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Der schwere Weg der Amalie Erdmann

Kommunale budgetierte Bildungseinrichtung „Kosylsker allgemeinbildende Mittelschule N° 1“
Autorin: Aljona Wenitschenko

Kommunale budgetierte Bildungseinrichtung „Kosylsker allgemeinbildende Mittelschule N° 1“
Leitung: Rimma Leonidowna Domratschewa,
Geografie-Lehrerin

Kosylka 2014

Ziel: Studium der Geschichte eines Mädchens aus einer deutschen Familie, das zusammen mit den Eltern deportiert wurde, welche vom Schicksal nach Sibirien geworfen wurden.

Aufgaben:
- Anhand von Dokumenten die Besonderheiten des historischen Zeitraums zu studieren, in dem die zu erforschenden Geschehnisse sich ereigneten.
- Anhand von Dokumenten aus dem Familienarchiv von W.W. Poskrebyschewa den Lebensweg der A.E. Erdman zu erforschen.

Objekt der Forschung ist das Schicksal einer Einwohnerin unserer Siedlung, deren Kindheit in einer Siedlung für Deportierte verlief.
Forschungsmethoden: Gespräch mit einem Familienmitglied, Arbeit im Familien-Archiv

Aktualität: Heute, da jeder versucht die Geschichte zu deuten, wie es ihm gerade recht ist, sollten wir, die junge Generation, die historische Wahrheit über die Ereignisse der Vergangenheit erfahren.

Praktische Bedeutung:
Wir müssen die Geschichte der Menschen erfahren, die uns umgeben, lernen, wie viel sie haben durchmachen müssen, was für ein schwieriges Leben ihnen beschieden war, und die Ereignisse jener Jahre richtig bewerten…

Inhalt

1. Vorwort
2. Die Geschichte der Amalie Emmanuilowna Kulikowa (Erdman)
3. Schlussbemerkung
4. Quellenangaben
5. Anhang

1. Vorwort

Wir leben in Friedenszeiten. Und für uns ist unsere Krasnojarsker Region, ein großer Teil des rauen Sibiriens, unsere kleine Heimat, auf deren Territorium verschiedene Völker und Volksgruppen leben. Keiner von uns hat darüber nachgedacht, aufgrund welcher Schwierigkeiten die Menschen hierher kamen. Wirtschaftliche, soziale und politische Prozesse, die sich im Lande vollzogen, führten unausweichlich zu einem Migrationsstrom innerhalb ganz Russlands, unter anderem auch in der Region Krasnojarsk; das hat die nationale Zusammensetzung verändert, zum Auftreten neuer sozialer Probleme geführt und gegenseitiges Verstehen, Toleranz und gute Nachbarschaft notwendig gemacht. Sibirien ist eine raue Region des Landes, aber auf seinem Territorium leben Vertreter aller Völker der ehemaligen UdSSR; bei weitem nicht alle von ihnen kamen in freiwilliger Absicht nach Sibirien. Schon zu Zaren-Zeiten wurde diese Region, in der man das Überleben unter harten Bedingungen mit einer zweiten Haftstrafe gleichsetzen kann, für Verbannungszwecke genutzt. Nicht umsonst gibt es unter den Bewohnern Sibiriens das weit verbreitete Sprichwort: „Weiter als Sibirien schicken sie dich nicht“.

So also gelangten durch den Willen des Schicksals hunderttausende deportierte Menschen unterschiedlicher Nationalitäten hierher – Griechen, Kalmücken, Letten, Litauer, Wolga-Deutsche, Krim-Tataren, Tschetschenen usw.

Der Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR N° 21/160 vom 28.08.1941 über die Umsiedlung der gesamten, in den Wolga-Gebieten lebenden, deutschen Bevölkerung.

Dieses Dokument wurde zum Wendepunkt im Schicksal vieler Völker.

