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Sturm über Pritubine

Zur Geschichte der Kollektivierung im Bezirk

Die dreißiger Jahre. Sie gingen im Rahmen der ersten Fünfjahrespläne in die Geschichte unseres Staates ein, die in dem noch in Bastschuhen herumlaufenden Russland den Hunger nach Reformen wachriefen. Es war die Zeit des Bemühens, all das Neue zu verstehen, was der Sozialismus mit sich brachte. Es war sehr schwierig, diesem neuen Weg zu folgen, sich in den Strudel der Transformationen zu stürzen, sich für eine Veränderung der gesamten Lebensweise zu entscheiden. All das lockte die große Masse der Bauern an, ließ aber gleichzeitig auch Angst um die Zukunft aufkommen.

Für uns alle ist es heute, fast 60 Jahre danach, schwer, über die Kollektivierung zu sprechen. Auch heute löst sie widersprüchliche Meinungen aus. Denn in jenen Jahren schöpften die kleinen Bauernhöfe bei weitem nicht ihre Möglichkeiten aus, gleichzeitig waren sie im Hinblick auf die Industrialisierung des Landes eingeschränkt. Die Kollektivierung setzte allen Quellen der Ausbeutung auf dem Lande ein Ende und die gegründeten Kolchosen spielten, zusammen mit den Sowchosen, eine große Rolle beim Aufbau der Industrie, der Stärkung der Landesverteidigung und hielten letztendlich auch den schwierigsten Herausforderungen in den Jahren des Krieges stand.

Bei dem Versuch, eine Antwort darauf zu finden, wie es bei uns in Pritubine war, musste ich mich mit einer Menge Leute treffen — Augenzeuge der Ereignisse jener Jahre. Es gab viele Meinungen, viele Argumente. Einige konnten auch heute noch keine Antwort auf die Fragen geben, die sie so viele Jahrzehnte aufgewühlt hatten.

Doch in einem waren sie sich alle einig. Kollektivierung und Liquidierung der Großbauernschaft vollzog sich in einer Atmosphäre des Zwangs und war begleitet von Gewalt gegenüber den Bauern, was letztendlich zu zahlreichen Menschenopfern führte. Unaufhörlich wurden die vorhandenen Produktivkräfte der Landwirtschaft zerstört. Versuchen Sie heute einmal zusammen zu zählen, wie viele Bauernhöfe ruiniert wurden, wie viele Männer, Frauen, alte Menschen, Kinder, die gezwungen wurden, ihre Häuser, ihre Heimatorte zu verlassen, in der Tomsker Taiga ums Leben kamen – in Goldbergwerken und an anderen Orten?

Wie im ganzen Land war auch die Kolchosbewegung in Pritubine von unterschiedlichen Erscheinungen begleitet, die aus der Situation eines verschärften Kampfes auf dem Lande und dem Aufeinanderstoßen verschiedener Bauernmassen resultieren. Die Bewegung für eine kontinuierliche Kollektivierung entwickelte sich ab dem Sommer 1929. Hier sieht man die Dynamik innerhalb der Region:

  1929 ã. 1930 ã. 1931 ã.
Anzahl aller Kollektivbetriebeâ 21 34 90
Anzahl aller Kollektivbetriebe 427 2285 5499
Kollektivierungsprozentsatz   20,0 52 4

Somit war die Kollektivierung 1931 noch nicht abgeschlossen; sie wurde noch bis 1932-33 fortgesetzt. In diesem Jahr gab es im Bezirk lediglich einen einzigen Traktor mit einer Leistung von 25 Pferdestärken. In Betrieb waren 6 Molkereien mit einem Produktionsausstoß von 512 Zentnern Butter im Jahr.

Laut Angaben der West-Sibirischen Regionalen Behörde für Volkswirtschaftliche Statistik gab es nach dem Stand von Anfang 1932 im Bezirk 105800 Hektar Ackerland, 48700 — Weiden, 30000 - Heufelder. Wälder und Sträucher nahmen 3030400 Hektar ein. Für Aussaaten ungeeigneter Boden hatte eine Fläche von 76000 Hektar inne. Das gesamte Territorium machte 32943 Quadratkilometer aus (bewohnbarer Teil 3187 Quadratkilometer). Auf 1 Quadratkilometer des bewohnten Teils entfielen 16,7 Einwohner. Von der 53065 Menschen zählenden Bevölkerung gehörten lediglich 4979 zu den Angestellten, Arbeitern und Handwerkern. 87 Prozent der Gesamtproduktion entfielen wertmäßig auf die Landwirtschaft.

