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Schatten der Vergangenheit

Städtische allgemeinbildende Einrichtung „Nowonikolajewsker Oberschule N° 9“
Wissenschaftliche Forschungsarbeit

Autorinnen: Schülerin der 10. Klasse Jekaterina Kurbatowa
Leitung: Tatjana Anatojewna Mileschko, Geschichtslehrerin

Ortschaft Nikolajewka

2014

Inhalt

I. Einleitung. Repressionen in der UdSSR
II. Das Kraslag
III. Die Lager des Ilansker Bezirks
IV. Mamontow Log (Mammut-Schlucht; Anm. d. Übers.)
V. Erinnerungen von Zeugen
VI. Schlussbemerkung
Anlagen

I. Einleitung

Die Sowjetunion hält zweifellos die führende Stellung auf dem Gebiet der politischen Repressionen, die im 20. Jahrhundert zu massenhaften Todesfällen führten. Nach Angaben von Professorin I.A. Kurganowa ergeben sich hinsichtlich der durch die Repressionen während der Sowjetzeit Umgekommenen folgende (gerundete) Zahlen: Roter Terror (1917-1923) – Akademiker, Professoren, Schriftsteller, Künstler, Lehrkräfte, Studenten = 160.000; Beamte, Offiziere, Fabrikanten, Händler = 170.000; Polizei-Angehörige, Gendarmen = 50.000; Geistliche = 40.000; Arbeiter, Bauern = 1.300.000; zweite Welle des tschekistischen Terrors (1923-1930) = 2 Millionen: „Kulaken“ (wohlhabende Bauern; Anm. d. Übers.) = 750.000; dritte Welle des Tschekisten-Terrors (1933-1937) = 1.060.000; Jeschow-Aera (1937-1938): Intelligenz, Arbeiter, Bauern = 635.000; Mitglieder der Kommunistischen Partei = 340.000; Säuberung innerhalb der Roten Armee = 30.000; Vor- und Nachkriegsjahre (1938-1947) = 2.700.000 [1].In Konzentrationslagern [2] befanden sich und sofern sie nicht durch die alle Kräfte übersteigende Schwerstarbeit ihr Leben ließen, nach der Freilassung zum Sterben verdammt waren = 20.000.000. Auf Anweisung Chruschtschows wurden für die Arbeit der Kommission sämtliche Archive geöffnet, einschließlich des KGB-Archivs und des Archivs der Lager-Hauptverwaltung. Innerhalb von zwei Jahren stellte die Kommission 60 Bände mit Berichten zusammenzusammen. Schatunowskaja schlug Chruschtschow vor, diese Materialien zu veröffentlichen, doch er meinte, dass er das auf keinen Fall tun würde, denn die Kommunistische Partei der Sowjetunion würde dadurch, besonders vor den Kommunistischen Parteien im Ausland, vollständig diskreditiert. Nach Beendigung ihrer Nachforschungen ging Schatunowskaja in Rente, wobei sie die 60 Bände in einem Safe in einer der Abteilungen des Zentral-Komitees hinterließ. Das weitere Schicksal des Archivs ist nicht bekannt. Von 1935 bis 1940 wurden 19.700.000 Menschen verhaftet. 7.000.000 von ihnen wurden erschossen. So immens war der Maßstab der stalinistischen Repressionen, mit denen er nach dem Mord an Kirow begann.

Auch an der Ortschaft Nikolajewka gingen die allgemeinen Verfolgungen nicht vorüber. Allen Einzelbauernhöfen stellte man eine schwierige Aufgabe. Denjenigen, die sie bewirtschafteten und die an sie herangetragene Aufgabe nicht erfüllten, entzog man die Wahlrechte, siedelte sie mitsamt ihren Familien unter Konfiszierung des Besitzes aus und stellten sie vor Gericht. Viele verließen ihr Dorf selber und ließen ihr gesamtes, in vielen Jahren nach und nach angeschafftes Hab und Gut und alles Vieh zurück. 1931-1933 waren Gawril und Warwara Gorpintschenko, Wassili Iwanow, Stepan Karpnenko, Wassili Karpnenko, Roman Weremjew, Karp Gluschkow, M. Kowjasin und viele andere den Verfolgungen ausgesetzt. Über Verfolgte Ende der 1930er Jahre wurden keine Informationen aus der städtisch-staatlichen Einrichtung „Archiv des Ilansker Bezirks“ zur Verfügung gestellt.

II Das Kraslag

Das Krasnojarsker Erziehungs- und Arbeitslager, ein typisches Holzfällerlager, wurde Anfang 1938 geschaffen – zusammen mit analogen Lagern wie das Unschlag, Wjatlag, Ussollag, Sewurallag und andere. Die Verwaltung des Kraslag befand sich in Kansk, sie wurde jedoch 1948 an die Bahnstation Reschoty (Siedlung Nischnaja Poima) verlegt, wo sie sich auch heute noch als Behörde Postfach U-235 befindet. Territorial gesehen waren die Lagerstellen des Kraslag über mehrere Bezirke im süd-östlichen Teil der Region Krasnojarsk verstreut. Wie auch in allen anderen Holzfällerlagern waren die einzelnen Lagerpunkte des Kraslag nicht sehr groß: für jeweils 600-800 Gefangene, selten für mehr als 1000. Genau wie in anderen Holzfällerlagern wurden die Häftlinge 1938-1939 und 1941-1945 von Hunger, Pellagra und Ruhr dahingerafft. Die ersten Häftlingsetappen trafen im Kraslag aus den Gefängnissen der Primorje-Region, Chabarowsk, Tschita und der Ukraine ein (aus dem Donezker Becken, Dnjepropetrowsk, Charkow, Kiew und von der Krim), anschließend aus den Gefängnissen Kasachstans (insbesondere aus Alma-Ata und Semipalatinsk). Später, in den Jahren 1939 und 1940 kamen im Kraslag Etappen aus Leningrad und Mittel-Russland an. In allen Häftlingstransporten waren die politischen Gefangenen vorherrschend.

Im Sommer 1941trieben sie eine viele tausend litauische Bürger zählende Etappe ins Kraslag, vor allem Menschen, die zwischen dem 13. Und 19. Juni 1941 verhaftet worden waren. Ein nicht geringer Teil von ihnen kam in den Jahre 1941-1942 ums Leben. Erst Ende 1942 und Anfang 1943 wurden sie von einer Sonder-Sitzung „rechtskräftig gemacht“, daher wurden etliche litauische Bürger erst nach ihrem Tod offiziell verurteilt. Die meisten bekamen eine Haftstrafe von 5 bis 10 Jahren, ein Teil wurde zur Höchststrafe verurteilt und im Kansker Gefängnis erschossen.

Im Januar 1942 wurden mehrere tausend Wolga-Deutsche ins Kraslag getrieben – aus der Zahl derer, die zur Verbannung in die Region Krasnojarsk geraten waren. Sie waren nach keinem Paragraphen verurteilt worden und hatten keine Haftfrist genannt bekommen. All das nannte sich „Trudarmee“ (Arbeitsarmee; Anm. d. Übers.). Die Deutschen wurden in separaten Lagerzonen untergebracht, sogenannten „Trupps“. Dort gab es die gleichen Stacheldraht-Zäune, die gleichen Wachtürme, die gleichen Baracken, die gleichen Essensrationen, die gleichen Normen, die gleiche Pellagra [3] und Ruhr. Doch dafür waren in diesen „Trudarmee“-Zonen Partei- und Komsomolzen-Organisationen tätig – allerdings gab es kein Beitritts- und Aufnahme-Recht. Die Deutschen wurden 1946 aus dem Kraslag entlassen – zurück in die Verbannung.

In der zweiten Hälfte der 1940er Jahre trafen im Kraslag Häftlingsetappen aus Lwow und anderen Gefängnissen der West-Ukraine ein, unter anderem auch Frauen-Transporte in großer Zahl. Es kamen auch große Etappen aus den Gefängnissen von Minsk und Orscha. Auch in ihnen waren politische Gefangene vorherrschend.

Angaben über die allgemeine Zahl der Opfer der politischen Repressionen weichen stark voneinander ab. Nach Informationen der öffentlichen „Memorial“-Organisation wurden seit der Zeit der Oktober-Revolution zwischen 40 und 60 Millionen Menschen verfolgt. In den gegen Ende 2008 auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR herausgebrachten Büchern sind insgesamt nur etwa 2 Millionen Namen enthalten, gleichzeitig wurden nach offiziellen Angaben allein vor Stalins Tod und nur aufgrund der Akten, die von den Organen der Allrussischen Tscheka und dem Ministerium der Staatssicherheit geführt wurden, nicht weniger als 4 Millionen Menschen verurteilt; wenn man dann auch noch die Zahl der Enteigneten, Deportierten, Verbannten berücksichtigt, dann kommt man auf eine Zahl der Opfer des Terrors, welche die 12-Millionen-Grenze übersteigt.

III. Die Lager des Ilansker Bezirks

Noch vor Beginn des Großen Vaterländischen Krieges gab es auf dem Territorium des Ilansker Bezirks vier „IL“s – Erziehungslager:

Das erste befand sich in der Siedlung Chromowo, 20 km von Ilansk entfernt.

Das zweite bei Kilometer 17 auf dem Algansinsker Trakt, am Ufer des Flüsschens Karagan.

Das dritte am Ufer des Taiga-Flüsschens Akscha, zwischen der Ortschaft Juschno-Aleksandrowka und dem Dorf Troizk. Diese drei Erziehungslager befassten sich mit Holzfällerei.

Das vierte befand sich hinter der Siedlung Oktjabrski (ehemalige Schnapsfabrik). Hier befasste man sich mit der Beschaffung von Kiefernharz (zur Herstellung von Terpentin; Anm. d. Übers.).

Zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges wurden Standorte für drei weitere Lager eingerichtet.

Das fünfte befand sich auf dem Landstück einer landwirtschaftlichen Sowchose, welche das Areal der ehemaligen Fischfang-Genossenschaft „Weg zum Sozialismus“ des Dorfes Algassi einnahm. Hier befand sich ein Frauenlager, in dem Gemüseanbau betrieben wurde.

Das 6. Erziehungslager war auf dem Territorium des Abakumowsker Dorfrats gelegen. Es hieß Mamontow Log (Mammut-Schlucht; Anm. d. Übers.). Es befand sich am rechten Ufer der Poima, drei Kilometer vom ehemaligen Dorf Gluschkowka (Oscharicha) entfernt.

