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Bis zum letzten Atemzug

A. G. Posdejew-Museum
Städtische Bildungseinrichtung
„Allgemeinbildende Oberschule N° 69“

Forschungsarbeit

Autorin: Jekaterina Tschernobylowa, Schülerin der Klasse 11b in der städtischen Bildungseinrichtung der „Allgemeinbildenden Oberschule N° 69“

Leitung: Tatjana Wladimirowna Waganowa, Lehrerin für Geschichte und Gemeinschaftskunde in der städtischen Bildungseinrichtung der „Allgemeinbildenden Oberschule N° 69“
Leiterin des A.G. Posdejew-Museums

Krasnojarsk 2010

Inhalt:

1. Einleitung
2. Kapitel I: Macht in jungen Jahren eine Persönlichkeit aus euch!
3. Kapitel II: Blätter der Trauer und des Zorns
4. Schlussbemerkung
5. Literaturangaben
6. Anlagen

1. Einleitung

Die Zeit schreitet voran, und jene tragischen Jahre des Großen Vaterländischen Krieges entfernen sich immer weiter von uns. Aber die Schicksale der Menschen, deren Jugend der Krieg versenkt hat, versetzen uns auch weiterhin in Aufregung.

Vor fünf Jahren erfuhr ich in unserem Schulmuseum zum ersten Mal etwas über Jewgenij Stepanowitsch Kobytew, und zwar von seinem Schüler Wladimir Gawrilowitsch Waganow. Die Geschichte des Künstlers und ehemaligen Gefangenen eines faschistischen Lagers hinterließ in mir einen tiefen Eindruck, und seitdem bin ich auch selber im Schulmuseum tätig, führe Exkursionen durch, erzähle aus dem Leben und Werk dieses Künstlers. In diesen Jahren sind zahlreiche neue Dokumente und Materialien zusammengekommen, die es ermöglichten, sie in einer Forschungsarbeit zusammenzufassen.

Seit einigen Jahren wird im F.G. Posdejew-Museum eine Projektarbeit zum Thema „Krasnojarsker Künstler, die am Großen Vaterländischen Krieg teilgenommen haben“. Die vorliegende Arbeit ist dem Gedenken an J.S. Kobytew gewidmet und stellt einen Teil des Projekts dar.

Ziel des Projekts – das Studium der Geschichte der Krasnojarsker Künstler-Vereinigung in den Jahren des Krieges sowie das Erforschen des Schaffens- und Lebenswegs von Krasnojarsker Künstlern, die am Großen Vaterländischen Krieg teilnahmen.

Über Buchenwald, Auschwitz, Dachau und andere riesige Todeslager sind Bücher, Artikel und Forschungsarbeiten geschrieben worden. Aber es hat so viele kleine Lager gegeben, darunter auch auf dem Territorium unseres Landes – Konzentrations-, Durchgangs- und Arbeitslager. In diesen Lagern wurden Hunderttausende Häftlinge gehalten. Unweit der Stadt Chorol befindet sich eines der schrecklichsten Denkmäler des Großen Vaterländischen Krieges – das Todeslager „Gulag N° 160“, welches im Volksmund die Bezeichnung „Chorolsker Grube“ erhielt. Durch dieses Lager gingen mehr als 80.000 Kriegsgefangene, viele blieben dort für immer und die Erinnerung an sie lebt in den Zeichnungen des Krasnojarsker Künstlers Jewgenij Stepanowitsch Kobytew weiter.

Leider beginnen die Krasnojarsker, den bemerkenswerten Künstler und sein Werk in Vergessenheit geraten zu lassen. In unserer Stadt gibt es nicht ein einziges Museum, in denen Kobytews Arbeiten im Rahmen einer Dauerausstellung vertreten wären. Sein Buch „Chorolsker Grube“, das im Jahre 1965 herauskam, wurde bis heute nicht neu aufgelegt.

Das Studium des Werkes von J.S. Kobytew sowie auch anderer Krasnojarsker Künstler wird im Heimatkunde-Unterricht als eine der regionalen Themen-Komponenten empfohlen. Viele Lehrer der Geschichte und der darstellenden Kunst sehen sich vor das Problem der Suche nach Materialien über den Künstler gestellt.

Als Quellen für die hier vorliegende Arbeit dienen Dokumente aus dem Familienarchiv des Künstlers, Erinnerungen seiner Tochter Wera Jewgenjewna, seiner Schüler W.G. Waganow, W. Kudrinskij, L. Iwanowa und anderen sowie auch Materialien aus dem Schulmuseum, welche uns von der Familie überlassen wurden.

Die Arbeit basiert auf den Erinnerungen Jewgenij Stepanowitsch Kobytews selbst, die in dem Buch „Die Chorolsker Grube“ beschrieben werden, des Weiteren auf Aufzeichnungen von Gesprächen mit der Redakteurin des Buches „Die Chorolsker Grube“ – Olga Aleksandrowna Chonina.

Aufgabenstellungen:
• Das Buch mit den Erinnerungen J.S. Kobytews „Die Chorolsker Grube“ eingehend zu studieren;
• Eine Begegnung mit der Tochter, Schülern des Künstlers und dem Redakteur des Buches zu arrangieren;
• Die über den Künstler gesammelten Materialien zusammenzufassen;
• Die künstlerischen Werke J.S. Kobytews analysieren, die den im Buch „Die Chorolsker Grube“ beschriebenen Ereignissen gewidmet sind;
• Eine Ausstellung über das Leben und Schaffen J.S. Kobytews organisieren;
• Auf Grundlage der vorliegenden Forschungsarbeit den Text für eine Exkursion zur Ausstellung zusammenzustellen.

2. Kapitel I: Macht in jungen Jahren eine Persönlichkeit aus euch!

Letztendlich wird die Erde
Verwittern, und der Staub
Fliegt mit dem Wind davon,
All ihre Menschen sterben.
Verschwinden spurlos,
Mit Ausnahme derer,
Die sich mit Kunst befassen.
Ernest Hemingway

In der Ausstellung unseres Museums (Anlage 1), die dem Leben du Werk J.S. Kobytews gewidmet ist, werden Besucher durch zwei Fotografien in Erstaunen versetzt, welche uns die Tochter des Künstlers, Wera Jewgenjewna, übergab. Auf dem einen steht in J.S. Kobytews Handschrift geschrieben: „So zog J. Kobytew 1941 an die Front“. Auf dem zweiten: „So kehrte er zurück“. (Anlage 2).

Auf dem ersten Foto sehen wir das Gesicht eines jungen Mannes, der bereit ist, den Schritt in ein glückliches, schöpferisches Leben zu wagen, der noch nicht weiß, dass das Jahr, in dem er das Kunst-Institut beendet, auch das Jahr einer schrecklichen Tragödie im Leben seines Landes und in seinem eigenen sein wird.

Die zweite Aufnahme versetzt den Betrachter durch den Unterschied in Erstaunen, der sich während der vier Kriegsjahre mit J.S. Kobytew vollzogen hat. Vor uns sehen wir einen alten Mann. Das Gesicht hager, die Wangen eingefallen, tiefe Falten, und die Augen gehören einem ganz anderen Menschen, einem Menschen, der alle Schrecken der Hölle gesehen hat.

Jewgenij Stepanowitsch Kobytew wurde am 25. Dezember 1910 im Dorf Utjanskoje im Altai-Gebiet geboren. 1927 schloss er die Schule mit pädagogischer Neigung ab, und im Alter von 16 Jahren arbeitete er bereits selber als Lehrer an der Dorfschule (Anhang 3). 1929 ließ er sich am Omsker Technikum für Industriekunst eischreiben, nach deren Abschluss er darstellende Kunst im Pädagogischen M. Gorkij-Technikum in Krasnojarsk unterrichtete. 1933 war er Teilnehmer am Kongress der Künstler der Region Ost-Sibirien. Der Traum von einer höheren künstlerischen Ausbildung verwirklichte sich 1936, als er aufgrund eines Reisegutscheins der Komsomolzen-Organisation ans Staatliche Institut für Kunst in Kiew kam. Die Arbeiten des talentierten Studenten blieben nicht unbemerkt, und 1939 nahm er bereits an der Allunionsausstellung junger Künstler teil. Im Juni 1941 beendete er das Institut mit Auszeichnung. Jewgenij Kobytew ist glücklich, er ist Künstler, Monumentalist, und vor ihm liegt das ganze Leben, angefüllt mit künstlerischen Plänen und schöpferischen Ideen. Er malt Portraits von schönen ukrainischen Mädchen, seine Arbeiten sind voller Sonnenschein und Lebensfreude. (Anlage 4).

