen wir es noch nicht genug sein lassen. In dieser Arbeit haben wir unsere Aufmerksamkeit lediglich auf drei Familien gelenkt, aber insgesamt gibt es bei uns zehn. Wenn man solchenMenschen begegnet und ihre Erzählungen über all das Durchgemachte hört, dann begreift man nicht ohne Schaudern, nicht ohne Tränen in den Augen, was sie in jener furchtbaren Zeit ertragen mußten. Die Ereignisse, die sich vor 70 Jahren zugetragen haben, hinterlassen in jedermanns Seele tiefe Spuren. Das muß man verstehen und erfahren, damit sich eine Rückkehr in die Vergangenheit nicht wiederholt, damit Verbrechen in einem so großen Maßstab und mit einer solchen Grausamkeit nie wieder stattfinden. Und wir, unsere Generation, müssen uns an jene erinnern, die den heutigen Tag nicht mehr erleben dürfen; wir müssen uns tief vor denen verneigen, die überlebt haben, die nicht an ihrem Schicksal zerbrochen sind, obwohl ihr Lebensweg verdorben ist, die auch weiterhin an eine gute Zukunft glauben.

Gesetz der RSFSR
Vom 26. Aprol 1991, N° 1107-1
„Über die Rehabilitation repressierter Völker“
(mit Abänderungen vom 1. Juli 1993)

Die Erneuerung der sowjetischen Gesellschaft im Prozeß ihrer Demokratisierung und die Formierung zu einem Rechtsstaat im Lande erfordert eine Bereinigung aller Bereiche des öffentlichen Lebens von Verformungen und Verfälschungen allgemeinmenschlicher Werte. Sie hat günstige Voraussetzungen und Möglichkeiten für die Rehabilitierung der zu Zeiten der Sowjetmacht repressierten Völker, die dem Genozid und verleumderischen Beschuldigungen und Angriffen ausgesetzt waren.

Die Politik der Willkür und Gesetzlosigkeit, die auf staatlicher Ebene in Bezug auf diese Völker praktiziert wurde, war gesetzeswidrig und hat nicht nur die Würde der Verfolgten, sondern auch die aller anderen Völker des Landes beleidigt und verletzt. Jene tragischen Folgeerscheinungen machen sich bis zum heutigen Tage in den Beziehungen der Völker untereinander bemerkbar und schaffen gefährliche Konfliktherde.

Sich stützend auf internationale Gesetzesakte, die Deklaration des Obersten Sowjet der UdSSR vom 14. November 1989 „Über die Anerkennung der Repressionen gegen Völker, die der gewaltsamen Umsiedlung unterworfen waren, als gesetzeswidrige Akte, sowie die Sicherstellung ihrer Rechte“, die Anordnungen der Volksdeputierten der RSFSR, aber auch auf die geltende Gesetzgebung der RSFSR und der UdSSR, welche den Grundsatz gleicher Rechte für alle sowjetischen Völker stärkt, und in dem Bestreben, die historische Gerechtigkeit wiederherzustellen, verkündet der Oberste Sowjet der RSFSR die Abschaffung aller ungesetzlichen Gesetzesvorschriften, die seinerzeit in Bezug auf die repressierten Völker verabschiedet wurden, und bringt nun ein Gesetz zu ihrer Rehabilitation auf den Weg.

Artikel 1. Rehabilitation aller unterdrücktenVölker der RSFSR, Anerkennung der gegen diese Völker durchgeführten Akte als illegal und kriminell.

Artikel 2. Als Repressierte werden Völker (Nationen, Völkerschaften oder ethnische Gruppen und im Laufe der Geschichte entstandene kultur-ethnische Gruppierungen von Menschen, wie beispielsweise die Kosaken) anerkannt, an denen aufgrund ihrer nationalen oder einer anderen Zugehörigkeit auf staatlicher Ebene eine Politik der Verleumdung und des Völkermords durchgeführt wurde, die mit einer gewaltsamen Umsiedlung, der Abschaffung des nationalen Staatsgefüges, der Neufestlegung national-territorialer Grenzen, dem Aufbau eines Terror-Regimes und Gewaltanwendung an den Sonderumsiedlungsorten einherging.