Das 7. Erziehungslager befand sich auf dem Territorium des Juschno-Aleksandrowsker Dorfrats in Tscheremschanow Log (Bärlauch-Schlucht; Anm. d. Übers.), 4 km von der Ortschaft entfernt.

Alle Lager waren klein und unterstanden der Ilansker Abteilung und der Kansker Verwaltung für Erziehungsarbeit des NKWD. Über andere Lager auf dem Territorium des Ilansker Bezirks liegen keinerlei Angaben vor.

IV. Mamontow Log

Das Erziehungslager „Mamontow Log“ formierte sich laut Dokumenten ab Juli 1941. Eine Kommission des Kraslag und des Ilansker Bezirksexekutiv-Komitees des Bezirksrats verfügte darüber, an einer freien Stelle alles zum Wohnen und Arbeiten von Gefangenen Notwendige einzurichten. Das Wichtigste war die Aufteilung der Örtlichkeit – das Flussufer der Poima. Das vorbereitete Holz musste den Fluss hinab geflößt werden. Das staatliche Holzrevier erstreckte sich bis zum Nischneingaschsker Bezirk. Bereits zum September 1941 waren Baracken, Dienst-Gebäude und ein vorläufiges Kraftwerk errichtet. Im September 1941begann die Besiedlung, und Verurteilte wurden in der Holzbeschaffung eingesetzt. In dieser Zeit wurde das Fällen und Zerkleinern der Bäume per Hand erledigt, es gab keine elektrisch betriebenen Sägen. Zuerst wurden die Bäume im Staatsforst gefällt, man arbeitete sich immer weiter in den Wald hinein. Später wurde es notwendig, Holz in den nahegelegenen Kolchosen zu kaufen – in Gluschkowka, Lobatschewka, Nowonikolajewka, Abakumowka. Denn es existierte eine Abfuhr großer Baumstämme zum Fluss Poima. Diese Transporte wurden damals nur mit Pferden durchgeführt. Im Winter baute man eine Straße, die sogenannte „Ledjanka“ (Eis-Straße; Anm. d. Übers.), welche vom Holzlager bis an den Fluss führte, und die bei Frost mit Wasser übergossen wurde. Eine solche Straße erleichterte den Abtransport der Stämme. Zum Bau einer derartigen Winterstraße wurden, auf Anordnung des Bezirkskriegs-Kommissariats Kolchosarbeiter herangezogen.

Nach den Erinnerungen des Veteranen des Großen Vaterländischen Krieges Wassilij Iwanowitsch Snopikow war Hauptmann Grigorij Tichonowitsch Winogradow der erste Leiter des Lagers Mamontow Log. Sein Stellvertreter in allgemeinen Angelegenheiten war Jegor Abeschkin, in Sachen Ordnung und Personal Adam Tichonow. Die Straftrupps wurden von dem Abakumower Iwan Aleksandrowitsch Kakaulin geleitet. Er war vom Ilansker Bezirkskriegs-Kommissariat bestellt worden. Zur selben Zeit wurden aus Abakumowka auch Dmitrij Nikolajewitsch Baschenow und Matwej Makarowitsch Permikow als Wachschützen beordert. Später arbeitete Natalia Timofejewna Motschalowa, ehemalige Sekretärin der Komsomolzen-Organisation in der Kolchose „Freier Weg“ im Lager als Bibliothekarin.

Jeden Sommer trafen neue Häftlingsbrigaden zum Baumfällen ein. Das Holz wurde nebenan zersägt, hinter der Tajoschnaja-Straße auf einer Anhöhe und entlang des Baches Tjoplyj. Für die Behausungen wurde ein großer Schuppen errichtet; dazu stellte man Stangen auf, die mit Zeltplanen bezogen wurden. Die Leute blieben dort, bis im Herbst der erste Frost einsetzte. Bis der Schuppen fertig gebaut war, lebten die Gefangenen im Dorf Abakumowka, in dem ehemaligen großen Haus von Fjodor Andrejanowitsch Juferow. Das geschlagene Holz in der Parzelle transportierten sie im Winter auf Anordnung des Bezirksexekutiv-Komitees mit Arbeitern aus der Kolchose zum Fluss Poima. Zwei Jahre lang war auch Wassilij Iwanowitsch Snopikow an der Abfuhr des Holzes beteiligt.

Im Frühjahr, nachdem der Schnee und das Eis auf der Poima geschmolzen waren, flößten sie das Holz bis zur Siedlung Nischnaja Poima oder zur Bahnstation Reschoty. Dort verluden sie es auf Waggons und schickten es an seinen Bestimmungsort.

Der Leiter der Lagerzone, G.T. Winogradow, war nach den Worten von Wassilij Iwanowitsch Snopikow [4] ein willensstarker, gesunder, energischer Mann. Mit seinem Aussehen und seiner rastlosen Energie erschreckte er nicht nur Häftlinge und freie Mitarbeiter, sondern auch alle leitenden Personen in der Region und besaß sogar Einfluss auf die Bezirksleitung. Er war mit besonderen Vollmachten vom Abakumowsker Dorfrat ausgestattet. Nach seiner Anweisung wählten sie in den Kolchosen die besten Pferde aus und beschlagnahmten sie mit Hilfe des Kriegskommissariats; sogar Viehfutter und Heu nahmen sie den Leuten weg.

W.I. Snopikow erinnert sich auch an folgenden Fall. G.T. Winogradow erteilte die Anweisung, das Schlagen von Nutzholz im Nowonikolajewsker Kolchos-Wäldchen durchzuführen, das Holz dort wurde nicht ans Lager verkauft. Der Vorsitzende der Kolchose „Sosnanje“ („Bewusstsein“; Anm. d. Übers.), Pjotr Iwanowitsch Kudrewatych [5] informierte das Bezirkskomitee der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiken) und das Exekutivkomitee des Bezirksrats über die Vertragsverletzung. Für dieses Handeln rächte G.T. Winogradow sich an ihm und begann gegen ihn einen Kampf vor den Organen des NKWD zu führen. Er zwang das Kriegskommissariat, P.I. Kudrewatych in die Armee einzuberufen, und zwar mit Verschickung an die Front. Auf diese Weise wurde alles genau so gemacht, wie G.T. Winogradow es wollte. P.I. Kudrewatych kämpfte an der Wolchowsker Front, wo er im September 1942, vier Monate nach seiner Mobilisierung, spurlos verschwand.

Später gab es häufige Wechsel bei der Lagerleitung. Auch Major Pjerow war Lagerleiter von „Mamontow Log“. Er hielt sich oft in Abakumowka auf. Er war ein höflicher, kultureller, ruhiger Mann. Er half der Kolchose mit Leuten bei der Futterbeschaffung und dem Einbringen der Ernte aus. Der Bevölkerung hielt er Vorträge über die Geschehnisse an der Front. Wassilij Iwanowitsch erinnert sich, dass er 6 Gefangene zum Schobern der Heugarben und 4 Pferde zum Abfahren des Getreides in die Ortschaft Juschno-Aleksandrowka zuteilte.

V. Erinnerungen von Zeugen

Wadim Michailowitsch Solowjew, geb. 1919

Neffe von J.A. Preobraschenskij, lernte im 2. Kurs des Leningrader Instituts für Medizin. 1939 verfolgt. Am 14.12.1939 wurde die Gefangenenetappe in Kansk ausgeladen, wo sich damals die Lagerverwaltung des KRASLAG (Y-235, Pf. 235) und sein zentrales Durchgangslager befanden. Nach der Quarantäne, vor Neujahr, trieben sie die Häftlingsetappe zu Fuß in den Ilansker Bezirk, zum Lagerpunkt Akscha im südlichen Teil. In der Wohnzone standen 3 oder 4 Holzbaracken mit erdigem Fussboden und durchgehenden Reihen von Etagenbetten, ausgelegt für ungefähr für 200 Mann pro Baracke. (Schätzungsweise befanden sich 600-800 Mann im Lager). Den ganzen Winter über fällten sie Bäume und transportierten diese dann über die Eisstraße (10-11 km) zum Ufer des Taiga- Flüsschens Poima (einem linken Nebenfluss der Birjussa), wo es ein kleines Nebenlager mit einer mit Zeltplanen überdachten Baracke gab. Sie wurde ebenfalls Poima genannt. Und im Frühling, bei Hochwasser, flößten sie das geschlagene Holz Richtung Nischnij Ingasch zur dortigen Bahnstation.

Der Lagerpunkt Akscha gehörte zum Bestand des Ilansker Sonder-Lagerpunkt des KRASLAG. Die Sanitätsbaracke in Akscha leitete der Feldscher Mironenko, der in der Ukraine verhaftet worden war, und später der Arzt Wassiljew. Beide saßen wegen des Paragraphen 58. Auch der „Trotzkist“ Kogan geriet nach Akscha; er arbeitete dort als Fahrer und transportierte auf der Winterstraße Holz. Im Lager freundete er sich mit dem Sekretär des Zentralkomitees der bulgarischen (illegalen) Jugendorganisation, dem Bulgaren Dimow [6] an (wahrscheinlich hatte Dimow von Moskau die Aufgabe erhalten, von Kogan herauszufinden, wo sich Diamanten, Quarze und andere wertvolle Schätze befanden, die Kogan zusammen mit Jagoda zum Verkauf in den Westen geschafft hatte. Zuerst hatte man ihm eine Strafe von 25 Jahren aufgebrummt, schickte ihn jedoch 1939 aus dem Lager nach Moskau – und das mit nur einem Wachsoldaten als Begleitung (???), in einem gewöhnlichen Passagierzug und unter Verkürzung der Strafe auf 10 Jahre. Zurück ins Lager brachten sie ihn dann wieder mit einer gewöhnlichen Häftlingsetappe. Nach seinen Worten fuhr er nach Moskau in der vollen Überzeugung, dass man ihn freilassen würde. Aber wenn er gewusst hätte, dass alles so ausgeht, dann wäre er unterwegs geflohen, - das wäre die einfachste Sache der Welt gewesen! Dieser äußerst lebhafte und tatkräftige Bulgare arbeitete als Brigadier in der Holzfällerei. Wie man sieht, war er obendrein auch noch sehr findig: mehrfach begab er sich nachts aus der Zone ins Nachbardorf, und zwar ohne jegliche Erlaubnis, d.h. er floh ungeachtet aller vorhandenen Wachen, Wachtürme und Zäune. Im Dorf tauschte er irgendwelche Kleinigkeiten gegen Tabak oder Lebensmittel und schlich sich dann auf demselben, nur ihm bekannten Weg (???) wieder zurück ins Lager?!