Alle Träume finden am 22. Juni ein jähes Ende, als Hitlers Flugzeuge in den ersten Stunden des Krieges mit der Bombardierung der Ukraine beginnen. Kobytew geht als Freiwilliger an die Front. Der Künstler wird Soldat und ist nun Kämpfer der 8. Batterie der 3. Division des 821. Artillerie-Regiments. Das Regiment, in dem Jewegenij Kobytew den bewaffneten Kampf aufnimmt sollte die kleine Stadt Pripjet verteidigen, die zwischen Kiew und Charkow gelegen war. Das Regiment wurde unmittelbar vor dem Kampfgeschehen formiert. Die 1. und 2. Division hatten ihre Feuertaufe bereits bei der Ortschaft Stepanza, an der Zufahrt nach Kanew, erhalten und schwer angeschlagen ans linke Ufer des Dnjepr übergesetzt. Die 3. Division hingegen war noch nicht einmal mit Waffen ausgerüstet worden, sollte aber als Schützen-Division ins Gefecht eingreifen. Im September entkam die Gruppe der Süd-West-Front, mit dem Militärrat an der Spitze, bei schweren Kämpfen der Umzingelung im Bezirk Pripjet-Gorodischtsche. Kobytew befand sich in der vordersten Truppe, welche den Stab deckte und den Durchbruch realisierte. Am 18. September erlitt er während eines Gefechts eine Bein-Verwundung, aber vierundzwanzig Stunden später, verließ er das Fuhrwerk mit den Verwundeten wieder, und nahm erneut am Kampfgeschehen teil. Am 20. September wurde die Stabskolonne von Panzern und gepanzerten Fahrzeugen der Deutschen in der Nähe des Vorwerks Drjukowschtschina eingekreist. Nach dem Untergang des Stabs schlugen sich die Kämpfer in kleinen Trupps nach Osten durch, ohne Straßen und Wege, immer während der Nacht, wobei sie die Dörfer und Vorwerke umgingen. die von den Deutschen besetzt worden waren. Schonungslos bombardierten die Faschisten aus der Luft, walzten mit ihren Panzern alles platt; und die Posten der Panzerschützenwagen, Motorradfahrer, Maschinengewehr-Schützen erschossen im Schein der Leuchtfeuer die Menschen aus dem Hinterhalt. Kobytew schloss sich mehrmals Soldaten-Gruppen, die aus der Umzingelung hinaus gelang waren, aber wegen seines verwundeten Beines blieb er immer wieder hinter ihnen zurück. Einmal, während er mit einem jungen Soldaten in einem kleinen Boot ein schmales, aber tiefes Flüsschen überquerte, gerieten sie unversehens in den Hinterhalt von MG-Schützen. Die Deutschen brachten sie zu einem Dorf; am Rande dieses Dorfes saßen bereits sechs russische Soldaten, die schon vorher gefangen genommen worden waren. Darauf folgt ein dreitägiger Fußmarsch nach Mirgorod, ohne Wasser, ohne Essen. Nachts Aufenthalt in der Stadt, und dann erneut ein Marsch von 42 km – bis in die Stadt Chorol (J.S. Kobytew. Die Chorolsker Grube. Krasnojarsk: Krasnojarsker Buch-Verlag, 1965, S. 5-6). Wegen seiner Beinverletzung und aufgrund einer Quetschung befindet sich Jewgenij Stepanowitsch oft unter den Zurückbleibenden. Jede Minute erwartete er seinen Tod – denn diejenigen, die bei dem schnellen Marschtempo nicht mithalten konnten, wurden von den Deutschen schlicht und ergreifend erschossen. Er fühlte am Hinterkopf schon die Mündung des Gewehrs und wartete, dass die Kugel ihn in jedem beliebigen Moment treffen könnte. Die Kriegsgefangenen, die in der vordersten Reihe liefen, warnten von Zeit zu Zeit durch lautes Schreien die hinter ihnen Gehenden vor Leichen, die im Straßenstaub lagen. Das waren die schrecklich Spuren der zuvor hier vorüber gegangenen Kolonnen. Stolpern und hinfallen bedeutete für die durch den stundenlangen Marsch völlig Erschöpften den sicheren Tod. „Auch ich fiel zu Boden; ich verliere das Bewusstsein und spüre – sie packen mich unter den Armen, stellen mich wieder auf die Füße, stehen um mich herum und tragen mich fast. Dadurch verhinderten sie, dass ich erschossen wurde …“. Später, im Lager, sagte ihm ein Kamerad, dass auf seinem dichten, schwarzen Haarschopf am Hinterkopf eine grauweiße Stelle entstanden war. (J.S. Kobytew. Probleme der Kompositionslehre in der darstellenden Kunst: Lehrmittel. – Krasnojarsk: Staatliches Kunst-Institut Krasnojarsk, 2008. Aus den Erinnerungen des W.G. Waganow, S. 232).

Kobytew geriet in ein deutsches Konzentrationslager in der Stadt Chorol, Gebiet Poltawa, das in einem riesigen Steinbruch der Ziegelfabrik errichtet worden war und bereits einen düsteren Ruf und traurige Bekanntheit unter der Bezeichnung „Chorolsker Grube“ erworben hatte.

In der Tat handelte es sich um eine riesengroße Grube, die über Jahre von der Ziegelei abgebaut worden war, mit hohen, sehr steilen Lehmwänden, welche ihr als natürliche Eingrenzung dienten, mit Wachtürmen und Stacheldraht über den Abhängen. Unter freiem Himmel, ohne Unterschlupf, hungernd und frierend, schmachteten dort mehr als sechzigtausend sowjetische Menschen. Dort wurde der Künstler nicht nur Zeuge der Bestialitäten der Faschisten, sondern auch von Kameradschaft, Standhaftigkeit und unbeugsamer Tapferkeit der sowjetischen Menschen. Dort kam er auf den Gedanken, den Menschen von allem, was er durchgemacht und gesehen hatte, zu erzählen; und so fertigte er die ersten Skizzen auf Papierfetzen an, die zufällig in seine Hände gelangt waren.

Die vergilbten Seiten eines alten Notizbüchleins – das ist die größte Kostbarkeit des Häftlings im Lager „Chorolsker Grube“. Er macht darin in aller Heimlichkeit, verborgen vor den Augen der Faschisten und Angehörigen der Polizei-Hilfstrupps, Skizzen, zeichnet Porträts von Gefangenen. Während der regulär durchgeführten Durchsuchungen, wenn man sie zwang sich vollständig zu entkleiden, vergrub er das Notizbüchlein im Sand und warf seine Kleidung darüber. Die Ekel empfindenden Faschisten beschränkten sich darauf, die Kleidung der Gefangenen mit Stöcken umzuwenden – sie suchten nach Waffen und Flugblättern. Befehl ist Befehl, und der Typhus ist immerhin noch viel schlimmer – und der bewahrte schließlich auch das kleine Skizzenbüchlein vor den Händen der Faschisten und Polizeiangehörigen. Kobytew glaubte an seine Vorherbestimmung – die Vorherbestimmung ein Künstler zu sein; er glaubte an seine Pflicht, um jeden Preis zu überleben und später die Wahrheit über den Krieg zu erzählen, über die Schrecken des Konzentrationslagers und die Tapferkeit der Menschen. Als die Seiten im Notizheftchen immer weniger wurden, begann der Künstler darin nur noch Themen seiner zukünftigen Arbeit darin zu notieren (Anlage 5). Eine Vielzahl schrecklicher Tage und Nächte verbrachte Kobytew im Todessteinbruch der Ziegelei. Bei einsetzen der Kälteperiode, brachte man die Überlebenden in den Chorolsker Getreidespeicher, wo sich 15-20.000 Kriegsgefangene befanden. Der raue Winter, Krankheiten und Hunger trugen die meisten Menschenleben mit sich fort. Nach den Erinnerungen des Künstlers starben Kinder und Jugendliche bis zum 20. Lebensjahr sowie Menschen über 45 als erste an den Folgen des Hungers. Diejenigen, die den ersten furchtbaren Winter überlebten, beabsichtigten die Deutschen zum Arbeiten nach Deutschland zu schicken.

