Autor der Arbeit: Irina Gubanowa, Lehrerin der Klasse 11b an der Schule Nr. 149 in Krasnojarsk
Wissenschaftliche Leiterin: M.A. Wolkowa, Studiendirektorin, Geschichtslehrerin an der Schule Nr. 149
Rezensent: S.N. Michalew, Doktor der Geschichtswissenschaften, Professor an der Staatlichen Pädagogischen Universität Krasnojarsk
Krasnojarsk, 2001
Der 22. Juni 1941 ist uns als einer der tragischsten Tage in der Geschichte unseres Landes ins Gedächtnis eingegangen. An diesem Tag fand der Überfall des faschistischen Deutschland auf die UdSSR statt. Über unserem Lande schwebte eine tödliche Gefahr.
In den 1418 Kriegstagen mußte eine große Anzahl von Menschen schrecklich leiden. Militär-personen, friedliche Einwohner und sogar Kinder erfuhren am eigenen Leib alle Schrecken des Krieges.
Kinder und Krieg – zwei Begriffe, die, wie es den Anschein hat, überhaupt nicht zueinander passen.
Seit dem Kriegsende sind nun schon 55 Jahre vergangen. Aber zu Ehren der Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges und in dankbarem Gedenken an ihre kämpferischen und werktätigen Heldentaten, dürfen wir es auch nicht versäumen, uns an jene zu erinnern, die alle Schrecken und Bürden des Krieges bereits in ihrer Kindheit am eigenen Leib erfahren mußten. Wie viele von ihnen waren bei den Fronttruppen, in Partisanen-Einheiten oder Untergrund-Organisationen im Hinterland des Feindes?! Die Heimat hat ihre mutigen Heldentaten, ihren Beitrag zum großartigen Sieg, nicht vergessen: vielen Kindern wurden Orden und Medaillen verliehen, sie bekamen den hohen Titel eines Helden der Sowjetunion. Aber es gab auch solche, bei denen die Schrecken des Krieges noch zusätzlich durch völlige Rechtlosigkeit, tägliche Erniedrigungen und die Angst um ihr Leben verstärkt wurden. Gemeint sind die minderjährigen Häftlinge der Konzentrationslager.
Die AKTUALITÄT des Themas hängt damit zusammen, daß es nur noch wenige dieser Menschen gibt, und man sich beeilen muß, ihnen dabei behilflich zu sein, den Nachfahren zur Belehrung eine Lektion über Tapferkeit und Standhaftigkeit zu erteilen.
Auf Grundlage meines eigenen Interesses habe ich folgende Forschungsaufgaben gestellt:
OBJEKT der Forschung ist das Problem der Beziehungen der Haltung der Gesellschaft gegenüber den minderjährigen Häftlingen von Konzentrationslagern in den unterschiedlichen Perioden der Geschichte unseres Landes.
GEGENSTAND der Forschung ist der Einfluß des Krieges auf das weitere Schicksal der noch nicht volljährigen Gefangenen des Faschismus.
Für die Arbeit an dem Referat wurden folgende Forschungsmethoden angewandt:
Als historische Quellen zum Thema finden sich Unterlagen des Zentrums für die Aufbewahrung und das Studium von Dokumenten der neuzeitlichen Geschichte der Region Krasnojarsk, in dessen Beständen es Memoiren und Fotografien ehemaliger minderjähriger Häftlinge des Faschismus gibt, die gegenwärtig auf dem Gebiet der Region Krasnojarsk leben. Allerdings ist der Umfang der Informationen begrenzt, denn das Zentrum für die Aufbewahrung und das Studium von Dokumenten der neuzeitlichen Geschichte der Region Krasnojarsk hat erst 2001 einen Vertrag mit der Organisation „Mitgefühl“ über die Übergabe von Dokumenten zur dauernden Aufbewahrung geschlossen.
Zu den wichtigsten Quellen für den Erhalt von Informationen kann man zweifelsohne die Erinnerungen und Materialien aus den persönlichen Archiven der damaligen minderjährigen Häftlinge Wladislaw Wiktorowitsch Spirow – dem ersten Vorsitzenden der regionalen Abteilung der Gesellschaft ehemaliger minderjähriger Gefangener „Mitgefühl“ -, Tatjana Lwowna Rossowskaja – gegenwärtige Vorsitzende im Amt, Sima Josifowna Samarujewa und Polina Karpowna Osipowa – Vorsitzende der Abteilung im krasnojarsker Stadtteil Sowjetskij, sowie Bernadata Solomonowna Berger und Lubow Pawlowna Prjanischnikowa – ehemalige Häftlinge, die heute im krasnojarsker Stadtteil Sowjetskij wohnen, rechnen. Meine Wahl fiel auf diese Leute, denn drei von ihnen sind Geschäftsführer der regionalen Abteilung der regionalen Abteilung der Gesellschaft ehemaliger minderjähriger Häftlinge, und die anderen waren mir von Polina Karpowna Osipowa und Tatjana Lwowna Rossowskaja. All diese Leute waren, ungeachtet der Tatsache, daß die Erinnerungen an jene Zeit quälend und seelisch belastend sind, einverstanden, über ihre schwere Kindheit und ihr weiteres Schicksal zu berichten.
Für die vollständigste Quelle halte ich die Zeitung „Sudba“ („Schicksal“; Anm. d. Übers.) – die einzige gedruckte Ausgabe im postsowjetischen Universum, das die Interessen der Opfer des Nazismus verteidigt, der letzten Zeugen des Hitler-Überfalls in den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Die Zeitung veröffentlicht Erinnerungen, Tagebücher, Illustrationen, Dokumente und Zeugenaussagen über das Schicksal derer, die in die deutsche Sklaverei getrieben wurden, die fast zu Tode gequälten Kinder, die dennoch wie durch ein Wunder am Leben blieben, Menschen, die von den faschistischen Ungeheuern in die Folterkammern der zahlreichen Gefängnisse, Konzentrationslager und Gettos geworfen wurden (Zeitung aufbewahren // „Schicksal“ 1993, No. 4 (68), Juli-August 2000, S.1). Diese Zeitung enthält Materialien über ehemalige minderjährige Gefangene nicht nur unseres Landes, sondern auch der Gemeinschaft unabhängiger Staaten. Zehn Exemplare der Zeitung (von Gebruar 1997 bis Dezember 2000) erhielt ich aus dem persönlichen Archiv von Wladislaw Wiktorowitsch Spirow.
Mit dem Ziel, den Informationsstand der heutigen Jugend zu ermitteln sowie etwas über ihre Einstellung gegenüber ehemaligen minderjährigen Gefangenen herauszufinden, wurde in der Schule Nr. 149 zwischen den Schülern der Klassen 11b und 11w eine Fragebogen-Aktion durchgeführt.
Es ergaben sich folgende Resultate:
Von 98 Befragten
Man kann daraus den Schluß ziehen, daß das Wissen über ehemalige minderjährige Gefangene sehr begrenzt und oberflächlich ist, vor allem wegen des erheblichen Mangels an Informationen. Die Halbwüchsigen befinden sich von dem Problem viel zu weit entfernt, obwohl sie die Ereignisse der Jahre 1941-1945 im Geschichtsunterricht durchgenommen haben. Die Ergebnisse der Fragebogen-Aktion unterstreichen noch einmal die Aktualität des Themas, das hier genau untersucht werden soll.
Monografische Untersuchungen zum vorliegenden Thema sind mir nicht zugänglich.
Die existierenden Quellen, die schlechte Informiertheit und die Aktualität des Themas gestatten eine eingehende Betrachtung.
Während des II. Weltkrieges befanden sich Konzentrationslager, Ghettos und andere Orte der Zwangshaltung von Menschen, die von den Faschisten und ihren Verbündeten geschaffen worden waren, auf dem Territorium verschiedener Länder:
In den Konzentrationslagern, Ghettos und anderen Zwangsaufenthaltsorten kamen mehr als 13 Millionen sowjetischer Menschen ums Leben, darunter 1.200.000 Kinder. Insgesamt fielen mehr als 5 Millionen Kinder der faschistischen Sklaverei zum Opfer. Lediglich eines von zehn Kindern erlebte die Freilassung (T.G. Aleksejewitsch // Abendliches Krasnojarsk, 15.09.98).
Wer waren sie – diese minderjährigen Häftlinge der faschistischen Konzentrationslager, Ghettos und andere Zwangshaltungsorte?
In der Absicht, die Lage der Häftlinge näher zu definieren, entschloß ich mich, einmal im erklärenden Wörterbuch nachzuschlagen. Der Begriff des „Eingekerkertseins“ ist veraltet. Er bezeichnet den Zustand des Inhaftiertseins, die Situation des Gefangenen (D. Uschakow, Erklärendes Wörterbuch der russischen Sprache, M., 1996, Bd. 4, S. 911).
Im heutigen Verständnis und in Übereinstimmung mit der Erklärung Nr. 4 vom 7. Juli 1999, die durch die Verordnung Nr. 20 des Ministeriums für Arbeit und soziale Entwicklung der Russischen Föderation vom 07.07.1999 bekräftigt wurde, gelten als minderjährige Häftlinge
„ ... auf dem Territorium der Russischen Föderation lebende, nicht volljährige Staatsbürger, die in den Jahren des 2. Weltkrieges bis zu einem Alter von 18 Jahren in Konzentrations-lagern, Gettos oder an anderen Orten der Zwangshaltung festgehalten wurden oder dort geboren sind, an Orten, die von den Faschisten und ihren Verbündeten auf dem Gebiet Deutschlands, den mit ihnen verbündeten Ländern sowie den von ihnen besetzten Territorien der ehemaligen UdSSR und anderer europäischer Länder geschaffen wurden“ (Verordnung No. 20 des Ministeriums für Arbeit und soziale Entwicklung der Russischen Föderation vom 07.07.1999).
Die in die nazistische Unfreiheit getriebenen Kinder wurden genauso wie die Erwachsenen gehalten, wobei sie unter den Bedingungen eines strengen Gefängnisregimes, in Konzentrations- und Arbeitslagern lebten und mit allen charakteristischen Merkmälen der Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit unter Arrest standen. (Mitteilung der Ukrainischen Vereinigung von Häftlingen und Opfern des Nazismus USUSchI // Schicksal, 1993, No. 4 (68), Juli, August, S. 2).
In der Absicht, den Schweregrad der Lage der Häftlinge genauer zu bestimmen, werden wir zunächst die Begriffe „Konzentrationslager“, „Arbeitslager“ und „Ghetto“ untersuchen.