Günstige Boden- und Klimabedingungen sicherten den Anbau von Getreide-kulturen, im nördlichen und östlichen Teil von — Industriepflanzen. Bei der Getreidewirtschaft nahm Weizen 40,33, Hafer 25,19 und Roggen 21,06 Prozent ein. Von der gesamten Anbaufläche im Jahr 1931 (45792 ha) nahm das Getreide 80, die Industriepflanzen 9,5% ein.

Am 15. Februar 1932 gab es 7 Milchvieh-Betriebe mit 2275 Rindern, 10 Schweinezucht-Betriebe (2298 Schweine), 16 Schafzucht-Betriebe (15859 Schafe) und 11 Jungvieh-Betriebe (1288 Kälber).

1931 belief sich die Getreidebeschaffung auf 11332 Tonnen (3723 Kolchosen und 7603 — Einzelbauern), 2840 Zentner Ölsaaten, 967— Faserstoffe und 16204 Zentner Fleisch.

Heute ist es falsch, die Existenz von Unterstützern der Kollektivierung, ihre echten Enthusiasten und Kämpfer für die Kolchosen zu leugnen. Es waren Vertreter der Armen und eines Teils der Mittelbauern. Ohne sie wäre die Kollektivierung und Liquidierung des Großbauerntums einfach nicht möglich gewesen. Doch selbst der entschlossenste Befürworter der Kollektivwirtschaft konnte die von 1928-1930 wütende Gewalt und Bürokratie nicht nachvollziehen und akzeptieren.

Im Leben eines jeden Bauernhofes gab es ungeschriebene Traditionen, die im Laufe der Jahrhundert entstanden waren. Aber hier wurde nun alles auf den Kopf gestellt. Niemand fragte den Kolchosbauern nach seiner Meinung, seinen Ansichten und Traditionen fanden keine Berücksichtigung. Einen nach dem anderen kommandierten die Bevollmächtigten nun herum, was wie zu tun war, und manchmal schlugen sie dabei mit der Faust oder der Nagan-Pistole auf den Tisch, obwohl sie sich mit bäuerlichen Dingen überhaupt nicht auskannten. Und bei der geringsten kleinen Bemerkung über ihre Inkompetenz hängten sie dem zu dreist Gewordenen das Etikett eines Verbrechers oder Volksfeindes an. Auf dem Höhepunkt der Erntearbeiten holten man Menschen und Pferde zum Wegebau, Bäume fällen, Holz flößen usw. fort.

Ganz besonders beunruhigte die Leute die vorzeitige Getreideabgabe. Man schaffte es nicht, die Ernte zu Hocken aufzuschichten — zu dreschen und das Getreide aus Pokrowka, Tagaschet und anderen Orten zu Pferde oder auf Flößen nach Kuragino zu transportieren. Menschen und Pferde verließen die Dörfer. Die Höfe verspäteten sich mit der Ernte aus Mangel an Arbeitskräften und Transportmitteln.

Das Leben verlief nicht wie gewohnt. Sie wussten nicht, ob sie glauben sollten, dass die Zukunft besser würde, oder nicht. Und das Dorf war bereits mit schrecklich vielen Kommandeuren durchsetzt. Sie zwirbelten es, so sehr sie nur konnten. Das Getreide wurde ausgeschaufelt, manchmal durfte man sogar die Saatkörner nicht behalten, die einem für die geleisteten Tagesarbeitseinheiten zugestanden hätten. Einer der Bystrjansker Alteingesessenen berichtete, dass bei ihnen in Wjerchnej Bystroij eine doppelte Buchführung hätten, damit die Leute dort blieben. Eine Bestandsliste für Getreide war offiziell, die andere «im Untergrund» (gefälscht, illegal; Anm. d. Übers.). Die Not der Menschen ist so groß, dass niemand dies zugeben würde, egal mit welcher Waffe man ihn auch bedroht. Und diese geheime Liste ernährt die Menschen und rettete ihnen das Leben. Die Bezirksleitung hatte eine Vermutung, aber einer tat so, als wüsste er nichts davon, der zweite gab nur der guten Ordnung halber einen Ton von sich. Na ja, und da es nun einmal keinen Ausweg gab, beugte sich das Dorf eben.

Zahlreiche junge Menschen wurden nahezu gewaltsam, manchmal mit Miliztruppen abgeholt und in die Betriebsausbildungsstätte nach Tschernogorsk, später auch nach Artemowsk, gebracht. Das alles war sehr kränkend; man riss die Heranwachsenden aus dem ländlichen Umfeld heraus, ohne ihre Wünsche, ihre Neigungen, geschweige denn ihre Liebe zu Land und Boden zu berücksichtigen. Und so machten sie aus dem Bauernburschen einen Arbeiter. Manche von ihnen sehnten sich bis zu ihren Sargbrettern nach ihrem Acker, nach dem Dorf zurück, doch ändern konnten sie nichts.