Unweit des Lagers befand sich das Vorwerk Grischkowka, dessen Bewohner den Gefangenen beim Überleben halfen. Sie stellten die Häftlinge vorübergehend für Arbeiten auf den Feldern ein. Auch Jewgenij Stepanowitsch befand sich unter ihnen. Die Grischkowker fütterten sie durch, und das verlieh ihnen die Kraft zum Weiterleben; es half ihnen dabei nicht den Mut sinken zu lassen und die Hoffnung nicht auf zu geben.

1943 gelang es Kobytow aus der Gefangenschaft zu fliehen und die Frontlinie zu überschreiten. Erneut wurde er in der Sowjetarmee aufgestellt und ging den langen Weg durch die Ukraine, Moldawien und Polen nach Deutschland.

J.s. Kobytew beendete den Krieg in Dresden im Rang eines Obersergeanten. Er wurde wegen „hervorragender Kampfesaktivitäten bei der Befreiung der Stadt Tscherkessy“, wegen seiner Kampfhandlungen während des Durchbruchs sowie seiner Teilnahme an den Kämpfen um die Befreiung der Stadt Smel und der Schlacht im Gebiet Korsun für die Ehrenbezeichnung „Held der Sowjetunion“ vorgeschlagen (Anlage 6). Aber aufgrund der Tatsache, dass seine Biographie durch die deutsche Kriegsgefangenschaft „verdorben“ war, erhielt er stattdessen den Orden des Roten Sterns und die Medaille für den Sieg über Deutschland. Während seiner aktiven Armeedienstzeit, in Dresden, schuf der Künstler ein Front-Puppentheater für politische Satiren. Jewgenij Stepanowitsch verfasste die Stücke selber, fertigte die Puppen an und spielte. Gegenwärtig gehören seine Puppen zu Bestand des Sergej-Obraszow-Museums in Moskau. (Archiv des Schulmuseums. Erinnerungen von W.J. Kobytewa. Notizheft. Erinnerungen N° 1. Fragebogen N° 2.).

1945 kehrt J.S. Kobytew nach Krasnojarsk zurück. Möglicherweise war es gerade diese Entscheidung nach Sibirien zurückzukehren, die ihn, den ehemaligen Gefangenen eines faschistischen Lagers, vor Repressionen bewahrte, die sich nach dem Krieg in der UdSSR erneut verstärkten.

Das Krasnojarsk der Nachkriegszeit verwandelte sich in eine riesige Baustelle. Dank den während des Krieges evakuierten Fabriken, wurde es zu einer großen Industriestadt. Es fehlte an Spezialisten. Aufgrund der Großbaustellen für die ganzen Verwaltungsgebäude war Kobytew als monumentaler Künstler äußerst begehrt. Er wird in die Künstler-Vereinigung aufgenommen. Talentiert und schöpferisch aktiv, wurde er viele Male zum Beiratsmitglied der Vereinigung gewählt, war auch Mitglied des Ausstellungskomitees, des Künstler-Rats und nahm den Posten des Haupt-Künstlers der Stadt Krasnojarsk ein.

Gemeinsam mit dem Künstler K.F. Waldman bemalte Jewgenij Stepanowitsch die Decken des Krasnojarsker Flussbahnhofs. Auf der Weltausstellung in Brüssel wurde das Modell des Krasnojarsker Flussbahnhofs mit der Silbermedaille ausgezeichnet. Leider sind diese Wandmalereien nicht bis in unsere heutige Zeit erhalten geblieben. Zusammen mit seiner Ehefrau T.A. Miroschkina fertigte er eine ganze Reihe monumentaler, dekorativer Malereien an: im Krasnojarsker Palast der Eisenbahner, im Pionierpalast, im Atamanowsker Pionierlager, im Bezirksklub der Ortschaft Bolschaja Murta. Thema dieser Malereien: Bilder aus der Natur unserer Region – die Krasnojarsker „Stolby“ (Nationalpark „Stolby“ (= „Säulen“) mit seinen rötlichen Granitfelsen), Märchen aus dem Ural von P. Baschow, russische Volksmärchen. Ein Teil dieser Arbeiten wurde in der Vitrage-Technik ausgeführt. Kobytew schuf dekorative Bühnenbilder zu S. Prokofiews Ballett „Die Steinblume“, zu S. Michalkows Theaterstück „Ich will nach Hause“, eine Serie fantastischer Bilder mit dem Thema „Kosmische Reise“. Aber dennoch befasst sich J.S. Kobytew nicht vorrangig mit der Malerei, sondern mit grafischen Darstellungen. In dieser Technik fertigte er Illustrationen zu A.Fadejews Roman „Die junge Garde“.

Aber die ganze Zeit über reifte in seiner Seele das ersehnte Thema über Tragödie und Heroismus, über das qualvolle Leid und die Tapferkeit der Häftlinge der „Chorolsker Grube“, ein Thema, das nur auf seine Stunde wartete. 1960 begibt er sich in die Stadt Chorol, begegnet dort mit großer Freude überlebenden ehemaligen Gefangenen, seinen Freunden. Auf dem Vorwerk Grischkowka trifft er Bauern, die damals den Häftlingen halfen zu überleben. Vier Jahre später kehrt er noch einmal an diese Orte zurück, aber diesmal bringt er eine Ausstellung seiner Arbeiten aus der Serie „Bis zum letzten Atemzug“ und „Leute, seid wachsam!“ mit. Seine Ausstellung in der Stadt Chorol wurde von Tausenden von Menschen besucht. In seinen Arbeiten gab es keine erdachten Personen – die Betrachter erkannten sich selbst und ihre Peiniger. Für Kobytew war das die künstlerische Bilanz vor den Augenzeugen jener schrecklichen Ereignisse und die Einlösung des Versprechens, das er sich selber im Todeslager gegeben hatte – zu überleben und in seinen Arbeiten die Wahrheit über die großen Leiden und großartigen Heldentaten unseres Volkes zu erzählen.

Diese Arbeiten wurden mehrfach auf J.S. Kobytews persönlichen Ausstellungen gezeigt und auch in dem Dokumentar-Fernsehfilm „Blätter der Trauer und des Zorns“ sowie einer Sonderausgabe der Kinochronik „Sie sagten – es gibt keinen Tod!“ demonstriert.

Er hält in Krasnojarsk und anderen Städten der Region Vorträge und Vorlesungen über den Faschismus und die Häftlinge der Todeslager und illustriert dabei das Gesagte mit seinen Zeichnungen.

Zu dieser Zeit arbeitet er an dem Buch „Die Chorolsker Grube“. Diese Arbeit fällt dem Künstler nicht leicht. Sich immer wieder mit den tragischen Erinnerungen an den Krieg belasten, all dem Durchlebten noch einmal Zugang zu seinem Herzen verschaffen. Die Redakteurin des Buches, O. Chonina, berichtet darüber, dass man zahllose Seiten des Manuskripts nicht ohne Tränen in den Augen lesen konnte. Fortwährend schrieb der Künstler das Manuskript um, nahm die allzu realistischen, besonders schrecklichen Einzelheiten, die das Dasein im Todeslager begleiteten, wieder heraus. Man kommt vor allem zu der Schlussfolgerung, dass das, was dem Künstler und anderen sowjetischen Soldaten beim Überleben unter unmenschlichen Bedingungen am meisten half, Mut, Treue zur Heimat, Geduld, Lebenswille, Selbstaufopferung und der Glaube an den Sieg waren. (Archiv des Schulmuseums. Erinnerungen von O.A. Chonina. Notizheft. Erinnerungen N° 1. Fragebogen Blatt N° 1).