Später verdächtigte die Lagerleitung ihn des tatsächlichen Fluchtversuchs, und man schickte ihn nach Reschoty, an einen der dortigen Taiga-Lagerpunkte. Und von dort lief er trotzdem fort (?!), nachdem er dazu vier Diebe überredet hatte. Sie gruben zu fünft ein Schlupfloch in den Boden unterhalb der Pritsche, das aus der Baracke hinaus direkt unter dem Wachturm vorbeiführte, brachen in der Nacht auf und verließen die Lagerzone. Drei der Diebe wurden später aufgegriffen, doch Dimow und den vierten Dieb fanden sie nicht (?!).Von dieser Flucht berichteten Wadim Michailowitsch viele, unter anderem auch Mitarbeiter der militarisierten Wache. Damals gab es im gesamten KRASLAG einen Tumult. Nach Erzählungen von Uljana Saweljewna Ronschina gab es einen Vorfall, als im Badehaus, welches sich am Ende des Gemüsegartens befand, zwei Weiße übernachteten. Wadim Michailowitsch wohnte in Akscha zusammen mit Kogan in einer Baracke [7] (1932 wurde L. Kogan, stellvertretender GULAG-Leiter und „nebenamtlich“ – Leiter des Weißmeer-Bauprojekts, als Anhänger Jagodas repressiert) und die beiden unterhielten sich häufig miteinander. Einmal sprachen sie darüber, welche Zukunft sie erwartete und ob es ihnen wohl beschieden sein würde, irgendwann in die Freiheit zu gelangen. Kogan meinte (das war 1940; also war er 1939 nicht erschossen worden): „Bald wird ein großer Krieg ausbrechen, und in einer solchen Zeit sind Veränderungen möglich (das unterstreicht, dass Kogan über die Außenpolitik der UdSSR informiert war)“.

1940 gab es in Akscha und den benachbarten Lagern des Ilansker Sonder-Lagerpunktes keine Freilassungen von Häftlingen, außer vielleicht in vereinzelten Fällen. Jedenfalls hat niemand irgendetwas von einer Möglichkeit der Freilassung gehört oder überhaupt daran gedacht.

Ein bemerkenswerter Teil der Gefangenen des Ilansker Sonder-Lagerpunktes machten Burjaten aus dem Baikal-Gebiet aus. Sie zeichneten sich durch ein ruhiges Verhalten und Gutmütigkeit aus. Die meisten von ihnen konnten nur schlecht Russisch. In Akscha leistete eine ganze burjatische Brigade Kolonnenarbeit. Burjaten gab es auch in der „Schwächlings“-Brigade, in die Wadim Michailowitsch 1940 geriet.

In Akscha saß Wadim Michailowitsch nicht lange, lediglich bis zum Frühjahr 1940. Von dort schickte man ihn zum Lagerpunkt Tscheremschany Kljutsch, den Poima weiter flussaufwärts und noch hinter dem Dorf Juschno-Aleksandrowka (es liegt genau in der Mitte zwischen Akscha und Tscheremschany Kljutsch). Tschermschany Kljutsch stand am äußersten Oberlauf der Poima, oberhalb des Dorfes Bjerchnaja Poima. Es war ebenfalls ein Holzfäller-Lager.

Im Herbst 1940 wurde Wadim Michailowitsch zum Holzeinschlag abkommandiert, wo ungefähr 200 Häftlinge in einem einzigen großen Zelt mit erdigem Fussboden und durchgehenden, doppelstöckigen Pritschenreihen hausten; und zum Ende des Jahres schickten sie ihn nach Akscha zurück.

Dort kam er erneut zum Holzeinschlag und begriff schon bald sehr klar, dass er hier bei der Kolonnenarbeit nicht bis zum Frühling durchhalten würde. Im Januar 1941 zwang die Verzweiflung ihn dazu, ein Gesuch ans Sanitätsrevier zu schreiben, in dem er mitteilte, dass er Student des 4. Kurses gewesen sei (also ein fast fertiger Arzt). Gerade zuvor hatten sie von dort den Feldscher fortgejagt – es gab also eine freie Stelle.

Im Sanitätsrevier wurde das Gesuch gelesen, und man bestellte daraufhin Wadim Michailowitsch in die Zentralzone des Ilansker Sonder-Lagerpunktes, nach Chromowo, am Flüsschen Poima gelegen, etwa 7 km östlich des Dorfes Algassy. Aus Akscha marschierte er die ganze Nacht mit einem Begleitsoldaten dorthin (ungefähr 40 km).

Ab dem 04.02.1941 begann Wadim Michailowitsch als Feldscher (Arztgehilfe) in der „Landwirtschaftssiedlung“ zu arbeiten. Es handelte sich um ein kleines Lager, in dem Landwirtschaft betrieben wurde, wohin man über das Dorf Algassy nach Chromowo fuhr. Die eigentliche „Siedlung“ bestand aus zwei separaten Lagerzonen – einer für Frauen, einer für Männer. Sie lag in einer flachen Gegend, inmitten von Feldern…

Vom Ausbruch des Krieges gegen Deutschland erfuhr man in der „Siedlung“ nicht sofort, sondern erst um den 25. Juli von freien Mitarbeitern. Zu dieser Zeit waren Zeitungen im Lager verboten; lediglich freie Arbeiter brachten sie heimlich in einzelnen Fetzen mit ins Lager. Später waren Zeitungen erlaubt, man konnte sie in der Kultur- und Erziehungsabteilung lesen. Aber Rundfunk gab es nirgends – weder in der „Siedlung“, noch in Akscha, Tschermschany oder Chromowo.

1940-1941 stand den Menschen im Ilansker Sonder-Lagerpunkt einmal in zehn Tagen ein freier Tag zu (in der Realität waren die freien Tage seltener).

Anfang Juni 1942 verlegte Jossifidi Wadim Michailowitsch ins stationäre Krankenhaus und ernannte ihn zum Fälscher in der „Siechen“-Baracke, in der die Todeskandidaten mit Ruhr, Pellagra und Ödemen lagen. Es waren dort etwa 400 an der Zahl. Es gab auch nicht wenige Tuberkulosefälle und Menschen, die an Lungenentzündung erkrankt waren.

Die „Siechen“-Baracke war Jossifidi unterstellt und nannte sich ebenfalls stationäres Krankenhaus; allerdings befand es sich in der Wohnzone. In der Baracke waren gewöhnliche zweigeschossige Pritschenreihen, auf denen die Todeskandidaten in ihren gewohnten Lagerlumpen lagen. Die Baracke war in vier Sektionen unterteilt, jeweils für 40-50 Kranke. Eine dieser Abteilungen war für Tuberkulosekranke bereitgestellt, eine andere für Pellagra-Patienten.

Die wichtigtse stationäre Krankeneinrichtung, die von Jossifidi geleitet wurde, - das Zentral-Krankenhaus des Ilansker Sonder-Lagerpunktes, befand sich in der separaten Kranken-Zone. Dort lagen die Kranken in Betten, und es gab sogar so etwas wie Bettwäsche. Unterstellt war Jossifidi auch ein Ambulatorium, das sich, ebenso wie die Baracke für die an Ruhr Erkrankten, in der Haupt-Wohnzone befand. Das Ambulatorium wurde von einer Frau geleitet, einer Ärztin mit dem Nachnamen Burmatowa oder Burmakowa. Nach ihrer Freilassung lebte sie in Kansk.

In Wadim Michailowitschs Baracke brachten sie die Dahinsiechenden aus allen Lagerpunkten des Ilansker Sonder-Lagerpunktes. Formell wurde die Baracke von dem Arzt und Laboranten (d.h. Spezialisten für medizinische Analysen) Ossinowskij geleitet, aber er befasste sich weder mit Diagnostik, noch mit der eigentlichen Behandlung; er schaute lediglich einmal am Tag für buchstäblich fünf Minuten in die Baracke und verließ sie dann sofort wieder. Er war zu 10 Jahren nach §58 verurteilt worden. Freigelassen wurde er 1947 und lebte später in Kansk.

Es waren nie ausreichend Medikamente vorhanden, zur Behandlung von Tuberkulose gab es überhaupt keine Arzneien. 1942-1943 starb im Ilansker Sonder-Lagerpunkt nicht weniger als die Hälfte der Gefangenen. Dennoch gelang es viele zu retten. Lungenentzündungen wurden mit Sulfamin-Injektionen geheilt.

Besonders viele Todeskandidaten brachten sie aus dem Lagerpunkt Mamontow Log nach Chromowo. Dort herrschte auch während des Krieges die höchste Todesrate. Mamontow Log galt als gruseligster Ort des Ilansker Sonder-Lagerpunktes. Die Lagerleitung arbeitete mit einer Standard-Drohung: ich schicke dich nach Mamontow!

Im Sommer gingen die Ruhrkranken, sofern sie sich noch erheben konnten, frühmorgens, noch vor dem Weckruf, nach draußen und trugen das Gras ab, das während der Nacht gewachsen war und „weideten“ dort. Michailowitsch erinnert sich an einen dieser Todeskandidaten, der seine Verlegenheit nicht verbergen konnte, dass er auch er „von der Weide fraß“. Es handelte sich um Professor Kaminskij [8], ebenfalls einem Leningrader (wahrscheinlich war er der 1. Volkskommissar des Gesundheitswesens der UdSSR gewesen, der Berija der Spionage zu Gunsten der englischen Aufklärung angeklagt hatte). Kaminskij war einer derjenigen, die A.I. Rykow entlarvten, der 1936 wegen der Vorbereitung eines Terroranschlags gegen Stalin im April 1932 angeklagt wurde. Er gehörte zu denen, die am 17.02.1937 das medizinische Gutachten über G.K. Ordschonikidses Tod (Herzstillstand) mit unterzeichneten. Nachdem er nach seiner Rede im Plenum des Zentralkomitees am selben Tag, dem 25.06.1937, verhaftet worden war, wurde am 26. Juni die Anordnung des Plenums verabschiedet: „Kaminskij aus den Reihen der Mitgliedskandidaten des Zentralkomitees der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiken) sowie aus der Partei auszuschließen, da er kein Vertrauen verdient“. Am 08.02.1938 verurteilte ein Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR ihn nach §58 des Strafgesetzes der RSFSR zur Höchststrafe. Er wurde am 10.02.1938 erschossen und auf dem Kommunarka-Friedhof begraben. (Dies ist ein strittiger Punkt, denn aller Wahrscheinlichkeit nach schickte Berija Kaminskij zum Sterben eines qualvollen Todes in Lager des GULAG).