In dem Dokument fanden sich Zeilen wie: „Für die Aussiedlung werden überreiche, urbare Ackerböden in den Bezirken der Gebiete Nowosibirsk und Omsk sowie im Altai-Gebiet, in Kasachstan und anderen benachbarten Gegenden zugeteilt“, aber in Wirklichkeit setzte man die Deportierten einfach in den riesigen Weiten des sibirischen Nordens aus, in der Zone des ewigen Frosts und der eisigen Kälte. Hier hielt, neben dem geltenden Sonder-Regime, die Natur selbst auf Schritt und Tritt erhebliche Herausforderungen für die Menschen bereit. Wie es ihnen gelang zu überleben, welche Erfahrungen sie durchmachen mussten – das ist heute zum Gemeingut der Geschichte geworden. Familien, die aus dem gewohnten Leben herausgerissen wurden, die ihre Zukunft verloren, wurden für lange Jahre „Sibirjaken ohne Staatsbürgerschaft“.

Über das Schicksal des deutschen Mädchens Amalie Erdman möchte ich in dieser Arbeit berichten.

2. Der schwere Weg der Amalie Emmanuilowna Erdman (Kulikowa).

Als Schil-Direktorin S.W. Aleksejewa erfuhr, dass wir unsere Arbeit fortsetzen und vom Schicksal repressierter Menschen berichten wollten, schlug sie uns vor, Wladimir Wassiljewitsch Poskrebyschew zu treffen, der uns vom Schicksal seiner Mutter Amalia Emmanuilowna Erdman (Kulikowa) erzählen könnte, deren Los ebenfalls vom „Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR N° 21/160 vom 28.08.1941 über die Umsiedlung der gesamten, in den Wolga-Gebieten lebenden deutschen Bevölkerung“ korrigiert wurde.

Amalie Emanuilowna Erdman wurde am 20.09.1928 in der Ortschaft Grimm, Bezirk Kamenka, Gebiet Saratow, ASSR der Wolga-Deutschen, geboren.
„Irgendwann in meiner fernen Kindheit besaßen wir ein schönes Haus, - erinnerte sich Amalie Emmanuilowna, - ein großes Grundstück mit Gemüsegarten und Wirtschaftsgebäuden.
Die Familie Erdman lebte im Gebiet Saratow, Krasnoarmeijsekr Bezirk. Das Familienoberhaupt, Emmanuil Jakowlewitsch arbeitete in der Fabrik, seine Ehefrau Margarita Friedrichowna war Köchin im Kindergarten. Die vier Kinder lernten in der großen, vierstöckigen Schule. Die Familie führte ein einträchtiges, ruhiges Leben. Das sind die wärmsten, liebevollsten Erinnerungen an die Kindheit, als der Vater noch lebte und nichts auf das bevorstehende Unheil hindeutete.

Amalia war 12 Jahre alt, als der Krieg ausbrach.

Und dann, am 20.09.1941, werden in Durchführung des „Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR N° 21/160 vom 28.08.1941 über die Umsiedlung der gesamten, in den Wolga-Gebieten lebenden deutschen Bevölkerung“, ohne jede Vorankündigung und mit nur wenigen Stunden Zeit zum Sachen-Packen, hunderte Familien auf Waggons verladen – zur Umsiedlung in den Norden. Dutzende Fragen bleiben ohne Antwort. Man hört sie nicht an, spricht nicht mit ihnen und ist bemüht, ihnen nicht in die Augen zu schauen.

- Lieber schweigen, - flüstert die Mutter, drückt ihre Kinder noch fester an sich und befiehlt sich dem Willen Gottes an. An irgendeiner Bahnstation holte man, ohne eine Erklärung, die Männer in einen anderen Zug, während Frauen und Kinder weitertransportiert wurden. – Später erfuhr die Familie, dass der Vater nach Reschoty gelangt war, - erinnerte sich Amalia Emmanuilowna, - in die Arbeitsarmee. Dort starb er“. (Aus den Erinnerungen der A.E. Erdman (Kulikowa), Zeitung „Avantgarde“, 22. Oktober 2005, N° 43).