Was für Gefälle und Knickpunkte das Dorf Pritubine erfahren musste! «Ganz an der Spitze» stand die Idee, dass die Bauern kleine Höfe haben sollten, damit sie mehr Arbeitskraft und Zeit in die Kolchoswirtschaft einbringen konnten. Auf einen Schlag wurde ein Großteil der Höfe abgeriegelt. Na und? Nach ein-zwei Jahren war alles mit Gras bedeckt, es wuchsen Brennnesseln und jegliche Art von Kletten. Schlicht und einfach gesagt: weder für einen selbst, noch für die Menschen überhaupt. Derartige Landstücke russischer Misswirtschaft und Vergeudung waren gleichzusetzen mit Denkmälern kommandierter Ungeduld, und sie zerstörten den Glauben an die Gerechtigkeit.

Die Schwierigkeiten bestanden darin, dass die Bauernschaft nur spärlich über die aktuelle Lage im Land informiert wurde; sie kannte sich mit der Politik von Partei und Regierung kaum aus. Der Prozentsatz an Analphabeten und Leuten, die nur wenig lesen und schreiben konnten, war hoch. So gab es nach dem Stand vom 1.Mai 1931 im Bezirk 9630 Analphabeten, und nur 2388 Personen nahmen an Bildungsprogrammen zur Liquidierung des Analphabetentums teil. 98 Prozent der Kinder zwischen 8 und 11 Jahren besuchten 1931 keine Schule. In jenen Jahren waren die Bauern überhaupt nicht in der Lage, dieses ganze Chaos mit J.W. Stalin, mit seiner ungerechten Politik in Verbindung zu bringen, sondern schoben alles auf die schlechte Arbeit der örtlichen Machtorgane.

Bereits in der Resolution «Über den Volkswirtschaftsplan für das Jahr 1931» wurden Kontrollenzahlen bezüglich der Kollektivierung für alle Bezirksgruppen des Landes angegeben. Im März 1931 wies Stalin in einem Telegramm an den ost-sibirischen Volkskommissar Leonow darauf hin, dass es den örtlichen Organisationen nicht nur erlaubt sei, sondern sogar dringend empfohlen würde, die gestellten Aufgaben zu überbieten. Natürlich hatte das alles Folgen. Aber zuvor hatte Stalins Reise durch die Regionen Sibiriens im Januar-Februar 1928 ãîäà.

Bis nach Moskau war es weit. Bauernschaft und Aktiv «kochten» im eigenen Saft. Einerseits — die scheinbar richtigen Entscheidungen aus der Hauptstadt, andererseits —wurden viele lokale Mitarbeiter zu großer Nachsicht und Kompromissbereitschaft gegenüber dem Kulakentum (Großbauernschaft; Anm. d. Übers.) beschuldigt. All dies schürte eine Atmosphäre der Nervosität und administrativen Bürokratie. Es kam zu Gewaltanwendungen. Man praktizierte ein System allgemeiner Durchsuchungen, zuweilen nahm man nicht nur den Großbauern das Getreide fort, sondern auch den Mittel- und Kleinbauern. Der Tatbestand von Protesten gegen die Willkür wurde als Sabotage gewertet, die mit Verhaftungen geahndet wurde.

Der Komsomolze und Angehörige des Polowsker Dorfrats jener Jahr – Konstantin Petrowitsch Djatschenko - berichtete, dass die Kollektivierung in Poilowo im Großen und Ganzen vergleichsweise ruhig verlief. Allerdings befanden sich im Dorf Personen, die dem Prozess des Umbruchs der Landwirtschaft schaden wollten. Im Kolchoskontor gab es Pferde für Ausfahrten, und einmal wurden fünf von ihnen vergiftet. Die Ärzte stellten fest, dass die Vergiftung von Brillantgrün herrührte (ein Präparat zum Saatgut-Beizen), welches man in der Nähe des Brunnens mit Lehm bestreut hatte und woran die Pferde ständig leckten. Später wurden 7 Pferde mit Äxten erschlagen. Zweimal wurden auf den Inseln eine Heumähmaschine und Pferderechen zerstört. Natürlich fiel der Verdacht auf diejenigen, die reich waren und den Kolchosen nicht beitraten. Obwohl ihre Schuld nie bewiesen wurde, gerieten aus diesen oder jenen Gründen die Familien Afonin, Prochor Kudilow, Tomofei Cholupow und andere in den Strudel der Entkulakisierung (Großbauern-Enteignung; Anm. d. Übers.). Irgendwo starben Anfang der 1930er Jahre sämtliche Bienen; man hängte dem Imker Artjuch Artemew Schädlingstätigkeit an und verhaftete ihn als sozial gefährliches Element.

