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Die sibirische Odyssee der Wolgadeutschen

18. Gesamtrussischer Wettbewerb historischer Forschungsarbeiten von Schülern der höheren Klassenstufen «Der Mensch in der Geschichte. Russland – 20. Jahrhundert», 2016 – 2017
Nominierung: «Forschung »
Richtung: «Mensch und Staatsmacht»
Autorin: Anastasia Susenkowa
Örtliche autonome allgemeinbildende Mittelschule N° 3, Aban, Klasse 10 „À“
Geschichts- und Heimatkunde-Klub „Landsleute“
Leitung: Valentina Sacharowna Belskaja,
Pädagogin mit Zusatzausbildung
Moskau, 2017

Inhalt

I. Einführung. Deutsche Familien im Abansker Bezirk heute
II. Hauptteil
Die sibirische Odyssee der Wolgadeutschen
1. Das Leben der Deutschen im Wolgagebiet vor Beginn des Großen Vaterländischen Krieges
2. Gründe und Beginn der Deportationen
3. Ein Mensch, der die Herausforderungen des Schicksals mit Würde trägt (Alexander Davidowitsch Root)
4. Die Vettern Rudolf Davidowitsch Altergott und Viktor Alexandrowitsch Damer in Sibirien
5. „Wir haben überlebt und um des Sieges willen gearbeitet…“ (Erika Seidensahl-Damer) 1
6. Das Leben der deportierten Deutschen während der Verbannung in Aban
7. Die deutschen Müllers – zweimal deportiert
III Schlussbemerkung: Die Abansker Deutschen und ihre Nachfahren in unseren Tagen
IV. Liste der Quellenangaben
V. Anlagen

I. EINFÜHRUNG
Deutsche Familien im Abansker Bezirk heute

In der Siedlung Aban ist das „Viktoria“-Unternehmen sehr bekannt, welches von Michail MichailowitschStein geleitet wird. Mir kam zu Ohren, dass er deutscher Nationalität ist und in der Ortschaft Beresowka lebt. Mich interessierte dieser ungewöhnliche Nachname. Als ich im Telefonbuch nachschaute, fiel meine Aufmerksamkeit darauf, dass in Beresowka Menschen leben, die Nachnamen mit deutschem Klang haben: Kerber (Körber), Luft, Arndt, Gert (Gerdt), Gerzog (Herzog), Lindt, Merk, Filbert, Schreider (Schröder. In den Telefnbuchseiten der Abaner begegnete ich Nachnamen wie Damer, Root, Altergott, Mut(h), Berndt, Gartmann (Hartmann), Klamer, Kangur, Koller, Monid (Monig?), Neumann, Rewwa, Schwetz, Schreiner, Stin, Schik. Ich wollte wissen, woher die deutschen Namen im Abansker Bezirk kamen. Aus der Geschichte des Abansker Bezirks ist mir bekannt, dass die meisten Dörfer Ende des 19. Und Anfang des 20. Jahrhunderts durch Russen, Weißrussen, Ukrainer gegründet wurden; auch gibt es bei uns die Tschuwaschendörfer Wostok und Malkassy, das Tatarendorf Sterlitamak, die Mordwinen-Dörfer Dolschenkowo, Worobewka, doch es gibt kein einziges Dorf, dessen Name einen deutschen Klang hat. Aber warum finden sich bei uns derart viele deutsche Nachnamen? (Anhang 1) In der 7. Klasse schrieb ich eine Geschichtsforschungsarbeit über die Geschichte der Ona-Tschunsker Waldwirtschaft und stieß in den Archivdokumenten auf die Erwähnung von Litauern, Deutschen, Ukrainern, die nach dem Ende des Großen Vaterländischen Krieges in der Forstwirtschaft arbeiteten, weil diese Menschen Verbannte waren. Die Gründe für die Verbannung blieben mir unbekannt. Dann erfuhr ich von der Leiterin meiner Arbeit, Irina Tscheslawowna Jakowlewa, dass die Deutschen nicht unbedingt aus irgendwelchen Gründen Verbannte waren, sondern auch Deportierte aus Leningrad und dem Wolgagebiet. Ich beschloss in Erfahrung zu bringen, was dieser Begriff „Deportation“ eigentlich bedeutet. In der zeitgenössischen „Russischen Enzyklopädie“ findet sich für diesen Terminus folgende Erklärung: «Deportation – lebenslängliche Vertreibung, Vielfältigkeit von Ausweisungen, Verbannung“. Ich wollte meine Kenntnisse vertiefen und meine Forschung über die Deutschen, die in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges der Deportation nach Sibirien ausgesetzt waren, fortsetzen. Und wenn auch heute im Abansker Bezirk deutsche Familiennamen weit verbreitet sind, dann bedeutet es, dass sie nach Kriegsende hier lebten und ihre Nachfahren ebenfalls.
Ziel meiner Arbeit – zu erforschen, wie die Deutschen in Sibirien während des Krieges und nach dessen Ende in Aban lebten.
Aufgabenstellungen:

1. Das Leben der Deutschen an der Wolga vor dem Beginn des Großen Vaterländischen Krieges zu charakterisieren
2. Gründe für die Deportationen im Jahre 1941 zu ermitteln
3. Die Lebensperiode der Familien Damer, Altergott, Root Miller, Saidensal in Sibirien zu analysieren.

Forschungsmethoden:
1. Interview
2. Schilderung
3. Systematisch-analytische Methode

Die Aktualität der Erforschung besteht darin, dass man am Beispiel des Lebens der Wolgadeutschen lernen kann Schwierigkeiten zu meistern und in beliebigen Situationen wahre Menschen zu bleiben. In unserer Zeit sollen die Menschen unterschiedlicher Nationalitäten einander respektieren, um friedlich miteinander zu leben.