Nach der Analyse des im Laufe der Forschungsarbeiten gesammelten Materials kann man zu folgendem Schluß kommen:
Beim Sammeln des Materials für die Referate sprach ich mit ehemaligen minderjährigen Gefangenen, die zum gegenwärtigen Zeitpunkt in Krasnojarsk leben. Von den sechs Personen, die bereit waren, sich zu äußern und mir auf meine Bitte hin ihre Erinnerungen über jene schreckliche Zeit anzuvertrauen, war Bernadata Solomonowna Fejser (Ehename Berger) die älteste – 1930 geboren. Ihre gesamte Familie kam in deutsche Kriegsgefangenschaft: die Eltern und sechs Kinder. Ab August 1943 befanden sie sich auf deutschem Territorium, im Lager Aiching. Bernadata, 13 Jahre alt, und ihr älterer Bruder Solomon, 17 Jahre alt, wurden den Eltern weggenommen und kamen zum Arbeiten zu einem Bauern in die Wirtschaft. Dort mußten sie Heu mähen, Getreide dreschen, sich um das Vieh kümmern, mit einem Wort – die ganze schwere Arbeit verrichten. Sie unterlagen keinerlei körperlicher Bestrafung. Ungeachtet der Tatsache, daß die Fejsers ihrer Nationalität nach Deutsche waren, verhielt man sich ihnen gegenüber wie zu Menschen „zweiter Klasse“.
Meine weiteren Gesprächspartner waren Wladislaw Wiktorowitsch Spirow, geboren 1934, Tatjana Lwowna Rossowskaja, geboren 1932, Polina Karpowna Osipowa, geboren 1937, Ljubow Pawlowna Prjanischnikowa, geboren 1937, und Sima Oosifowna Samarujew, geboren 1932.
Wladislaw Wiktorowitsch Spirow wurde im November 1941, im Alter von 7 Jahren, von den Deutschen aus der Stadt Puschkin (Tsarskoje Selo) fortgebracht. Die letzte Etappe seiner Kriegsbiografie (1944) war Nord-Norwegen. In der Umgebung ihres Lagers gab es keinerlei bewohnte Siedlungen, denn gleich nebenan befand sich der Flugplatz, auf dem die Häftlinge arbeiteten , darunter auch die Mutter von Anastasia Nikolajewna Slaba. Kinder ab 11 Jahren zählten als Erwachsene und mußten genauso arbeiten wie die Älteren – den Schnee vom Flugplatzgelände räumen. Die jüngeren blieben im Lager zurück.
Tatjana Lwowna Rossowskaja befand sich zusammen mit ihrer Mutter Maria Jefimowna, ihrem 13-jährigen Bruder Dmitrij und dem 3-jährigen Bruder Roma in Deutschland. Die Mutter und der älteste Brüder mußten arbeiten.
Sima Josifowna Samarujewa befand sich 9 Jahre in einem litauischen Ghetto, das sich nicht weit von einem Kriegsgefangenenlager entfernt lag. Die Haftbedingungen waren schrecklich: in einem winzigen Zimmerchen befanden sich 10-20 Personen, das Essen war praktisch ungenießbar; deswegen waren die Kinder äußerst geschwächt und wurden alle krank. Die minderjährigen Häftlinge arbeiteten bei der Straßenreinigung.
Jeden Tag fürchteten die Jungs um ihr Leben, denn sie hatten begriffen, daß man sie in einem beliebigen Augenblick umbringen konnte.
Sima überlebte dank ihres litauischen Kindermädchens Monika, das in einer deutschen Offiziersküche tätig war und auf betrügerische Weise mehrmals etwas zu essen mitbrachte, wobei es stets eine Bestrafung wegen Verletzung der geltenden Regeln riskierte. Es gelang ihr, Sima aus dem Ghetto herauszuholen und in ein Konzentrationslager zu verlegen, aus dem das Mädchen fliehen konnte. Nach der Flucht fand Sima Monika wieder, und das Kindermädchen versteckte sie bei seinen Verwandten.
Die angeführten Fakten bezeugen, daß, je älter die Kinder waren, um so mehr Leiden auf ihr Schicksal entfielen. Die Chancen am Leben zu bleiben, waren bei denjenigen größer, die in Arbeitslagern untergebracht waren.
Nach der Unterhaltung mit diesen bewundernswerten Menschen kam ich zu dem Entschluß, daß ihr Lebensweg eines aufmerksamen Studiums würdig ist; daher zitiere ich hier den Fragebogen, anhand dessen die Interviews durchgeführt wurden.
Die erhaltenen Angaben machen es möglich, den Lebensweg der Befragten genau zu betrachten.
für das Interview mit ehemaligen minderjährigen Häftlingen faschistischer Konzentrationslager, Ghettos und anderer Orte von Zwangshaltung während der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges 1941-1945.
Da eine der Methoden meiner Arbeit das Führen von Inetrviews war, unterhielt ich mich mit einigen ehemaligen minderjährigen Häftlingen, und zwar mit Wladislaw Wiktorowitsch Spirow, Tatjana Lwowna Rossowskaja, Polina Karpowna Osipowa, Bernadata Solomonowna Berger, Ljubow Pawlowna Prjanischnikowa und Sima Josifowna Samarujewa.
Meine Bekanntschaft mit dem ehemaligen Vorsitzenden der regionalen Gesellschaft „Mitgefühl“, Wladislaw Wiktorowitsch Spirow, kam Ende November 2000 zustande. Bereitwillig berichtete er über sich und die damalige Zeit.
Wladik wurde am 4. September 1934 in Leningrad geboren.
Anfang 1941 war es mit der Trinkwasser- und Lebensmittelversorgung in Leningrad bereits schwierig. Die Spirows fuhren auf ihre Datscha nach Puschkin, im Leningrader Gebiet, um wenigstens ein paar Kartoffeln heimzubringen. Dort wurden sie am Morgen des 17. September 1941 in einem Luftschutzraum gewaltsam von den Deutschen ergriffen.
Man sperrte die Menschen in Güterwaggons und fuhr zwei Tage und Nächte, ohne sie auch nur ein einziges Mal zu öffnen. Nach langen Fußmärschen über verschneite Wege, demütigenden und kräftezehrenden Strapazen, erreichten die Spirows den Süden der Region Pskow, die Station Jamm (M. Murachowskaja. Erzählungen von Puschkin und die Kriegsegfangenschaft ... // „Krasnojarsker Arbeiter“, 06.05.1995). „ ... wir ... waren während des Krieges nicht an ein und demselben Ort. Ich bezeichne das als kleine Weltreise: erst das Leningrader Gebiet, die Umgebung von Pskow, dann Estland, Finnland, danach Norwegen ...“ (W.W. Spirow. Erinnerungen, aus den Beständen des Zentrums für die Aufbewahrung und das Studium von Dokumenten der neuzeitlichen Geschichte der Region Krasnojarsk).
Am längsten dauerte der Aufenthalt in Nord-Norwegen. Anfangs waren die Spirows in einem sogenannten „K-Lager“. In seiner Umgebung gab es keine bewohnten Siedlungen, aber einen Flugplatz, auf dem die Gefangenen arbeiteten. Man brachte sie durch Schneetunnel mit Lastwagen an ihren Arbeitsplatz.
Nicht weit entfernt ein Kriegsgefangenenlager. Jeglicher Umgan mit den dortigen Häftlingen war verboten, aber gelegentlich gelang es, die im Laufe einiger Tage gesammelten Essenskrümelchen zu übermitteln. Und die Kriegsgefangenen ließen den Kindern selbstgemachte Holzspielsachen zukommen.
In der Gedenkstätte des Sieges gibt es Exponate, die W.W. Spirow gewidmet sind. Dort ist eine wie durch ein Wunder unversehrt gebliebene „melenka“, ein Sperrholz-Kästchen mit einer Aufschrift in lateinischen Buchstaben – „Liinachamari“ (1944), ein Märchenbuch von Puschkin, die Puppe „Witenka“. Die Puppe wurde Wladik unmittelbar vor dem Krieg vom Bruder seines Vaters geschenkt, nach der Geburt des Sohnes Witenka. Sowohl der Onkal als auch dessen Sohn kamen während der leningrader Blockade im Dezember 1941 ums Leben.
Die Deutschen brachten die Gefangenen an den Sonntagen zur Desinfektion in ein benachbartes Lager, in dem sich kranke und verwundete Kriegsgefangene befanden. Wladislaw Wiktorowitsch erinnerte sich noch an den Weg zwischen den Lagern und dem Friedhof unserer Kriegsgefangenen, deren Körper nur gerade eben mit Steinen bedeckt waren.
Das war die westlichste norwegische Stadt Kirkenes, ganz in der Nähe der Heimat. Am 25. Oktober 1944 befreiten russische Truppen die Stadt Kirkenes, und Anfang November – das Lager, in dem sich die Spirows befanden. Durch die rückwärtigen Verbände der Roten Armee wurde alles getan, um die Menschen vor dem weiten Weg in die Heimat mitten im Winter ausreichend mit Essen, Kleidung und Schuhwerk zu versorgen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich wie Menschen zu fühlen.
„Es stand uns noch ein weiter Weg nach Hause bevor, wo uns niemand erwartete, noch nicht einmal die nahen Verwandten in Leningard, die gerade eben die Blockade überstanden hatten, denn sie hielten uns schon längst für tot ... Und in unserer Wohnung in der ul. Marata 16 lebten bereits seit langem andere Leute, und ringsumher loderte imme rnoch der Krieg ...“ – so beschrieb Wladislaw Wiktorowitsch seine Rückkehr in die Heimat.
Auf diese Weise kamen Slawa und seine Mutter aus der Gefangenschaft frei.
Auch Tatjana Lwowna Rossowskaja und ihre Familie hatten ein schweres Los zu tragen.
Tatjana wurde 1932 in der Stadt Rybinsk, Iwanowsker Region, geboren.
Der Vater, Lew Alexandrowitsch Dubrowinskij, war Ingenieur und Technologe, die Mutter, Maria Jefimowna, besaß gleich zwei höhere Ausbildungen, sprach gut Deutsch und konnte auch Französisch.
In der Familie waren drei Kinder – zwei Söhne und eine Tochter.
Zu Beginn des Krieges lebte die Familie in der Umgebung von Moskau. Der Vater kam während des Baus von Befestigungsanlagen nahe Moskau ums Leben. Er hinterließ die Mutter mit drei Kindern. Wegen der sich nähernden Front waren sie gezwungen, ihr eigens Haus zu verlassen. Aber es gelang nicht, sie zu evakuieren. „So gingen sie nachts fort. Nach Nirgendwo. Von einem Leid ins andere. Wielange sie so unterwegs waren und wohin, das weiß sie nicht mehr. Sie liefen wohl mehrere Tage, aber sie bekamen kein Tageslicht zu sehen. Es war immer Nacht. Schreckliche Nacht. Unterwegs hörten sie auch zum ersten Mal, daß Deutsch gesprochen wurde. Ein Sanitätsfahrzeug nahm sie auf, scheinbar reagierten sie auf das gute Deutsch, denn Mama konnte ja mehrere Sprachen, und brachte sie bis zu irgendeinem Dorf“.(W.W. Spirow. Erinnerungen aus den Beständen des des Zentrums für die Aufbewahrung und das Studium von Dokumenten der neuzeitlichen Geschichte der Region Krasnojarsk).