Der schreckliche Zug transportierte sie in das nicht weniger schreckliche Sibirien; zuerstkamen sie ind en Nischne-Ingaschsker Bezirk, hatten dort kurze Zeit Aufenthalt. Dann ging es in den Baikitsker Bezirk – mit einem Lastkahn über den Fluss. Die restlichen 120 km bis nach Kjumba mussten sie zu Fuß gehen; sie nahmen nur die Sachen mit, welche die Frauen und Kinder in ihren Händen tragen konnten, alles andere verpflichteten sie sich in einer Baracke am Ufer des Flusses zurückzulassen. Es war Winter, alles was Amalias Mutter tragen konnte, war eine warme Decke, welche sie später vor der Kälte schützte. Als sie im Frühling zu ihren hinterlassenen Sachen zurückkehrten, stellte sich heraus, dass die Baracke abgebrannt war; so hatten die Menschen das Letzte verloren, das sie mit ihrem vergangenen Leben verband. Die Sachen waren dem Herz und der Seele lieb und teuer gewesen, auch Familienfotos hatten sich darunter befunden. Was der Grund für das Feuer, den Raub der Flammen gewesen war, blieb ein Rätsel. Und es machte sich auch niemand zur Aufgabe, eine Erklärung für das Geschehene zu finden. Anschließend führte sie der Weg, den sie ganz zu Fuß zurücklegten, in die Siedlung Tutontschany. Wer einmal in Sibirien war, weiß, was es bedeutet, im Winter 330 km zu gehen. „Dabei hatten wir noch Glück, - erinnerte sich Amalie Emmanuilowna, - unser Häuschen war zwar baufällig und klein, aber man konnte dort wenigstens einen Ofen beheizen. Um die stämmigen Wände wuchs Wald. So viel Wald hatten wir zuvor noch nie gesehen. Wir waren noch Kinder, aber wir lernten Holz zu fällen, zu zersägen, Brennholz zu hacken und den Ofen anzuheizen. 1943 begann Amalie zu arbeiten. Zusammen mit einem anderen minderjährigen Mädchen kochten sie Salz, eine Tonne oder mehr pro Tag, und schafften es zum Vorratslager hinüber. Von dort aus wurde das Salz auf Fuhrwerke verladen und abtransportiert. Außerdem waren alle, die in der Siedlung wohnten, verpflichtet, Fisch zu fangen und ihre Beute für die Front abzugeben. Es war streng verboten, Fisch für sich selbst zu fangen und zu behalten. Mitunter gab man ihnen nicht einmal die Zeit, einen besonders schönen Fisch zu bestaunen. Gearbeitet wurde rund um die Uhr. Wir waren sehr müde, aber stolz darauf, dass wir unsere 300 Gramm Brot selbst erarbeitet hatten. Später, als wir uns eingelebt hatten, gingen wir mit den anderen Mädchen aus der Siedlung zum Preiselbeeren Sammeln“.

Wir arbeiteten in der Holzfällerei; Großvater war der Älteste, er schärfte die Äxte, Sägen. Und die Kinder arbeiteten anstelle von Pferden. Von so einer kräfteraubenden Arbeit wurde die kleine Amalie krank; drei Tage lang lag sie in einer kleinen Waldhütte, fürchtete in der Einsamkeit um ihr Leben. Niemand kam, um ihr Wasser zu geben, alle mussten sie arbeiten. Doch das kleine Leben siegte und nahm den Kampf gegen das Schicksal wieder auf.

1944. Margarita Friedrichowna Erdmans (Amalies Mutter) Familie wurde in den Tungusso-Tschunsker Bezirk verlegt, in die Ortschaft Banawary. Margarita Friedrichowna versuchte alles zu tun, um ihre Töchter irgendwie zu unterstützen; sie war eine gute Hausfrau und Handarbeitskünstlerin; die Sachen, die sie strickte, tauschte sie gegen Lebensmittel ein, wobei sie selber nie alles aufaß, sondern ihren Kindern gab. Es gab Fälle, dass in anderen Familien Kinder vor lauter Hunger starben. Die Frau war 35 Jahre alt, Elisabeth 15, Amalie 14. Die Mama versuchte immer in der Nähe ihrer Mädchen zu sein, im Wald, beim Salz-Kochen, am Fluss…

