Region Krasnojarsk, Bezirk Atschinsk
Siedlung Kljutschi
Städtische Bildungseinrichtung
Kljutschinsker Mittelschule für Allgemeinbildung
Forschungsarbeit zum Thema:
„Die Geschichte eines Porträts“
Autorin: Swetlana Korch
Schülerin der 9. Klasse
Projektleiterin: Monika Viktorowna Legkich, Lehrein für Geschichte und Gesellschaftskunde an der Kljutschinsker Mittelschule.
Atschinsker Bezirk, 2010
1.1 Erste Geschichte „Der Besitzer des Portraits“
1.2 Zweite Geschichte „Der Entstehungsort des Portraits“
1.3 Dritte Geschichte „Der Urheber des Porträts“
1.4 Vierte Geschichte „Die Person auf dem Portrait“
Schlußbemerkung
Literaturangaben
Im Familienalbum meiner Urgroßmutter Emmilia machte ich einen ungewöhnlichen Fund. Es ist das Porträt eines Kindes, mit echten Ölfarben und nach allen Regeln der Kunst auf Leinwand gemalt. Diese Entdeckung warf bei mir eine Menge Fragen auf:
Die Aufgabe schien mir schwierig zu lösen, denn Urgroßmutter ist schon lange tot, aber die Sache war doppelt interessant, denn sie betraf meine eigene Familie.
Das Thema interessierte mich nicht bloß einfach so, und deswegen beschloß ich, meine Forschungsarbeit „dem Geheimnis des Familien-Portraits“ zu widmen.
Niemand in meiner Familie konnte meine Fragen beantworten, und so wandte ich mich an meinen leiblichen Großvater Viktor Friedrichowitsch Markgerdt. Er ist derzeit der älteste unter meinen Verwandten. Außerdem ist er Emmilias Sohn.
Ziel der Forschungsarbeit: mit Hilfe der Geschichte eines einzelnen Gegenstandes (des Porträts) die Geschichte einer Familie und sogar eines ganzen Volkes aufzuzeigen.
Aufgabenstellungen:
- Klärung der Herkunft des Forschungsgegenstandes (Zeit und Ort) – des
Porträts.
- Ermittlung des Urhebers des Porträts
- Feststellung, wer auf dem Portrait abgebildet ist
- Verfolgung der chronologischen Ereignisse in der Geschichte des vorliegenden
Gegenstands
- Herstellung einer Verbindung zwischen dem Portrait und meiner Familie.
Thema der Forschungsarbeit: das Schicksal der Familie Margert
Forschungsobjekt: die Geschichte des Porträts
Forschungsmethoden:
• konkret-historische Methode
• Befragung (Interviews)
• Auffinden von Analogien
Informationsquelle für die Arbeit sind Materialien persönlichen Ursprungs, im wesentlichen sind dies Erinnerungen von Mitgliedern meiner Familie.
Im Familienalbum meiner Urgroßmutter Emmilia machte ich einen ungewöhnlichen Fund. Es ist das Porträt eines Kindes, mit echten Ölfarben und nach allen Regeln der Kunst auf Leinwand gemalt. Diese Entdeckung warf bei mir eine Menge Fragen auf. Wenn es sich um ein Porträt handelt, warum hat es dann keinen Rahmen und hängt nicht an der Wand, sondern wird im Familienalbum aufbewahrt? Wer ist auf diesem Bild dargestellt? Wer ist der Urheber dieses Kunstwerks? Niemand in meiner Familie konnte meine Fragen beantworten, und so wandete ich mich an meinen leiblichen Großvater Viktor Friedrichowitsch Markgerdt. Er ist derzeit der älteste unter meinen Verwandten. Außerdem ist er Emmilias Sohn.
Hier erwartete mich eine Überraschung. Der Großvater erzählte mir, daß er selbst auf dem Porträt dargestellt sei. Außerdem fand er eine Fotographie, von der das Porträt abgemalt worden war, sowie ein Foto seines Malers.
Nun konnte ich es kaum erwarten, die Geschichte dieses Porträts herauszubekommen... Aber das, was ich erfuhr, verblüffte mich bis in die Tiefen meiner Seele.
Als Besitzerin des Bildes erwies sich meine Urgroßmutter Emmilia Genrichowna Markgerdt (geb. am 23. Juni 1914).