Leiter des Ilansker Sonder-Lagerpunktes war damals Makarow. 1941 schickte sie Duda an seine Stelle (derselbe Duda, der hunderte Gefangene am Agul ins Grab getrieben hatte, wofür er 1938 drei Jahre Lagerhaft bekam); aber er saß die Zeit nicht vollständig ab, und danach war er wieder in leitenden Positionen tätig. Anfang 1942 entfernte man Makarow erst aus seinem Amt, setzte ihn dann aber erneut ein. 1944-1945 war Surnin Leiter des Sonder-Lagerpunktes.

Im September 1942 schickte man Wadim Michailowitsch als Feldscher nach Akscha, allerdings nicht in jene Zone, wo er früher gesessen hatte, sondern zum Spirtsawod (Schnapsfabrik; Anm. d. Übers.). Das war eine Regime-Zone, in der ausschließlich Kriominelle einsaßen – vor allem „schwergewichtige“ Wiederholungstäter.

Dort in der Wohnzone gab es nur eine einzige Baracke. Im November 1942 schlossen Schnapsfabrik und Lagerzone, und Wadim Michailowitsch wurde nach Akscha gebracht (in den Haupt-Lagerpunkt), und von dort zum Holzflößen zur Lager-Nebenstelle an der Poima. Dieses Nebenlager (Poima) war das ganze Jahr über in Betrieb – im Winter stapelten die Häftlinge das Holz, was über die Eisstraße aus Akscha gebracht worden war. 1943-1944 war Makarenko Leiter des Lagerpunktes Akscha.

Im Mai 1943 schickten sie Wadim Michailowitsch (ebenfalls als Arztgehilfen) nach Tscheremschany Kljutsch ins Holzfällerlager. Im Herbst 1943 fuhr er, zusammen mit Gefangenen, die am Fluss das Bruchholz aussortierten und dann die großen Stämme flussabwärts stießen (dafür waren im Fluss Stauanlagen errichtet worden, aus denen man bei Notwendigkeit das Wasser abließ, um die Strömung zu verstärken), die Poima bis nach Nischnij Ingasch hinunter. In Chromowo, nahe der Lagerzone, hatte man an der Poima ebenfalls einen Damm sowie eine Schleuse zum Durchlass der Stämme gebaut, damit sie an der Sandbank nicht steckenblieben.

Prokopij Stepanwoitsch Grjasnow wurde 1905 in der Ortschaft Nadjeschda im Tabatagaisker Bezirk, Burjatische ASSR geboren. In den 1930ßer Jahren arbeitete er als Rechnungsführer. Er wurde am 7. Dezember 1937 geboren. Anfang Februar 1938 wurde eine Häftlingsetappe zusammengestellt, und ungefähr am 15. Februar traf der Zug in Ilansk ein. In jedem der 40 Waggons waren etwa 40 Gefangene, insgesamt nicht weniger als 1500 Menschen. Man schickte sie in die Waldwirtschaft, 17 km von Ilansker und 2-3 km vom Algaskisker Dorfrat entfernt. Das Lager bei Ilansk nannte sich „Block 17“, es zählte etwa 100 Gefangene. Der Lagerleiter hieß Merimow. Leiter der Ilansker Abteilung des Kraslag war Baraz. 1940 wurden beide wegen nachträglich gemachter Zusatzeinträge verurteilt und bekamen 10 Jahre. Gleichzeitig sperrten sie den Leiter des Kraslag Jefim Samuilowitsch Schatow-Lewschin und seinen stellvertretenden Betriebsleiter hinter Schloss und Riegel.

Später wurden aus diesem Lager 700 (!) Häftlinge in das Lager „;Mamontow Log“ hinter dem Dord Juschno-Aleksandrowka an der Poima, im Süden des Ilansker Bezirks, verlegt. Das geschah Ende 1940. Noch später geriet Prokopij Stepanowitsch in das ebenfalls im Ilansker Bezirk gelegene Lager „Tscheremschany Log“. Überall wurden Bäume gefällt und allgemeine, ungelernte Arbeiten erledigt. Alldiese Lagerpunkte gehörten zur 1. Abteilung, die sich in Ilansk befand. 1945 verlegten sie Prokopik Stepanowitsch nach Reschoty, wo sie ihn als Buchhalter beim Holzverkauf einsetzten.
W.B. Djakow [9].

In der Brigade – Holzfäller, Holzhacker, Rinden-Abschäler, „Pferde“. Am schwierigsten ist die Arbeit der „Pferde“. Sie ziehen das ganze Sortiment an Baumstämmen vom Holzeinschlagplatz fort – Stämme mit einer Länge von 8, 6, 4 Metern. Sie treten im Schnee einen Pfad aus, übergießen ihn mit Wasser, das Wasser gefriert. Dann legen sie die Stämme auf einen Schlitten und – los geht’s! Durch den Schnee, durch Buschwerk und Windbruch.

Vorwärts! Vorwärts! Für flüssigen Brei und 300 Gramm schwarzes Brot am Morgen, für die Wassersuppe zum Mittagessen, für die abendliche Mehlsuppe mit Klüten, für eine Stalinistische Prämienmahlzeit – 200 Gramm Haferbrei-Auflauf – vorwärts! Vorwärts! Vorwä-ä-ä…

Die „Pferde“ ziehen. Das reicht ihnen für drei-vier Monate. Sie trocknen aus… Die Lebenskräfte gehen zu Ende. Übrig bleiben Muskeln. Dann vertrocknen auch sie. Aber Sehnen, Haut und Knochen sind noch da. Und dann bringt man die „Pferde“ zu den „Schwächlichen“. Und von dort – in die Pellagra-Station. Die Pellagra-Kranken werden an einen gesonderten Lagerpunkt gebracht. Sie werden besser ernährt. Man jagt sie auch nicht zur Arbeit – sie können auch ohne Arbeit kaum noch gehen, vom Wind geraten sie ins Taumeln.

Die inneren Organe – Magen, Gedärme – schrumpfen. Das Essen wird nicht verdaut. Die Pellagra-Kranken begreifen die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage. Demütig warten sie auf das Ende. Sie streiten. Die Streitgespräche sind – politischer Art. Überzeugte Stalinisten geraten mit überzeugten Trotzkisten aneinander. Ion der Hitze der Diskussion kommt es vor, dass die Streithähne anfangen einander zu stoßen. Beide stürzen zu Boden – sowohl der, der den Stoß versetzt, als auch der, der ihnen abbekommen hat. Sie stehen wieder auf, lächeln freundschaftlich. Vom Grinsen der Schädel bekommt der Außenstehende vor lauter Gruseln eine Gänsehaut, aber ihnen ist es völlig gleichgültig. Sie sind daran gewöhnt.

Die „Pferde“ verlieren ihre Kräfte viel schneller als die anderen. Baumstümpfe, Schneewehen, lockerer Schnee, der Tragriemen mit Schlaufen, in dem der schöne Baum mit seinem Gewicht von drei-vier Zentnern sie bis zum Ende des Tages derart zermürbt, dass sie das Tageslicht nicht mehr sehen.

Die Holzhacker in unserer Brigade sind Männer aus Wjatka, ehemalige Bauern. Einfache Leute vom Lande mit goldenen Händen. Einer wie der andere sind es große, junge Leute, die zu den Arbeiten beim Holzeinschlag fähig sind. Der Chef benimmt sich ihnen gegenüber anständig. Er erlaubt ihnen, dass sie von Zuhause Pakete mit Speck empfangen dürfen. Die Wjatkaer arbeiten schweigend und konzentriert. Woran sie dabei denken, ist nicht bekannt. Vermutlich können sie überhaupt nicht begreifen, was man mit ihnen getan hat, wessen und vor wem sie sich schuldig gemacht haben. Gelegentlich unterhalten sie sich untereinander zu diesem Thema. Pro Stunde machen sie vielleicht einmal den Mund auf. Essensration, Arbeit, Frost töten einen langsam, aber unwiderruflich. Ich schlage Äste ab. Zwei Holzfäller, ein Holzhacker, einer, der den Baum entastet und die „Pferde“ – ein todbringender Bund. Bloß nicht verschnaufen, stehenbleiben. Wenn du innehältst – dann hältst du die ganze Brigade auf, verlierst deine Kameraden für Stalins Prämienration. Ich hacke weiter, weiter.

Es gibt keine Gedanken, keine Absichten, keine Kraft. Ich sehe nichts, ich höre nichts, ich nehme nichts wahr. Ein einziger Wunsch ist bislang noch nicht erloschen: ich will essen. Und das bedeutet: ich bin noch nicht an Pellagra erkrankt.

Yukio Jessida, japanischer Gefangener

Wir hatten keinen Sinn für die Schönheit der Natur, denn die Quecksilbersäule des Thermometers war auf Minus vierzig Grad herunter gegangen! Der grausame und erbarmungslose Hunger zog durch sämtliche Ritzen der warmen Sachen und verursachte einen stechenden Schmerz. Die Sibirier nannten so einen heftigen Sturm mit Schnee „Eissturm“.

Nach dem Sturm war der Himmel in der Regel wolkenlos. Die Wölfe, die bis zu diesem Zeitpunkt ruhig gewesen waren, fingen nun an traurig zu heulen. Wahrscheinlich verlangte es auch sie, genau wie uns, nach Nahrung. Die Nacht in Sibirien ist lang. Morgens beginnt die Dämmerung erst gegen neun Uhr. Die Sonne geht lediglich für eine halbe Stunde auf...

Einmal kamen wir in eine russische Ortschaft und sahen folgendes Bild: unweit eines Hauses zieht eine junge russische Mutter ihrem Kind die Hosen aus und erlaubt ihm, bei grimmigem Frost Wasser zu lassen. Ehrlich gesagt, wir waren von einer solchen Kühnheit und Zähigkeit sehr überrascht. Es ist wohl so, dass die Russen ihre Kinder von klein auf an den Frost gewöhnen. Überleg‘ doch mal!