Sie gelangten bis zu euiner Kate, wo viele Russen waren, und blieben dort über Nacht. Sie schliefen im Stehen, denn es war sehr eng. Die quälenden Nächte und Wege gingen weiter. So kamen sie endlich nach Moschajsk. Die Mutter konnte gut Deutsch, deshalb ließen die Deutschen sie in der Schule wohnen. Dort ließen sie sich in einer Kammer nieder. Der älteste Bruder ging Wasser holen, Mutter stopfte den deutschen Soldaten die Socken. Sie gaben den Kindern Brot und manchmal Süßigkeiten.
Und wieder machten sie sich auf den Weg. Der ständige Hunger zwang sie, die Rippen gestürzter Pferde aufzusammeln und auf unmöglichen Feuerböcken eine Brühe zu kochen.
Mehrere Male versuchten sie zu fliehen, fanden sich jedoch erneut in heizbaren Güterwagen wieder. Man trieb sie von einem Elend ins andere. Nach einem weiteren Fluchtversuch bei Brest-Litowsk im Frühjahr 1942 gelangten sie nach Kowel.
Um nicht vor lauter Hunger zu sterben, mußte der älteste Bruder mit deutschen Zeitungen handeln.
In Kowel war es schon warm, aber die Dubrowinskis trugen Winterkleidung und Filzstiefel. Irgendwelche guten Menschen fertigten für Tanja hölzerne Pantoletten an, die ihr mehr wert waren, als „Pantöffelchen aus Kristall“, wie Tatjana Lwowna es selber ausdrückte.
Im Herbst 1943 setzte eine Razzia ein. Lastwagen tauchten auf, Soldaten mit Maschinenpistolen und Hunden. Maria Jefimowna wurde mit ihren drei Kindern aus dem „Haus“ fortgebracht und auf einen LKW gestoßen.
Das erste Lager war an der österreichisch-preußischen Grenze, in der Stadt Prostken. Sie wohnten in einer riesengroßen Baracke. Anfangs befanden sie sich in der jüdischen Sektion, da Tanja und ihre jüngerer Bruder Roma als Juden galten.
Das Mädchen erkrankte sehr schwer an Typhus und lag mehrere Tage im Fieberwahn. Die Mutter und der ältere Bruder arbeiteten. Dank der Fürsorge der Mutter schaffte Tanja es, wieder auf die Beine zu kommen.
Auf dem Lagergelände befand sich ein Territorium mit einem quadratischen, schwarzen Schornstein. Um die Kinder nicht zu erschrecken, erzählte die Mutter ihnen, daß es das Badehaus sei.
Nach der Wende im Kriegsgeschehen trieb man die Häftlinge in Deutschland weit ins Landesinnere hinein. So kamen Tanja und ihre Familie zum zweiten Mal in ein Lager, in die Stadt Naugart. Hier begann Tanjas Mutter ein Tagebuch zu führen (es ist erhalten geblieben und wird in Tatjana Lwownas Familie verwahrt. Man gestattete mir, es für einige Minuten in den Händen zu halten, aber für ein genaueres Studium ist es nicht zugänglich). Im Lager war es unglaublich sauber. Mitunter wurden sie zu medizinischen Untersuchungen geschickt – sie wurden gewogen, und man nahm ihnen Blut ab.
Im Juni 1944 brachte man sie nach Westeuropa. Zusammen mit ein paar russischen und kroatischen Familien, sowie vier Dutzend russischen Minderjährigen, arbeiteten die Mutter und Tanjas ältester Bruder in der Streichholzfabrik der Gebrüder Ditzel, die sich in der Ortschaft Meckesheim befand.
Ende April 1945 wurden sie von den Aliierten befreit – von Amerikanern; die meisten von ihnen waren dunkelhäutig. Sie verteilten an die Kinder großzügig Würfelzucker und Schokolade.
Mit dem ersten Repatrianten-Tramsport kehrte die Familie Dubrowinskij in die Heimat zurück.
Nicht weniger schwer verlief auch die Kindheit von Polina Karpowna Osipowa (Lawrenowa). Sie wurde am 21. Februar 1937 in dem Dorf Botschary, Region Brjansk, geboren.
Der Vater, Karp Petrowitsch Lawrenow, wurde 1910 geboren, die Mutter, Olga Andrejewna Sawtschenko (Lawrenowa) 1913.
Polina war das dritte Kind in der Familie. Der älteste Bruder Alexander wurde 1931 geboren, der zweite Bruder, Fedenka, starb im Kindesalter. Die jüngste Schwester Jewgenia wurde am 20. Juli 1941 geboren.
Der Vater ging 1941 an die Front. Die Mutter blieb mit drei minderjährigen Kindern zurück und befand sich ab 1941 bis September 1943 auf besetztem Gebiet. Der Vater ist seit 1943 verschollen, seit der Schlacht am Kursker Bogen.
Im Sommer 1942, immer noch unter Besatzung, arbeiteten die Mutter und der zehnjährige Bruder bei den Deutschen. Ringsumher, in den Wäldern von Brjansk gab es Partisanen. Weil die Dorfbewohner den Partisanen halfen, steckten die Deutschen das Dorf Nischerowka (100 Höfe) in Brand. 1942 legten sie auch das Dorf Notschary in Schutt und Asche.
Zum Jahre 1943 hin gerieten die Lawrenows nach Kletna (Brjansker Region). Sie kampierten unter freiem Himmel hinter Stacheldraht. Der sechsjährigen Polina blieb die Erschießung einer Familie fest im Gedächtnis haften. Der Grund für die Exekution war der, daß das Familienoberhaupt der Forderung eines Faschisten nachgekommen war.
In dem Dorf Schukowka gab es eine Umladestation, wohin die Gefangenen zum Entlausen, Rasieren und zur Sortierung gebracht wurden.
Ihr weiterer Weg sollte nachDeutschland gehen, aber sie machten in Weißrußland halt, in der Stadt Borisow. Die Erwachsenen wurden zur Arbeit gezwungen.
Die Freilassung im Jahre 1944 hat Polina als einen Moment des allgemeinen Jubels und der Freudentränen in Erinnerung.
So endete die schwere Zeit der Kindheit von Polina Karpowna, aber vor ihr sollte noch eine Reihe weiterer Erschwernisse liegen.
Am wenigsten konnte ich von Bernadata Solomonowna Berger (Fejser) erfahren.
Sie wurde 1930 in der Ortschaft Schuk, Kamensker Kreis, Gebiet Saratow, geboren.
Der Vater, Solomon Jakowlewitsch Fejser, war Invalide 1. Grades. Die Mutter, Jekaterina Fejser (der Vatersname ist nicht bekannt), wurde 1905 geboren.
Vor dem Krieg lebte die Familie in Weißrußland, in der Ortschaft Schofino, Borisowsker Kreis, Minsker Gebiet. Sie hatten sechs Kinder, und zwei wurden später noch in der Gefangenschaft geboren.
Im April 1943 wurden die Fejsers aus dem besetzten Gebiet in die polnische Stadt Litzmannstadt abtransportiert. Im August wurden sie in ein Lager in Aiching, Deutschland, verlegt. Dort arbeiteten Bernadata und ihr Bruder in einer Bauernwirtschaft: sie mähten Heu, droschen Getreide, kümmerten sich um die Tiere.
Die Familie Fejser wurde im Mai 1945 freigelassen. Die Kontrolle wurde am 4. April 1946 im Kontroll- und Filtrationslager No. 232 in Frankfurt an der Oder durchgeführt. Von dort schickte man sie dann in ein Grenz-Filtrationslager des MWD (Ministerium des Inneren; Anm. d. Übers.).
Meine nächste Gesprächspartnerin war Ljubow Pawlowna Prjanischnikowa (Sorokina)
Ljuba wurde am 24. August 1937 in der Staet Puschkin, Leningrader Gebiet, geboren.
Ihr Urgroßvater war ein angesehener Bürger von Sankt-Petersburg. Ihre Mutter, Faina Kirillowna Sorokina (Tanewskaja), geboren 1915, war eine echte Adelige.
Bei Kriegsende war Ljuba vier Jahre alt, Schwester Marina – sieben.
Ende Oktober 1941 schafften sie es nicht, mit evakuiert zu werden, und die Mutter mußte mit ihren beiden kleinen Kindern selbst Rettung suchen. Ljuba wurde in einen Korb-Kinderwagen gesetzt, neben sie eine Puppe und ein paar Eßwaren. Die siebenjährige Marina nahm die Mutter an die Hand, und dann begaben sie sich zu Fuß, mit anderen, ebensolchen Flüchtlingen, von der Frontlinie weg. Am Himmel hörte man das Heulen eines Motors, und alle sahen ein Aufklärungsflugzeug. Sein Auftauchen verhieß nichts Gutes: kurz darauf begann die Bombardierung. Die deutschen Flugzeuge flogen jeweils in Dreiergruppen. Ein unbekannter Mann stieß Ljuba in den Straßengraben und rettete ihr dadurch das Leben. In dem ganzen Durcheinander und der Panik verlor Faina Kirillowna Marina aus den Augen. Nach der Bombardierung stellten sie fest, daß die Schwester nirgends aufzuffinden war.
Die Überlebenden erreichten die Station Jamm, wo sie nachts von den Deutschen aufgegriffen wurden.
Die Menschen wurden in Baracken mit dreistöckigen Pritschen untergebracht; man gab gestreifte Kleidung an sie aus. Zu essen bekamen die Häftlinge Linsen und schwarzen, ekligen Ölkuchen.
Die minderjährige Ljuba konnte die schwere Arbeit nicht verrichten und wurde deshalb in die Küche geschickt, wo sie außergewöhnlich sparsam Kartoffeln schälen lernte. Die Schalen versteckten sie in den Jackentaschen; abends brieten und aßen sie sie. Das war ein wirklich schmackhaftes Gericht.
Den ganzen Krieg über wurde Ljuba von einer kleinen Ikone Nikolais des Wundertäters beschützt.
Der deutsche Koch sagte zu ihr, daß sie beim Gespräch mit den Soldaten diesen nicht in die Augen sehen sollte, denn es könnte sein, daß ihr durchdringender Blick den Faschisten mißfallen würde.
Im Oktober 1943 wurden die Sorokins aus dem besetzten Gebiet (Onega-Kreis, Leningrader Gebiet) in die Stadt Gdynia (Ost-Lettland) gebracht, wo sie von Oktober 1943 bis zum 4. November 1944 blieben. Danach hielten sie sich vom 4. November 1944 bis 23. März 1945 in Ost-Preußen auf, wo sie dann von Seeleuten der Baltischen Flotte befreit wurden.