II.HAUPTTEIL
Die sibirische Odyssee der Wolgadeutschen

1. Das Leben der Deutschen im Wolgagebiet vor Beginn des Großen Vaterländischen Krieges

Zu Beginn meiner Arbeit beschloss ich herauszufinden, von wo die Deutschen kamen und wie sie sich bei uns in Russland àn der Wolga niederließen. Vielleicht wurden sie 1945, als der Große Vaterländische Krieg zu Ende ging, von der Sowjet-Armee gefangen genommen und wollten nach Verbüßung ihrer Strafe nicht nach Deutschland zurückkehren? Doch es stellte sich heraus, dass das Leben der Deutschen im Wolgagebiet bereits viel früher begann. Im Internet fand ich einen Artikel über die Wolgadeutschen der mich sehr interessierte. Darin stand, dass Zarin Katharina II bereits 1762-1763 (sie war Deutsche) zwei Manifeste unterzeichnete, dank denen später in Russland die Wolgadeutschen auftauchten. Diese Dokumente gestatteten es den Ausländern, ins russische Imperium einzureisen und dort Vergünstigungen und Privilegien zu erhalten. Die größte Kolonisten-Welle traf bereits damals aus Deutschland ein. Der Staat lud 30000 Menschen zur Übersiedlung ein. Anfangs ließen die Deutschen sich in Sankt-Petersburg und Oranienbaum nieder. Dort schworen sie der russischen Krone die Treue und wurden Untergebene der Zarin. Man kann vermuten, dass die eingetroffenen Deutschen gebildete, kultivierte Menschen waren; sie waren gute Handwerker, und deswegen wurden ihre Dienste und Kenntnisse in erster Linie von den Adeligen und dem Umfeld der Zarin genutzt. Aus der Biographie er Millers, zu der mir die Lehrerin unserer Schule, Maria Jakowlewna Miller, das Material zur Verfügung stellte, erfuhr ich, dass ihre Vorfahren aus Sankt-Petersburg ins Wolgagebiet deportiert wurden. Auch andere Kolonisten, von denen es in Sankt-Petersburg viele gab, zogen an die Wolga um, wo später das Gouvernement Saratow gegründet wurde. In den ersten wenigen Jahren entstanden 105 Siedlungen. Bemerkenswert ist, dass alle russische Ortsnamen trugen. Die Staatsmacht unternahm ein Experiment mit den Kolonien, um den russischen Ackerbau voranzutreiben. Die damalige russische Regierung wollte überprüfen, wie sich die westlichen Normen der Landwirtschafts-Führung übernehmen ließen. Die Wolgadeutschen hatten in die neue Heimat Sensen, hölzerne Dreschmaschinen, Pflüge, andere Gegenstände für den Ackerbau und die Hausübung ihrer Handwerke mitgebracht, die den russischen Bauern unbekannt waren. Die Ausländer fingen an, die bis zu dem Zeitpunkt nie zuvor gesehene Wolga-Kartoffel anzubauen. Außerdem bauten sie Hanf, Flachs, Tabak und andere Kulturen an. Die Zeit zeigte, dass das Experiment Katharinas II äußerst gelungen war. Die fortschrittlichsten und erfolgreichsten Hofwirtschaften auf dem russischen Lande waren die Siedlungen, in denen Wolgadeutsche lebten. Die Geschichte ihrer Kolonien stellt sich als Beispiel einer stabilen Prosperität dar. Der Dank der effektiven Führung der Landwirtschaft steigende Wohlstand ermöglichte es den Wolgadeutschen, sich eine eigene Industrie zuzulegen. Anfang des 19. Jahrhunderts tauchten in den Siedlungen die ersten Wassermühlen auf, die zum Werkzeug für die Herstellung von Mehl wurden. Ebenso entwickelte sich die Butter-Industrie, die Herstellung landwirtschaftlichen Inventars und Wolle. Unter Alexander II gab es im Gouvernement Saratow bereits mehr als hundert Lederfabriken, die von Wolgadeutschen gegründet worden waren. Das Auftauchen der Kolonisten gab den Anstoß zur Entwicklung des Weber-Handwerks. Man gründete die Autonome Deutsche Republik, die am linken Ufer der Wolga gelegen war. Beginnend mit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis in die vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts waren im Wolgagebiet bereits fünf Generation von Deutschen herangewachsen, die nicht Deutschland als ihre Heimat ansahen, sondern das von ihnen bewohnbar gemachte neue Territorium. 1930 begann in der gesamten Sowjetunion die Kampagne zur Enteignung der Großbauern. 1933 herrschte an der Wolga eine große Hungersnot. Sie aßen Ziesel-Mäuse und sogar Kinder. Andere Länder wollten helfen, den Hunger zu besiegen, aber dazu kam es nicht. Die Behörden brachten ausländische Reporter, deckten für sie reichlich den Tisch, damit die Reporter sahen, dass es überhaupt keine Hungersnot gab. Sie versammelten die Menschen und gaben ihnen so viel zu essen, wie sie wollten; die Tische brachen unter der Last der Speisen fast zusammen. Als die Reporter abfuhren, wurde alles fortgeräumt; die Menschen hatten sich wie die Wilden aufgeführt, viel zu viel in sich hineingestopft und – starben. Das wurde so gehandhabt, damit die Leute der Kolchose beitraten. Bauern, Besitzer kleiner Unternehmen und zahlreiche andere Bewohner der Autonomen Deutschen Republik waren Repressalien ausgesetzt. Reich gewordene Handwerker, wohlhabende Bauern, auch russische, wurden enteignet. Allem Anschein nach hatten die Wolgadeutschen innerhalb ihrer Autonomie zu sehr nach Selbständigkeit gestrebt. Es gab einfach zu viele „Kulaken“ (Großbauern; Anm. d. Übers.), die Leiharbeiter eingestellt hatten, und deswegen beschloss der Stadt den Deutschen die autonome Republik zu entziehen. Am 28. August 1937 wurde der „Ukas über die Liquidierung der Autonomen Republik der Wolgadeutschen“ verabschiedet. Doch bis zum Beginn des Großen Vaterländischen Krieges wurde kein Deutscher von hier ausgesiedelt. (Anhang 1)

Um etwas darüber zu erfahren, wie die Abansker Deutschen nach Sibirien gerieten, traf ich den bekannten Abansker Fotografen Viktor Alexandrowitsch Root, Alexander Davidowitsch Altergott sowie Erika Jakowlewna und Viktor Alexandrowitsch Damer und zeichnete deren Erinnerungen auf. Ihr eigenes Archiv und die Erinnerungen ihrer Mutter stellten mir die Lehrerinnen an unserer Schule, die Schwestern Maria Jakowlewna und Nadjeschda Jakowlewna Miller zur Verfügung. All ihre Vorfahren kamen aus dem Wolgagebiet, aus Bauernfamilien, die in Kolchosen arbeiteten, und die Familie von David Davidowitsch Altergott arbeitete in einer Fischfang-Kolchose, befasste sich mit dem gewerblichen Fang von Stören, die sie aus der Wolga holten. Sie führten ein gutes Leben, hatten ihre eigene Hofwirtschaft; die Familie Altergott besaß einen reichen Garten, baute Äpfel, Wassermelonen, Weintrauben und Honigmelonen an. Altergott und Damer waren Vettern, zwischen ihren Familien herrschten freundschaftliche Beziehungen. Die Familien Seidensal und Miller wohnten in der Stadt und litten materiell keine Not, denn die Väter waren gute Handwerksmeister. Jakob Saidensal war von Beruf Schuster, David Davidowitsch Root – Schmied. Es waren hauptsächlich kinderreiche Familien, die kleineren Kinder befanden sich unter der Aufsicht der älteren, und die Kinder im schulpflichtigen Alter besuchten natürlich die Schule, wo der Unterricht in deutscher Sprache erfolgte und die Lehrkräfte Deutsche waren. Die Familien Altergott und Root waren 1937 Repressionen ausgesetzt und verloren den Ernährer der Familie. Aber sie konnten all das überwinden, denn die Stelle des Vaters wurde von den fleißigen Kindern ersetzt.

2. Gründe und Beginn der Deportationen nach Sibirien

Am 22. Juni 1941 fiel das faschistische Deutschland in der Sowjetunion ein. Die deutschen Truppen kamen schnell nach Moskau voran, anschließend an die Wolga. Es bestand die Gefahr, dass die Wolgadeutschen unter dem Einfluss der deutschen Propaganda und auch jene, die mit der Enteignung unzufrieden waren, im Hinterland damit beginnen würden, ihren Landsleuten zu helfen. Im August 1941 erging der Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR „Über die Umsiedlung der in den Wolgabezirken lebenden Deutschen“. Darin hieß es, dass es offensichtlich „zehntausende Saboteure gebe, die auf ein aus Deutschland gegebenes Signal in den bewohnten Wolgagebieten Sprengungen durchführen sollen…“. Daher fasst die sowjetische Regierung den Beschluss über die Deportation (Aussiedlung) der Wolgadeutschen in Bezirke Mittelasiens und Sibiriens. Es handelte sich dabei um eine reine Zwangsmaßnahme. (Anlage 2) Jetzt war verständlich, was die Deportation der Deutschen ausgelöst hatte. Aus den Erzählungen der von mir befragten Personen erfuhr ich, dass sie ihre Obst- und Gemüsegärten, ihre Gärten und ihre Heimatorte zurücklassen und ins ferne, unbekannte Sibirien abreisen mussten. Nachdem die Deutschen im Dezember 1941nahe Moskau eine Niederlage erlitten hatten, hofften die Faschisten nun über die Wolga zu gelangen und den Kaukasus einzunehmen, indem sie den zentralen Teil Russlands von der Ukraine, den landwirtschaftlichen Gebieten an der Wolga und dem kaspischen Erdöl abschnitten, um das Land auszuhungern und ihm die Öl- und Kohlezufuhr unmöglich zu machen. Aus diesem Grund griff die sowjetische Regierung zu einer äußersten Zwangsmaßnahme – der Deportation der Wolgadeutschen. In die Rote Armee wurden die Wolgadeutschen nicht aufgenommen, aber viele von ihnen, die gesündesten und jüngsten, wurden in die „Arbeitsarmee“ geholt, das heißt sie arbeiteten unter Wachbegleitung in Schächten, Fabriken oder bei der Eisenbahn. Die Evakuierung der Bevölkerung ging sehr schnell vonstatten, sie begann bereits im September 1941 und dauerte bis zum Frühjahr 1942. Erika Jakowlewna Damer (Saidensal) berichtete, dass sie in der Hauptstadt der Wolgadeutschen Republik gelebt hätten, in der Stadt Engels. Im September 1941 holten sie alle Stadtbewohner zusammen und erklärten, dass man sie ausweisen würde. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden sollten sie abfahrtbereit sein; sie durften lediglich die allernötigsten Sachen an Kleidung und Bettwäsche (in Koffern und Säcken) mitnehmen. Dann wurden sie mit der gesamten Familie auf Güter-Waggons verladen, wobei für jeden nur etwa ein halber Meter Platz zur Verfügung stand. Es war ihnen gestattet, unter der Aufsicht von Wachpersonal den Zug zu verlassen, um ihre Notdurft zu verrichten, allerdings nur für kurze Zeit und in entlegenen, unbewohnten Gegenden. In den Dörfern wurden die von den Deutschen verlassenen Häuser von Flüchtlingen aus Zentral-Russland besetzt und zu Brennholz zersägt. In der Region Krasnojarsk wurden die Deutschen hauptsächlich in den nördlichen Bezirken angesiedelt, aber auch in Gegenden, in denen sich Häftlingslager befanden. Alle Deutschen lebten dicht gedrängt beieinander, was ihnen dabei half, die Schwierigkeiten der neuen Lebensbedingungen zu meistern.