Einige Japaner hatten sich an den Frost auch schon in der Mandschurei gewöhnt. Aber die meisten waren direkt aus Japan zum Kampf an die Front geschickt und nach ihrer Gefangenschaft in Sibirien interniert worden. Für diese Menschen stellte der sibirische Frost eine schwere Herausforderung dar [10].

Wladimir Sergejewitsch Tscherkaschin, Professor der Physik an der Staatlichen Krasnojarsker Pädagogischen Universität wurde 1922 in Tuwa geboren. „Im Winter 1942 rief man unsere Gruppe ins Kontor, stellte uns einen Mann in halbmilitärischer Uniform vor befahl uns ihm zu folgen. Wir stiegen in einen Zug und fuhren ab. Man gab uns keinerlei Erklärungen. An der Bahnstation Ilansk stiegen wir aus und gingen zu Fuß über einen Feldweg in die Taiga. Etwa nach 20 km bogen wir vom Weg ab. Das Ziel unseres Marsches war bereits in Sicht. Eine große Lichtung, und an deren Ende stand ein Gebäude, das mich sofort an eine Abbildung aus einem Buch über Tschernyschewsky erinnerte: „OSTROG“. Meine Gefährten, ermüdet von dem langen Marsch, rannten, nach dem sie neue Kräfte gesammelt hatten, los, um am neuen Wohnort einen möglichst geeigneten Platz zu bekommen… Ich lief ihnen nicht hinterher. Ich dachte bei mir: im Gefängnis wirst du dich nicht beeilen. Und ich hatte Recht. Sie hatten uns tatsächlich ins Gefängnis gebracht…“.

An den hohen Toren zur inneren Lagerzone wurden sie von Trudarmisten begrüßt. Zu Wladimirs Verwunderung befand sich unter ihnen sein Schulkamerad Pawel Kirlejew. Es war anzunehmen, dass er hier kein gewöhnlicher Bewohner war. Und tatsächlich stellte es sich heraus, dass Pawel Kommandant war. Auf die Bitte seines Landsmanns ihm einen besseren Platz zu geben, antwortete er: warum in die zweite Abteilung? Am Abend kam ein Mann zu ihm und stellte sich vor: Leiter der Lagernebenstelle „Spirtsawod“ (Schnapsfabrik“; Anm. d. Übers.) – Wasskowskij. Er sagte, dass die Ankömmlinge Brennholz für die Schnapsfabrik sägen würden. Vor dem Eintreffen der neuen Partie waren hier bereits einige Landleute aus Tuwa gewesen. Interessant das Wort „Lagernebenstelle“. Wladimir Sergejewitsch erklärte, dass eine große Lager-Unterabteilung OLP – separater Lagerpunkt – genannt wurde. Lagernebenstelle bedeutete: ein kleiner Lagerpunkt. für vielleicht 100-200 Mann.

Insgesamt wurden etwa hundert Männer aus Tuwa aufgenommen. Sie lebten in einer Baracke mit Doppel-Pritschen. Die Baracke war von einem hohen, aus dicht aneinandergereihten, spitz endenden Pfählen errichteten Zaun umgeben. Sie waren bis zu 3einem Meter tief eingegraben. An den Ecken standen Wachtürme, auf denen Wachmänner mit Gewehren patrouillierten. Auf die Frage, welchen Zweck diese ganze Bewachung erfüllen sollte, tischte man den Neulingen allen möglichen Unsinn auf – zum Beispiel, dass man sie auf diese Weise vor im Wald herumstreifenden Banditen schützen wolle. Allen wurde erklärt, dass sie eine „Kolonne von Trud-Armisten“ (Angehörigen der Arbeitsarmee; Anm. d. Übers.) seien. So lautete auch die Postadresse mit Postfach-Nummer.

Die Trudarmisten machten sich an die Beschaffung von Brennholz. Es handelte sich um keine schwere Arbeit, was irgendwie außergewöhnlich war. Zumindest war es hier nach der Arbeit im Schaft besser. Mit der Norm kamen sie zurecht. Manche schafften sogar das Doppelte. Und wie hoch war die Norm? Wladimir Sergejewitsch erklärte bei der begegnung am 30. Oktober 2007, dass sie 4,5 Kubikmeter Kiefernholz und 4 Kubikmeter Lärchenholz bewältigen mussten. Dabei zersägten sie die Stämme auf einen Meter lange Stücke und stapelten diese zwischen Pfählen. Der Meister der Holz-Annahmestelle maß den Stapel auch noch in der Diagonale ab, um die Größe der Hohlräume zu errechnen, die beim Aufschichten entstanden waren. Ein Arbeitstag dauerte 8 Stunden. Zum Einsatz kam eine Bügelsäge der Marke Kroskan. Für 100%ige Norm-Erfüllung gab es 800 Gramm Brot. Und für 200§ bekam man 900 Gramm. Die Zusatzration machte lediglich 100 Gramm aus, obwohl die Norm um das Zweifache übererfüllt worden war. Was für eine Ungerechtigkeit! Das Brot war von einer widerlichen Qualität. Die Lagernormen waren in vier Kategorien unterteilt. Nach N° 1 erhielt man bei 80%iger Planerfüllung 500 Gramm Brot. Bei N° 2, 80-90% der Normerfüllung = 600 Gramm. Kategorie N° 3 bekam man bei Erfüllung der Arbeitsnorm von 100 – 125% = 800 Gramm. N° 4 entsprach der Verpflegungsnorm für Kranke, die von der Arbeit freigestellt waren; diese Menschen erhielten 550 Gramm Brot [11]. Die kümmerliche Verpflegung konnte den Energieverbrauch nicht ausgleichen, die Kräfte schwanden. Von Arbeitspferden (Lager-Ausdruck) verwandelten sie sich in arme Schweine (Lager-Ausdruck).

Nachdem die Zahl der Arbeitskräfte gesunken war und die Todeskandidaten in andere Lager-Nebenstellen des Kraslag geschickt worden waren, verlegte man die verbliebenen Häftlinge nach Wjerch-Atin am Fluss Poima - zum Holzabladen. Das war im Februar – März; später brachte man sie wieder zur Schnapsfabrik zurück, und am 1. Mai trieb man alle noch vorhandenen Gefangenen zur Lagernebenstelle Wjerchnaja Tuguscha. Dort freundete sich Wladimir Tscherkaschin mit Deutschen an. Vor lauter Hunger litt er an Ödemen an den Beinen und im Gesicht. Daher entfernte man ihn aus dem Bereich der allgemeinen Arbeiten und setzte ihn als Lebensmittel-Fahrer ein. Unsere Lagernebenstelle bestand aus zwei Häusern am Ufer der Tuguscha. In dem einen wohnten die Arbeitspferde, im anderen die Wacheute; außerdem war dort der Lagerverwalter mit seinem Lagerhaus untergebracht. Vor uns war das Haus von einer Brigade Deutscher bewohnt, die man weiter flussaufwärts, zum Nebenlager Wjerchnaja Tuguscha, verlegt hatte… Hier befanden sich mehrere hundert Arbeiter – alles Deutsche. Unter ihnen befand sich ein Kranker mit Nachnamen Pflaumer. Ich sollte nach Wjerchnaja Tuguscha fahren, um Lebensmittel zu holen. Arbeiter, die dorthin unterwegs waren, sollten mir den Weg zeigen.. Man gab mir ein Reitpferd mit Sattel und übergeworfener Satteltasche – in Gestalt zweier einfacher Säcke. Und dann setzten wir uns in Bewegung. Buchstäblich nach wenigen Schritten fiel Pflaumer zu Boden und weigerte sich weiterzugehen. Er sagte, er könne nicht mehr weiter. Die Kameraden versuchten ihn zu überreden. Auch ich schaltete mich an das Gespräch mit ein. Mit den Kameraden sprach er Deutsch, an mich wandte er sich auf Russisch. Er murmelte etwas Unverständliches, das so ähnlich wie „fressen“ (auf Russisch = schrat‘; Anm. d. Übers.) klang (der zweite Buchstabe war undeutlich). Die Kameraden fragten ihn: „Srat‘? (auf Deutsch = scheißen; Anm. d. Übers.). Er korrigierte: FRESSEN! Die Kameraden hoben ihn auf und trugen ihn weiter. Nach hundert Metern setzt er sich erneut auf den Boden und verkündete, dass er nicht gehen könne. Es war unmöglich, ihm keinen Glauben zu schenken. Ich schlug den Kameraden vor, für ihn eine Abschleppvorrichtung anzufertigen. Wir holzten geeignete Stangen für eine Wagendeichsel ab, flochten sie mit Weidenruten zusammen, banden die Deichsel am Sattel fest, setzten den Kranken darauf und transportierten ihn weiter. Natürlich ging es Pflaumer schlecht, er zitterte wie Espenlaub, sank erneut herab, doch die Kameraden stützten ihn und erreichten schließlich ihr Ziel. So kam es zu meiner Bekanntschaft mit den Deutschen – meinen Schicksalsbrüdern, Brüdern in der Arbeitsarmee, im Wald, aber keineswegs Feinden. Ein paar Tage später erzählte man mir, dass Pflaumer gestorben sei. Wahrscheinlich schrieben sie als Todesursache irgendeine Krankheit hin… In Wirklichkeit war das aus Hunger geschehen. Nach den Dokumenten im Kraslag starb niemand vor Hunger. Zwei meiner Kameraden starben auf benachbarten Pritschen – und das nicht wegen einer Krankheit, sondern aufgrund von Hunger…“.