Als der Tag der Freilassung kam, begriffen die Jungs zunächst gar nicht, um was es ging, sondern waren völlig erschreckt. Einer der Matrosen gab ihnen Schokolade, und die Kinder fragten ihn, was das sei. „Sie begannen sie auseinander zu zerreißen und leckten dann ihre Finger ab. Süß“.
Das schwerste Los widerfuhr meiner Meinung nach Sima Josofowna Samarujewa (Schlibolskajte).
Sima wurde 1932 im Baltikum, in der Stadt Kalna, geboren.
Am 15. Juni 1941 wurden Simas Eltern zusammen mit dem jüngsten Bruder nach Sibirien verschleppt. Das Mädchen befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem Pionierlager in der Stadt Palanga. Dort freundete sie sich mit dem litauischen Kindermädchen Monika an, die das Mädchen sehr liebgewann.
Am 21. Juni zeigte man den Kindern, die sich im Pionierlager erholten, die Staatsgrenze. Auf der gegenüberliegenden Seite befanden sich deutsche Soldaten.
Frühmorgens, am 22. Juni, ging die Beschießung los. Die Kinder hatten Angst und rannten zu den Pionierleitern, die sie zu beruhigen versuchten, indem sie ihnen sagten, daß es sich nur um Manöver handelte. Leider war das nicht der Fall. Der Krieg hatte begonnen.
Im Nachbarhäuschen schlug ein Geschoß ein und setzte es in Brand. Die Kinder sprangen aus den Fenstern des zweiten Stocks und rannten in Richtung auf das Meer, wo ein Schiff lag, das sie evakuieren sollte.
Neben Sima explodierte eine Granate, sie wurde von einem Splitter an der Hand getroffen. Das war die erste unverhüllte Berührung mit dem Krieg. Nachdem sie die Wunde hastig mit einer Fliegermütze verbunden hatte, rannte sie weiter.
Die Kinder schlossen sich einer Gruppe von Seeleuten an. Einer von ihnen band Simas Arm mit einem Gürtel ab, damit sie so wenig wie möglich Blut verlor. Die Kinder hatten großen Durst, und nachdem sie bis zu dem Brunnen gelaufen waren, der sich neben den Fischerhütten befand, beschlossen sie dort zu bleiben. Sie versteckten sich in einem Schuppen.
Am Morgen kamen „litauische Faschistenbürschchen“. Sie teilten die Kinder auf: die litauischen ließen sie laufen, aber die russischen und jüdischen Kinder behielten sie dort. Unter denen, die zurückblieben, waren auch Sima und das russische Mädchen Maja. Sima bekam Wundbrand und wurde in der militärisch-medizinischen Betreuungsstelle bei den Deutschen untergebracht. Auf einer Schlafcouch erlangte sie das Bewußtsein wieder. Neben ihr saß ein ältlicher Militärarzt. Er verband ihr die Hand und versteckte dabei zwei Tafeln Schokolade unter der Binde, wobei er ihr einschärfte, daß sie sie mit niemandem teilen sollte, weil sie so viel Blut verloren habe und die Schokolade unbedingt selbst benötigte. Aber Sima konnte nicht anders, sie mußte sie einfach mit ihrer einzigen Freundin teilen. Die Kinder befanden sich eineinhalb Monate in dem Lager in Palanga. Sie hatten schrecklichen Hunger und waren physisch sehr erschöpft. Man zwang sie, bei der Straßenreinigung zu arbeiten. Jeden Tag bekamen sie zwei gekochte Kartoffeln und eine Handvoll Kohl, wie man es nicht einmal den Tieren zum Fressen gab.
Anschließend wurden die russischen Kinder in ein Konzentrationslager in Deutschland geschickt, die jüdischen aber kamen ins Ghetto nach Kalnas. Unter ihnen befand sich auch Sima. Dort verbrachte sie mehr als zwei Monate. Danach wurden sie in die Stadt Alitus verlegt. Ihr Kindermädchen Monika arbeitete in einer deutschen Offiziersküche. Nachdem sie erfahren hatte, daß man Kinder aus dem Ghetto hergebracht hatte, gelang es ihr Sima ausfindig zu machen. Monika ging ein ständiges Risiko ein, weil sie Sima und den anderen Kindern Lebensmittel brachte. Auf diese Weise bekam sie die Erlaubnis, Sima ins Konzentrationslager zu bringen. Bald darauf gelang es dem Mädchen zu fliehen, ungeachtet der Tatsache, daß ihr ein Faschist mit einer Maschinenpistole hinterher rannte.
Einen ganzen Monat langversteckte Sima sich in Scheunen. Sie lief die Einzelgehöfte ab und bettelte sich durch. Bald winkte ihr erneut das Glück. Der Zufall führte sie mit Monika zusammen, die sie zu ihrer Schwester aufs Land brachte. Lange Zeit lebte Sima bei den Verwandten des Kindermädchens. Aber um sie keiner unnötigen Gefahr auszusetzen, war das Mädchen dann doch gezwungen fortzugehen.
1943-1944 lebte sie acht Monate bei einem Bauern und halb in der Wirtschaft.
1944 begann die Befreiung Litauens. Die litauischen Faschisten, die sich vor der Roten Armee in Sicherheit bringen wollten, verließen das litauische Territorium und nahmen das Vieh mit. Sima und der Bauer mußten die Haustiere in den Wald führen und verbargen sich dort für drei Tage.
Als die Gefechte nachließen, ging das Mädchen ins Dorf, um der Ehefrau und der Tochter des Hausherrn Milch zu bringen. Im Wald bot sich ihr ein schreckliches Bild: überall lagen verstümmelte Körper.
Als sie aus dem Wald heraustrat, bemerkte Sima zwei Reiter. Sie bewegten sich auf sie zu. Vor lauter Angst ließ sie die Eimer fallen. „Soll ich jetzt, nachdem ich soviele Schicksalsschläge durchgemacht habe, etwa sterben?“ Wie sehr freute sie sich, als sie rot e Sterne auf den Fliegermützen der Reiter sah. Sie fing an zu schluchzen, aber nicht aus Furcht, wie die Soldaten meinten, sondern vor maßlosem Glück.
In den vier Jahren, die sie in Litauen verbrachte, hatte Sima die russische Sprache verlernt, und konnte daher kein einziges Wort herausbringen, obwohl sie verstand, was die Soldaten zu ihr sagten. Sie nahm das Kopftuch ab, um sich die Tränen fortzuwischen, und die Soldaten sahen, daß das erst zwölfjährige Mädchen schon ganz grauhaarig war.
Sima war beunruhigt über das Schicksal von Kindermädchen Monika, und so begann sie, es zu suchen. Sie trafen sich in Alitus wieder. Monika arbeitete als Wirtschaftlerin in der Agrar-Fachschule.
Sima lebte einige Zeit in Litauen, beendete zwei Klassen am Gymnasium. Den ganzen Krieg über dachte sie daran, wie sie ihre Familie wiederfinden sollte. Und bei der allerersten Gelegenheit fuhr sie nach Sibirien, um ihre Eltern und den Bruder zu suchen.
Auf diese Weise überstanden die Kinder, die nicht wenig Kummer erlitten hatten, alle auf sie herabgefallenen Prüfungen des Schicksals dank ihres sehnlichen Wunsches am Leben zu bleiben, ihrer Erziehung und ihrer Seelenstärke. Sie zeigten sich stärker als die Umstände, in die sie völlig schuldlos hineingeraten waren.
Betrachten wir uns einmal etwas genauer, was mit ihnen geschah, nachdem sie in die Heimat zurückgekehrt waren.
Am 9. Mai 1945 endete der Große Vaterländische Krieg. Der Tag des Sieges über das faschistische Deutschland wird in der Erinnerung unseres Volkes als eines der denkwürdigsten Daten der Geschichte erhalten bleiben. Denen, die die Befreiung noch miterlebten, schien es so, als obnun die schlimmsten Leiden hinter ihnen lagen , aber es kam alles ganz anders.
Nachdem sie die Schrecken der Konzentrationslager durchgemacht hatten, wurden die Menschen, nachdem sie in ihre Heimat zurückgekehrt waren, zu Menschen „zweiter Klasse“, und ihr ganzes Leben hindurch mußten sie die schwere Last von „Verstoßenen und Verachteten“ tragen.
Kehren wir zum Schicksal unserer Landsleute zurück.
Anastasia Nikolajewna und Wladislaw Wiktorowitsch Spirow fuhren nach ihrer Freilassung mit einem von insgesamt drei großen Schiffen mit ehemaligen Häftlingen nach Murmansk. „Mama stand an Deck und sah unverwandt in Richtung auf unsere Grenze. Das Schiff wurde von Zerstörern und Kriegsflugzeugen begleitet“, - erinnert sich Wladislaw Wiktorowitsch.
Bei der Ankunft in Murmansk wurden die Repatrianten von NKWD-Mitarbeitern in Empfang genommen. Denjenigen, die irgendwelche Dokumente über den Aufenthalt in den Lagern behalten hatten, wurden diese nun abgenommen.
Der Winter wurde extrem kalt. Die ehemaligen Gefangenen waren für die niedrigen Temperaturen in völlig ungeeigneter Weise bekleidet. Ihre Fahrt führte sie mit der Eisenbahn nach Gatschina. Am 28. Dezember 1944 gelangten die Spirows wieder nach Gatschina, an dieselbe Station, von der sie die Deutschen 1941 fortgebracht hatten. Die Ortsbewohner liefen sofort in ihre „Häuser“ auseinander. 10 Personen von den „Puschkinern“ (aus der Stadt Puschkin (Zarskoje Selo); Anm. d. Übers.) blieben zurück. Da sie nicht wußten, wohin sie gehen sollten, beschlossen sie, in einem Güterwaggon zu übernachten. In der Nacht wurden sie jedoch von einer Patrouille entdeckt und auf die Straße gejagt. Nicht weit entfernt verlief die Straße nach Puschkin. Damit die in derselben Richtung fahrenden Autos nicht einfach vorbeifuhren, legten sich alle auf die Fahrbahn. Ein Fahrer, obwohl er wegen Verletzung der geltenden Regeln das Risiko einer Bestrafung einging, hielt an und brachte alle im Wagenkasten unter einer Zeltplane unter. Auf diese Weise gelangten die Spirows bis nach Puschkin, aber nach Leningrad konnten sie nicht zurückkehren, denn sie besaßen ja keine Dokumente.
Sie übernachteten in irgendeinem Gasthaus in einer Kammer und lebten ohne Papiere „wie Vogelfreie“. Sie standen im Verdacht Verrat begangen zu haben: „Die Rückkehr aus Norwegen war viel verdächtiger, als die aus Deutschland“, - erzählt Wladislaw Wiktorowitsch.