In Krasnojarsk ist es schwierig, das Buch „Chorolsker Grube“ zu finden; es kam im Jahre 1965 heraus und wurde seitdem nicht wieder neu aufgelegt. In Charkow wurde 1989 eine vervollständigte Ausgabe veröffentlicht, aber in Krasnojarsk ist es noch schwieriger sie ausfindig zu machen. Ebenfalls nicht leicht ist es J.S. Kobytews Zeichnungen zu sehen – ein paar Blätter aus der Serie „Bis zum letzten Atemzug“ werden in den Reservekammern des Krasnojarsker W.I. Surikow-Kunstmuseums verwahrt. Jewgenij Stepanowitsch Kobytews Ehefrau, die Künstlerin Miroschkina, übergab die bedeutendsten seiner Arbeiten aus den Serien „Bis zum letzten Atemzug“ und „Leute, seid wachsam!“ nach seinem Tod im Jahre 1973 an das Kiewer Museum der Geschichte des Großen Vaterländischen Krieges – zusammen mit seinen Kriegsauszeichnungen.

1958 wird Kobytew eingeladen, in der gerade eröffneten W.I. Surikow Fachschule für Kunst zu unterrichten. Hier kamen ihm auch seine Vorkriegserfahrungen mit seinen pädagogischen Aktivitäten zu Gute. Er unterrichtete eines der schwierigsten Fächer – Komposition. Und hier trat nun seine ganze lebhafte, schöpferische Natur zu Tage. Er war ein großartiger Lehrer! Wenn er Komposition unterrichtete, erzählte er den Studenten von der Weltkunst. Ljudmila Iwanowa, Mitglied der Künstler-Vereinigung, erinnert sich: „Alles im Raum wurde lebendig und fing an in Bewegung zu geraten: Rembrandts verlorener Sohn fiel vor dem Vater auf die Knie, damit seine bis aufs Blut aufgescheuerten Fußsohlen sichtbar wurden (Gott weiß, WIE er die gemalt hatte!); Papst Pius IX Velasques blickte mit einem unbeschreiblich schweren Blick auf uns herab und brachte dadurch unsere jugendlichen Seelen zum Erzittern, Könige Infanten und Gnome wurden mitten in unser Leben hineingezogen; die glückliche Sabela-Wrubel sprach mit versonnenen Augen und Festtagstracht von dem großartigen Talent ihres Ehemannes; die Impressionisten strahlten freundlich mit den Perlen des Lichts; Siqueiros streckte machtvoll seine farbige Hand aus – befehlend, gemeinsam mit Kobytew in seinem Werk aufzugehen, zu entflammen …“ (J.S. Kobytew. Fragen der Kompositionslehre in der darstellenden Kunst: Lehrmittel. – Krasnojarsk:Staatliches Krasnojarsker Institut für Kunst, 2008. Aus den Erinnerungen von L. Iwanowa, S. 226)

In den Jahren seiner Tätigkeit an der Fachschule schuf er sein eigenes System für den Kompositionsunterricht. Er führte die Praxis der Bewertung für jede Art von Arbeit ein: für Testzeichnungen, Skizzen, Etüden und fertige Zeichnungen. Unter seiner Lehrtätigkeit entstand die Tradition der öffentlichen Beurteilung von Studenten-Arbeiten, es wurden Ausstellungen von Arbeiten der Kunstschüler abgehalten, welche selbständig und außerhalb des eigentlichen Programms Angefertigt worden waren. Auch führte er in sein Programm Elemente wie Mimik, Ausdruck und Gestik ein. Zu der damaligen Zeit galt das als unangemessen für eine Schuleinrichtung dieses Niveaus.

In diesen Jahren wird von ihm in Krasnojarsk auf dem Giebel des Kinotheaters „Heimat“ eine große Mosaik-Platte geschaffen (Anlage 7). Diese bemerkenswerte Arbeit war aus natürlichem Material gefertigt. Wie der ehemalige Schüler und heutige verdiente Künstler Russlands, Walerij Kudrinskij, erzählt: „Jewgenij Stepanowitsch machte die Skizzen, und beschloss dann, die Arbeit durch seine Studenten ausführen zu lassen. Er wählte dazu die besten aus, unterteilte die gesamte Komposition in einzelne Streifen und setzte an jedes Feld jeweils zwei von ihnen: immer einen aus den höheren Kursen und einen aus den Anfänger-Semestern. So kam auch ich in diese Gruppe. Mehr als einen Monat liefen wir am Ufer des Jenisej entlang, sammelten Steine, wählten und sortierten sie nach ihrer Farbe und fingen dann an das Mosaik zusammen zu fügen. Jeden erfüllte ein Gefühl von Stolz, und zwar nicht nur wegen des Vertrauens, das der Pädagoge ihnen entgegen brachte, sondern auch wegen der Teilnahme an diesem großen Projekt. (J.S. Kobytew. Fragen der Kompositionslehre in der darstellenden Kunst: Lehrmittel. – Krasnojarsk: Staatliches Krasnojarsker Institut für Kunst, 2008. Aus den Erinnerungen von Walerij Kudrinskij, S. 228).

Noch ein weiterer Schüler Kobytews, Wladimir Gawrilowitsch Waganow, berichtet, dass sich der Künstler durch einen anspruchsvoll-strengen, aber verständnisvollen Charakter auszeichnete. Er erinnert sich, dass sie, die Erstkursler, eine Menge über die unbarmherzige Auslese der Studenten-Arbeiten durch Kobytew gehört hatten, und mit großem Zittern auf seine erste Begutachtung warteten. Wenn er deine Arbeiten allerdings lobt – dann erwachst du am nächsten Morgen als Berühmtheit. Sogar die Fortgeschrittenen fangen an, dich mit Respekt zu behandeln, und du erhältst Zugang zu den Ateliers der älteren Kursbesucher. Natürlich wussten alle Studenten um die Kriegsvergangenheit des Lehrers; sie hatten auf Ausstellungen seine Arbeiten über das Lager gesehen und sein Buch gelesen. Irgendwie fragten sie ihn einmal, wie denn jetzt sein Verhältnis gegenüber den Deutschen sei. „Jewgenij Stepanowitsch begann davon zu erzählen, dass nicht alle Deutschen vom Wahnsinn des Faschismus erfasst wurden, sondern dass es auch Antifaschisten gab. „Einer von ihnen wurde mein enger Freund. So eine Persönlichkeit! Konzentrationslager, Krankheit, Alter, und er schreibt, tritt gegen den Krieg ein, gegen den Faschismus. Sie flogen gemeinsam mit einem kleinen Flugzeug zum Veteranen-Treffen; das Flugzeug landete zum Nachtanken. Da zog der Deutsche seinen Mantel aus: „Halte mal, - sagt er – ich werde mal eine Runde auf der Startbahn laufen, ich habe es nicht geschafft, heute meine Gymnastik zu machen“. Und er lief genau 20 Minuten lang. So pünktlich war er – ein Deutscher eben. Und wissen Sie, wie alt er war? Um die siebzig. Der Krieg traf ihn als reifen Mann. Aber persönlich akzeptierte er den Faschismus nicht und schwor sich, bis zu seinem Lebensende gegen diese Pest zu kämpfen“. In seinem Buch „Die Chorolsker Grube“ erinnert auch Kobytew sich an einen deutschen Soldaten. Diese ganz gewöhnliche Soldat stand einige Tage auf dem MG-Turm auf Posten, schaute von oben auf die Hölle der Chorolsker Grube und beobachtete, wie tausende Menschen schleichend ihrem Untergang entgegen siechten. Einmal stieg er herab und ließ eine Gruppe Häftlinge durch die Schlucht aus der Grube heraus.