Artikel 3. Die Rehabilitation repressierter Völker bedeutet die Anerkennung und Realsierung ihrer Rechte auf Wiederherstellung der territorialen Ganzheit, wie sie vor der verfassungswidrigen Politik der gewaltsamen Grenzziehung existierte, auf Wiederherstellung eines national-staatlichen Gefüges in den Zustand, wie er vor seiner Abschaffung herrschte, sowie Entschädigungen für durch den Staat verursachte Schäden und Verluste.

Die Rehabilitationsmaßnahme sieht die Rückkehr der Völker, die keine eigene national-staatliche Formierung haben, an ihre traditionellen Wohnorte auf dem Territorium der RSFSR vor, sofern sie diesen Wunsch durch ihre Willensäußerung bekunden.

Per Gesetz der Russischen Föderation vom 1. Juli 1993 N 5303-1 wurde Artikel 3 des geltenden Gesetzes ergänzt durch Artikel 3-1.

Artikel 3-1. Das Gesetz der RSFSR „Zur Rehabilitation von Opfern politischer Repressionen“ wird auf Staatsbürger aus den Reihen der repressierten Völker ausgeweitet, die aufgrund nationaler Merkmale oder anderer Zugehörigkeiten auf dem Territorioum der Russischen Föderation Repressionen ausgesetzt waren.

Artikel 4. Agitationenund Propaganda, die mit dem Ziel einer Be- oder Verhinderung der Rehabilitation repressierter Völker durchgeführt werden sollen, sind nicht zulässig.
Personen, die derartige Taten begangen haben oder gleichsam dazu anstiften, werden im Rahmen der bestehenden Gesetzesordnung strafrechtlich zur Verantwortung gezogen.

Artikel 5. Die Widerherstellung und Änderung der natinal-staatlichen Formationen repressierter Völker wird auf Grundlage einer gesetzmäßigen Regulierung zwischen den Völkern verwirklicht.

Artikel 6. Die territoriale Rehabilitierung der repressierten Völker sieht, auf Grundlage ihrer eigenen Willenserklärung, die Verwirklichung rechtlicher und organisatorischer Maßnahmen zur Wiederherstellung ihrer national-territorialen Grenzen in den Zustand vor, wie er vor der antikonstitutionellen gewaltsamen Veränderung herrschte.

Für die Realisierung der territorialen Rehabilitation kann nötigenfalls eine Übergangsfrist festgesetzt werden. Die Entscheidung über eine solche Übergangsfrist und die Wiederherstellung der national-territorialen Grenzen wird vom Obersten Sowjet der RSFSR getroffen.

Artikel 7. Die politische Rehabilitation der repressierten Völker, die früher in ihren eigenen, gesetzeswidrig annullierten, national-staatlichen Gebieten lebten, sieht die Wiederherstellung dieser Formierungen im Einklang mit Artikel 6 des geltenden Gesetzes vor.

Artikel 8. Die politische Rehabilitation der repressierten Völker, die nicht ihr eigenes nationales Staatsgefüge besitzen, bedeutet ihr Recht auf freie nationale Entwicklung, Rückkehr an die früheren Wohnorte auf dem Territorium der RSFSR, Sicherstellung ihrer Gleichheit bei der Verwirklichung ihrer politischen Rechte und Freiheiten mit anderen Völkern, wie sie im Rahmen der geltenden Gesetzgebung garantiert sind.

Artikel 9. Für die den repressierten Völkern oder einzelnen Staatsbürgern seitens des Staates als Ergebnis der Repressionsmaßnahmen zugefügten Schäden und Verluste sind entsprechende Entschädigungen zu leisten.

Die Art und Weise der Entschädigung für rehabilitierte Völker und einzelne Staatsbürger tritt durch gesetzgebende Akte der UdSSR, RSFSR und der innerhalb der RSFSR befindlichen Republiken inkraft.

Die Entschädigungen an rehabilitierte Völker und einzelne Staatsbürger für Schäden und Verluste erfolgen schrittweise.