3. Ein Mensch, der die Herausforderungen des Schicksals mit Würde trägt (Alexander Davidowitsch Root)

Alexander Davidowitsch Root – ein Mensch, der in seinem Leben viel ertragen hat. Sein Sohn, Viktor Alexandrowitsch Root, erzählte mir, was für ein schweres Leben sein Vater hatte. Er wurde 1914 in der Ortschaft Grimm, im Gebiet Saratow, geboren. Seine Vorfahren wurden im 18. Jahrhundert nach Russland gebracht, zu der Zeit Katharinas II. Der Großvater, David Davidowitsch, arbeitete in seinem Dorf als Schmied. Die Familie bestand aus sechs Personen, von denen niemand arbeitete; der Großvater ernährte sie alle ganz allein. Er arbeitete bis zu 18 Stunden täglich; er war in einer sehr guten körperlichen Verfassung. In der Umgebung gab es russische Siedlungen. Der Großvater führte bei allen Einwohnern sämtliche Reparaturen durch, und die Menschen gaben ihm aus Dankbarkeit Äpfel, Kartoffeln oder andere Lebensmittel, die ihnen zur Verfügung standen. Sie führten kein schlechtes Leben und hatten gerade ihr Haus errichtet, als der Krieg ausbrach. Der Vater berichtete, dass er vom Kriegsausbruch erfuhr, als er den letzten Nagel in den Dachfirst des Hauses einschlug. Die Großmutter war ebenfalls Deutsche. Alexander (der Vater von W.A. Root) war das zweite Kind, insgesamt gab es in der Familie 6 Kinder: Karl, Alexander, David, Jakob, Maria und Berta. 1937 wurde der Großvater, David Davidowitsch, aus unbekannten Gründen verhaftet, und die Familie erhielt auch keine weitere Nachricht. Von nun an ernährten die Kinder die Familie. Der älteste Sohn, Karl, war ebenfalls Schmied. Alexander Davidowitsch heiratete 1939. Im September 1941 steckte man sie, ebenso wie alle anderen Wolgadeutschen, in „Kälber-Waggons“ und transportierte sie ab gen Osten. In der „Archiv-Bescheinigung ¹144“ vom 1. Februar 1943 heißt es: «Der aus der Ortschaft Grimm, Kanton Kamenka, ASSR der Wolgadeutschen, Gebürtige traf am 5. Januar 1942 in der Einrichtung Ó-235-663810 Nischnaja Poima, Nischneingaschsker Bezirk, ein. Er befand sich in der Einrichtung Y-235 von Mai 1942 bis November 1946 bei der „Arbeitsarmee“ im Einsatz“. (Anlage 3) Onkel Karl war 9 Jahre alt (geb. 1912). Karl, der älteste, und die Brüder David und Jakob kamen ebenfalls nach Nischnaja Poina. Als sie die Deutschen in den Osten brachten, gaben sie ihnen drei Tage nichts zu essen, dann ließen sie den Zug auf ein Abstellgleis fahren, hielten und teilten eine Menge Essen aus. Wer nun zu viel aß - starb. Offensichtlich wurde das so gehandhabt, um die Schwachen und Willenlosen auszusortieren – denn vor ihnen lagen noch große Herausforderungen in der Arbeitsarmee, die auf ein Überleben unter extremen Bedingungen ausgerichtet war. Der Vater erzählte, dass sie, als sie bei der Ankunft in Reschoty Aufstellung nehmen mussten, russische Frauen herankamen, um sich die Deutschen ganz genau anzusehen, von denen man ihnen berichtet hatte, dass bei ihnen Hörner wuchsen. Aber vor ihnen standen ganz gewöhnliche junge Männer von etwa 40 Jahren. Als sie in Baracken lebten, war wässrige Suppe ihre einzige Nahrung. Und wer die Holzsägenorm nicht erfüllte, bekam nichts zu essen, brach irgendwann zusammen und starb. Und dann beerdigten sie ihn in einer Gemeinschaftsgrube und schütteten das Loch mit Erde zu. Und wer vor lauter Schwäche nicht arbeiten konnte, schaffte natürlich die Norm nicht. Es entstand ein geschlossener Kreis. Unter diesen Bedingungen protestierten die Verbannten nicht, denn sie wussten – es herrschte Krieg. Einmal in 10 Tagen konnten sie sich im Badehaus waschen, die Kleidung wurde in einem Dampfkessel gegen Läuse desinfiziert. Jeder Verbannte musste eine Haufen Brennholz 5 km weit durch Schnee und Frost zur Baracke schleppen, um diese zu beheizen. Auf dem Wachturm befand sich eine Glocke, mit der der Diensthabende das Signal „alles ruhig“ ertönen ließ. Die Häftlinge sagten, dass bei uns die Glocke „alles ruhig“ erklingt, während zur selben Zeit an der Front die Soldaten in ihren Schützengräben voller Wasser hocken oder in den Kampf ziehen. Viktor Alexandrowitschs Vater sprach sehr schlecht Russisch. Den Großvater mütterlicherseits holten sie auch vor dem Krieg ab. Der Mädchenname von Viktors Mutter lautete Margarita Fjodorowna Scheffer, geboren 1930. Sie wurde 1942 mit ihren vier Kindern aus Leningrad deportiert. Man erlaubte ihnen lediglich etwas Handgepäck mitzunehmen. Sie wurden sofort in den Abansker Bezirk gebracht. Margarita Fjodorownas leibliche Schwester hieß Theresa Fjodorowna Litus (Sorokoumowa). Theresa Fjodorowna arbeitete als Aufseherin in der Abteilung für die Versorgung von Arbeitern, und Oma Marina begab sich nach Norilsk, um dort zu leben. Die Siedlungen, in denen sie bis zum Krieg wohnten, wurden von den Deutschen nicht eingenommen.

1946 entließen sie Alexander Davidowitsch in freie Ansiedlung. Die Großmutter und ihre 3-4 Jahre alte Tochter (ihr Name ist nicht bekannt) wurden in den Hohen Norden, nach Igarka, deportiert. Die Schwestern des Vaters, Berta und Maria, gerieten nach Kirgisien. Der Vater wurde in die Ortschaft Ustjug im Jemeljansker Bezirk verschleppt, Jakob geriet nach Usbekistan., Áåðòà in den Ural, in die Stadt Woltschansk. Das Gemeinsame in den Schicksalen von Alexander Davidowitsch Root und seinen beiden Vettern Damer und Altergott, war, dass sie zu den Wolgadeutschen gehörten, aber während der Deportation gerieten sie in verschiedene Aufenthaltsorte.