„In Puschkin trafe die Mutter auf eine Bekannte, die allein in einem großen, halbzerstörten Haus wohnte und nur selten die Nacht darin verbrachte. Sie forderte sie auf, vorübergehend dort zu bleiben. Das Zimmer hat weder einen vernünftigen Fußboden noch Türen und ein zerschlagenes Fenster. Aber es gab einen Ofen“, - erinnert sich Spirow.
Anastasia Nikolajewna fuhr für einige Tage mit einem Passierschein nach Leningrad, um dort die Dokumente ausstellen zu lassen, und ließ Wladik während dieser Zeit allein in Puschkin zurück, denn mitnehmen konnte sie ihn nicht. Sie buk ihm für diesen Zeitraum Fladen. Am Abend, als er gegessen hatte, legte er sich schlafen, nachdem er die restlichen Fladen unter das Kissen gepackt hatte. Am frühen Morgen wurde Slawa von irgendwelchen Geräuschen und Gepolter wach. Als er die Augen öffnete, packte ihn das Entsetzen. Überall, sogar auf seinem Körper, krochen Ratten herum. Sie hatten bereits seine gesamten Vorräte aufgefressen
und schlichen sich nun an ihn heran. Er wehrte die Ratten ab und rannte auf die Straße hinaus. Am Tage fand Wladik neben dem Hof des Gasthauses ein Stückchen Mandarinenschale, am Abend kehrte er zu den Ratten zurück.
Nachdem er den schrecklichen Alptraum der faschistischen Lager erlebt hatte, fühlte der Junge nun zum ersten Mal Angst um sein Leben. Das kam daher, weil bis zu dem Zeitpunkt überall und in jedem Augenblick seine Mama oder irgendwelche anderen Leute bei ihm gewesen waren, aber nun war er ganz auf sich allein gestellt.
Aber das Leben ging sehr schnell voran, und am 6. Februar 1945 kam Wladik in die zweite Klasse, denn 1942-1943 war es ihm gelungen, während der Okkupation in der Region Pskow, die erste Klasse an der Halb-Partisanenschule (Schuluntericht, der in den besetzten Gebieten sozusagen im Untergrund stattfand; Anm .d. Übers.) zu beenden.
Anastasia Nikolajewna suchte sich eine Arbeit bei der Wiederherstellung der Eisenbahnlinie, denn dort gab man Tagesrationen von 1200 Gramm Brot aus. Im März 1945 erhielt die Mutter für ihren Sohn Stiefekl zugewiesen.
Am 1. Mai zog Wladik die neuen Stiefel, Größe 34, an. Sie waren ihm ein wenig zu groß, aber der junge war über dieses Schuhwerk maßlos glücklich, denn er war viele Jahre in alten deutschen Stiefeln der Größe 40 herumgelaufen.. Er trug auch eine deutsche Schirmmütze, von der er sich allerdings nach einem ganz bestimmten Vorfall trennte. An einem der Sommertage saß Wladik an der Bahnstation und beobachtete einen herannahenden Zug, mit dem Kinder in ein Pionierlager fuhren. Der Zug hielt. Die Kinder lehnten sich aus den Waggonfenstern hinaus, und als sie den Jungen sahen, fingen sie an zu schreien: „Faschist! Faschist!“ Wladik war darüber sehr erschrocken, verstand aber plötzlich, daß sie es wegen der deutschen Mütze riefen. Er riß sie sich sogleich vom Kopf und rannte im Laufschritt davon. Es schmerzte den Jungen sehr, er war furchtbar gekränkt. Als er nach Hause zurückgekehrt war, verbrannte er die Mütze.
1946 zog Wladislaw zum Vater nach Schtschekino in der Tulsker Region.
Erst 1950 gelang es seiner Mutter endlich, neue Dokumente ausstellen zu lassen, und das mit Hilfe seines Vaters. Mehrere Jahre hatten sie irgendwelche Zeugen gesucht.
Im Jahre 1953 beendete Wladislaw erfolgreich die schetschinsker Mittelschule Nr. 1 und versuchte, sich am Leningrader Institut für Feinmechanik und Optik einschreiben zu lassen, das sich damals in derselben Straße befand, in der Wladislaw geboren wurde und seine Eltern gewohnt hatten, aber man nahm ihn nicht auf. Sie sagten, daß er bei den Prüfungen einen Punkt zu wenig erreicht hatte. Wenngleich der wahre Grund der war, daß er in faschistischen Lagern gewesen war, und man ihn in eine den Erfordernissen des Krieges angepaßte höhere Lehranstalt nicht aufnehmen konnte.
1954 ging Wladislaw ans Leningrader Institut für Kino-Ingenieurwesen, das er 1959 mit einem persönlichen Stipendium abschloß. Es gab viele Angebote vom Staatlichen S.I. Wawilow-Institut für Optik und sogar von Organisationen, die mit dem Kommunistischen Jugendverband in Beziehung standen, aber der „schmutzige Fleck“ in seiner Biografie versperrte ihm den Weg. „Ins Leningrader Institut für Kino-Ingenieurwesen kam ein Angebot aus dem Krasnojarsker Physik-Institut der Sibirischen Abteilung der Russischen Akademie der Wissenschaften – von Leonid Wasiljewitsch Kirenskij. Mir schien es so, als ob das etwas für mich wäre. Wie ich später erfuhr, half Kerenskij vielen, die ein verpfuschtes Schicksal hatten ...“ – erinnert sich Wladislaw Wiktorowitsch.
Als er am Institut für Biophysik arbeitete, führte Wladislaw Wiktorowitsch die Kino-vorführung als Lehrmethode ein. Am Institut für Biophysik der sibirischen Abteilung der Akademie der Wissenschaften der UdSSR erarbeitete er im Laufe vieler Jahre mikrophotometrische Methoden zur Erforschung verschiedener biologischer Objekte. Während seiner Berufsjahre hatte er eine große Anzahl Studenten.
Wladislaw Wiktorowitsch widmet gesellschaftlichen Tätigkeiten große Aufmerksamkeit. Er trat im Literatur-Museum mit deer Slideshow-Erzählung „Puschkin und Tsarskoje Selo“ auf. Diese und andere Kompositionen, darunter auch eine Dia-Vorstellung nach den Werken von W.P. Astafjew „Die Poesie der Taiga“, zeigt er in verschiedenen Einrichtungen.
Spirow war einer der Organisatoren und ersten Vorsitzenden der regionalen Abteilung der Vereinigung „Mitgefühl“. Zur Zeit arbeitet er immer noch am Institut für Biophysik und am Institut für medizinische Probleme des Nordens der sibirischen Abteilung der Russischen Akademie für medizinische Wissenschaften. Seine Mutter, Anastasia Nikolajewna, die mit ihrem Sohn alle Widrigkeiten des Lagerlebens durchmachen mußte, lebte gegenwärtig bei ihm. Sie ist eine äußerst interessante Frau, die sich, ungeachtet ihres fortgeschrittenen Alters, noch an viele Vor- und Familiennamen von Menschen erinnert, mit denen das Schicksal sie in einer so weit zurückliegenden, schweren Zeit zusammengeführt hatte.
Wladislaw Wiktorowitsch – ist ein außerordentlich interessanter Gesprächspartner, ein feinfühliger, gutherziger, fleißiger Mensch. Die Rückkehr in die Heimat erwies sich für die Familie Dubrowinskij als wenig erfreulich. Erneut Stacheldraht, Soldaten mit Maschinenpistolen, wenn es auch die eigenen waren. Nach endlosen Befragungen ließ man sie endlich laufen.
Anfang Juli 1945 kamen die Dubrowinskijs bei den Verwandten in Ordschonikidse (später Wladikaukas) an. Die Mutter wollte ihnen nicht zur Last fallen, und so ließ sich die Familie in einem Anbau nieder, einem winzigen Zimmerchen mit eingefrorenen Wänden. Mitja ging zur Fabrik- und Berufsfachschule, und Tanja kam in die fünfte Klasse. Während des Sommers 1947 legte sie extern die Prüfung für die 6. Klasse ab und kam im Herbst in die 7. Klasse, denn sie hatte ihre Altersgenossen eingeholt.
Im Frühjahr 1946 wurde der ältere Bruder verhaftet und nach § 58 verurteilt. Er saß 6 Jahre dafür ab, daß er mit deutschen Zeitungen gehandelt hatte, um wenigstens ein kleines Stückchen Brot dafür zu bekommen.
Mehrmals wurde die Mutter zu Verhören gerufen, aber festgenommen wurde sie nicht.
Nach Beendigung der Schule besuchte Tanja das Technikum für Arzthelfer und Hebammen, das sie mit Auszeichnung abgab. Die Papiere gab sie am mdizinischen Institut ab. Erst nach zweimaliger Durchsicht ihrer Unterlagen wurde sie dort aufgenommen.
Als sie im 6. Semester studierte, heiratete sie einen Geologen und ging mit ihm nach Mittelasien. Sie arbeitete in Dischanbe in der Kinderklinik, und im Sommer 1957 im Pamir.
1963 fing sie in Moskau eine Aspirantur an. Im Jahre 1965, nachdem sie die Aspirantur beendet hatte, ließ der Rektor des Krasnojarsker Medizinischen Instituts, Petr Georgiewitsch Podsolkow, sie zum Arbeiten nach Krasnojarsk kommen, wo sie eine Arbeit am Institut für Pädagogik aufnahm. 1978 wechselte zum Lehrstuhl für die Organisation des Gesundheitswesens. Tatjana Lwowna – Dozentin für Sozialhygiene und Organisation des Gesundheitswesens, Doktorin der Medizin, befindet sich nun im verdienten Ruhestand. Sie ist Invalidin 2. Grades. Bereits seit 6 Jahren steht sie an der Spitze der Regionalabteilung der Vereinigung „Mitgefühl“ für ehemaliger minderjähriger Häftlinge von Konzentrationslagern. Um viele kümmerte sie sich und hilft ihnen.
Tatjana Lwowna hat zwei Töchter großgezogen und hat nun einen Enkel.
Nach der Freilassung im Jahre 1944 kehrte die Familie Lawrenow in ihre niedergebrannte Heimat zurück. Sie mußten sich Erdhütten und Behausungen aus Ästen und Laub bauen –
15 km vom Dorf entfernt. Im Frühjahr begannen sie sich einzuleben.
Es existiert eine Bescheinigung darüber, daß das Dorf Botschari 1942 vollkommen niedergebrannt wurde und die Bewohner umkamen.
„Wir waren, zusammen mit der Kusine, 1994 und 1996 in unserer leidgeprüften Brjansker Umgebung, und treffen schon Vorbereitungen, um diese Jahr wieder dorthin zu fahren, wenn es nur irgendwie geht.