Ihre Kindheit und Jugend verbrachte sie an der wunderschönen Wolga, im Dorf Krasnij Jar, im Gebiet Saratow, wo meine Vorfahren bereits jahrhundertelang gelebt hatten (Anhang 2 Erinnerungen von I.G. Bereschnaja (Margert).
Laut Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 28. August 1941 wurde die deutsche Bevölkerung im Wolgagebiet und in anderen Regionen des Landes der Komplicenschaft mit dem Feind und dem Verstecken deutscher Spione für schuldig befunden und von der Wolga in den Ural ausgesiedelt. Zum Packen der Sachen gaben sie unserer Familie nicht mehr als 15-20 Minuten. Sie erlaubten ihr nur, das Allernötigste mitzunehmen: Essen und Kleidung. Erlaubt waren 30-36 kg pro Person. Der gesamte übrige Besitz, den sie sich nach und nach so mühsam angeschafft hatten, das Vorratslager mit der gerade erst eingebrachten reichen Ernte, Werkzeuge und Arbeitsgeräte, das liebe Vieh – alles mußten sie zurücklassen“. (Anhang 2 Erinnerungen von I.G. Bereschnaja (Margert)).
Für das ganze Hab und Gut bekamen sie auf einem Stück Papier eine Quittung, geschrieben mit einem Bleistift, ausgehändigt, ohne Unterschrift, ohne Stempel; diese Quittung hat meine Familie bis heute aufbewahrt (Akt über die Konfiszierung des Besitzes der Familie Margert vom 21. September 1941, Dorf Krasnij Jar, Wolgagebiet).. Mit Tränen in den Augen, gemeinsam mit der Familie des mittleren Bruders, ihrer Schwester, der kranken Mutter und ihrem einjährigen Kind auf dem Arm, alle mit ihren Bündeln bepackt, machte Emmilia sich auf den Weg nach Sibirien.
Unsere Familie geriet in das Dorf Kamenka. Sie brachten uns mit 14-16 Mann in einer Baracke unter. Die Ortsbewohner beschimpften uns als Faschisten und hielten uns nicht für Menschen, aber es gab auch Leute, die uns halfen und uns in der ersten Zeit mit Nahrung versorgten. Es war ein sehr schweres Leben und vor allem so kränkend und erniedrigend. Nirgends konnte man ohne ausdrückliche Genehmigung hingehen, alle wurden bei der Kommandantur der Stadt Atschinsk unter Meldepflicht gestellt. In die Stadt gelangen konnte man nur mit einem Beurlaubungsschein“ (Anhang 1 Erinnerungen von W.F. Markgerdt).
Im Frühjahr 1943, als Sohn Viktor 3 Jahre alt wurde, mußte die Urgroßmutter sich von der Familie trennen: sie wurde in die Arbeitsarmee einberufen. Sie konnte dorthin nichts weiter mitnehmen, als eine kleine Fotografie, auf der sie zusammen mit ihrem Sohn abgebildet war. Nahe der Stadt Sterlitamak arbeitete sie, gemeinsam mit anderen Frauen, in der Holzfällerei. Und hier ereignete sich ein Unglücksfall. Als sie gerade dabei waren, Holz in einen Waggon zu verladen, fiel ein riesiger Baumstamm der Urgroßmama auf das Bein und verletzte sie schwer. Lange mußte sie behandelt werden und arbeitete anschließend bis zum Ende ihrer Haftzeit als Köchin in der Küche (Anhang 1 Erinnerungen von W.F. Markgerdt).
Als sie nach Hause zurückkehrte, war ihre Mama auch schon nicht mehr am Leben, und sie erkannte nur mit Mühe ihren Sohn wieder, den sie bei der damals zehnjährigen Maria zurückgelassen hatte.
Warum kam die Urgroßmutter in die Arbeitsarmee?
Am 10. Januar 1942 verabschiedete das Staatliche Komitee für Verteidigung die Verordnung über die Mobilisierung aller deportierten deutschen Männer im Alter zwischen 17 und 50 Jahren sowie aller deutschen Frauen zwischen 16 und 50 Jahren in Arbeitskolonnen. Frauen mit kleinen Kindern im Alter bis zu 3 Jahren wurde Aufschub gewährt (Ukas über die Mobilmachung in die Arbeitsarmee).