4. Die Vetter Rudolf Davidowitsch Altergott und Viktor Alexandrowitsch Damer in Sibirien

Rudolf Davidowitsch Altergott wurde in einer Kolchosarbeiter-Familie im Gebiet Saratow geboren, also ebenfalls im Wolgagebiet, in der Ortschaft Schwedt. Der Vater, David Davidowitsch Altergott, arbeitete in einer Fischkolchose an der Wolga. Dort fing man vorwiegend Stör und Sterlet. Rudolfs Mutter hieß Emilia Fjodorowna Altergott. Beide Eltern waren Deutsche. Im Dorf gab es auch 6 Brigaden, die sich mit Feldwirtschaft befassten. Emilia Fjodorowna arbeitete im Garten, wo sie Äpfel, Wassermelonen und Weintrauben zogen. Sie besaßen auch einen eigenen Garten, in dem Wassermelonen, Äpfel und Honigmelonen wuchsen. Anfangs lebten sie separat - 12 Familien. Es gab 6 Kühe, ein eigenes Pferd und sehr fette Schweine. In der Familie waren 5 Kinder auf, aber sie sind alle schon tot. Viktor starb, weil er Eis gegessen und sich daraufhin den Hals stark verkühlt hatte. Arthur starb, als er noch ganz klein war. Schwester Irma Davidowna starb vor fünf Jahren) und Ewald starb in Sibirien. Arthur war der letzte. Als sie im Garten, auf dem Vorwerk, wohnten, gingen sie im Dörfchen Rosenhain zur Schule; dort gab es eine Grundschule. Sie war groß, wurde von vielen Kindern besucht – alle Deutsche. Eine Stunde am Tag wurde russische Sprache unterrichtet. Die Lehrkräfte waren ebenfalls Deutsche. Sie lernten dort bis zur vierten Klasse. Sie waren wohlhabend, bekamen für eine Tagesarbeitseinheit jeweils 16 kg Korn; Brot buken sie selber. In den Geschäften gab es alles. Sie bauten auch ihr eigenes Haus. Es hatte 5 Zimmer, und in jedem stand ein Ziegelofen. Geheizt wurde mit Schilf, Riedgras, aber auch mit Kuhfladen und Pferdemist. Es gab nur wenige Bäume. 1937 wurde der Vater, David Davidowitsch, verhaftet – weswegen, wusste niemand. Der Vater sprach gut Russisch und verstand alles. Aus dem Gefängnis schrieb er ein Gesuch und erwirkte seine Freilassung. Er saß nur 1 Jahr und 8 Monate ein. Am 22. Juni 1941 teilte man der Familie mit, dass sie ihre Sachen packen und das notwendigste mitnehmen sollten. Alle Dorfbewohner wurden in Waggons verfrachtet, und dann transportierte man sie nach Sibirien ab. Sie hatten sich mit Lebensmitteln für einen Monat bevorratet. Die Waggons waren vollgestopft mit Menschen. Bewacht wurden sie von Soldaten. Sie fuhren nur nachts, mit hoher Geschwindigkeit. Aus Sibirien holten sie den Vater in die Arbeitsarmee im Gebiet Kirow. Die Familie brachten sie in die Region Krasnojarsk, ins Dorf Ust-Kemtschug, im Bezirk Biriljussy. Am 4. November 1941 kamen sie an und erhielten leere Wohnungen. Das ist in der Nähe von Tschulym. In Ust-Kemtschug gab es 22 Häuser. Hier befand sich die „Fischer“-Kolchose. David Davidowitsch erzählte: «Am 4. November 1941 wurde ich ebenfalls in die Arbeitsarmee geholt (es gibt 5 Auszeichnungen). Sie hoben Gruben für Erdöl aus und gossen es dort hinein. Sie lebten in Erdhütten. Die Frauen errichteten Baracken aus dünnen Brettern, im Winter war es dort schrecklich kalt. In den Erdhütten schliefen sie auf Stroh, wie Ferkel. Eine Schule gab es nicht. Ich lernte selbständig die russische Sprache. Wir arbeiteten von 6 Uhr morgens bis 9 Uhr abends. In den Baracken lebten nur Männer, die Frauen waren separat untergebracht. Die Ernährung war völlig unzureichend, nichts als Suppe. Einmal wäre ich beinahe umgekommen: die Schubkarre, mit er wir Kartoffeln beförderten, kippte um. Ein Leiterwagen drückte mich zu Boden. Mein Vater, David Davidowitsch, starb in der Arbeitsarmee. Von 1941 bis 1945 schuftete ich in der Arbeitsarmee in der Stadt Buguruslan, wo strenge Fröste herrschten und viele Menschen erfroren. Wir be- und entluden Züge. 1946, als der Krieg schon zu Ende war, arbeitete ich weiter in Ust-Kemtschug – als Viehpfleger auf einer Farm. Man hat sich mir gegenüber immer gut verhalten. 1956 wurde ich in die Sowjet-Armee einberufen, doch ich leistete meinen Dienst nicht ab, sondern war dort nur registriert. ó÷åòå. In Kemtschug heiratete ich eine Russin, Praskowa Jermolajewna Schagoltschina. 1949 machte mein Großvater mich irgendwie ausfindig und ließ mich zu sich in die Ortschaft Ustjansk im Abansker Bezirk kommen. Man bestimmte, dass ich im Dorf Sagotskot leben sollte. Einmal im Monat mussten wir uns in der Kommandantur melden und dafür die 9 km von Sagotskot bis nach Ustjansk zu Fuß gehen. Das Vieh nahmen sie von der Bevölkerung, fütterten es und schickten es mit dem Zug nach Irkutsk, Kansk, Krasnojarsk in die dortigen Fleischkombinate. In der Siedlung Sagotskot wurden meiner Frau und mir fünf Kinder geboren. 1956 wurde die Kommandantur aufgelöst, ich zog nach Aban um, wo bereits mein Vetter Viktor Damer wohnte. 23 Jahre arbeitete ich gemeinsam mit ihm in der Tischlerei des Abansker Forstwirtschaftsbetriebs. Es verging kein Feiertag, an dem wir keine Prämie erhielten…“ (Anlage 4)

Viktor Alexandrowitsch Damer ist der Vetter mütterlicherseits von Rudolf Davidowitsch Altergott. Auch er hatte kein leichtes Schicksal, weil er im Krieg nicht nur selber abhanden kam, sondern auch seinen Vor- und Nachnamen verlor.

Seine Urgroßeltern, Großväter und Eltern stammen ebenfalls von der Wolga. Sie waren wohlhabend. Der Großvater besaß einen großen Garten und landwirtschaftliches Inventar. Sie waren Ackerbauern. Zur Aussaat und für die Erntezeit beschäftigten sie Saison-Arbeiter. Der Vater wurde 1933 als Großbauer enteignet, 1937, im April, erschossen sie ihn in Nowosibirsk als Volksfeind. Viktor wurde bereits in der Stadt Prokopjewsk, im Gebiet Kemerowo, geboren. Die Familie wusste nicht, dass man den Vater erschossen hatte. Sie wurde zusammengerufen und dann auseinandergerissen: die Mutter kam für 9 Jahre ins Gefängnis, die 5-jährige Schwester schickte man in ein Kinderheim im Ural, wo sie die Schule und später die pädagogische Fachschule absolvierte. Viktor war 2 Jahre alt, und ihn hatte man zur Einlieferung in ein Kinderheim in der Stadt Prokopjewsk bestimmt. Er blieb dort bis zu seinem 7. Lebensjahr und kam anschließend 12 Jahre lang in Kinderheimen in Kiselewsk im Gebiet Kemerowo, Stalinsk (Nowokusnezk) im Gebiet Kemerowo, Krasnojarsk, Kansk, Abakan unter. Die Kusine der Mutter arbeitete in Abakan als Ärztin und machte Viktor, zusammen mit der Mutter, die bereits aus dem Gefängnis entlassen worden war, ausfindig. Das war 1943.