Unser Dorf existiert nicht mehr. Nur zwei Katen sind übriggeblieben. Der Wald steht wie eine Wand“ (Erinnerungen von P.K. Osipowa, aus den Beständen des Zentrums für die Aufbewahrung und das Studium von Dokumenten der neuzeitlichen Geschichte der Region Krasnojarsk).
1945 kam sie in die erste Klasse. Sie hatte es schwer – die Ernährung war schlecht, und manchmal gab es überhaupt nichts zu essen. Sie überlebten, weil sie kostenlose Nahrungs-mittelunterstützung fanden, und vor dem Hunger retteten sie auch Obstbäume, die ihnen Äpfel und Birnen lieferten.
Aber der fünften Klasse gingen sie 10 km von zuhause entfernt zur Schule. Sie aßen alles, was ihnen in die Hände fiel, sogar die „Kätzchen“ von den Bäumen.
Nach dem Tod des Großvaters, Andrej Aleksejewitsch Sawtschenko, fand Polina Dokumente darüber, daß er im Jahre 1937 repressiert und 1954 rehabilitiert wurde. Er lebte in der Siedlung Tura, Region Krasnojarsk.
Polina Karpowna lebt seit 1956 in Krasnojarsk. Lange Zeit konnte sie mit den Menschen nicht sprechen. Sie mochte sich lieber zurückziehen und begab sich an jedem freien Tag in den Wald. Sie begann Verse zu schreiben, denn sie war nicht in der Lage ihre Gedanken laut auszudrücken.
Sie arbeitete als Ingenieurin für Sicherheitstechnik in einer Fabrik zur Herstellung von synthetischem Kautschuk und lernte an der Abendschule. Die letzten 15 Jahre war sie als Wirtschaftssachverständige tätig. Alles in allem arbeitete sie 40 Jahre in dem Unternehmen.
Sie zog eine Tochter groß, die zwei höhere Ausbildungen erhielt.
Polina Karpowna hilft jetzt bei der Erziehung ihrer Enkel. Sie ist Invalidin 2. Grades, gibt aber trotzdem ihre gesellschaftlich Arbeit nicht auf. Zur Zeit ist Polina Karpowna Vorsitzende der regionalen Abteilung der Vereinigung „Mitgefühl“ im Sowjetsker Stadtteil in Krasnojarsk.
„Der 11. April – internationaler Tag der Häftlinge des Faschismus. Bereits das dritte Jahr hintereinander veranstalten wir zu diesem Tag ein Treffen. Wir versammeln uns in einem Tagesheim, decken den Tisch, trinken Tee, sprechen über unsere Sorgen und Probleme. Bei der Organisierung der Zusammenkunft helfen uns Mitarbeiter der Sozialfürsorge. Soweit möglich gewähren sie materielle Hilfe; sie vergessen die Invaliden und Jubilare nicht. Es gibt ein Konzert, liebe Worte, Lieder mit Bajan-Begleitung. Für uns ist das Wichtigste daran, daß man uns Beachtung schenkt. Herzlichen Dank sagen wir denen, die an uns denken“ (Erinnerungen von P.K. Osipowa / aus den Beständen des Zentrums für die Aufbewahrung und das Studium von Dokumenten der neuzeitlichen Geschichte der Region Krasnojarsk).
Polina Karpowna hat viele Verwandte in Krasnojarsk. Hier lebt ihre Schwester mit ihrem Mann. Kusine Walentina wohnt in Krasnojarskoe Sagore (Kurort im Kreis Balachta, Region Krasnojarsk; Anm. d. Übers.).
Im allgemeinen hat sie im Leben viel geschafft, aber zu welchem Preis?! Sie ist der Meinung, daß innere Kräfte, das unbedingte Verlangen zu leben sowie menschliche Güte ihr geholfen haben zu überleben.
„Schließlich liebe ich doch das Leben, ich liebe die Menschen, hege keinen Neid und leide zutiefst unter Ungerechtigkeiten. Ich liebe die Natur, wir gehen sie gern in den Naturpark „Stolby“, allerdings nur ganz selten.
Die besten Jahre sind vorbei. Es gab sowohl Freude, Fröhlichkeit, Gesung und Gedichte, als auch Trauer, Schwermut, Schmerz und Krankheit. Alles in allem ein Leben in all seinen Erscheinungsformen“.
Die Fejsers wurden als Personen deutscher Nationalität deportiert und trafen am 16. August 1946 in der Autonomen SSR Marii ein. Dort wurden sie der Meldepflicht bei der Sonderkommandantur der NKWD-Organe unterstellt. Sie wurden Repressionen ausgesetzt und durften ihren Aufenthaltsort nicht verlassen. Bernadata und ihre Geschwister arbeiteten in der Waldwirtschaft beim Bäumefällen. Jeweils 15 Familien lebten in einer Baracke. Sie wurden sehr schlecht verpflegt, pro Tag bekamen sie nur 200 g Brot. Da sie die schweren Arbeitsbedingungen nicht ertragen konnten, begingen sie einen Fluchtversuch, wurden jedoch aufgegriffen. Man wollte sie ins Gefängnis stecken, aber da der Vater Invalide 1. Grades war, besaßen sie nicht das Recht dazu.
Ihre Freilassung erfolgte erst 10 Jahre später.
Am 26. Januar 1956 wurden sie aufgrund des Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 13. Dezember 1953 von der Meldepflicht als Sonderansiedler entbunden und unter der administrativen Aufsicht der MWD-Organe freigelassen.
Seit 1956 lebt Bernadata in Krasnojarsk. 10 Jahre arbeitete sie in Verwaltung für die Versorgung von Arbeitern und Angestellten als Packerin, 7 Jahre im Kesselhaus in der Siedlung Industrialnij und 10 Jahre im Betonwerk.
Bernadata blieb Analphabetin, denn sie hatte keine Möglichkeit zur Schule zu gehen. Heute hat sie eine Familie. Sie hat zwei Söhne und eine Tochter großgezogen. Bei ihr wächst ein Enkel auf.
Faina Kirillowna und Ljuba Sorokina kehrten 1945 nach ihrer Freilassung nach Leningrad zurück. In ihrer Wohnung lebte inzwischen ein Held der Sowjetunion. Da sie zu Menschen „zweiter Klasse“geworden waren, konnten sie ihre Behausung nicht zurückbekommen. Sie standen unter Sonderaufsicht. Die Mutter arbeitete in der Kirow-Fabrik. Sie leitete die Suche nach ihrer ältesten Tochter ein. Sie machten Marina 1949 ausfindig. Damals stellte es sich heraus, daß sie während des Luftangriffs weggerannt und zusammen mit zwei Frauen in das Dorf Storop, Region Pskow, gelangt war. Weil das kleine Mädchen eine lästige Verpflichtung bedeutete, wollten die Frauen es loswerden, aber allein zurücklassen mochten sie es auch nicht. Und da kam ihnen ein Zufall zur Hilfe: einer der Dorfbewohner gab einen Hinweis auf eine kinderlose Familie. Marina ging dort hin und sagte: „Tante Schura, nimm mich auf, damit ich bei euch leben kann“. Und so wurden Tante Schura und Onkel Losha ihre zweiten Eltern. Sie tauften sie auf den Namen Maria Aleksejewna Semenowa.
Nachdem der Krieg zuende war, fuhr Marina nach Leningrad, wo 1949 die Wiedervereinigung mit der Familie stattfand. Als sie mit der Schule fertig war, begann sie eine Ausbildung an der Fachschule für Handwerker, anschließend fuhr sie nach Krasnojarsk.
Am 29. Oktober 1950 verhafteten sie Faina Kirillowna nach § 58, Abs. 3 und 10 wegen Komplicenschaft mit dem Feind. Man verurteilte sie zu 25 Jahren. Die Schwestern der Mutter, die mit Ljuba Mitleid hatten, nahmen sich bei sich auf und verheimlichten ihr die Tatsache, daß Faina Kirillowna arrestiert worden war. Die Wahrheit kam zufällig heraus, als eine der Klassenkameradinnen sagte, daß Ljuba eine Waise und ihre Mutter verhaftet worden wäre. Das Mädchen war dermaßen erschüttert, daß es von der Schule ging. Ljuba tat sich mit einem Jungen zusammen und fing an zu stehlen. Mehrmals wurde sie festgenommen, und alles hätte mit einem Gefängnisaufenthalt geendet, wenn nicht die älteste Schwester das Mädchen mit Gewalt dazu gezwungen hätte, zu „Mama Schura“ ins Dorf zurückzufahren. Auf diese Weise begann Ljuba bei der Frau zu leben, die bereits ihre Schwester aufgezogen hatte, und sie Mama zu nennen. Bei „Mama Schura“ lebte sie bis 1955.
1955 kehrte Faina Kirillowna aus dem Gefängnis zurück. Sie wurde erst 1994 vollständig rehabilitiert.
In Leningrad gab man Ljuba keine Arbeit; sie sagten, daß sie nicht mehr als eine ungelernte Arbeiterin werden könnte. Sie mußte zur Schwester nach Krasnojarsk fahren. Dort beendete sie mit Auszeichnung das Technikum. Sie arbeitete im KRAS (Krasnojarsker Alluminiumwerk) als Ingenieurin und Leiterin der technischen Abteilung. 1992 ging Ljubow Pawlowna in Rente. Aber auch jetzt vermag diese energiegeladene und aufgeweckte Frau nicht untätig herumzusitzen; sie arbeitet auch weiterhin als Reinmachefrau im Kollektiv, wo alle sie kennen und wo sie von allen geschätzt wird.
Sie hat drei Söhne großgezogen und hilft jetzt bei der Erziehung der Enkel.
1946 kam Sima Schlibolskajte in die Siedlung Nowoselowo, Region Krasnojarsk, wo sich ihre Mutter mit den Brüdern befand.
1948 erhielt sie eine Bescheinigung, daß sie sich während des Krieges in Litauen befunden hatte, aus dem Ghetto geflüchtet und den deutschen Besatzungsmächten verfolgt worden war. 12 Jahre stand sie unter Sonderkommandantur – von 1946 bis 1958.
Sima Josifowna beendete die Krasnojarsker Fachschule für Pharmazeutik. Sie mischte Rezepturen aus uns stellte Analysen.
Derzeit ist Sima Josifowna Rentnerin. Sie zog zwei Kinder groß: eine Tochter und eine Sohn. Jetzt hilft sie bei der Erziehung der Enkelkinder.
Dank ihrer persönlichen Eigenschaften – Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit, bekamen fast alle diese Menschen eine Ausbildung, die ihnen den Weg ins Leben ebnete. Sie halten ihr Leben für erfüllt, denn sie haben es verstanden, sich selbst zu verwirklichen. Sie überwanden die objektiven Schwierigkeiten, die in dem durch den Krieg zerstörten Land entstanden waren – Mißernte, der Hunger des Jahres 1947, das alltägliche Wirrwarr, Mißtrauen und Argwohn von Seiten der Menschen in ihrer Umgebung, aber auch die Hartherzigkeit der sowjetischen Bürokraten-Maschinerie, die ihnen von Zeit zu Zeit ihr Recht auf Lernen und eine ganz normale Existenz nahm. Und diese Leute gerieten nicht in Erbitterung, gaben sich nicht irgendwelchen trüben Gedanken hin.