Die eingeborenen Ewenken verhielten sich den Siedlern gegenüber mitfühlend und verständnisvoll. Sie sahen, wie schwer diese Menschen es hatten, sich an die raue Natur zu gewöhnen. Das wertvolle Geschenk eines Ewenken bewahrte Amalie Emmanuilowna bis ans Ende ihres Lebens. Es handelte sich um eine mit Rentierfell gefütterte Matratze, ein warmes, flauschiges Kleinod, eine Gabe von Menschen, die in diesen rauen Gegenden leben.

Die Sondersiedlung ging vom 20.09.1941 bis zum 04.02.1956 – 14 Jahre, 4 Monate und 14 Tage. Amalie Emmanuilowna arbeitete im Norden 12 Jahre lang, davon kochte sie 10 Jahre lang Salz; davon erkrankten ihre Beine, die von der Salzlauge ganz zerfressen waren. Das einzige Heilmittel dagegen war Solidol (Schmierfett; Anm. d. Übers.). Die Jahre des Sonderregimes nahmen den Kindern ihre Kindheit, im Alter von 12 Jahren wurden sie bereits zu Erwachsenen. Vier Klassen, die Amalie an der Schule der deutschen Ortschaft Grimm absolvierte, blieben ihre einzige Ausbildungsbasis. Doch sie verfügte über natürliche Fähigkeiten, Fleiß, Zähigkeit, Ausdauer, praktisches Geschick und konnte eine Ausbildung zur Köchin beenden, sobald dies möglich war. Sogar in der Sonderansiedlung waren die Frauen bemüht, die Besonderheiten ihrer nationalen Kultur, ihrer Küche zu bewahren. Sie strickten Schals, fertigten Plattstickereien an, kochten nationale Gerichte, buken Kuchen und Strudel. Ihnen wohnte ein war ein großes Maß an Akkuratesse, Genauigkeit und Pflichtbewusstsein inne.

Amalie heiratete und zog bereits 1954 mit der Familie nach Kosulka, wo Jelisaweta Friedrichowna, die Schwester der Mutter, lebte. Doch das Familienglück währte nicht lange. Sie blieb mit den Jungen Wladimir und Walerij allein. Und nur Großmutter Margarita Friedrichowna Erdman (Fritzler), bemühte sich nach Kräften, ihrer Tochter unter die Arme zu greifen.

Sie arbeitete in Kosylka in der Teestube der Bezirkskonsumgenossenschaft; es gab viele Ankömmlinge, die verpflegt werden mussten – etwa 70-100 Menschen bekamen täglich in der Teestube ihr Essen. Nach einiger Zeit beschloss Amalie noch einmal zu heiraten und änderte ihren Familiennamen Poskrebyschewa in Kulikowa. Tochter Nadeschda wurde geboren. Nach der Arbeit in der Bezirkskonsumgenossenschaft wechselte sie, nun schon als erfahrene Köchin, ans Zentrale Bezirkskrankenhaus, von wo aus sie dann auch in Rente ging.

Für ihre berufliche Tätigkeit wurden Amalie Emmanuilowna mehrfach Ehrenurkunden verliehen. Für langjährige gewissenhafte Arbeit erhielt sie die Medaille „Arbeitsveteran“. Schade nur, dass die Arbeit des Mädchens Amalie, ebenso wie die Arbeit anderer Gleichaltriger, nicht mit auf das gesamte Berufsleben angerechnet wurde, und die Tätigkeit in der Konsumgenossenschaft konnte sie nicht belegen – die Dokumente darüber gingen bei einem Feuer mit in Flammen auf. Egal, wie lange das Schicksal diesen Menschen auch herausforderte – Amalie Emmanuilowna war es nicht gewohnt, den Mut zu verlieren, sie beklagte sich nie, wenngleich die Situation nach menschlichem Verständnisäußerst kränkend war, denn schließlich hatte sie bereits mit 12 Jahren zu arbeiten begonnen.