Insgesamt wurden während des Krieges eine halbe Million Männer und eine Viertelmillion Frauen in diese Lager getrieben. Etwa eine halbe Million Menschen von ihnen kamen dort ums Leben. In diesen Konzentrations-Arbeitslagern „machte man sie zuerst seelisch-moralisch kaputt“, indem man sie zu Feinden des sowjetischen Volkes erklärte, dann wurden sie nach und nach auch physisch vernichtet. Alle Arbeiten wurden mit den Händen ausgeführt. Die wichtigsten Werkzeuge dabei waren Schaufel, Spitzhacke, Zweigriffsäge, Brechstange, Schubkarre und Tragen. Der offizielle Arbeitstage zog sich über 12 Stunden hin, tatsächlich waren es jedoch 13-14.
Die tägliche Verpflegung bestand, unter der Voraussetzung, daß man die Arbeitsnorm erfüllte, aus 600 gr Brot, das eher einem Lehmklumpen glich, und einem halben Liter Wassersuppe mit Fischköpfen. Bei einem solchen Haftregime reichten die Kräfte für 3-4 Monate. Die Menschen starben wie die Fliegen. Die Lagerbestattungskommandos schafften es nicht, die Leichen rechtzeitig zu vergraben. Die Arbeitsfront – das waren : Holzfällerei, Uran- und Nickelbergwerke, Kohle- und Salz-Schachtanlagen, Bau von Eisenbahnlinien. Nach Kriegsende (bis etwa 1950) blieben die Deutschen in den Lagern, denn die Behörden hatten es schwer, plötzlich ohne „kostenlose Arbeitskräfte“ dazustehen (Der Gulag für die Rußland-Deutschen“, Zeitung „Landsleute“, August 2001.
In keinem anderen Lager des riesigen GULAG gab es eine derart kümmerliche Verpflegung, ein so menschenunwürdiges, kränkendes und demütigendes Verhalten, eine so erbarmungswürdige Ausbeutung unfreiwilliger Arbeit, wie es in den Arbeitsarmeen für „die Deutschen“ der Fall war.
Es ist erstaunlich, daß Moskau ausgerechnet zu Kriegszeiten riesige Geldsummen für die Produktion von Stacheldraht und den Unterhalt einer enorm großen Armee von Wachleuten für seine neuen Sklavenarbeiter bereitstellt, denn die Trudarmisten wurden in Lagerzonen gefangen gehalten, in denen die Wachen bis an die Zähne bewaffnet und mit Hunden ausgestattet waren.
Wo befindet sich der Ort von „Großmamas Arbeitsarmee und diese Stadt Sterlitamak?
Sterlitamak liegt in Baschkiristan, ein großer Produzent und Lieferant von Chemie- und Erdölprodukten, Metallschneide-Werkbänken und Maschinen, bautechnischen Geräten und Materialien. Die Bevölkerungszahl liegt bei 264 950 Einwohnern. In alten Zeiten gab es an der Stelle des heutigen Sterlitamak lediglich eine Poststation mit dem Namen Aschkadarskij Jam“, die auf baschkirischem Boden errichtet worden war. Sie enstatnd 1735 beim Dörfchen Aschkadarowa, wo der Fluß Sterlja in den Aschkadar fließt. Diese Postroute führte nach Ufa. In den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts begann hier der Bau der Salzgut-Anlagestelle Sterlitamak. Nach den Gouvernementsreformen im Jahre 1781 wurde die Statthalterei von Ufa gegründet. Unter den acht Städten des Gouvernements befand sich auch Sterlitamak, nachdem es den Stadtstatus und sein eigenes Wappen erhalten hatte. Im 20. Jahrhundert trat Sterlitamak als typische Gouvernementskreisstadt in Erscheinung. 1917 wird die Autonomie Baschkiriens ausgerufen, und es entsteht die Baschkrische Sozialistische Sowjetrepublik, deren Hauptstadt bis 1922 Sterlitamak war. Anfang der 1930er Jahre verhieß die Stadt weder einen Aufschwung im Baugewerbe noch kulturell3e Blüte. Aber all das änderte sich in den 1940er Jahren nach der Eröffnung der ischimbajewsker Erdöl-Industrie und dem damit verbundenen Bau der Eisenbahnlinie „Ufa – Ischimbaj“. Beim Bau dieser Bahnstreckte arbeitete auch meine Urgroßmutter – wie viele andere, die in die Arbeitsarmee gerieten (Große Russische Enzyklopädie. – Moskau, Wissenschaftlicher Verlag „Große Russische Enzyklopädie“, 2007, S. 556).