Der Zeitraum von 1985-1991 wurde in der UdSSR offiziell Perestrojka genannt. Nach dem 22. Parteitag der KPdSU (1986) begann sich in der Gesellschaft ein „Temperaturanstieg“ in den Beziehungen zu den Opfern stalinistischer Repressionen abzuzeichnen, zu denen nicht selten auch ehemalige Häftlinge faschistischer Konzentrationslager, Ghettos und anderer Zwangshaltungsorte geworden waren, darunter auch Minderjährige.
Im Zusammenhang mit der Politik des Glasnost und der Befreiung des Bewußtseins innerhalb der Gesellschaft nimmt ab 1988 in Moskau der „Internationale Verband ehemaliger minderjährige Häftlinge des Faschismus“ (MSBMU) seine Arbeit auf, der heute 9 nationale Verbände, 16 regionale Vereinigungen, 200 Abteilung vor Ort in sich vereint und mehr als 500.000 Mitglieder zählt. Vorsitzender des MSBMU ist das Mitglied und der Berichterstatter der Russischen Akademie der Wissenschaften, Nikolaj Andrejewitsch Machutow, Vorsitzender der Internationalen Bewegung ehemaliger minderjähriger Häftlinge des Faschismus – der Schriftsteller und Dokumentalist W.W. Litwinow (Über gerechte Kompensationszahlungen an die Opfer nationalsozialistischer Verfolgungen // Schicksal, 1993, No. 2 (33), Februar 1997, S. 1, 4).
Zur gleichen Zeit wie der Internationale Verband wurde auch der „Russische Verband ehemaliger minderjähriger Häftlinge des Faschismus“ (RSBMU) gegründet und nahm seine Tätigkeit auf. Sein Vorsitzender ist I.A. Fridman ( ... Und künftig wird es keine Ansprüche geben? // Schicksal, 1993, No. 3 (67), Mai, Juni 2000, S. 3).
Die Aktivität dieser Verbände besteht in der Verteidigung der Interessen der Opfer des Nazismus, ihrer sozialen Fürsorge sowie der Gewährleistung moralisch-psychischer Unterstützung.
Der MSBMU ist Stifter der Zeitung „Schicksal“ , die am 15. April 1993 in Ulan-Ude, der Hauptstadt der Republik Burjatien, unter der Redaktion von L.R. Sinegribow, dem Sekretär der MSBMU, gegründet wurde.
In der gut funktionierenden Bewegung ehemaliger minderjähriger Häftlinge, die ihre Tätigkeit vor über 30 Jahren aufgenommen hat, wirken heute 550.000 Menschen mit – Bürger Rußlands, der Ukraine, Weißrußlands, Lettlands, Litauens, Estlands, Moldawiens, Kasachstans, Usbekistans.
Am 15. Oktober 1992 wurde der Ukas No. 1235 des Präsidenten der Russischen Föderation „Über die Bewilligung von Vergünstigungen für ehemalige nicht volljährige Häftlinge von Konzentrationslagern, Ghettos und anderen Zwangshaltungsorten, die von den Faschisten und ihren Verbündeten während des II. Weltkrieges geschaffen wurden“, dementsprechend „ ... ehemaligen nicht volljährigen Häftlingen des Faschismus die gleichen Vergünstigungen zu gewähren sind, wie sie für Teilnehmer am Großen Vaterländischen Krieg aus den Reihen von Militärpersonen festgelegt sind“ (Ukas No. 1235 des Präsidenten der Russischen Föderation vom 15.10.1992 // Datenbase „Konsultant-Plus“). Diese Vergünstigungen waren dazu bestimmt, den Schaden zu kompensieren, der ehemaligen minderjährigen Häftlingen in den Jahren des Krieges zugefügt wurde.
Nach dem Ende des Großen Vaterländischen Krieges weigerte sich die sowjetische Leitung, von Deutschland in vollem Umfang Kriegsentschädigungen anzunehmen, wobei sie dies mit der Stärke des Landes begründete; in Wirklichkeit unternahm sie jedoch nichts für die soziale Unterstützung der Opfer des Faschismus. Erst 1993 unterzeichneten die Staatsoberhäupter der Russischen Föderation und Deutschlands ein Abkommen, wonach Deutschland 735 Millionen
D-Mark zur Durchführung von Kompensationszahlungen an die überlebenden Opfer des Nazismus bereitstellen sollte. Es wurde eine Bundes-Stifung zum gegenseitigen Verständnis und zur Versöhnung ins Leben gerufen, die als strukturelle Unterabteilung ins Ministerium für Arbeit und soziale Entwicklung der Russischen Föderation eingegliedert wurde. Die endgültige Formierung fand im Jahre 1994 statt.
Mit den einmaligen Zahlungen wurde im Mai 1995 begonnen und wurden am 4., 5. August 1998 eingestellt. Die Größe des Auszahlungsbetrages war abhängig vom Alter der Person, der Inhaftierungsdauer und der Art des Ortes, den die Gefangenen hinter Stacheldraht zu verbringen hatten., wobei auch die Schäden infolge pseudomedizinischer Untersuchungen Berücksichtigung fanden. Die Summe schwankte zwischen 200-300 bis zu 2000-3000 D-Mark – umgerechnet in Rubel war das ein ziemlich kleiner Betrag. In diesem Zusammenhang wurde 1997 eine einmalige Nachzahlung verwirklicht, und zwar in Höhe von 30% der Summe, die von Deutschland geleistet worden war. Es wurde ferner geplant, daß die Stiftung liquidiert werden sollte, aber 1999, auf dem Gipfeltreffen der „Großen Sieben“ in Washington, erklärte Deutschland offiziell, daß es zusätzliche Kompensationszahlungen realisieren könnte. Im Jahre 2000 wurde der Betrag dafür festgelegt – 835 Millionen D-Mark. Der Deutsche Bundestag verabschiedete ein Gesetz, nach dem Auszahlungen bei folgenden Voraussetzungen möglich waren, und zwar: ein entsprechendes Gesetz sollte von der Russischen Föderation verabschiedet werden, und dann auf dieser Basis ein Abkommen zwischen den Regierungen Deutschlands und Rußlands unterzeichnet werden. Zur Zeit sind Verhandlungen darüber im Gange. Die Zahlungen verzögern sich bis zum Juli 2001. Ihre Durchnittssumme wird 12-15 D-Mark betragen.
Der 11. April ist der Internationaler Tag der Befreiung von Häftlingen faschistischer Konzentrationslager und gleichzeitig der Tag des ehemaligen minderjährigen Häftlings.
Vom 24. bis 26. April 2000 fand das Zweite Internationale Treffen ehemaliger minderjähriger Häftlinge des Faschismus statt; es war dem 55. Jahrestag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg und dem Internationalen Tag der Befreiung der Häftlinge des Faschismus gewidmet. Daran Teil nahmen Angesandte aus Weißrußland, Bulgarien, Kasachstan, Lettland, Litaien, Moldawien, Rußland, der Ukraine und Estland – insgesamt 170 Personen. Organisatoren des Treffens waren die Regierung Moskaus, der „Internationale Verband ehemaliger minderjähriger Häftlinge“ (MSBMU), der „Russische Verband ehemaliger minderjähriger Häftlinge“ (RSBMU) und die Moskauer Abteilung des RSBMU.
Die Mitglieder des Zentralverbandes des MSBMU berichteten über ihre Erfahrungen, die sie bei der Arbeit in ihren Organisationen gemacht hatten, brachten konktrete Vorschläge ein, die sich auf ein höheres Niveau bei der Sozialfürsorge für die Opfer des Nazismus richteten, definierten ihren Rechtsstatus entsprechend den weltweit allgemein üblichen Normen.
Wenden wir uns nun der Lösung der gegebenen Probleme innerhalb der Region Krasnojarsk und, konkret, der Stadt Krasnojarsk zu.
Zum Jahre 1993 wurde in unserer Region eine Filiale der Internationalen Wohltätigkeitsstiftung „Mitleid“ gegründet, die sich unter der Anschrift Stadt Krasnojarsk, ul. Kirowa 19, befindet. An ihrer Spitze steht Wladimir Fedorowitsch Mascharow – Vorsitzender der Stiftung, ehemaliger minderjähriger Häftling faschistischer Konzentrationslager. Wladimir Fedorowitsch war auch einer der Organisatoren der regionalen Organisation „Mitgefühl“.
Die Aufgabe der Stiftung besteht darin, ehemaligen nicht volljährigen Häftlingen materielle Unterstützung zu geben und sie über die Kompensationszahlungen zu informieren, die von Deutschland realisiert werden. Aber bereits nach Ablauf von zwei Jahren hat die Stiftung keine Möglichkeit, materielle Hilfe zu gewähren, denn sie erhält nicht die notwendigen Mittel, und sucht nun für diese Zwecke Sponsoren.
Seit dem 10. April 1995 ist in der Region die Krasnojarsker Regionale Gesellschaft „Mitleid“ aktiv. Sie begann sich 1993 herauszubilden, als zur selben Zeit die gleichnamige Stiftung gegründet wurde. Der erste Vorsitzende der regionalen Gesellschaft war Wladislaw Wiktorowitsch Spirow. Es war für ihn sehr schwierig, die Hartherzigkeit der Beamten und Bürokraten auf den verschiedenen Ebenen zu überwinden. Anfangs zeigten sie überhaupt kein Verständnis dafür, wer diese ehemaligen minderjährigen Häftlinge des Faschismus eigentlich waren, und auf welcher Grundlage man ihnen eigentlich irgendwelche Vergünstigungen zahlen sollte. Dank der Hartnäckigkeit von Wladislaw Wiktorowitschs Mitarbeitern am Institut für Biophysik, die buchstäblich verlangten, daß er die Dokumente zur offiziellen Registrierung der Gesellschaft ausfertigte, und die ihm selbst halfen, so gut es ging, geriet Bewegung in die Angelegenheit.
Im Mai 1995 zählte die Gesellschaft mehr als 160 Personen im Bereich der Stadt Krasnojarsk und 150 auf dem Gebiet der Region Krasnojarsk. Die letzten über die Häftlingszahlen sprechen von etwa 400 in der Stadt Krasnojarsk und ungefähr 800 in der Region.
Vorsitzende der Regional-Abteilung der Gesellschaft „Mitleid“ ist seit Dezember 1995, und auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt, Tatjana Lwowna Rossowskaja.