Das ist die Geschichte des Lebenswegs eines kleinen Mädchens, dessen Schicksal sich allein aufgrund der Tatsache, dass es deutscher Nationalität war, jäh veränderte!
Vier Schwestern mütterlicherseits hat Amalie: Margarita, Jelisaweta (Elisabeth), Eva, Anna – Nachname Fritzler (Foto der Familie im Anhang). Nach der Rehabilitation blieben sie in der Region Krasnojarsk, gingen aufrichtig ihrer Arbeit nach, zogen ihre Kinder und Enkelkinder groß, sind an ihren Wohnorten begraben.

Amalie Emmanuilowna Erdman (Kulikowa) starb am 05.08.2008, kurz vor ihrem 80. Geburtstag; sie liegt in der Siedlung Kosulka begraben.

Sohn Wladimir Wassiljewitsch Poskrebyschew und Tochter Nadeschda Nikolajewna Kulikowa hüten sorgsam alles, was mit dem Namen ihrer Mutter im Zusammenhang steht.

3. Schlussbemerkung

Unter Verwendung des Familienarchivs von W.W. Poskrebyschew und einem Artikel der Zeitung „Avantgarde“ haben wir über das Schicksal eines Menschen berichtet, der unter die Räder der historischen Ereignisse unseres Landes geriet. Noch als Kind musste Amalie Erdman kein kindliches Schicksal erleben, sondern bereits mit 12 Jahren erwachsen sein, alle Erschwernisse des Lebens durchmachen und dabei Mensch, liebende Ehefrau, Mutter, Großmutter und würdige Staatsbürgerin des Landes bleiben.

Wenn wir uns anschauen, praktisch Altersgenossen der Amalia jener Zeit, stellen wir uns unwillkürlich die Frage, ob sich unsere Erfahrungen und Schicksalsherausforderungen mit den damaligen vergleichen lassen… Ich glaube nicht! Für viele von uns liegen die Herausforderungen heute im schulischen Bereich, dem Bereich des Lernens. Körperliche Arbeit ist ein Atavismus der Vergangenheit geworden. Die moralischen Eigenschaften des Menschen – das wichtigste Gut, wird abgelöst durch materiellen Wohlstand.

Deswegen bin ich der Ansicht, dass man dieses Material zur Durchführung der Unterrichtsstunden verwenden, davon erzählen und in den Massenmedien veröffentlichen sollte. Wie müssen die Forschungsarbeit weiterführen, um diejenigen kennen und verstehen zu lernen, die um uns herum leben, damit die schrecklichen und tragischen Ereignisse in der Geschichte unseres Landes, diejenigen, die in den Jahren der Verfolgungen so zu leiden hatten, nicht in Vergessenheit geraten. Es ist sehr schade, dass man erst vor relativ kurzer Zeit damit begonnen hat, über jene Ereignisse zu sprechen und viele, die die Zeit mitgemacht haben, schon nicht mehr am Leben sind; umso wertvoller sind die Familienarchive, die von den Angehörigen sorgsam gehütet werden; sie setzen die Suche nach ihren Verwandten fort, welche das Schicksal im ganzen Land und im Ausland auseinandergeworfen hat. Auch zu Lebzeiten waren diese Menschen recht wortkarg, sie hatten Angst davor, über das Durchlebte zu reden. Sogar als das Gesetz „Über die Rehabilitierung der Opfer politischer Repressionen“ im Jahr 1991 verabschiedet wurde, hatten sie nicht den Wunsch, das Bedürfnis zu sprechen – sie waren es gewohnt zu schweigen. Und nur die engsten Familienmitglieder erfuhren darüber, was ihre Eltern, Verwandten durchgemacht hatten. Und ihnen ist es zu verdanken, dass wir heute das erfahren können, worüber die Geschichtslehrbücher geschwiegen haben. Auf dem Territorium unseres Bezirks leben zahlreiche Familien, deren Geschichte in engem Zusammenhang mit diesen tragischen Ereignissen steht. Die Aufgabe der heutigen Generation ist es, die Namen der Menschen, die als Opfer der politischen Repressionen zu leiden hatten, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen und dem Gebot „Wir leben, so lange man sich an uns erinnert“ folgen. In der Region Krasnojarsk wurde das Buch der Erinnerung an die Opfer politischer Repressionen verfasst; jede neue Information kann darin zur nächsten Seite werden. Ich hoffe, dass diese Forschungsarbeit eine Mahnung an das Schicksal eines weiteren Menschen und seiner Familie darstellt.