Die Bestimmungen über die Art der Entschädigung von Bürgern, denen im Rahmen der politischen Repressionen der Besitz konfisziert wurde oder auf andere Weise abhanden kam, Ersatzleistung für die entstandenen Kosten oder Auszahlung einer finanziellen Kompensation, sind in der Verodnung N 926 der Regierung der Russischen Föderation vom 12. August 1994 festgelegt.

Artikel 10. Die soziale Reghabilitation der repressierten Völker bedeutet, dass Staatsbürgern, die Repressionen ausgesetzt waren, die Zeit ihres Aufenthalts in Sondersiedlungen (Verbannungsorten) mit der dreifachen Zeit auf ihre Arbeitsjahre angerechnet werden. In diesem Zusammenhang ist auch eine Erhöhung der Altersrentenzahlungen für jedes Arbeitsjahr unter Berücksichtigung dieser Zeiträume vorgesehen, wie es im Gesetz der RSFSR „Über die Sicherstellung der Rentenzahlungen an Staatsbürger der RSFSR“ verankert ist.

Derzeit gilt das Gesetz der RSFSR N340-1 vom 20. November 1990 „Über staatliche Renten in der RFSFR“.

Artikel 11. Die kulturelle Rehabilitation der repressierten Völker sieht die Verwirklichung eines Maßnahmenkomplexes zur Wiederherstellung ihres geistigen Erbes und der Befriedigung ihrer kulturellen Bedürfnisse vor.

Das bedeutet ebenso die Anerkennung des Rechtszugunsten der repressierten Völker auf die Wiederherstellung ihrer früheren historischen Ortsnamen, deren Bezeichnungen ihnen in den Jahren der Sowjetmacht gewaltsam entzogen wurden.

Artikel 12. Alle Gesetzesakte, mit Ausnahme der Gesetze, in denen ihre Rechte wiederhergestellt werden, die von Organen auf Unions- und Republikebene sowie örtlichen Organen und Amtspersonen im Hinblick auf die repressierten Völker angeordnet wurden, werden für verfassungswidrig erklärt und sind außer Kraft gesetzt.

Artikel 13. Besonderheiten bei der Anwendung des geltenden Gesetzes in Bezug auf die repressierten Völker, die auf dem Territorium der Russischen Föderation leben oder gelebt haben, werden durch gesonderte Gesetzesbestimmungen der RSFSR geregelt, die auf jedes der repressierten Völker anzuwenden sind.

Literaturangaben:

1. I.I. Doluzkij. Vaterländische Geschichte des 20. Jahrhunderts. Lehrbuch für die Klassen 10-11 allgemeinbildender Einrichtungen, Teil 2, 2., korrigierte und überarbeitete Ausgabe.- Moskau, Mnemosina-Verlag, 1997.
2. A.A. Danilow, L.G. Kosulina, L.G. Pyschikow. Geschichte Rußlands, 20. – Beginn des 21. Jahrhunderts, 10. Ausgabe.- Moskau: Aufklärungsverlag, 2003.
3. Großes Wörterbuch für Schüler und Universitätsstudenten. W.N. Ambarow, P. Andrejew, S.G. Antonenko, 2. Ausgabe, Moskau, Drofa-Verlag, 1999.
4. Schulprogramm in Tabellen und Formeln. Großes Universal-Wörterbuch. Sch. 67, 2. Ausgabe, Moskau, Drofa-Verlag, 1999.
5. Zeitung „Klub-Repertoire“, N° 33-34 vom 23. September 2004.
6. Geschichte der UdSSR. Die Epoche des Sozialismus. (Lehrmittel für Geschichte, Redaktion S.A. Serajew). 3. überarbeitete und ergänzteAusgabe, Moskau, Aufklärungsverlag, 1983.
7.Wladlen Tscharikow. „Volksfeinde“, Krasnojarsk, 1997, „Gorniza“-Verlag.
8. Schwarzbuch des Kommunismus (Verbrechen, Terror, Repressionen). Übersetzung aus dem Französischen. Moskau „3 Jahrhunderte Geschichte“, 2011.
9. Auschnitte aus der Zeitung „Neue Zeit“.
































































 


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