Die Hauptziele der Gesellschaft sind – gegenseitige Hilfe, soziale Unterstützung, Verteidigung der Rechte, Wahrung und Verewigung des Andenkens an die heroische Heldentat unseres Volkes in der Zeit des Großen Vaterländischen Krieges und die Aufklärung der heranwachsenden Generation über dieses beispiellose Heldentum.
In Übereinstimmung mit den Zielen ihrer Tätigkeit führt die Gesellschaft zweimal im Jahr Zusammenkünfte im Kinosaal des Kulturhistorischen Zentrums durch: am 11. April und Ende Oktober. Das letzte Treffen fand am 25. Oktober 2000 mit Unterstützung der Regional-Verwaltung, des Rentenfonds, der Regionalabteilung für soziale Fürsorge der Bevölkerung, der jüdischen Gemeinde, Sponsoren, wie der Moskauer Firma „KurortMedService (die bei der Bewilligung medizinischer Präparate half) sowie des Abgeordneten der gesetzgebenden versammlung, Wjatscheslaw Michajlowitsch Nowikow, statt.
Die gesellschaft befaßt sich in der Hauptsache mit der Organisation von Freizeitaktivitäten ehemaliger nicht volljähriger Häftlinge. Auf den Versammlungen werden aktuelle Probleme erörtert, Neuigkeiten ausgetauscht.
Die regionale Abteilung des RSBMU ist einer der Gründer des regionalen Kulturzentrums der verschiedenen ethnischen Gruppen.
Im April 2000 feierte „Mitleid“ (heute krasnojarsker Regionsabteilung des Russischen Verbandes ehemaliger minderjähriger Häftlinge des Faschismus) sein 5-jähriges bestehen. In Zusammenhang mit diesem Ereignis erhielt die Gesellschaft die Glückwünsche des Gouverneurs der Region, A.I. Lebed, des Vorsitzenden der gesetzgebenden Versammlung der Region, A.W. Uss, des Vorsitzenden des Krasnojarsker Stadtrates, W.F. Tschaschtschin, und des Abgeordneten der Staatsduma, W.M. Subow. Der Stadtrat schenkte der Gesellschaft ein Diktafon und eine Videokamera zur Schaffung eines Erinnerungsbuches ehemaliger Häftlinge. Die Regional-Verwaltung für sozial Fürsorge für die Bevölkerung verteilte im Jahre 2000 fünfzehn Reiseschecks für einen Sanatoriumsaufenthalt in einem Kurort.
Während der Schaffung der Föderationsstiftung für gegenseitiges Verständnis und Versöhnung durch die Behörde für Sozialfürsorge der krasnojarsker Regionsverwaltung wurden umfangreiche Vorbereitungsarbeiten durchgeführt, vor allem: das Stellen offizieller Anfragen an die Militärarchive in Deutschland und die der ehemaligen UdSSR, die Suche nach Dokumenten, die den Auifenthalt in Konzentrationslagern bestätigen.
Im Oktober 1994 erging an die Adresse der Stiftung ein erstes Paket an Dokumenten ehemaliger Häftlinge, die derzeit auf dem Territorium der Region leben. Die Papiere wurden von Experten aus Deutschland sorgfältig durchgesehen und geprüft.
Mit dem 1. Oktober 1999 endete die Annahme von Dokumenten, aber, auf Ansuchen der Regionsleitung für Sozialfürsorge nahm die Stiftung zur Durchsicht ausnahmsweise auch noch nach diesem Datum die Dokumente einiger Dutzend Häftlinge entgegen, die in der Region Krasnojarsk wohnhaft sind. Insgesamt erhielten zwischen September 1994 und Ende 2000 mehr als tausend Personen Wiedergutmachungszahlungen.
Eine der Richtungen für die soziale Unterstützung ehemaliger Häftlinge, die durch die Regionalbehörde für Sozialfürsorge verfolgt wird, ist die direkte Sozialhilfe. Sie erhält ein Rentner, dessen Existenzminimum unter dem der Russischen Föderation liegt.
Auf diese Weise hat sich die Haltung in der Gesellschaft gegenüber ehemaligen minderjährigen Häftlingen im Zeitraum von 1945-2000 geändert: von vollständiger Ignoranz und Verfolgung bis zur sozialen Hilfeleistung, die im Jahre 1988 ihren Anfang nahm. Verständnis für die Probleme, die diese Menschen jetzt durchmachen, ist nun auch endlich bis zu den letzten Beamtenetagen durchgedrungen. Am Beginn dieses Prozesses stand die kontrollierte Destalinisierung, anschließend der Demokratisierung der Gesellschaft in den 1980-er Jahren. Auf regionalem Niveau trägt die zielstrebige, unmerkliche Arbeit der Krasnojarsker Regionalabteilung des RSBMU „Mitleid“ Früchte.
Nach Abschluß meiner Arbeit bin ich zu folgenden Ergebnissen gekommen:
1. Die kleinen Häftlinge faschistischer Lager mußten vieles erleiden. Es gelang ihnen hauptsächlich dank der Tatsache zu überleben, daß sie ihre Mütter um sich hatten, die ihren Kindern die allerletzen Brotkrümelchen gaben, immer bereit, ihnen zur Hilfe zu kommen und sie mit ihrem Körper zu schützen. Es ging auch nicht ohne die Hilfe gutmütiger Menschen. Eine ebenfalls nicht unwichtige Rolle spielten die Zufälle.
2. Der Einfluß der tragischen Kindheit auf das weitere Schicksal der minderjährigen Häftlinge ist natürlich riesengroß, können diese Menschen doch bis heute nicht ohne Tränen an jene Zeit in ihrem Leben zurückdenken. Aber nichtsdestoweniger sind ihr Geist und ihre Seele nicht gebrochen, und das liegt zum größten Teil an ihren persönlichen Eigenschaften. Die meisten von ihnen leben und arbeiten weiter – zum Wohle der Gesellschaft. Sie brauchen nur ganz wenig, nur etwas Aufmerksamkeit und elementare menschliche Güte und Verständnis.
3. Der wesentliche Grund für den „Temperaturanstieg“ in der Haltung gegenüber den ehemaligen minderjährigen Häftlingen ist meiner Ansicht nach die Befreiung des Bewußtseins der Menschen als Ergebnis der Politik der Destalinisierung in den 1950-er Jahren, aber auch der Politik des Glasnost und der Demokratisierung der Gesellschaft in den 1990er Jahren, das Verständnis dafür , daß die Kinder nicht schuldig sind an dem, was mit ihnen geschehen ist, denn sie waren ja nur Opfer des Krieges und keine Feinde und Verräter ihrer Heimat.
Die theoretische Bedeutung der Arbeit liegt meiner Meinung nach in der Hinführung zu einer wissenschaftlichen Betrachtung früher nicht veröffentlichter Fakten.
Die hier vorliegende Forschungsarbeit ist in einem Zeitraum von vier Monaten entstanden und erhebt daher keinerlei Anspruch auf eine erschöpfende Ausleuchtung des Themas. Das wissenschaftliche Interesse zwingt mich, die Arbeit in folgenden Punkten weiterzuführen:
Die praktische Bedeutung der Arbeit liegt darin, daß dieses Thema im Unterricht der 11. Klassen der Schule No. 149 beleuchtet wurde, die Reaktionen der Schüler sind in der Anlage beigefügt.
Eine der Aufgaben des II. Weltkrieges ist es, die Bemühungen der Friedensstifter miteinander zu vereinen, mit dem Ziel, daß eine ähnliche Tragödie sich nicht wiederholen möge. Nichtsdestoweniger ist die Nachkriegsperiode charakterisiert durch zahlreiche lokale Konflikte, unter denen nach wie vor in hohem Maße die Kinder leiden, die nicht nur körperliche Verstümmelungen, sondern auch unauslöschliche seelische Erschütterungen davongetragen haben.
1. P.K. Osipowa. Erinnerungen aus den Beständen des Zentrums für die Aufbewahrung und das Studium von Dokumenten der neuzeitlichen Geschichte der Region Krasnojarsk (eine Nummerierung fehlt, da sich die Bestände noch im Aufbau befinden).
2. Verordnung No. 20 des Ministeriums für Arbeit und soziale Entwicklung der Russischen Föderation vom 07.07.1999 // Datenbase „Konsultant-Plus“.
3. W.W. Spirow. Erinnerungen aus den Beständen des Zentrums für die Aufbewahrung und das Studium von Dokumenten der neuzeitlichen Geschichte der Region Krasnojarsk (eine Nummerierung fehlt, da sich die Bestände noch im Aufbau befinden).
4. Ukas No. 1235 des Präsidenten der Russischen Föderation vom 15.10.1992 // Datenbase „Konsultant-Plus“.
1. T. Aleksejewitsch. Nummer fürs ganze Leben // Krasnojarsker Abendblatt. 15.09.1998, S. 3
2. M. Murachowskaja. Über Puschkins Märchen, und ihr seid in Gefangenschaft geraten ... // Krasnojarsker Arbeiter, 06.05.1995.
3. A.W. Leontowitsch. Empfehlungen zum Schreiben von Forschungsarbeiten // Wissenschaftlich-praktisches Journal „Der Pädagogik-Leiter“, No. 1, 2000, S. 102-107.
4. ... Und künftig wird es keine Ansprüche geben? // Schicksal, 1993, No. 3 (67), Mai, Juni 2000, S. 3.
5. Erklärung des Ukrainischen Verbandes von Häftlingen und Opfern des Nazismus (USUSchN) // Schicksal, 1993, No. 4 (68), Juli, August, S. 2.
6. Über gerechte Wiedergutmachungszahlungen an die Opfer nazionalsozialistischer Verfolgungen // Schicksal, 1933, No. 2 (33), Februar 1997, S. 1,4.
7. Bewahren wir unsere Zeitung! // Schicksal, 1993, No. 4 (68), Juli, August 2000, S. 1.
8. Danke, Moskau! // Schicksal, 1993, No. 3 (67), Juni 2000, S. 1.
9. Ich ersuche um Zuteilung einer Ration // Schicksal, 1993, No. 4 (68), Juli,August, 2000, S. 3.
10. T.K. Schtscheglowa. Mündlich überlieferte Geschichte und heimatkundliche Arbeit // Geschichtsunterricht in der Schule, 1998, S. 60-66.
1. I.I. Dolutskij. Vaterländische Geschichte. XX. Jahrhundert. Lehrbuch für die 10. und 11. Klassen der allgemeinbildenden Institutionen, 2000, Teil 2, S. 24.
2. J.S. Senkewitsch. Wörterbuch ausländischer Worte und Ausdrücke. M., 1998, S. 117.
3. D. Uschakow. Erklärendes Wörterbuch der russischen Sprache. M., 1996, Bd. 4, S. 911.
4. O.S. Soroko-Tsjupa. Die Welt im XX. Jahrhundert. Lehrbuch für die 11. Klassen an allgemeinbildenden Institutionen. M., 1999. Farbtafeln.