Wladimir betrat das Kontor, um die Lebensmittel zu holen. Hier verwiesen sie ihn an einen Mann, an den er sich wenden sollte. Zu seiner Verwunderung handelte es sich um einen staatlichen Mann, gekleidet, wie ein Vertreter der Intelligenz zu Friedenszeiten, er trug sogar eine Krawatte. Tscherkaschin reichte ihm die Bestellung. Der war nicht weniger verwundert, als er erfuhr, dass Wladimir Russe war und keiner der Gefangenen. Er fragte ihn, wer er sei und woher er komme. Er selber stellte sich ebenfalls vor: Garij (Harry) Ferdinandowitsch Gein (Hein). Hier war er Rechnungsführer. Später erzählte man genaueres über ihn. Geboren und aufgewachsen war er im Kaukasus, in einer wohlhabenden, kultivierten Familie. Er erhielt eine gute Erziehung und Bildung und reiste nach Deutschland, wie viele in der damaligen Zeit (darunter auch Russen) es taten, um eine technische Ausbildung zu erhalten. Nachdem er Ingenieur für Metallhüttenwesen geworden war, kehrte er nach Hause zurück, wurde verhaftet, zu fünf Jahren verhaftet und nach Norilsk geschickt, um dort Nickel und Kobalt zu erzeugen. Die Arbeit war genau die, auf die er sich auch vorbereitet hatte. Fünf Jahre später ließen sie ihn frei, aber … sie schickten ihn nicht an die Front oder in die Metallhütte, sondern, da er Deutscher war, geradewegs ins Kraslag. Hier brauchten sie keine Hütten-Fachleute! Wie absurd! Einen Ingenieur, der bereits praktische Arbeitserfahrung besaß, machten sie zum Büro-Angestellten! Gegen Ende des Krieges wurde irgendwo in der Burjatischen Republik ein Polymetall-Kombinat unter der Bezeichnung Dschida-Gorodok (Dshida-Städtchen ; Anm. d. Übers.) geschaffen. Zahlreiche Spezialisten aus dem Kraslag wurden dorthin gebracht. Von den Tuwinern holten sie sogar den Fahrer dorthin.

Die erste Bekanntschaft mit ihm führte später auch zum Kennenlernen seiner Angehörigen und zur Freundschaft sowie zur wissenschaftlichen Zusammenarbeit mit seinem ältesten Sohn Richard. Aus Tuguscha vertrieb man sie nach Poima, wo sie den ganzen Sommer über Bäume fällten und Holz abflößten. Von der Poima verlegte man sie bereits im Herbst wieder zurück zur Schnapsfabrik.

Anna Stepanowna Zwetnich

(Mädchenname Poliwarowa). Geboren in Wostok (Osten; Anm. d. Übers.) am 24.01.1912, gestorben am 14.09.2002. Die Mutter starb früh, ab dem 7. Lebensjahr arbeitete sie als Kindermädchen, lernte nähen und sticken. Sie verdiente sich ihren Lebensunterhalt so gut sie es vermochte. Annas Bruder, Wassilij Stepanowitsch Poliwarow, wuchs im Kinderheim auf. Nach dem Anna volljährig geworden war, holte sie den Bruder nach Hause und erzog ihn selber. In den 1930er Jahren heiratete sie Andrej Kondratewitsch Zwetnich, geb. 1905, der in Deutschland geboren war. Anna Stepanowna und ihr Mann zogen mit ihren drei kleinen Kindern an die Wolga. Als der Große Vaterländische Krieg ausbrach, fassten Anna und ihr Ehemann den Beschluss, in den Osten umzuziehen. Bei ihrer Rückkehr in ihre Heimat kamen sie bis zur Stadt Taischet. Ohne besonderen Erlaubnisschein war ihnen ein Umzug nicht gestattet; Andrej Kondratewitsch hatte keine Ausweiskarte, die Dokumente für den Ausweis wurden abgegeben. Da er keine Genehmigung vorweisen konnte, wurde Andrej Kondratewitsch festgenommen und als Wolgadeutscher ins Lager geschickt, während Anna mit den Kindern in Taischet blieb. Alle Sachen waren zu Hause zurückgeblieben, sie wurden nicht an den neuen Wohnort befördert, und nach Annas Erinnerungen führte sie mit den Kindern ein sehr schweres Leben. Während der Kriegsjahre lebten sie an verschiedenen Orten, denn der Ehemann wurde von einem Lager ins nächste verlegt, und Anna folgte ihm mit dem Kindern jedes Mal, damit sie in seiner Nähe war. Ihr letzter Aufenthaltsort war die Siedlung Saimka (kleine sibirische Siedung; Anm. d. Übers.) N° 3 bei der Statdt Ilanskij. Der Sohn der Zwetnichs, Wassilij Andrejewitsch, wurde m 1. Februar 1950 auf dem Territorium des Algassinsker Dorfrats geboren. Andrej Kondratjewitsch wurde 1951 rehabilitiert, und dann zogen sie alle gemeinsam in das Dorf Rossljaki im Ilansker Bezirk. Der Staat verlieh Anna Stepanowna den Titel „Heldenhafte Mutter“, denn Ende 1956 hatte sie bereits 9 Kinder. Bis 1969 lebte die Familie in Rossljaki, dann zog sie in die Ortschaft Nowonikolajewka. Als sie starb, wurde sie auf ihrem letzten Weg von 9 Kindern, 25 Enkeln, 42 Urenkeln und 19 Ururenkeln begleitet.

Aleksander Wassiljewitsch Woronkow. 2013 Geschichtslehrer an der Juschno-Aleksandrowsker Städtischen Allgemeinbildenden Schule N° 5.

„Dass es unweit unseres Dorfes Juschno-Aleksandrowka ein Lager gab, hatte ich schon als Kind von Tante Marusja Bytschkowa erfahren. Als ich noch minderjährig war, ging ich mit den Spielkameraden dorthin, und wir fanden Erdhütten, riesige, aus einem halben Lärchenstamm gefertigte Bänke. Wir entdeckten auch einen Brunnen, Stacheldraht, sahen Wachtürme, Überreste von Baracken. Als ich bereits erwachsen war und mich zur Jagd in diese Gegend begab, sah ich, wie alles schon beinahe vollständig mit Gestrüpp überwuchert war, die Erdhütten waren in sich zusammengestürzt, man fand schon so gut wie nichts mehr wieder. Die Lärchen-Bänke waren unversehrt geblieben, auch ein Teil der Rohre, wo früher das Lager Schnapsfabrik gestanden hatte. Es heißt, dass man während seines Baus Hühnereiweiß für die Festigkeit verwendet hatte. Ich sah Kreuze auf den Gräbern der Litauer; sie waren riesengroß, mit kleinen Dächern und unterschieden sich stark von denen der Ortsansässigen. Ich sah eingetroffene Litauer, die drei Tage lang die Gräber ihrer Verwandten umgruben, um die Überreste herauszunehmen. Ich hörte von Lagern, aber wie viele es genau gab, weiß ich nicht. Ich weiß, dass verfolgte Deutsche in Tumicha lebten; später verließen viele von ihnen den Ort. Repressierte leben und lebten auch in der Ortschaft Juschno-Aleksandrowka.

VI. Schlussbemerkung

Auf dem Territorium des Ilansker Bezirks waren in den 1930er und 1940er Jahren 7 Lager für verfolgte politische Gefangene sowie zwei Nebenlager in Betrieb. Bei dem 8. Lager handelte es sich um Wjerchnaja Tuguscha, Dort fanden sich Vertreter aus verschiedenen sozialen Schichten und mit unterschiedlichen Nationalitäten. Das Verhalten gegenüber den Repressierten seitens der Ortsbewohner war negativ. Die dort lebenden Menschen glaubten, dass man diese Leute verdient eingesperrt hatte, dass 8ie Verbrecher und Vaterlandsverräter wären. Einige Ortsansässige hatten Kontakt mit den Repressierten, die bewacht wurden und mit allen verfügbaren Kräften arbeiten mussten, um zu überleben. Wachmänner im Lager Mamontow Log waren zum Beispiel Nikolaj Iwanowitsch Koltowitsch und Jakow Scherdew aus dem Dorf Juschno-Aleksandrowka. Die Menschen aus dem Lager fürchteten sich und mieden diese Orte. Selbst nach der Rehabilitation fürchten sich viele Verfolgungsopfer und ihre Angehörigen immer noch oder wollen sich an die Ereignisse jener Jahre nicht erinnern. Die Meinung gegenüber diesen Menschen hat sich seitens der älteren Leute in all den Jahrzehnten nicht geändert – trotz der ganzen Rehabilitationskampagne. Informationen über die Opfer der Verfolgungen sind in den Archiven unter Verschluss; auf der „Memorial“-Seite ist nur ein Teil der Repressionslisten veröffentlicht. Zahlreiche Personenakten hat das NKWD in seine eigenen Archive gebracht, ein Teil blieb in den örtlichen. Die Direktorin der städtisch-staatlichen Einrichtung des „Archivs des Ilansker Bezirks“. Swetlana Petrowna Scharikowa, verdeutlicht, dass die Informationen über Repressierte lediglich für sie persönlich oder für ihre Angehörigen zugänglich sind. Es gab einen Fall, dass ein junger Mann die Verwandten jener finden wollte, welche andere verfolgt hatten, um sich dann an ihnen zu rächen. Die Angehörigen der Opfer weigern sich, irgendwelche Informationen herauszugeben. Wie eine Frau sagte, deren Vater verfolgt wurde – Mit einem Wort kann man töten. Und das ist wahr.

Nach einem Gespräch mit ortsansässigen Bewohnern fanden wir heraus, dass im Ilansker Bezirk einst verfolgte Deutsche lebten: nach Taramba wurde August Augustowitsch Felde, geboren 1928, verschleppt. Die Familie traf dort am 6. Oktober 1941 Familie dort ein. Maria Genrichowna Salzman(n), geboren 1907, und Jakob Jakowlewitsch Salzman(n), geboren 1906, arbeiteten ab 1942 in der Trud-Armee. Irina Jakowlewna Salzman(n), geboren 1931. Frieda Jakowlewna Frisorger, geboren 1935 (gestorben 1981). Wladimir Aleksandrowitsch Frisorger, geboren 1931. Luise Adamowna Ring, Irma Karlowna Ring, Wladimir Adamowitsch Ring reisten in den 1990er Jahren nach Deutschland aus. Emalia Sarkisjan, der Sohn ging später nach Deutschland.

Repressierte Litauer: Scheres – Tscheremschanka; Grigaris – Tscheremschanka; Matschunas – Juschno-Aleksandrowka; Pikalos – Juschno-Aleksandrowka; Naudus – Juschno-Aleksandrowka. Auch die litauische Familie Ropolaite lebte hier.

Es gab zwei Friedhöfe litauischer Verfolgter – einen in Tscheremschank, den anderen in Juschno-Aleksandrowka. In den 1990er Jahren trafen drei Litauer ein; sie machten die Gräber ihrer Verwandten ausfindig. Die Überreste betteten sie in spezielle kleine Metall-Behälter und nahmen sie mit nach Hause.