J.S. Kobytew zeichnete sich durch seine ungewöhnlich breit gefächerten Ansichten und Interessen aus. Bereits im Jahre 1961, als noch kaum jemand das Werk A.G. Posdejews begriffen hatte, und noch viel weniger Menschen ihn als Künstler anerkannt hatten, schrieb Kobytew: „Du kannst Andrej Posdejew absolut nichts vorwerfen, nicht die Jagd nach der Mode, nicht Eklektizismus oder die Neigung zur Faulheit, nicht das Fehlen von Temperament, Querulantentum und Karrierismus und auch nicht das Fehlen von Verbindungen zum Leben – absolut nichts … Es tun einem diejenigen leid, welche die Art A. Posdejews nachahmen. Ein Beispiel für die Nachahmung soll hier die Haltung selbst gegenüber dem künstlerischen Schaffen, gegenüber den Kameraden dieses Kunsthandwerks sein. Muss es einen Künstler mit einer fest definierten Vision, einen Meister der Bildmalerei und der Skizzen, zu derart vernebelten und unklaren „vollendeten“ und „beendeten“ Werken hinziehen? All das ist äußerst umstritten …“ (Archiv des Schulmuseums. Buch der Reaktionen auf die persönliche Ausstellung A.G. Posdejews, 1961).

W. Kapelko, G. Gorenskij, W. Kudrinskij, W. Baschenow. J. Akzinow, L. Iwanowa, S. Schawlowskij, W. Piliptschuk und viele andere – alle bemerkenswerte Berufsmaler und originelle Persönlichkeiten – gingen aus Kobytews Studentenkreis hervor. (J.S. Kobytew. Fragen der Kompositionslehre in der darstellenden Kunst: Lehrmittel. – Krasnojarsk: Staatliches Krasnojarsker Kunst-Institut, 2008. Aus den Erinnerungen von W.G. Waganow, S. 232).

Ende der sechziger Jahre beginnt Jewgenij Stepanowitsch an seinem Buch „Fragen der Kompositionslehre in der darstellenden Kunst“, in dem er seine pädagogischen Erfahrungen zusammenfasst. Das Manuskript fand das beste Echo bei führenden Experten, allerdings zog sich der Prozess der Veröffentlichung in die Länge. Aufgrund einer schweren Erkrankung verliert der Künstler sein Gehör, er ist gezwungen den Unterricht in der Fachschule aufzugeben. Der Künstler starb am 29. Januar 1973, so dass er die Veröffentlichung seines Buches nicht mehr erlebte.

Nach Jewgenij Stepanowitschs Tod teilte die Schulleitung, indem sie alles, was er geschaffen hatte, verwarf, die Unterrichtsstunden für Kompositionslehre unter den Lehrern für Zeichnen und Malerei auf, und die gesamte methodische Grundlage ging nach und nach verloren. Der ehemalige Direktors der Kunst-Lehreinrichtung, I.M. Dawydenko, sagte folgendes aus: „In den sechs Jahren seiner Arbeit schlossen 60 Personen die pädagogische Ausbildung ab, 20 von ihnen wurden Mitglieder der Künstler-Vereinigung. Nach Kobytews Fortgang aus der Schule, schaffte es in den nachfolgenden Jahren kein einziger Absolvent Mitglied der Künstler-Vereinigung zu werden, und es gab unter ihnen auch keinen aktiven Ausstellungsteilnehmer.“ (J.S. Kobytew. Fragen der Kompositionslehre in der darstellenden Kunst: Lehrmittel. – Krasnojarsk: Staatliches Krasnojarsker Kunst-Institut, 2008. Aus den Erinnerungen von I.M. Dawydenko, S. 223).

Vierzig Jahre nach Jewgenij Stepanowitsch Kobytews Ableben wurde sein Traum Wirklichkeit. Im Jahre 2008 wurde vom Staatlichen Krasnojarsker Künst-Institut, unter deren Lehrkräften sich zahlreiche Studenten Kobytews befinden, sein Buch herausgtegeben – „Fragen der Kompositionslehre in der darstellenden Kunst“. Nach Meinung von O.I. Ardimasow, Professor am Staatlichen Moskauer Akademischen W.I.-Surikow-Kunst-Institut: „ … hat dieses Buch in sich die reichhaltigen Lebens- sowie praktischen Erfahrungen der schöpferischen Arbeit dieses talentierten Menschen, Künstlers und Pädagogen in sich vereint.“ (J.S. Kobytew. Fragen der Kompositionslehre in der darstellenden Kunst: Lehrmittel. – Krasnojarsk: Staatliches Krasnojarsker Kunst-Institut, 2008. Aus den Erinnerungen von O.I. Ardimasow, S. 237).

Das Studium von J.S. Kobytews Lebensweg bringt einen auf den Gedanken, dass vor uns eine helle Persönlichkeit, ein Mensch von starkem Geist, steht, der es verstanden hat zu überleben und standzuhalten, sondern sogar zu siegen. Verwunderung gibt es auch darüber, wie viel er auch nach dem Krieg geschafft hat. Woher hat er all die Kraft genommen? Was half ihm dabei, ein MENSCH zu bleiben? Die Achtung vor den Menschen in sich zu bewahren? Bis zu seinem Ende war er immer von dem Bestreben beseelt, der Gesellschaft Nutzen zu bringen, seine Studenten zu lieben. Auf diese Frage gibt er selber die Antwort: „Der Mensch muss eine Persönlichkeit sein – er muss handeln, Taten vollbringen. „Eine Persönlichkeit lebt in ihren Taten.“ (Archiv des Schulmuseums. Erinnerungen von W.G. Waganow. Erinnerungen N° 2. Fragebogen N° 1.). Durch seine Handlungen erklärt sich der Mensch selber. Man muss jeden nur möglichen Augenblick nutzen, gegen Schwächen anzukämpfen und seine Ziele zu erreichen. Mit Bedauern erkennt der Mensch in reifen Jahren, was er versäumt, was er nicht zustande gebracht, nicht erlernt hat. Und damit diese verspätete Bedauern gar nicht erst aufkommt, - macht bereits in jungen Jahren eine Persönlichkeit aus euch“.

3. Kapitel II: Blätter der Trauer und des Zorns

… In der ruhigen Welt,
In der glücklichen Welt
Verbrannte den Menschen
Die schlaflose Erinnerung.
Er hat diese Erinnerung gemalt …

Die Erinnerung an den Krieg gab dem Künstler keine Ruhe. Das in faschistischer Gefangenschaft durchgemachte Leid, das Gedenken an die umgekommenen Kameraden, verlangten nach einem Ausweg. „Das Gefühl einer nicht erfüllten Pflicht beginnt mich zu verfolgen. Immer wieder denke ich über die Serie von Zeichnungen, die Menschen in der Chorolsker Grube nach, aber genauso oft schiebe ich sie wieder beiseite, weil ich einfach keine Sprache der Darstellung für sie fand“. (J.S. Kobytew. Die Chorolsker Grube: Dokumentarroman. – Ch.: Prapor-Verlag, 1989, S. 196).