Dort in der Trudarmee lernte die Urgroßmutter einen Mann kennen und erwähnte in einem ihrer Gespräche mit ihm diese Fotografie. Der Mann erwies sich als „Beinahe-Künstler“; er schlug vor, anhand dieses Fotos ein Porträt von ihrem Sohn zu malen. Die Urgroßmama hat sich sehr darüber gefreut“ (Anhang 1 Erinnerungen von W.F. Markgerdt). Als es Emilia ganz schlecht ging, nahm sie dieses Porträt zur Hand, und es erinnerte sie sogleich an Zuhause.. Der Künstler hieß Konrad Iwanowitsch Golstein. Seinen Vor- und Nachnamen weiß Opa Witja ganz genau. Weshalb? Weil zwischen Emmilia und Konrad eine heiße Liebe entflammt war. Als ihre Zeit in der Trudarmee zuende war, kehrte sie nach Hause zurück (wobei sie auch das Foto und das Portrait mitnahm, die ich später im Familienalbum entdeckte), und „zwei Jahre später kam auch Konrad zu uns ins Dorf. Er fand eine Arbeit als Buchhalter. Die beiden heirateten und bekamen eine Tochter namens Lydia. Aber ihr „Weg wurde durchkreuzt“ von einer schönen Litauerin, mit der er dann gemeinsam das Dorf verließ“ (Anhang 1 Erinnerungen von W.F. Markgerdt).
Auf diese Weise ist Konrad Iwanowitsch Golstein nicht nur der Urheber des Porträts, sondern auch der Vater von Emmilias Tochter Lydia.
Auf dem Porträt ist mein Großvater Viktor Friedrichowitsch Markgerdt (geb. 1940) dargestellt.
1941 wurde er als einjähriges Kind, zusammen mit der Familie Markgerdt, nach Sibirien verschleppt. Zuerst kamen sie ins Dorf Kamenka, im Atschinsker Bezirk, Region Krasnojarsk. 1943, als er drei Jahre alt wurde, holten sie seine Mutter in die Trudarmee, und er blieb bei seiner Tante Maria zurück. Damals war sie selbser gerade erst 10 Jahre alt.
Schwer hatte es der Großvater in jenen Jahren. Nichts zu essen außer Ackerwinden und gefrorenen Kartoffeln. Sie mußten betteln gehen und bei den Ortsansässigen Arbeiten verrichten, um ein paar Abfälle von deren Tisch zu bekommen. „Manchmal rannte ich mit meinen Altersgenossen zum Sowchosenfeld, um dort nach der Erntezeit ein paar liegengebliebene Ähren zu sammeln. Aber die umherfahrenden Kontrolleure ließen ihre Pferde nach uns treten und schlugen uns mit ihren Peitschen. Kleidung gab es nicht; wir mußten sie selber aus Säcken nähen oder Erwachsenenkleidung zu Kindersachen umarbeiten. Die Schule befand sich sieben Kilometer vom Dorf entfernt. Er hatte kaum Gelegenheit sie zu besuchen und erreichte insgesamt nur eine vierjährige schulische Ausbildung.