5. «Wir überlebten und arbeiteten um des Sieges willen“ (Erika Saidensal - Damer)

Erika Jakowlewna wurde in der Stadt Engels, Gebiet Saratow, geboren. Ihre Eltern sind der Herkunft nach Deutsche. Nach deren Erzählungen ließen sich die Vorfahren an der Wolga au8fgrund eines Ukas Katharinas II nieder. Sie waren geschickte Handwerker, Erikas Großvater war Schuster und besaß eine eigene Werkstatt. Der Vater arbeitete in der Stadt Engels als Lagerleiter. (Anlage 5) Neben Erika Jakowlewna gab es noch weitere Kinder: Schwester Elvira und Bruder Alexander. 1941, Ende September, wurden alle Bewohner versammelt und man teilte ihnen mit, dass sie ausgewiesen würden. Innerhalb von vierundzwanzig Stunden sollten sie sich bereithalten und nur die allernotwendigsten Dinge, wie Kleidung, Bettwäsche zur Mitnahme einpacken (in Koffern und Säcken). Dann verlud man sie familienweise auf Güterwaggons, so dass schließlich jeder gerade einen halben Meter Platz hatte. Zuerst brachte man sie in den Bezirk Uschur. Bis 1942 lebten sie in dem Dorf Wasilewka (Kolchose «Namens Stalin»). Sie trafen noch im September ein und sammelten alles auf, was nach der Ernte auf den Feldern noch übriggeblieben war. „Um die Kinder zu retten, verkaufte die Mutter die besten der mitgebrachten Sachen, nähte und stickte, um sich bei den Leuten ein paar Lebensmittel zu verdienen“. Erika erinnert sich an die Großfamilie Sweschakow. Obwohl sie zehn Kinder hatte, gaben sie auch anderen immer etwas von dem ab, was sie hatten. Kartoffeln und Kohl erwiesen sich als sehr wohlschmeckend. Anfangs wohnten sie in Klubhaus, später in einem aus zwei Hälften bestehenden Haus. In jeder Hälfte waren etwa 5 Familien untergebracht. Vater und Onkel wurden zur Arbeitsarmee in den Westen geholt (in den Bezirk Kirow), und sie selber wurden in den Norden der Region Krasnojarsk verschickt, in den Bezirk Dudinka, Ortschaft Ananinsk. Sie hausten direkt im Pferdestall und schliefen auf zwischen den Boxen aufgestellten Pritschen. Die Mütter bauten selber Baracken aus dünnen Stangen, die sie mit Soden aus Gras und Erde ausstopften. Drinnen stellten sie Öfen aus Eisenfässern auf. Mit ihrer Hilfe kochten sie, in ihnen wuschen und wärmten sie sich. Gelegentlich kam es vor, dass durch diese Räume zwischen den Wänden der Wind hindurchblies und die Menschen mit Schnee zugeweht wurden. Die Fenster befanden sich oben. Wenn jemand starb, grub man ihn im Winter in den Schnee ein, holte ihn im Sommer wieder hervor, beerdigte ihn und bedeckte das Grab mit Moos. Die Menschen ernährten sich vorwiegend von Fischen, Vögeln; außerdem bekamen sie etwas Mehl und Graupen. Im Sommer 1943 mussten sie auf ein Schiff, welches sie den Jenissei flussabwärts brachte – zum Fluss Chatanga. Sie kamen an einen Ort, an dem es keine einzige Behausung gab, nur Wald und Berge (wunderschöne Natur); der Fluss rettete sie, denn darin fanden sich eine Vielzahl verschiedener Fischarten, und im Wald gab es jede Menge wilde Tiere und Vögel. Sie gründeten die Faktorei „Schdanicha“ (Zufluss zur Chatanga; Anm. d. Übers.) und die Kolchose „Morgenröte“. Unweit, in den Wäldern der Tundra, lebten Nenzen, Dolganen, Nganasanen, die Rentierzucht betrieben. Zu ihnen wurden Russen zum Arbeiten geschickt: eine Lehrerin, ein Verkäufer und ein Bevollmächtigter. Zur Faktorei zählten 103 Personen, mit Ausnahme von Nenzen. Es gab dort Letten und Esten. Zuerst bauten sie Baracken und eine Bäckerei. Brot buken sie mit amerikanischem Mehl, und überhaupt bestand die ganze Versorgung aus amerikanischen Produkten (Graupen, Fett, getrocknetes Gemüse, Kondensmilch, Fisch- und Fleischkonserven). Es gab ein Bezugsmarken-System und eine Fischfang-Kolchose. Den Fischern gab man Kupons (Gutscheine), mit denen sie einkaufen konnten. Erika Jakowlewnas Mutter war Bäckerin, die Tante Vorsitzende der Kolchose und Bruder Alexander – Brigadier in der Jugend-Komsomolzen-Brigade (Anlage 6). Erika absolvierte hier vier Schulklassen. Sie berichtete, dass in diesen grausamen Lebensbedingungen Gebete sie retteten, in denen sie darum baten, dass die Sowjet-Armee den Sieg über die Faschisten erlangen möge. Alle glaubten an Gott und unterstützten sich gegenseitig. Unter diesen unvorstellbar schweren Bedingungen der nördlichen Klimazone, in der sie keinerlei geeignete Kleidung und Schuhwerk besaßen, schafften sie es zu überleben. Viele Male kam es damals vor, dass Fischer Erfrierungen erlitten, aber es gab keinen einzigen Fall, dass jemand deswegen starb oder während des Fischfangs, während des Eisgangs, ertrank.
1933 traf der Vater aufgrund seines Gesundheitszustands aus der Arbeitsarmee im Dorf Wasiljewka, Bezirk Uschur, ein, wo sich die Familie Saidensal ursprünglich, vor der Verschickung in den Norden, aufgehalten hatte. Er wurde von der Familie Sweschakow gerettet; er arbeitete als Schuster und bekam dafür Lebensmittel; er heiratete eine russische Frau, denn er wusste nicht, wo seine Familie sich inzwischen befand.

6. Das Leben der deportierten Deutschen während der Verbannung in Aban

Das Leben der deportierten Familie gestaltete sich auf unterschiedliche Weise. Doch insgesamt gesehen zogen sie alle in die Siedlung Aban, die für die Wolgadeutschen zur neuen Heimat wurde. Während der Zeit der freien Ansiedlung brachte man sie in den Ortschaften unter, die sich in er Nähe der Kommandantur befanden: in Aban und in Beresowka (und genau daher kommen in Beresowka die vielen deutschen Nachnamen). Anfänglich sollten sie sich bis 1953 zweimal monatlich in der Kommandantur melden und in ein besonderes Journal eintragen lassen, ab 1953 dann einmal im Monat und schließlich wurden sie 1956 rehabilitiert. In diesem Jahr wurden die Kommandanturen aufgelöst. Bis 1956 befanden sich die Deportierten in Sondersiedlungen. Ein bedeutender Teil der Umsiedler blieb auch in Sibirien, Kasachstan, im Gebiet Omsk, im Altai-Gebiet und im Ural.

1946 wurde Alexander Davidowitsch Root zur freien Ansiedlung von Reschoty nach Aban geschickt. Bis 1956 musste er aber, wie alle anderen Verbannten auch, regelmäßig zur Kommandantur gehen, um sich dort zu melden. Viktor Alexandrowitsch Root berichtete folgendes über diesen Zeitraum im Leben von Alexander Davidowitsch: «In der Arbeitsarmee erlernte Vater das Friseurhandwerk. Dort schnitt er, nach dem Waschen im Badehaus, pro Tag dreihundert Menschen die Haare, auch den Lagerleitern. Vater machte gute Haarschnitte in Aban und schärfte auch die gefährlichen Rasiermesser. Er verfügte über eine große Autorität. Vater prügelte sich nie, aber einmal stieß er Krechalew (den Abaner Kommandanten) von der Vortreppe, weil der im Vorhaltungen machte, dass er ein Verbannter sei und sich in der Kommandantur melden müsse. Damit hatte Krechalew den Vater an etwas erinnert, was für ihn einen wunden Punkt bedeutete. Aber die Wolgadeutschen traf vor ihrem Heimatland überhaupt keine Schuld. Diese Leute waren keine Verräter, sie waren lediglich aufgrund der herrschenden Umstände vertrieben worden, die der Krieg verursacht hatte. I.A. Krechalew entschuldigte sich später vor dem Vater. Vater arbeitete 28 Jahre als Friseur, anschließend wurde er Fotograf. 1952 heiratete er Margarita Fjodorowna Scheffer, die aus dem unter Blockade stehenden Leningrad deportiert worden war. Aus dem Fotohandwerk ging er in Rente. Zuerst hatte Alexander Davidowitsch eine Russin geheiratet, aber die beiden vertrugen sich nicht, weil sie ihn einen „nicht besiegten Faschisten“ nannte. 1946 wurde Sohn Alexander geboren, mein Bruder. Nach Deutschland reisten Margarita Fjodorowna, meine Mutter und die Schwester aus. Der Vater starb hier 1984». Trotz aller Erschwernisse, Leiden, Hindernisse und Kränkungen, die er durchmachen musste, verlor Alexander Davidowitsch Root seine menschlichen Eigenschaften nicht; er wurde in Aban wegen seines Professionalismus und seiner Menschlichkeit geachtet, und er war ein guter Familienmensch. Seine Kinder aus erster und zweiter Ehe haben auch weiterhin Kontakt miteinander. Die Brüder Rudolf Davidowitsch Altergott und Viktor Alexandrowitsch Damer gerieten auf unterschiedliche Weise in die Siedlung Aban.