Jahre des Nachdenkens und angespannter schöpferische Tätigkeit vergingen, bis endlich alle die Erlebnisse und Gefühle des Künstlers, der Schmerz der Seele und der Erinnerung, sich in grafische Darstellungen ergossen. Die Erinnerung des Künstlers verwandelte sich ganz allmählich in künstlerische Formen und Gestalten. So erschienen zwei Serien grafischer Blätter: „Bis zum letzten Atemzug“ (Anhang 8) – über die Kameradschaft, den Mut, die unbesiegbare Standhaftigkeit der sowjetischen Menschen, die in Kriegsgefangenschaft gerieten. Später schuf J.S. Kobytew eine zweite grafische Serie – „Leute, seid wachsam!“ (Anhang 9), in der er das schreckliche Äußere der faschistischen Kriegsverbrecher zum Ausdruck brachte, die im Konzentrationslager Chorolsker Grube ihre Gräueltaten verübten. Als Grundlage für seine Arbeiten nahm der Künstler die Skizzen und Zeichnungen zur Hand, die er im Lager auf den Blättern des zufällig erhalten gebliebenen Notizbüchleins angefertigt hatte. Diese Zeichnungen, die er unter Lebensgefahr geschaffen hatte, bewahrte der Künstler, zusammen mit einem Stück Stacheldraht aus dem Konzentrationslager bis zum Ende seiner Tage auf.

Das erste, das Titelblatt in der Serie „Bis zum letzten Atemzug“ ist seine Arbeit „Meine Gedanken, meine Gedanken“ (Worte von T. Schewtschenko). Das ist einer der kraftvollsten und ausdrucksstärksten Zeichnungen Kobytews. Vor uns sehen wir unverkennbar das Selbstbildnis des Künstlers. Seine Gesichtszüge sind durch all die Entbehrungen und körperlichen Qualen entstellt. Aber in den unnachgiebig gekrümmten, willensstarken Lippen, den rastlosen Augen – steht nur ein einziger Gedanke geschrieben – ich muss durchhalten! Ich muss ein Mensch bleiben! Mit einem solchen Gesicht überlebt der Mensch nicht nur, sondern er leistet sogar Widerstand, er denkt an die Zukunft … Beim russischen Menschen sind dies in solchen tragischen Situationen – vor allem Gedanken an das Unglück, das der Heimat widerfahren ist, an die dort, in den Brandstätten des Krieges zurückgebliebenen Verwandten und nahestehenden Menschen, über die Kameraden, die gelitten haben und umgekommen sind.

Die Arbeit „Ich kehre noch zu dir zurück, Russland“ kann man wohl als Schlüsselwerk in dieser Serie bezeichnen. Darin fasste der Künstler Sujets, Gedanken und Gefühle zusammen, denen wir auch an anderen Stellen dieser Serie begegnen. Das Grafikblatt ist als Komposition angefüllt mit den Gesichtern von Häftlingen. Die Figur des Haupt-Helden – befindet sich in der Mitte eines einheitlichen Monolithen, in dem die Schulter an Schulter stehenden Häftlinge miteinander verschmelzen. Der Ausdruck ihrer Gesichter ist ganz unterschiedlich. Der Gefangene in der Mitte – strahlt Ruhe, Überzeugung und Hoffnung aus, zu solchen Menschen fühlen die anderen sich hingezogen, die vielleicht eine schwächere Seele haben und bei ihm Unterstützung finden. Rechts – das Gesicht eines jungen Häftlings mit müden, feinen Gesichtszügen, er sucht Halt an seinem Kameraden, indem er sich an dessen Schulter lehnt.

Der dritte Gefangene zeigt mit zornig-entschlossener Miene, dass er zum Widerstand bereit ist – solche Menschen lassen sich niemals in eine folgsame Herde verwandeln. Und unter den unmenschlichen Bedingungen des Konzentrationslagers werden sie bis zum Ende Widerstand leisten. Alles, was die Feinde mit ihnen nur anstellen mögen, erniedrigt sie physisch … aber ihre Seele, ihr Geist bleiben unbesiegbar. Auf der Zeichnung befinden sich insgesamt lediglich drei Gestalten, aber es entsteht der Eindruck, als ob dort hunderttausende Gefangene stehen – eingemauert in einer einheitlichen Formation. Jewgenij Kobytew merkte an, dass jene Soldaten, die nicht nur an sich selber dachten, sondern bemüht waren, mit aller Kraft ihren Kameraden zu helfen, häufiger zu denen gehörten, welche überlebten.

„Und weiter kann man ihm nicht helfen“ … auf dieser Zeichnung versperrt eine Gruppe Kriegsgefangener den Mitarbeitern eines Polizeitrupps den Weg zu einem jungen Häftling mit feinen, biblischen Gesichtszügen. Juden hatten es besonders schwer. Sie unterlagen der unverzüglichen Erschießung, sobald ihre Nationalität ans Licht kam. In einem der älteren Gefangenen, der den jungen Juden mit seinem Soldatenmantel bedeckt, lassen sich erneut die Gesichtszüge J.S. Kobytews erraten. Der Einfache, Lakonische, der aber stets daran denkt, dass man niemals auch nur einen einzigen ehrbaren, aufrichtigen Menschen, der sich den Frieden auf Erden wünscht, in Vergessenheit geraten lassen darf. Im Gesicht dieses zutiefst in seine Gedanken versunkenen Mannes sieht man unfreiwillig eine Ähnlichkeit mit dem Porträt des Künstlers.

Jedes Blatt stellt die Gedanken des Künstlers über all das dar, was er gesehen und erlebt hat. In der ersten Serie geht es vorwiegend um Seelengröße, Widerstandsfähigkeit, Standhaftigkeit, enge Kameradschaft und die Fähigkeit der sowjetischen Menschen, bis zum letzten Atemzug der Heimat zu dienen. Solche Blätter sind: „Also hat er auch nichts gesagt“, „Nach den Worten Lermontows“, „Ich frage zum letzten Mal“.

In der zweiten Serie – „Leute, seid wachsam!“ – sehen wir Gedanken darüber, was Faschismus und Krieg bedeuten. Markant-satirisch, durchdrungen von dem vollkommen verständlichen Gefühl vom Hass und der Rache eines Menschen, der alle Grausamkeiten, alles Elend und die ganze Unmenschlichkeit der Faschisten gesehen hat, hat der Künstler in diese Zeichnungen eine derart abstoßende Kraft hineingelegt, dass die dort portraitierten Gestalten geradezu physischen Widerwillen hervorrufen. (Ausstellung der Werke von J.S. Kobytew: Katalog. – Krasnojarsk: Städtische Krasnojarsker Abteilung für Kultur, S. 2).

In dem Buch „Chorolsker Grube“ werden die Zeichnungen begleitet von Charakterbeschreibungen, die vom Künstlers selber stammen: „Der Ober-Gefreite Hans – Spitzname „Der Boxer“. Boxen – ist seine Schwäche. Er liebt es sehr, mit einem einzigen Schlag in den Kiefer, geschwächte Häftlinge K.O. zu schlagen“.

Wir sehen ein stumpfsinniges, fettes Gesicht mit derbem, strengem Kinn. Der Mann, zu dem es gehört, zweifelt nicht an seinem Recht, die Gefangenen, die kaum noch in der Lage sind sich auf den Beinen zu halten, zu töten.

„Der Gefreite Sudek besitzt keinen Spitznamen. Er ist derjenigen, der von allen Faschisten am lautesten schreit; trotz seiner Schreierei ist er vielleicht der einzige dumpf-gutmütige Henker. Aber bei all seiner Gutherzigkeit ist er als Rangjüngster sehr gewissenhaft bei der Ausführung der Befehle, und deswegen ist es uns aufgrund seiner gleichgültigen Güte auch nicht leichter ums Herz“. (J.S. Kobytew. Chorolsker Grube. Krasnojarsk: Krasnojarsker Buchverlag. 1965, S. 50).

Auf Sudeks Gesicht sehen wir nicht diese pathologische Grausamkeit der anderen Faschisten. Der vorgeschobene Unterkiefer, die flache Nase, der stumpfsinnige Gesichtsausdruck eines ausführenden Dieners.

„Der Gehilfe des Kommandanten, Unteroffizier Müller, ist neben seinen gewöhnlichen „Eigenschaften“ als Faschist dafür berühmt, dass er Menschen auf den ersten Blick fehlerfrei als Angehörige der jüdischen Nationalität definieren kann. (J.S. Kobytew. Chorolsker Grube. Krasnojarsk: Krasnojarsker Buchverlag, 1965, S. 49).