Erstens hatte er keine Kleidung, in denen er hätte zur Schule gehen können; es gab nur ein Paar Filzstiefel für die ganze Familie; zweitens war er der „einzige Mann im Haus“, er mußte den anderen Familienmitgliedern helfen. In der Schule wurden Hefte aus Papiertüten verteilt, sie wurden auseinandergeschnitten und dann zusammengenäht; auch Schreiber gab es nicht, die Kinder befestigten zum Schreiben eine Feder an einem Stöckchen. Tinte wurde aus Ruß hergestellt. Wenn Mama Kartoffeln schälte, sammelten wir die Schale, brieten sie auf dem Ofen und aßen sie. Wir wuschen und putzten mit Regenwasser, Seife kochten wir uns selber aus den Därmen von Tieren, oder wir ließen Wasser über Holzasche laufen“ – erinnert sich mein Großvater. – „ Als Ignat, der Sohn der Hausbesitzerin, bei der wir in der Siedlung wohnten, 1943 an die Front ging, hinterließ er mir seine Ziehharmonika. Wie man darauf spielt hatte er mir schon viel früher beigebracht. Und jetzt riefen sie mich und Großvater Melnitschenko, der die Balaljaka spielte, jedesmal, wenn es im Dorf etwas zu feiern gab – eine Hochzeit oder eine Tanzveranstaltung im Klub (Anhang 1 Erinnerungen von W.F. Markgerdt).
1950 zog die Familie nach Kljutschi im Bezirk Atschinsk um. Mit 12 Jahren fuhr der Großvater bereits mit den Erwachsenen in den Wald zum Bäumefällen und half nach Kräften zuhause mit. Später erledigte er auf der Farm Arbeiten mit dem Pferd (Anhang 2 Erinnerungen von I.G. Bereschnaja (Margert).
Wie alle anderen auch, diente Viktor vier Jahre in der Armee. Als er ins Dorf zurückkehrte, fand er für sich bereits eine bessere Arbeit – als Fahrer. Er war der persönliche Chauffeur aller Direktoren unseres Wirtschaftshofes. Gegenwärtig ist der Großvater in Rente und geht nur noch seiner Lieblingsbeschäftigung nach – er macht Tischlerarbeiten.
Die Kriegskindheit meines Opas – eines verbannten Wolga-Deutschen, ähnelt in vielerlei Hinsicht dem Schicksal aller Kinder, welche die schlimmen Kriegsjahre miterlebt haben. Das Leben eines Kindes sollte reich an Spielen und Freude, an Büchern und Schreibheften sein. Es ist den Kindern vorausbestimmt in dieser Welt zu leben. Der Krieg hat diese Gesetzmäßigkeit für eine ganze Zeit zerstört: er hat sie daran gehindert zur Schule zu gehen, etwas zu lernen, viele hat er aus ihren heimatlichen Gefilden herausgerissen und sie mitten aus ihrer Kindheit direkt ins schwere Erwachsenenleben hinausgezerrt.
Aber die Kindheit birgt einen glücklichen Vorteil in sich: sie gewöhnt einen an alles, und vieles nimmt sie auf und an – ohne zu zögern und indem sie die Dinge für selbstverständlich hält. „Bei uns war die Kindheit ein schweres, halbes Hungerdasein, aber wir begriffen damals nicht, daß diese Kindheit eigentlich hätte anders sein, anders verlaufen sollen; uns schien es so, als ob alles so sein müßte, wie es war, und wir beklagten und bedauerten nichts. Mitunter gingen wir zum Spielen auf den Schießplatz; natürlich besaßen wir kein schönes Spielzeug, aber wir wußten ja auch gar nicht, daß es so etwas überhaupt irgendwo gibt“ (Anhang 1 Erinnerungen von W.F. Markgerdt) – äußert sich mein Großvater über seine „gestohlene“ Kindheit.
Im Verlauf der vorliegenden Forschungsarbeit wurde(n)
Auf Grundlage der Ergebnisse dieser Forschungsarbeit formuliere ich die folgende Schlußbemerkung:
Die Geschichte des Portraits ist zugleich auch die Geschichte meiner Urgroßmutter und meines Großvaters, und sie ähnelt in vielerlei Hinsicht den Schicksalen von anderen Menschen ihrer Generation. Sie spiegelt das Schicksal aller Wolgadeutschen.wider. Ihr Leben – das ist die Tragödie eines Menschen, der aufgrund äußerer Umstände nicht die Kraft gefunden hat, jenen Weg zu gehen, den er eigentlich gehen wollte. Und dieses Porträt ist ein lebendiges Zeugnis dieser Tragödie.
1. Große Russische Enzyklopädie. – Moskau, Wissenschaftlicher Verlag „Große
Russische Enzyklopädie“, 2007, S. 556.
2, „Der Gulag für die Rußland-Deutschen“., Alexandr Priev, Zeitung „Landsleute“,
August 2001