Rudolf Davidowitsch traf 1956 ein, denn die Kommandantur wurde aufgelöst, und man erlaubte allen, nach Aban umzuziehen. Seine Kinder wurden in der Siedlung „Sagotskot“ geboren: Vladimir (1947), Viktor, Lidia (1952), Arina (1956). Seine Ehefrau starb in Aban. Aber später heiratete er noch einmal, und danach wurde Tochter Nina geboren. 23 Jahre war er in der Abaner Waldwirtschaft tätig, gemeinsam mit seinem Vetter Viktor 7 Jahre in der Tischlerei. Es verging kein Feiertag, an dem Rudolf nicht irgendeine Prämie erhielt. Rudolf Davidowitsch ist im Besitz einer Medaille „Veteran der Arbeit“ sowie einer Jubiläumsmedaille „Zum 100. Jahrestag der Geburt W.I. Lenins“. Die vier Enkel und acht Urenkel sind alle irgendwohin abgefahren. Lidia lebte in Krasnojarsk, sie kam bei einem Autounfall ums Leben. Es gab drei Kinder. Albina hatte zwei Söhne, Arina einen Sohn.

Nachdem die Autonome Republik der Wolgadeutschen 1941 aufgelöst worden war, wurde es auch nicht wieder erlaubt sie wiederherzustellen, so dass Deutschland die vorgeschichtliche Heimat der Wolgadeutschen darstellt, aber für ihre Kinder und Enkelkinder – Sibirien.

Rudolf Davidowitsch ist kein einziges Mal in seine Heimat Deutschland gereist. 1943, als Viktor Alexandrowitsch Damer 14 Jahre alt war, fuhr er selbständig mit dem Zug zu seiner Mutter nach Aban. Seine Mutter lebte hier bei ihrem Vater David Karlowitsch Altergott. Sie wohnten unmittelbar neben dem forstwirtschaftlichen Betrieb, zu dem auch ein Industrie-Kombinat gehörte. Im Kinderheim hatte Viktor einen anderen Nachnamen, einen anderen Vatersnamen und auch ein anderes Geburtsjahr. Sofort ging er zum Großvater in die Tischlerei, ins Industrie-Kombinat, um dort zu arbeiten. Es gab kein elektrisches Licht. Die Baumstämme wurden per Hand der Länge nach zersägt. Es gab auch keine Gattersägen. Die Stämme wurden mit Pferden herangeschafft. Einer, der solche Stämme zersägen konnte, war Iwan Iwanowitsch Dolschenko. Sie stellten Möbel für Privathäuser her, Schränke, Betten, Nachttischchen, Stühle, Schemel, Polstermöbel, Rahmen, Türen. Die Meister kamen alle aus den Reihen der Verbannten: Josef Franziewitsch Daschkewitz (aus Taganrog), Viktor Wassilewitsch Grigorew (aus Leningrad). In der Tischlerei waren 10 Männer tätig – Ukrainer, Baschkiren, Juden, Deutsche – allesamt Verbannte. Es gab auch einen verbannten Bulgaren – Todor Todorowitsch. Er beschäftigte sich mit Schlitten und Leiterwagen (er liegt in Aban begraben). Die Böttcher-Werkstatt stellte Fässer her. Der Leiter des Industrie-Kombinats gehörte ebenfalls zu den Verbannten - Rafael Semjonowitsch, er war jüdischer Nationalität. Es gab einen Dieselmotor, der elektrischen Strom produzierte. Das Licht brannte bis 12 Uhr nachts. In Aban, auf dem Basar, befand sich ein Töpferladen, in dem Tongeschirrã verkauft wurde, das von der Genossenschaft „Rote Fahne“ gefertigt wurde. Neben dem Industrie-Kombinat war die Genossenschaft „Junger Handwerker“ in Betrieb; dort wurde Leder gegerbt und Schuhwerk genäht sowie Filzstiefel gewalzt. 1960 wurde das Industrie-Kombinat in Abansker Waldwirtschaft umbenannt, das bereits über eine Sägemühle und eine Stückgut-Halle verfügte. Eine Gardinen-Werkstatt gab es bereits in den 1950er Jahren. Dort gab es 26 Werkbänke, 52 Weberinnen arbeiteten in 2 Schichten gearbeitet, und insgesamt waren dort 100 Personen tätig. Die Werkbänke zur Herstellung von Vorhängen aus Holzstrohhalmen hatten sich Viktor Damer und Erikas Bruder Alexander Saidensal ausgedacht. Sie statteten die herkömmlichen Webvorrichtungen zum Arbeiten nicht mit Fäden aus, sondern mit Holzstrohhalmen. Diese Vorhänge, die von den Weberinnen der Abansker Waldwirtschaft hergestellt wurden, bemalt mit Motiven aus der Taiga, wurden nicht nur an die Einwohner des Abansker Bezirks verkauft, sondern auch in die südlichen Städte und Republiken der Sojetunion versandt. Das Haus, in dem Viktor Alexandrowitsch wohnt, ist das allererste, welches für ihre Arbeiter gebaut wurde (Jubileinaja-Straße, Solnetschnaja-Straße und Mir-Straße), ebenso das Zweizimmer-Haus neben der Tierklinik. In all diesen Häusern fertigte die Tischlerei-Werkstatt Rahmen, Türen, Fensterläden und gediegene Möbel. In der Wohnung der Damers sind alle Möbel mit den Händen von Viktor Alexandrowitsch hergestellt worden, und sie büßen weder ihr Aussehen, noch ihre Stabilität ein – egal, welche Bedingungen herrschen. Brigadiere i der Waldwirtschaft waren Boris Nikolajewitsch Markewitsch (ein Verbannter) und Gawriil Timofejewitsch Popow. Viktor Alexandrowitsch fertigte die Türen beim Dorfrat an. Er stellte auch auf Bestellung Möbel für Privatleute her. Viktor Alexandrowitsch erlernte 1959 zwei Monate lang das Tischler- und Fräser-Handwerk am Rostower Institut für lokale Industrie. Die Note „hervorragend“ erhielt er im technischen Zeichen und in Betriebspraxis. Anfang der 1970er Jahre absolvierte er Kurse für eine höhere Qualifizierung in der Stadt Riga in Lettland. Direktor des Forstwirtschaftsbetriebs war Wassilij Nikolajewitsch Turow. In diesen Jahren fuhr er gemeinsam mit Turow und dem Traktorfahrer Aleksander Mytko nach Petrosawodsk in der Karelischen SSR zu einem Treffen der Bestarbeiter. Viktor war 48 Jahre in der Waldwirtschaft tätig; er wurde am 7. August 1997 im Zuge der Liquidierung des Unternehmens entlassen. (Anhang 7)