Die Häftlinge gaben ihm den Spitznamen „Pass-Aussteller“. Am höchsten bewertet er offensichtlich seine arische Herkunft. Er hat ein fein geschnittenes Gesicht, doch entstellt der Stempel der faschistischen Ideologie seine Züge. Kalte blau-graue, wenig freundliche Augen, wenngleich sich sein Mund zu einem breiten Lächeln verzieht und dabei seine einer Klaviatur ähnelnden Zähne enthüllt.

Sobald er in der Formation einen Juden entdeckt hat, tritt er auf ihn zu und fragt ihn grinsend, mit spöttisch-höflichem, weichem, einschmeichelndem Tonfall:

- Bist du nicht Jude?

Nachdem er eine verneinende Antwort erhalten hat, sagt er für gewöhnlich:

- Und wenn ich mir den „Pass“ anschaue?

In solchen Fällen ist der Jude, den man in der Regel in seiner Kindheit nach uraltem religiösen Zeremoniell beschnitten hat, zu Tode erschrocken, wird kreidebleich und erwidert:

- Ja, ich bin Jude!

Dann geht die Müller umringende und mit Stöcken bewaffnete Meute auf den Überführten los, bringt ihn zu Fall, prügelt unbarmherzig auf ihn ein, zwingt ihn aufzustehen und jagt ihn zu der Gruppe Juden, die dem Untergang geweiht ist, wo man ihm mit roter Emaille-Farbe auf Brust und Rücken einen sechszackigen Stern malt – das Zechen hoffnungsloser Verdammnis. Und Müller fletscht triumphierend seine weißen riesigen und ebenmäßigen Zähne, die wie die Tasten eines Klaviers aussehen“. (J.S. Kobytew. Chorolsker Grube: Dokumentar-Roman. – Ch.: Prapor, 1989, S. 87).

„ … Ich zeichne das Porträt eines erfahrenen Hitlerianers – eines „großen SS-Mannes“. Verschlagen und hinterlistig wie er ist, gehört er zu jenen eifrigen Dienern Hitlers, die es immer verstehen, Hitler ihre „Unersetzbarkeit“ zu beweisen. Ich sehe, dass er sich zumindest wie der Kriegsgott Mars hinstellt - kühn, unbezähmbar, unbarmherzig. Es gibt keine Worte, die Figur allein ist hinreichend imposant“. (J.S. Kobytew. Die Chorolsker Grube: Dokumentar-Roman. – Ch.: Prapor, S. 148).

Neben Singer, Müller, Niederein, Hans und Sudek, welche im Lager ihren Dienst versahen, wüteten dort auch zahlreiche Faschisten, die zur Erholung von ihren „militärischen Taten“ an der Front hergekommen waren. Ihre Namen blieben den Gefangenen unbekannt, aber sie selbst hinterließen eine düstere Erinnerung an sich. Indem sie vor der Lagerleitung liebedienerten, sich einschmeichelten, insgeheim von der Hoffnung getragen sich auf diese Weise „empfehlen“ und bis zum Ende des Krieges im Lager bleiben zu können, wetteiferten sie miteinander in puncto Grausamkeiten. Ganz bewusst die Herden-Ordnung im Lager wahrend, vernichteten die Faschisten auf bestialische Art und Weise Menschen wegen „der Verletzung der Disziplin“. Diese provozierten „Verletzungen“ waren nur der Anlass für die Vernichtung. (J.S. Kobytew. Chorolsker Grube: Dokumentar-Roman. – Ch.: Prapor, 1989, S. 89).

Nachdem Kobytew die zweite Serie beendet hatte, kehrte er erneut zu den Themen der ersten Reihe zurück, nun allerdings schon mit neuen Arbeiten, und es entstanden auf gleicher Linie wie die Blätter über Tapferkeit und Standhaftigkeit, wie beispielsweise „Er unterwirft sich nicht“, „Hass“, „Im Angesicht des Todes“, „Requiem“, auch Arbeiten wie: „Ach, wehe Wind, wehe“, „Wir halten durch“, bei der als Neuheit mit großer Kraft der Glaube an den Sieg hervordringt.

Die Arbeit „Wieder in Reih und Glied“ ist von einer gewaltigen Kraft durchdrungen. Hier sehen wir erneut das Selbstbildnis des Künstlers – als Soldat, der wieder sein Gewehr in die Hand genommen hat, um nach all dem Erlebten bis zur allerletzten Patrone zu kämpfen.

Die Serie „Bis zum letzten Atemzug“ und „Leute, seid wachsam!“ entstanden in einer komplizierten Technik – Kohle, Aquarell und Tusche. Mehrmals entschloss sich der Künstler diese Technik anzuwenden. Das zarte, beinahe durchsichtige Aquarell, das er so liebte, oder weiche, frauliche Pastelltöne schienen mit seinen Intentionen überhaupt nicht zusammen zu passen. Auch Öl schien ihm ungeeignet – die Farbe hätte vom wichtigsten Gedanken der Darstellung nur abgelenkt. Aus allen Materialien fand der Künstler schließlich das, was für seine Absichten am meisten erfolgversprechend schien – die Kohle. Sie ermöglicht es einem die Arbeit kontrastreich zu gestalten, indem sie die Zeichnung mit nervösem, lebhaftem Schaudern erfüllt. Als ob aus dem Herzen des Künstlers direkt auf das vor ihm liegende Blatt der Zorn, der ganze Schmerz herausgeworfen wird. Die Kohle überträgt das Zittern der Künstlerhände, sie gestattet ihm schneller zu arbeiten … Zur selben Zeit ermöglicht sie eine Verfeinerung, eine Milderung der harten, starren Linien. Gelegentlich bedient sich der Künstler schwarzer Tusche und Aquarellfarbe, wodurch die Arbeit reicher und im Ausdruck feiner wird. Heute ist es schon schwierig sich vorzustellen, dass diese Arbeiten in irgendeiner anderen Technik hätten ausgeführt werden können.

Die Geschichte der Weltmalerei ist voller Beispiele davon, dass Künstler bei dem Versuch in die Tiefen der menschlichen Seele vorzudringen ihre Selbstbildnisse malen. „Erkenne dich selbst – das war die Aufgabe, die Leonardo, Rembrandt und später Van Gogh, Gauguin, Picasso und die Zeitgenossen Posdejew und andere sich stellten. Künstler schauen wieder und wieder in sich hinein und erkenn auf diese Weise den Menschen an sich.

Im Familienarchiv von J.S. Kobytews Tochter Wera Jewgenewna sind mehrere grafische Selbstportraits ihres Vaters erhalten geblieben. Zwei davon wurden unserem Schulmuseum zum Geschenk gemacht. Diese Selbstbildnisse erinnern an die Fotografien der Jahre 1941 und 1945, mit denen ich meine Forschungsarbeit begonnen habe. Vor uns steht Jewgenij Kobytew im Jahre 1941. Im Gegensatz zu der Fotografie, findet sich hier nicht so eine ungetrübte, helle Stimmung (Anhang 10). Wir sehen ein angespanntes Gesicht, fest zusammengepresste Lippen, Augen, die den Eindruck erwecken, als würden sie weit in die Zukunft hinein schauen, und diese Zukunft droht mit schweren Schicksalserprobungen. Der Künstler schaut aus der Höhe der durchlebten Jahre und Schicksalsschläge auf sich selber herab, auf ihn, den jungen Absolventen des Kunst-Instituts, aber auch das vermag sein Äußeres nicht zu verändern. Bezüglich der inneren Ähnlichkeit sehen wir ein anderes Gesicht. Im Unterschied zum Foto, einer mechanischen Aufnahme, trägt die Zeichnung eine Information über die seelischen Erlebnisse, den Charakter des Menschen, in sich. Die Wahrheit des Lebens und die Wahrheit der Kunst sind nicht dasselbe. Bei einem Künstler gibt es wenig mechanische Projektion auf die lichtempfindliche Emulsion, er setzt sich selber das Ziel, das Wesentliche, die menschliche Seele, zu erforschen. Vergleichen wir die Fotografie aus dem Jahre 1945 mit dem Selbstporträt des Künstlers, mit dem er sich so darstellt, wie er nach dem Krieg, im Alter von fünfunddreißig Jahren, aussah, sehen wir, dass der Unterschied noch viel gravierender ist (Anlage 11). Kobytew zeichnet sich in einem komplizierten Blickwinkel „von unten“; diese Methode gestattet es ihm der Gestalt zusätzliche Bedeutung und „Monumentalität“ zu verleihen. Vor uns steht ein Mann mit äußerst unnachgiebigem Charakter. Man sieht darin nichts den unterdrückten, runzeligen Alten mit den gehetzten Augen, wie er von der Fotografie auf uns herabblickt. Wir sehend en strengen Blick eines Mannes, der nicht zerbrochen ist, sondern ganz selbstbewusst und von seiner Rechtschaffenheit überzeugt z sein scheint, dessen Willensstärke, Mut Lebenshunger, Liebe zur Heimat und das Streben nach dem Sieg ihm nicht nur beim Überleben, sondern auch beim Siegen geholfen haben.