Ich habe begriffen, dass das Schicksal dieser Frau hunderttausenden anderer Menschenschicksale gleicht, Menschen, die ähnliches durchmachen mussten, aber ich bin der Meinung, dass es, solange die Zeugnisse jener Zeit noch nicht verloren gegangen sind, einfach unsere Pflicht ist, über das Geschehene zu berichten – um der Erinnerung, des Respekts und unser selbst willen.

4. Quellenangaben

1. Familienarchiv von W.W. Poskrebyschew
2. Zeitung „Avantgarde“, 22. Oktober 2005, N° 43

5. Anhang

Präsidium des Obersten Sowjets der UdSSR
Ukas
Vom 28. August 1941
Über die Umsiedlung der in den Wolga-Gebieten lebenden Deutschen

Nach glaubhaften, von den Militärbehörden erhaltenen Angaben, gibt es innerhalb der in den Wolgagebieten lebenden deutschen Bevölkerung tausende und abertausende Diversanten und Spione, die, auf ein entsprechendes Signal aus Deutschland hin, in den von Wolgadeutschen besiedelten Regionen Sprengstoffanschläge verüben sollen.

Über das Vorhandensein einer derart großen Menge von Diversanten und Spionen unter den Deutschen, die in den Gebieten entlang der Wolga leben, war der Sowjetmacht bislang nichts bekannt. Infolgedessen muss man davon ausgehen, dass die deutsche Bevölkerung an der Wolga in ihrer Mitte Feinde des sowjetischen Volkes und der Sowjetmacht versteckt hält.

Für den Fall, dass es zu Diversionsakten kommt, die aufgrund einer entsprechenden Weisung aus Deutschland von deutschen Umstürzlern und Spionen in der Republik der Wolgadeutschen oder den angrenzenden Regionen durchgeführt werden, wird es ein Blutvergießen geben und die sowjetische Führung nach den für Kriegszeiten geltenden Gesetzen gezwungen sein, Strafmaßnahmen gegen die gesamte deutsche Bevölkerung in den Wolgagebieten einzuleiten.

Zur Vermeidung solcher unerwünschten Entscheidungen und zur Verhinderung großen Blutvergießens hält das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR es für unerlässlich, die gesamte deutsche Bevölkerung aus den Regionen an der Wolga in andere Gebiete umzusiedeln, mit der Maßgabe, dass den Umsiedlern dort Land zugeteilt und ihnen staatliche Hilfe beim Einrichten ihres neuen Lebensraumes gewährt wird.

Für die Neuansiedlung sind die Regionen Nowosibirsk und Omsk, das Altai-Gebiet, Kasachstan und andere benachbarte Örtlichkeiten vorgesehen, wo reiches Ackerland im Überfluss vorhanden ist.

In Zusammenhang mit dieser Verordnung ist dem Staatlichen Komitee für Verteidigung der Befehl erteilt worden, die Umsiedlung aller Wolga-Deutschen unverzüglich durchzuführen, den wolgadeutschen Umsiedlern ein Stück Land sowie nutzbaren Ackerboden in den neuen Gebieten zuzuweisen.

Vorsitzender des Präsidiums des
Obersten Sowjets der UdSSR
M. Kalinin

Sekretär des Präsidiums des
Obersten Sowjets der UdSSR
A. Gorkin


1914. Familie Fritzler (der Mutter von Amalie Margarita)


Amalia Emmanuilowna Erdman (Kulikowa)


Familie Amalia Emmanuilowna Erdman (Kulikowa)


Haus in der Siedlung Kosulka, in dem die Familie wohnt


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