Erika Jakowlewna Saidensal zog ebenfalls 1948 von der Faktorei «Schdanicha» zu ihrer Großmutter in die Siedlung Aban. Zuerst ging sie in Aban zur Schule, nach dem Tode der Mutter begab sie sich nach Wassiljewka im Bezirk Uschur. Dort wohnte sie mit ihrer Stiefmutter und beendete die 7. Klasse. 1954 kam ihre Schwester Elvira aus Saosernoje, um sie abzuholen. Sie arbeitete in einer Glimmerfabrik (Rüstungsindustrie). Und von dort holte der ältere Bruder Elvira erneut nach Aban. Hier begegnete sie Viktor Damer; die beiden heirateten. Von 1955 bis 1965 arbeitete sie als Zuschneiderin für Vorhänge im Abaner Forst-wirtschafts-Betrieb, anschließend als Näherin im Haus des alltäglichen Lebens. Erika Jakowlena ist gläubig und meint, dass die Gebete der Mutter ihnen beim Überleben im Hohen Norden halfen. Im Norden gab es ein Gebetshaus, in dem alle für den Sieg beteten, damit sie irgendwann nach Hause zurückkehren konnten. Erika erinnert sich, dass sie, die Kinder, beim Einsalzen der Fische halfen und zu diesem Zweck mit der Hand das Salz herausmeißelten. Am 5. März 1953 kam ein Komsomolzen-Aktivist zu ihnen und sagte, dass sie mit einer Schweigeminute den Tod Stalins ehren sollten. Erika Jakowlewna berichtet, dass sie sich nicht mehr erinnern kann, ob irgendjemand sich darüber freute. Sie mag es nicht, wenn jemand schlechtes über Stalin spricht, unter seiner Regierung wurde der Krieg gewonnen. 1991 beendete Erika Jakowlewna ihre Tätigkeit im Haus des alltäglichen Lebens und ging in Rente. Sie ist im Besitz das Abzeichen „Arbeitsveteranin“. Zusammen mit einer Vielzahl von Auszeichnungen sind Viktor Alexandrowitsch und Erika Jakowlewna auch namentlich im Ehrenbuch der Abaner Forstwirtschaft erwähnt. Die beiden haben zwei Kinder. Lilja (geb. 1956) arbeitete viele Jahre als Bibliothekarin in Aban, Alexander (geb. 1963) ist als Zahnarzt tätig.

Erikas Tanta – Frieda Iwanowna, war im Norden Kolchos-Vorsitzende und arbeite später in Aban als Köchin in einem Restaurant. Jetzt lebt sie in Deutschland. Ihr Bruder, Viktor Iwanowitsch Faber, leitete den Bau eines Restaurants, einer Koch-Fachschule und einer Brotfabrik und wurde später Direktor dieser drei Einrichtungen. Man beschuldigte ihn, dass er eine Vielzahl von Posten innehatte; daraufhin gab er alles auf und fuhr nach Riga, die Hauptstadt Lettlands. Er stammte ebenfalls aus den Reihen der Verbannten. Zum damaligen Zeitpunkt war er 44 Jahre alt.

7. Die Deutschen Millers – zweimal deportiert

In meiner Schule gibt es zwei Lehrerinnen mit deutschen Nachnamen: Nadeschda Jakowlewna Miller und Maria Jakowlewna Miller. Ihre Mutter Alina Eduardowna Lelaus (Miller) war als Lehrerin und Direktorin an der Schule N° 1 in Aban tätig. Inzwischen ist sie in Rente. Ich wollte von den Schwestern etwas über deren Vorfahren in Erfahrung bringen, die offensichtlich zweimal deportiert wurden. Die Großmutter, Jewdokia Leontjewna Jakowlewa wurde zu Beginn des Großen Vaterländischen Krieges zusammen mit der Kirow-Fabrik von Leningrad nach Omsk evakuiert. Die Familie (reinrassige Deutsche) von Vladimir Christanowitsch Miller war Repressionen ausgesetzt und wurde zuerst in die Stadt Engels, und 1941 aus Engels nach Nord-Kasachstan deportiert, wo es eine deutsche Siedlung gab: Maria Jakowlewna erzählte vom Schicksal der Millers folgendes: „Die Mutter (Großmutter meines Vaters) arbeitete als Hebamme, der Großvater hieß Christian. Die beiden hatten zwei Söhne: der eine hieß Wladimir, der Vorname des zweiten ist nicht bekannt. Wladimir arbeitete als Tierarzt, er war mit einem Pferd unterwegs und behandelte die Pferde der Kasachen; er lebte mit seiner Familie im Gebiet Omsk, Asowsker Bezirk, Ortschaft Serebropole, wo er auch Jewdokia Leontewna kennenlernte, unsere Großmama Lusja. Die beiden bekamen drei Kinder: Sohn Jakob, geb. 1946 (ihr Vater), Tochter Nadjeschda 1949 und Sohn Wladimir (geb. 1951, 1952?). Im Jahre 1952 zog sich der Vater des Vaters, Wladimir, eine Erkältung zu und erkrankte an einer Lungenentzündung, die in eine Tuberkulose überging. (Er starb im Alter von etwa 28 Jahren). Bald darauf starb der jüngste Sohn Wladimir. Oma Lusja arbeitete als Melkerin, sie war Produktions-Bestarbeiterin. Schon in der Region Krasnojarsk lebend, zog sie allein zwei Kinder groß. Das war im Bezirk Ujar, Siedlung Roschtscha, wohin die Brüder, die aus Leningrad umgezogen waren, sie gebracht hatten. Tochter Nadja zog nach der Ausbildung nach Toljatti, arbeitete dort in der WAS-Fabrik, unser Papa lebte mit Mama bis 1979 in der Siedlung Roschtscha, war als Kinomechaniker, Gasarbeiter und Mähdrescherfahrer. 1979, bereits mit der Familie, zog Papa in die Siedklung Aban um und fand eine Arbeit als Mähdrescherfahrer in der Lenin-Kolchose, wo er viele Male Sieger bei sozialen Wettbewerben wurde. Von Pionieren der Abansker Mittelschule N° 1 wurde ihm ein Mähdrescher „Abansker Pionier“ übergeben, der in der Krasnojarsker Mähdrescherfabrik aus Metallschrott produziert worden war, den die Pionierorganisation der Schule gesammelt hatte. (Anhangå 8) Papa arbeitete bis zur Rente in der Kolchose; er begeisterte sich in seiner Freizeit für die Jagd. Papa starb 2010 im Alter von 63 Jahren“.

III. Schlussbemerkung
Die Deutschen in Aban und ihre Nachfahren in unserer Zeit

Anhand der Beispiele der Schicksale der Damers und Roots kann man sich davon überzeugen, dass die deportierten Deutschen einen großen Beitrag zur Entwicklung des Abansker Bezirks leisteten, und ihre Nachfahren tun dies auch heute noch. In der Ortschaft Beresowka ist „Viktoria“ der größte landwirtschaftliche Betrieb unter der Leitung des Farmers Michail Michailowitsch Stein, dessen Vorfahren ebenfalls von der Wolga stammten. Das Unternehmen backt das schmackhafteste Brot im gesamten Abansker Bezirk. Außerdem verfügt das Getreide, das auf M.M. Steins Feldern angebaut wird, über einen hohen Gluten-Anteil und erfreut sich einer großen Nachfrage bei den Bauern im Bezirk. Zudem ist im Dorf Matschino eine Molkerei in Betrieb, die ebenfalls von M.M. Stein organisiert wurde. Die Töchter von Jakob Wladimirowitsch Miller, Nadeschda Jakowlewna und Maria Jakowlewna arbeiten in der Schule - Nadeschda Jakowlewna als Chemielehrerin, Maria Jakowlewna als Schulpsychologin. Und ihre Mutter, Alina Eduardowna Miller, war viele Jahre als Chemielehrerin und Direktorin der Abansker Mittelschule N° 1 tätig.

Noch vor dem Krieg gab es in Aban ein Theater, aber keine guten Spezialisten. Ausgerechnet Verbannte waren es, die dem Ganzen schließlich eine professionelle Richtung verliehen: Tonuntermalung bei inszeniertem Schneesturm (das Geräusch verursachten sie mit Hilfe von Rohren; dazu warfen sie Papierschnitzel, die den Schnee imitierten). Sie bauten eine Treppe zur zweiten Etage, so dass sogar der Hund des Wächters, in dem Glauben es handle sich um einen echten Aufgang, die Wand dabei einritzte. Sie schufen ein Bühnenbild, mit dem es so aussah, als ob ein Kahn vorbeifahren würde. Sie brachten den Gesang ans Puschkin-Theater in Krasnojarsk, um ihn dort für Radiosendungen aufzuzeichnen; später schickte man Geld an alle, unter anderem auch die Verbannten.