In Nowonikolajewka und Prokopjewka lebten und leben rehabilitierte Personen, die in den Jahren der Verfolgung zu leiden hatten: Jegel, More und andere. Es ist, nach den Worten der Alteingesessenen, bekannt, dass es viele solcher Menschen gibt, doch Zeugnisse über sie liegen nicht vor, denn die Angehörigen weigerten sich, irgendwelche Informationen über sie zu geben. Viele Rehabilitierte reisten nach Deutschland oder ins Baltikum aus, um dort zu leben. Auch ihre Verwandten brachten sie mit.

Man kann die Geschichte unmöglich ändern. Aber man kann sich bemühen, seine Haltung gegenüber den Menschen zu ändern, die in den Jahren der politischen Repressionen schuldlos großem Leid ausgesetzt waren. Aus diesem Grund geht die Arbeit im Hinblick auf die Suche nach Informationen über repressierte Menschen weiter – und zwar so lange, bis ihre Namenslisten vollständig wiederhergestellt sind und die Gerechtigkeit triumphiert [12]. Und das hängt von uns allen ab.

Anhang N° 1. Über den Einsatz der deu5tschen Umsiedler während des Großen Vaterländischen Krieges

„“Über die Organisierung von Einheiten mobilisierter Deutscher in den Lagern des NKWD der UdSSR“
Moskau
12. Januar 1942

In Ausführung der Anordnung des Staatlichen Komitees der Verteidigung vom 10. Januar 1942 N° 1123, streng geheim, „Über die Art und Weise des Einsatzes der deutschen Umsiedler im Einberufungsalter von 17 bis 50 Jahren“ befehle ich:

1. 80.000 deutsche Männer aus den Reihen der in die Gebiete Nowosibirsk und Omsk, die Region Kranojarsk und Altai sowie die Kasachische SSR verschleppten Personen im Einberufungsalter zwischen 17 und 50 Jahren, die zu körperlicher Arbeit tauglich sind, zu mobilisieren und zum Arbeiten auf folgende Lager zu verteilen:

Iwdellag – 12.000; Sewurallag – 12.000; Usollag – 5.000; Wjatlag – 7.000; Ustwymlag – 4.000; Kraslag – 5.000; Bakalsker Lager – 30.000; Boroslawsker Lager – 5.000.

Die mobilisierten Deutschen sind getrennt von den Gefangnen u8nterzubringen.

2) Bei der Ankunft der Mobilisierten im Lager sind besondere Lagerpunkte zu schaffen, Arbeitstrupps nach dem Produktionsprinzip von 1500-2000 Mann , Kolonnen von jeweils 300-500 Mann (in Abhängigkeit von den Produktionsgegebenheiten) sowie Brigaden mit 30 bis 100 Mann zu formieren.

Der Unterhalt der Trupps geschieht in Eigenfinanzierung […].

3) Die Verpflegung der Mobilisierten und ihre Versorgung mit Industriewaren erfolgt nach den Normen, die auch für das GULAG festgelegt wurden […].

Volkskommissar des Inneren der UdSSR
Generalkommissar der Staatssicherheit
L. Berija

Staatsarchiv der Russischen Föderation, Fond R-9401, Verz. 1a, Dos. 110, Bl. 10-11.

Anhang N° 2. Karte der Lager des GULAG

Anhang N° 3. Pellagra

Anhang N° 4. Wassilij Iwanowitsch Snopikow

Anhang N° 5. Dimitr Dimow

Dimitr Dimow (geb. am 22.03.1903 in Trnowo, gest. am 04.02.1968 in Sofia), Persönlichkeit des politischen und militärischen Lebens, einer der Anführer der Partisanen-Bewegung, General-Leutnant, Held der Sozialistischen Arbeit (1963), Sohn eines Arbeiters. Trat 1920 der Jugend-Arbeiter-Vereinigung bei, 1922 der bulgarischen kommunistischen Partei (BKP). Ab 1922 war er als Lehrer tätig. 1920-1923 Sekretär der Komsomolzen-Organisation in Jambol; war an der Organisierung von Arbeiterausständen sowie der Vorbereitung des September-Aufstands von 1923 beteiligt. Am 22.09.1923 verhaftet, 1924 jedoch aufgrund einer Amnestie wieder entlassen. Ab 1924 Sekretär der Jamboler Partei-Organisation. 1925 erneut verhaftet und zur Todesstrafe verurteilt (abgeändert auf lebenslängliche Gefängnishaft). 1940 in die Freiheit entlassen und ins Zentralkomitee der Bulgarischen Arbeiter-Partei (BRP) aufgenommen. Warum??? Sekretär der Sliwensker, Burgoser und Jamboler Partei-Organisationen. Ab 1941 Sekretär des Gebietskomitees in Jambol. Einer der Organisatoren der Partisanen-Bewegung; schuf im April 1942 den ersten Partisanen-Trupp in Südost-Bulgarien. Die Aktivitäten Dimows we8iteten sich auf die Jamboler, Sliwensker, Jelchowsker, Nowosagorsker, Kotlensker, und ab 1943 auch auf die Bargassker Bezirke, aus. Gründer und Chef-Redakteur der Untergrund-Zeitung „Naroden drugar“. Stand im Dezember 1943 an der Spitze des illegalen Gebietskomitees der Vaterländischen Front in Burgas. Nach der Schaffung der operativen Partisanen-Zonen (POS) im Jahre 1943 stand er der 6. Zone voran (mit Stabsquartier in Jambol), welche das Sliwensker Gebiet umfasste. Nach der Machtübernahme der Vaterländischen Front wurde er am 09.09.1944 zum Direktor der Stadt Burgas ernannt. Ab 1945 Kandidat für die Mitgliedschaft im Politbüro des Zentralkomitees der Bulgarischen Arbeiter-Partei. 1948 ins Verteidigungsministerium versetzt. 1949-1950 Sekretär des Zentralkomitees der Bulgarischen Arbeiter-Partei. 1950 schied er aus dem Politbüro aus und wurde in den diplomatischen Dienst versetzt – als Gesandter in China. 1956 – 1966 Vorsitzender der Kontroll-Kommission der Bulgarischen Arbeiter-Partei. Ab Jui 1957 Kandidat für die Mitgliedschaft im Politbüro des Zentralkomitees der Bulgarischen Arbeiter-Partei.
(R.A. Salesskij. Wer war wer im Zweiten Weltkrieg. Verbündete der UdSSR, Moskau, 2004).

Anlage N° 6. Pjotr Iwanowitch Kudrewatych

Anlage N° 7 Lasar Josifowitsch Kogan

Geboren in der Familie eines reichen Händlers im Jenisseisker Gouvernement. Jude. Er brach schon sehr früh mit seiner Familie und tat sich mit Kriminellen zusammen; mehrfach wurde er verurteilt. Im Jahre 1905 kündigte er sich selber als „Anarchist“ und „Kommunist“ an; die Mitglieder dieser „revolutionären“ Gruppierung vertuschten ihre kriminellen Handlungen mit revolutionären Phrasen. 1918 trat er der Partei der Bolschewiken bei, 1920 den Organen der Allrussischen Tscheka. L. Kogan führte sorgfältig L.D. Trotzkijs und M.N. Tuchatschewskijs Instruktionen aus. Von 1926-1930 war L. Kogan Assistent des Leiters der OGPU-Truppen, 1930 wurde er zum Chef der Lagerverwaltung der OGPU ernannt: bereitgestellt wurde er von G.G. Jagoda, der faktisch den erkrankten W.R. Menschinskij auf dem Posten des OGPU-Chefs ersetzte. 1932 wurde L. Kogan stellvertretender GULAG-Leiter und „nebenberuflich“ Leiter des Belomor-Bauprojekts; außerdem lenkte er bis August 1936 den Bau des „Moskau-Wolga“-Kanals. Er freundete sich mit J.D. Rapoport und N. Frenkel an, zu dritt leiteten sie faktisch den ULAG. L. Kogan gefiel N. Frenkels Vorschlag: an den Konzentrationslagern Industrieunternehmen zu schaffen, deren Erzeugnisse man auf den „schwarzen Markt“ bringen konnte. Und der Erlös sollte sowohl ihrer persönlichen Bereicherung, als auch zum Kauf verschiedener Amtspersonen dienen. Man muss dazusagen, dass J.D. Rapaport sich weigerte daran teilzunehmen. Die „Angelegenheit“ lief gut, und damals schlug G.G. Jagoda, der am „Schicksal“ dieses „Business“ beteiligt war, ein noch größeres Spielchen vor: die Schaffung einer NKWD-Kooperative, über die man im Westen Diamanten und wertvolle Sterne, welche die Häftlinge der sibirischen Lager fördern sollten, aber auch bei verhafteten Personen konfiszierte antiquarische Gegenstände und Juweliererzeugnisse, verkaufen wollte. Da verzichtete auch N. Frenkel auf eine Beteiligung an dem Geschäft, der nur zu gut begriff, dass dies für den Missetäter den Tod durch Erschießen bedeutete. G.Jagodas und L. Kogans „Business“ erregte schnell die Aufmerksamkeit der ausländischen Sonderdienste, welche die „Emissäre“ Jagodas abzuwerben suchten: derartige „Geschäfte“ waren auch im Westen illegal. Schließlich drang die Geschichte bis zu Stalin vor, und ausgerechnet sie diente dann auch zum unmittelbaren Anlass für G.G.Jagodas Verhaftung. L. Kogan wurde – mit Degradierung – auf den Posten des stellvertretenden Volkskommissars der Waldwirtschaft der UdSSR versetzt. Er hätte ungeschoren davon kommen können, wenn er im Ermittlungsverfahren nicht seine Kontakte zu Jagoda und einer Anhängergruppe von Sinowjew-Kamenjew – und überhaupt zu Mitgliedern der Parteileitung, die mit Stalin nicht zufrieden waren, offenbart hätte. L. Kogan wusste von Jagodas politischen Ambitionen nichts, ihn trieb lediglich die Profitgier an; doch nun war er der „Liquidierung“ ausgesetzt – als Mitstreiter Jagodas. Im Januar 1938 wurde L. Kogan verhaftet und war einer der Anklagezeugen gegen Jagoda, auf den er versuchte, die Schuld für seine eigene „Anklageschrift“ zu schieben. Er schrieb einen reuevollen Brief an N.I. Jeschow, danach – an Berija. Aber der nützte schon niemandem mehr, und so wurde L.I. Kogan im M ärz 1939 erschossen.