Was ist das? Das Streben des Künstlers nach dem Ausschmücken der realen Lage de Dinge? Alles viel besser zeigen, als es tatsächlich der Fall ist? Nein! Der Künstler weigert sich einfach, sich als denjenigen zu erinnern, als der ihn das Foto zeigt. An einem trügerischen Erscheinungsbild hat er kein Interesse. Er zeichnet sich so, wie er sich fühlte – als Sieger, der alle Herausforderungen des Schicksals überwand. Mit seinem Porträt beantwortet er die Frage: „Haben wir das denn nicht alle ertragen?“ Ja, das haben wir, und wir haben gesiegt.

Die Wirkung künstlerischer Gestalten ist unwiderlegbar – sie löst einen Auftrieb der Gefühle aus, die in einer Welle das ganze Wesen des Menschen erfasst. (Krasnojarsker Künstler: Katalog / Verf., Autor des Artikels T.M. Lomanow. – Krasnojarsk: „Polikor“ GmbH, 2007, S. 189).

Und es ist unbedeutend, dass der Mann 1945 nicht so aussah. Wichtig ist vielmehr, dass er sich so fühlte. Die Kraft der Kunst hat ihn verwandelt, und wenn wir uns Fotos des Künstlers aus den 1950er und 1960er Jahren anschauen, dann sehen wir, dass seine Gestalt sich verändert hat, dass er seinem Porträt ähnlich geworden ist – so wie der Künstler sich selber sah. So wie er war. (Anlage 12).

4. Schlussbemerkung

An dem Projekt „Krasnojarsker Künstler in den Jahren des Großen Vaterländischen Krieges“ wird im A.G. Posdejew-Museum der Schule N° 69 seit mehreren Jahren gearbeitet. Nicht nur eine Generation Studierender, Mitglieder des Schulmuseum-Rates haben an den Forschungs- und Expositionsaktivitäten teilgenommen. … Das Studium des Archivs der Künstlervereinigung und des Familien-Archivs von J.S. Kobytew, Begegnungen mit der Redakteurin des Buches „Die Chorolsker Grube“ –O.A. Chonina – durch Schüler des Künstlers ermöglichten es, einzigartige Dokumente, Fotografien und authentische Werke J:S. Kobytews zu sammeln.

Eines der Ergebnisse der gegenwärtigen Arbeit ist die Schaffung einer Ausstellung über das Werk J.S. Kobytews im Schulmuseum, welche den ersten Platz beim regionalen Wettbewerb der Schulmuseen einnahm. Die Exposition wurde im Krasnojarsker W.P. Astafjew-Literaturmuseum und im Heimatkund-Museum der Stadt Schelesnogorsk gezeigt.

Die Arbeiten J.S. Kobytews sind Zeugnisse eines Augenzeugen jener schrecklichen, aber auch heroischen Jahre. Es ist eine mit Hilfe künstlerischer Mittel ausgedrückte Reportage über das großen Leiden und großartige Heldentaten unseres Volkes.

Seine Pflicht vor der Heimat zu Friedenszeiten sah Jewgenij Stepanowitsch nicht nur darin, dass er die Wahrheit über den Krieg erzählen musste, sondern auch in der Propaganda für den Kampf um Frieden. In seinen letzten Lebensjahren trat er häufig mit Vorlesungen über den Krieg in Erscheinung, wobei er diese mit seinen Zeichnungen illustrierte.

Ich sehe meine Pflicht in der absoluten Notwendigkeit J.S. Kobytews Sache fortzusetzen und den Menschen so viel wie möglich mit den Mitteln der Kunst über den Großen Vaterländischen Krieg zu erzählen. Die talentierten, zornigen, von Tapferkeit, Lebenshunger und dem Willen zu siegen durchdrungenen grafischen Blätter J.S. Kobytews sollen Studienfach im Heimatkunde-Unterricht werden.

5. Literatur-Angaben

1. J.S. Kobytew. Die Chorolsker Grube: Dokuentar-Roman. – Ch.: Prapor-Verlag, 1989. – S. 203, [8], Bl. Ill.
2. J.S. Kobytew. Die Chorolsker Grube. Krasnojarsk: Krasnojarsker Buch-Verlag, 1965. – S. 148, Ill.
3. J.S. Kobytew. Fragen der Kompositionslehre in der darstellenden Kunst: Lehrmittel. – Krasnojarsk: Staatliches Krasnojarsker Kunst-Institut, 2008. – S. 240, Ill.
4. Krasnojarkser Künstler: Katalog / Verf., Autor des Artikels T.M. Lomanow. – Krasnojarsk: „Polikor“ GmbH, 2007. – S. 320, Ill.
5. Ausstellung mit Werken von J.S. Kobytew: Kataog. – Krasnojarsk: Krasnojarsker Stadt-Abteilung für Kultur. Typographie „Sibirien“, S. 5.
6. N. Lisowskij. Jewgenij Stepanowitsch Kobytew. Booklet. - Krasnojarsk: Typographie “Krasnojarsker Arbeiter”. S. 8.
7. Archiv des Schulmuseums. Erinnerungen von W.J. Kobytew. Notizheft.
8. Archiv des Schulmuseums. Erinnerungen von O.A. Chonina. Notizheft.
9. Archiv des Schulmuseums. Buch mit Reaktionen von der persönlichen Ausstellung A.G. Posdejews, 1961.
10. Archiv des Schulmuseums. Erinnerungen von W.G. Waganow.

Anlage 1


Exposition des A.G. Posdejew-Schulmuseums
gewidmet dem Leben und Werk J.S. Kobytews


J.S. Kobytews Tochter – Wera Jewgenjewna bei der Eröffnung unserer
Ausstellung in Schelesnogorsk.

Anlage 2


So ging J.Kobytew 1941 an die Front


1945, so kehrte er zurück


J.S. Kobytew (rechts am Rand in der 2. Reihe).
Foto aus dem Archiv von W.J. Kobytewa, der Tochter des Künstlers

J.S. Kobytew: Porträts ukrainischer Frauen.
Aquarell, ca. Ende der 1930er/Anfang der 1940er Jahre.
Aus W.J. Kobytewas Familien-Archiv

Anlage 5

 

Anlage 6

Anlage 7


Den Krasnojarskern ist J.S. Kobytew auch als Urheber des
Mosaiks über dem Kinotheater „Heimat“ bekannt.


Ausschnitt aus dem Mosaik über dem Kinotheater „Heimat“

Anlage 8


Aus der Serie graphischer Blätter „Bis zum letzten Atemzug“

Anlage 9


Aus der Serie graphischer Blätter „Leute, seid wachsam!“

Anlage 10


Foto von 1941


Selbstbildnis, Papier, Bleistift

Anlage 11


Foto von 1945


Selbstporträt, Papier, Kohle

Anlage 12


Foto, etwa 1964


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