Alexander Davidowitsch Root war ein guter Friseur, sein Sohn Viktor Alexandrowitsch ist ein bekannter Unternehmer. Er besitzt ein Geschäft, eines der wichtigsten in Aban. Außerdem hat er in seinem Laden den „Billard-Tisch“ eröffnet und unlängst auch im Kinotheat er „Avantgarde“ – das war Ende November 2016. Das ist ein für unsere Siedlung äußerst ungewöhnliches, aber bedeutsames Ereignis. Bei der Begegnung mit ihm hat er mir eine Menge über diese Sportart erzählt. „Leider wissen die meisten jungen Leute nichts über Billard“ – meinte Viktor Alexandrowitsch besorgt. (Anhang 9) Viktor Alexandrowitsch Root führte die Sache seines Vaters fort und beherrscht das Fotografieren in seiner ganzen Vollendung, darin findet er im gesamten Abaner Bezirk keine Konkurrenz. Es gibt keine Hochzeit, keinen Geburtstag, keine Schulabgangsfeier, die ohne ihn auskommen. Viktor Alexandrowitsch will nur das Beste für unseren Bezirk, und er tut mit allen Kräften alles, damit unsere Siedlung aufblüht.
Viktor Alexandrowitsch Damer erzählte in seinem Gespräch mit mir von seiner Reise nach Deutschland und brachte seine Meinung zum Ausdruck, dass er dort ein Fremder wäre. Er zeigte mir seinen Reisepass, mit dem er innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nach Deutschland reisen kann, wenigstens einmal pro Jahr. Aber er hat nicht mehr den Wunsch, dorthin zu reisen. Erika Jakowlewna hegte, trotz all ihrer berühmten, in Deutschland lebenden, Verwandten nicht ein einziges Mal den Wunsch, in die Heimat ihrer historischen Vorfahren zu reisen, auch ihre Kinder sind nie dort gewesen.

Die deportierten Deutschen halten inzwischen Sibirien für ihre Heimat, darunter auch den Abaner Bezirk. In den neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts reisten Viktor Alexandrowitsch Roots Mutter, seine Schwester und Neffen nach Deutschland aus, und das wollte er ursprünglich auch. Als in der Stadt Nowosibirsk das Bewerbungsgespräch dafür stattfand, stellte sich heraus, dass er zu schlecht Deutsch sprach und deswegen nicht nach Deutschland ausreisen und dort leben konnte. Zusammen mit seiner Tochter Tatjana reiste er nur einmal zu einem kurzen Besuch dorthin. Und, nach Viktor Alexandrowitschs Worten, wollte er eigentlich auch nie dort leben. Wie er sagte, „gibt es dort genügend Fotografen wie ich“. Bis heute verbessern ihre Kinder auch weiterhin unsere Siedlung so gut sie können. Sie alle sind herausragende und gebildete Menschen. Und sie blieben in der Siedlung Aban.

Während des Besuches beim Privatunternehmer Viktor Alexandrowitsch Root und im Laufe des Gesprächs mit ihm begriff ich, dass seine Mitarbeiter sich ihm gegenüber mit großem Respekt benehmen. Er genießt Autorität in der Öffentlichkeit der Siedlung Aban. Aus seinen Erzählungen verstand ich, dass er sich mit den Schicksalen der Wolgadeutschen, die in Aban lebten und deren Nachfahren immer noch hier wohnen, gut auskennt, und dass er bis heute den Kontakt mit ihnen nicht hat abreißen lassen. Sie interessieren sich für das Leben der anderen, feiern gemeinsam Feste, wissen, wie sich das Schicksal der Kinder und Enkel zusammengefügt hat, denn sie vergessen nicht, dass sie einmal eine gemeinsame historische Heimat besaßen.

Im Abaner Bezirksmilitärkommissariat arbeitete viele Jahre Major Ewald Reinholdowitsch Koller. Seine Mutter reiste in den neunziger Jahren nach Deutschland aus und lebt nun dort. Aber der Sohn heiratete hier, zwei Kinder wurden geboren; nach Deutschland fahren möchte er nicht, denn nach dem Eintritt in den Ruhestand sind ihm die Jagd und der Fischfang zum Hobby geworden. Er liebt die sibirische Taiga sehr und meint, dass kein Deutschland ihm so eine Ruhe und Erholung verschaffen kann.

Schlussfolgerungen

1. Beim Studium der Dokumente, Erinnerungen und gedruckten Quellen aus den persönlichen Archiven von Vertretern der in Aban lebenden Wolgadeutschen erfuhr ich, dass sie bis zum Beginn des Großen Vaterländischen Krieges im Wolgagebiet nicht in ärmlichen Verhältnissen, sondern recht wohlhabend lebten; sie besaßen Gärten, eine Hofwirtschaft, waren Handwerker.
2. Bei der Deportation nach Sibirien zu Beginn des Großen vaterländischen Krieges handelte es sich um eine Zwangsmaßnahme des Staates, und die Deutschen, die in den Kolonien lebten, arbeiteten in Kolchosen, in der Arbeitsarmee und leisteten ihren Beitrag zum Sieg über den Faschismus.
3. Trotz all der durchgemachten Erschwernisse bewahrten die Wolgadeutschen unter den rauesten und schwierigsten Bedingungen, in die sie gerieten, die besten menschlichen Eigenschaften: Fleiß, Freundlichkeit, Aufrichtigkeit, gegenseitige Hilfe. Sie waren nicht böse auf ihr Schicksal, sondern blieben für die Gemeinschaft menschlich und nützlich.
4. Die Familien der deutschen Deportierten Miller, Root, Damer und Altergott blieben nach dem Großen Vaterländischen Krieg im Abaner Bezirk und arbeiteten dort. Ihre Kinder und Enkel wahren auch weiterhin die besten Traditionen und die Kultur ihrer Nation.
Hiermit habe ich das Ziel meiner Forschungsarbeit erreicht.
Mich interessier aber auch noch das Schicksal von Menschen, die damals aus dem unter Blockade stehenden Leningrad deportiert wurden. Vielleicht wird das zum Thema meiner zukünftigen Forschungsarbeit.
IV. Liste der Quellenangaben
1. Große Russische Enzyklopädie: in 30 Bd. / Vorsitzender des wissenschaftl. Red.-Rats J.S. Ossipow. Verantwortl. Red. S.L. Krawez. Bd.8. Grigorew – Dynamika. –Moskau: Große Russische Enzyklopädie, 2007. – S 549-550.
2. A. Tschubykin. „Billard – das schöneund reizvolle Spiel“.- „Rotes Banner“ .-2016 – 8. Dezember
3. Erinnerungen von Erika Jakowlewna Damer (geb. 1936) und Viktor Alexandrowitsch (geb. 1935), - Siedlung Aban,
4. Erinnerung von Rudolf Davidowitsch Altergott (geb. 1926) – Siedlung Aban,
5. Erinnerungen von Viktor Alexandrowitsch Root an den Vater
6. Erinnerungen von Alina Eduardowna Miller (geb. 1947) – Siedlung Aban,
7. Erinnerungen von J.A. Makejewa (geb. 1925) – Siedlung Aban,
8. Internet

Anhang 1.
In den Ortschaften Beresowka und Aban leben Menschen mit deutschen Nachnamen: Stein, Luft, Schnaider, Bernd, Damer, Altergott, Miller u.a.

Anhang 2
Das Leben der Deutschen an der Wolga vor dem Großen Vaterländischen Krieg. Deportation nach Sibirien zu Beginn des Krieges

Anhang 3. Alexander Davidowitsch Root


Alexander Davisowitsch Root mit seinem Sohn Viktor Alexandrowitsch


Alexander Davidowitsch Root und Margarita Fjodorowna, Söhne Viktor und Alexander mit ihren Ehefrauen

Anhang 4.
Rudolf Davidowitsch Altergott

Anhang 5.
Erika Jakowlewna Saidensal. Großväter, Eltern. Das Leben an der Wolga

Anhang 6
Erika Saidensal. Deportation. Faktorei „Schdanicha“


Erikas Vater, Jakob Davidowitsch


Gefrorene Fische mit der Kolchos-Vorsitzenden Frieda Iwanowna


1943. Freundinnen in „Schdanicha“. Rechts hinten – Erika Saidensal

Anhang 7 Die Damers – Arbeiter der Abansker Forstwirtschaft


Viktor Alexandrowitsch und Erika Jakowlewna Damer. September 2016


Nastja Susenkowa und E.J. Damer. 26. Oktober 2016

Anhang 8. Die Millers


Wladimir Christianowitsch Miller


Jakob Wladimirowitsch Miller


Jakob Wladimirowitsch Miller mit dem Mähdrescher, einem Geschenk der Pioniere

Anhang9
Nachfahren der deportierten Deutschen

 


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