1956 wurde L.I.Kogan rehabilitiert – als „grundlos verfolgter Kommandeur der Roten Armee“. Im Anklageverfahren brachten sie in Bezug auf Kogan, neben der standardmäßigen „Spionage“, auch reale Verbrechen vor: Diebstahl von staatlichen Mitteln im besonders großen Umfang einer Gruppe von Personen und nach vorheriger Absprache, ungesetzliche Valuta-Operationen, Spekulation in besonders großem Maßstab und Schmuggel. IN diesen Punkten gab es hinreichend Beweise für Kogans Schuld. Nichtsdestoweniger wurde er vollständig rehabilitiert – einschließlich der Rückgabe des gesamten bei ihm konfiszierten Besitzes und aller Auszeichnungen.

Anhang N° 8 Grigorij Naumowitsch Kaminskij

War in den Jahren 1929 und 1930 zunächst stellvertretender Leiter der Abteilung Agitation, Propaganda und Presse und anschließend der Abteilung Agitation und Massen-Kampanien des Zentralkomitees der Partei.

Ab 1930 arbeitete er als Sekretär des Moskauer Stadtkomitees der Partei, von 1932-1934 als Vorsitzender des Moskauer Gebietsexekutiv-Komitees.

Ab Februar 1934 bis 15.03.1937 stand er an der Spitze des Volkskommissariats des Gesundheitswesens der RSFSR und war gleichzeitig ab 1935 Ober-Sanitätsinspektor der UdSSR; vom 20.07.1936 bis 25.06. 1937 stand er zudem dem Volkskommissariat des Gesundheitswesens der UdSSR voran. Gemeinsam mit N.A. Semaschko trat er als Begründer der Prophylaxe in der Sowjet-Medizin in Erscheinung. Innerhalb der Ärzteschaft unterhielt er enge Beziehungen zu I.P. Pawlow, S.G. Lewit und anderen.

Im Juli 1935 erhielt das Swerdlowsker Medizinische Institut den Namen G.N. Kaminskijs;
auch einige andere Einrichtungen trugen seinen Namen.

Er war einer der Entlarver von A.I. Rykow bei der Anklage des Jahres 1936 wegen Vorbereitung eines Terroraktes gegen Stalin im April des Jahres 1932 [3].

Er befand sich unter denen, die am 17.02.1937 das offizielle medizinische Gutachten über den Tod (Herzlähmung) von G.K. Ordschonikidse unterzeichneten.
Verhaftet noch am selben Tag, dem 25.06.1937, nach seiner Rede auf dem Plenum des Zentralkomitees; am 26. Juni wurde die Anordnung des Plenums „Über den Ausschluss Kaminskijs aus den Reihen der Kandidaten für die Mitgliedschaft im Zentralkomitee der WKP (B) aufgrund mangelnden Vertrauens“. Am 08.02.1938 wurde er vom Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR nach § 58 des Strafgesetzes der RSFSR zur Höchststrafe verurteilt. Am 10.02.1938 erschossen, bestattet auf dem Friedhof Kommunarka.

Anhang N° 9

Präsidium es Obersten Gerichts der Russischen Föderation
Anordnung
vom 22. August 2001 – N° 686p01pr

Das Präsidium des Obersten Gerichts der Russischen Föderation, vertreten durch:

den Vorsitzenden W.I. Radtschenko
die Präsidiumsmitglieder W.P. Werin, W.K. Wjatscheslaw, W.M. Schujkow, M.A. Karimow, A.J. Merkuschow, N.A. Petuchow, G.N. Popow, N.J. Sergejewa, R.M. Smakow.

hat den Fall in Sachen des Protests des stellvertretenden General-Staatsanwalts der Russischen Föderation W.I. Dawydow gegen das Urteil der Sitzung des Krasnojarsker Regionsgerichts beim Kraslag des NKWD in der Stadt Kansk vom 27. März 1942 überprüft, mit dem I., selbiger L.I., <…>, zuvor mehrfach verurteilt, letztmalig am 1. September 1941 nach § 58-14 des Strafgesetzes der RSFSR zu 10 Jahren Freiheitsentzug verurteilt wurde; das vorliegende Urteil wurde auf Beschluss des Gerichtskollegiums für Straffälle des Obersten Gerichts der Russischen Föderation vom 10. Januar 2001 abgeändert. Die Taten des Verurteilten wurden von § 58-14 abgeändert in Abs. 1, § 82 des Strafgesetzes der RSFSR, unter teilweiser Hinzufügung des noch nicht verbüßten Strafmaßes laut vorherigem Urteilsspruch. Das endgültige Strafmaß wurde auf 3 Jahre Freiheitsentzug festgesetzt.
Verurteilt:
nach § 58-14 des Strafgesetzes der RSFSR zu 10 Jahren Freiheitsentzug
nach § 59-3 des Strafgesetzes der RSFSR
nach der Gesamtheit der Vergehen zur Höchststrafe – Erschießung.

Der Entscheid des Gerichtskollegiums für Kriminalfälle beim Obersten Gericht der RSFSR vom 20. April 1942 bleibt in Kraft.

In der Protestschrift wird die Frage nach der Aufhebung der entstandenen Gerichtsbeschlüsse gestellt, insbesondere im Hinblick auf die Verurteilung nach § 58-14 des Strafgesetzes der RSFSR mit Einstellung des Verfahrens wegen Mangels an Tatbeständen sowie Abänderung der Gerichtsbeschlüsse gegen I. in Verbindung mit seiner Verurteilung nach § 59-3 des Strafgesetzes der RSFSR, die Abänderung auf § 136, Abs. 1, Punkt „a“ des Strafgesetzes der RSFSR, nach dem eine Freiheitsstrafe von 10 Jahren anzuberaumen ist.

Nachdem sich das Präsidium des Obersten Gerichts der Russischen Föderation den Vortrag des Richters des Obersten Gerichts der Russischen Föderation, W.N. Podminogin, und des stellvertretenden General-Staatsanwalts der Russischen Föderation, S.G. Kechlerow, der den Protest unterstützte, angehört hatte,

beschloss es:

von Gerichts wegen wird I. für schuldig befunden, den Weg der konterrevolutionären Sabotage gegangen zu sein, als er seine Strafe am Lagerpunkt “Mamontow Log”, Ilansker Sonderlagerpunkt, Kraslag des NKWD, verbüßte, und sich in böswilliger Absicht weigerte, die Arbeit anzutreten, der er sich im November 1941 für zwei Tage entzog.

Außerdem befasste er sich mit banditenhaften Aktionen, terrorisierte seine Mitinsassen und tötete im Dezember 1941 den diensthabenden Gefangenen W.

Nach Überprüfung des Materials der Strafakte und Erörterung der Beweggründe für den Protest befindet das Präsidium den Protest aus folgenden Gründen für statthaft.

Das, was er getan hat, wurde bestätigt durch sein Geständnis (Akten-Blätter 24, 78), die Zeugenaussagen von Tch. (Akten-Blätter 33-34), S. (akten-Blatt 30), L.M. (Akten-Blätter 27-28), L.W. (Akten-Blätter 31-32), N. (Akten-Blätter 40-41) und anderen sowie durch das Protokoll der gerichtsmedizinischen Untersuchung der Leiche Ws. (Akten-Blatt 51) und weiteren Dokumenten.

Nachdem das Gericht die faktischen Umstände der Sache richtig festgestellt hatte, gab sie eine falsche juristische Einschätzung ab.

Die Arbeitsverweigerung war eine Verletzung der Ordnung und der Strafverbüßungsbedingungen, welche keine strafrechtliche Verfolgung nach sich zog, sondern
Maßnahmen einer Disziplinarstrafe. Daher sind die Gerichtsentscheide, insbesondere die Verurteilung I.s nach § 58-14 des Strafgesetzes der RSFSR aufzuheben und der Straffall selbst aus Mangel an Straftatbeständen einzustellen.

Unbegründet sind auch die nach § 59-3 des Strafgesetzes der RSFSR eingeordneten Taten des Angeklagten wegen Banditentums, denn das betreffende Verbrechen lässt das Vorhandensein einer bewaffneten Bande vermuten, die aus mindestens zwei Personen besteht.

Aus dem Aktenmaterial lässt sich erkennen, dass I. sich am 9. Dezember 1941, als er durch absichtliche Täuschung den Isolator verließ, mit einem Holzhammer bewaffnete, die Baracke betrat, in der sich der Diensthabende W. befand, und diesen mit dem Ziel, sich an ihm zu rächen, weil er beim Verüben eines Diebstahls im Wege stand, einen theft8igen Schlag auf den Kopf versetzte, woraufhin der Geschädigte sein Leben aushauchte. Und solchen Tatvoraussetzungen ist das Strafmaß laut § 59-3 des Strafgesetzes der RSFSR auf Punkt „a“ des § 136 des Strafgesetzes der RSFSR abzuändern – vorsätzlicher Mord aus gemeinen Beweggründen.

Auf Grundlage des hier Dargelegten hat das Präsidium des Obersten Gerichts der Russischen Föderation sich von den Punkten 2 und 5 des § 378 der Strafprozessordnung der RSFSR leiten lassen und hat festgestellt:

das Urteil der Sitzung des Krasnojarsker Regionsgerichts beim Kraslag des NKWD in der Stadt Kansk vom 27. März 1942 und der Entscheid des Gerichtskollegiums für Kriminalfälle des Obersten Gerichts der UdSSR vom 20. April 1942 in Bezug auf I., alias L.I., insbesondere die Verurteilung nach § 58-14 des Strafgesetzes der RSFSR ist aufzuheben und das Strafverfahren aus Mangel an Tatbestand einzustellen.
Diese Gerichtsbescheide, insbesondere die Verurteilung I.s, alias L. I., nach § 59-3 des Strafgesetzes der RSFSR sind abzuändern auf Punkt „a“, Abs. 1, § 136 des Strafgesetzes der RSFSR, wofür eine Freiheitsstrafe von 10 Jahren anberaumt ist.

[1] Anhang N° 1
[2] Anhang N° 2
[3] Anhang N° 2
[4] Anhang N° 3
[5] Anhang N° 4
[6] Anhang N° 4
[7] Anhang N° 5
[8] Anhang N° 7
[9] „Ich, der Lagerabschaum, bezeuge“, lit. Notizen von J.M. Miroschnitschenko, “Memorial”-Website
[10] aus dem Buch „Drei Jahre in sibirischer Gefangenschaft“, „Krasnojarsker Arbeiter“, 24.08.2000
[11] „Das gestrafte Volk“, Moskau, Swenja-Verlag, 1999, S. 135
[12] Anhang N° 9


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