Natürlich gab es auch echte Kulaken. So stand beispielsweise auf den Ländereien der heutigen Kuraginsker Sowchose der Hof eines gewissen Remisow in voller Blüte, in dessen Besitz sich mehrere hundert Pferde befanden.
Der Mangel an der benötigten Zahl aktiver Mitglieder in der Bezirkshauptstadt und vor Ort zwang die örtlichen Behörden, Schüler für die Aufklärungsarbeit heranzuziehen. So hielt sich zum Beispiel nach den Aussagen von Prochor Petrowitsch Klew die Kolchosjugend, welche die Kuraginsker Schule besuchte, mehrfach in den Ortschaften und Dörfern Djetlowo, Kurganchiki, Dschirim und anderen auf und organisierte dort, gemeinsam mit Vertretern des Bezirkskomitees der Partei, Versammlungen, auf denen die Politik der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewisten), die innere und internationale Lage erklärt, inländische Staatsanleihen und Bücher verteilt, Zeitungslesungen durchgeführt und für den Beitritt in die Kolchosen Agitation betrieben wurde.

Schüler wurden, da sie am gebildetsten waren, zur Inventarisierung des Besitzes bei den Kulaken herangezogen. So fungierte P.P. Klew als Schreiber, als der Dorfrats-vorsitzende Sergej Turenko gemeinsam mit dem Aktiv den Besitz des kuraginsker Großbauern Medwedjew auflistete. Er fuhr sogar einmal zusammen mit einem Milizionär zu den Ländereien des Kulaken Nasarow (heute Ortschaft Marinino), wo sie eine Zählung des Viehs und des Besitzes durchführten und das Getreide durchzählten. Nach P.P. Klews Erinnerungen machten die Versteigerungen des Besitzes der Kulaken, die stets von Weinen begleitet waren, einen bedrückenden Eindruck auf ihn.

Verzerrungen innerhalb der Linie des Kolchosaufbaus gab es im Überfluss. Beispielsweise beschlossen die verarmten Bauern des Dorfes Fedorowki eine Kolchose zu gründen und alle Mittelbauern vor eine «harte» Aufgabe zu stellen (d.h. sie nahmen ihnen praktisch das gesamte Vieh, Inventar usw. fort). Da gründeten die Mittelbauern mit Fjodor Kumitsch Sidorow an der Spitze ihre eigene Kolchose. Nun besaß die Armen-Kolchose nichts und erhielt sogar im Frühjahr 1930 Saatgut vom Staat, überstand irgendwie den Sommer und schloss sich schließlich im Winter 1930-1931 mit den Mittelbauern zu einer gemeinsamen Kolchos namens Komsomol zusammen. In der genannten Kolchose führte jahrelang der ehemalige rote Partisane F.K. Sidorow den Vorsitz.

Im Dorf Kameschki schuftete Iwan Strukow im Schweiße seines Angesichts, um irgendwie seine zahlreichen Kinder durchzufüttern, einzukleiden und mit Schuhen zu versehen. Aber er wurde zum Großbauern deklariert und ausgewiesen, weil er eine Dreschmaschine besaß.

Aufgrund der schwachen Aufklärungsarbeit und des großen Drucks von Seiten der Bezirksbehörden konnte im Dorf Bolschaja Irba erst mit dem dritten Aufruf zu einer Versammlung die Fragen der Organisation einer Kolchose geklärt werden. Es wurde sogar vorgeschlagen sie «Nirgendwo unterkommen» zu nennen, aber das wurde von den örtlichen Behörden untersagt. Zur selben Zeit verstanden es in Malaja Irba die Aktivisten Nikita Nikonowitsch Kuragin sowie Aleksander Jemeljanowitsch Pusanow und seine Brüder in organisierter Form die Kollektivierung durchzuführen, und die Kolchose «Krasnaja Irba» funktionierte vom ersten Tag an gut. Bereits 1931 erhielten viele Kolchosarbeiter für die geleisteten Tagesarbeitseinheiten bis zu 40 Zentner Getreide.

Das System der Zwangsenteignungen, das im Laufe der Kollektivierung an Stärke gewann, konnte lange Zeit nicht mehr zum Stillstand kommen. Es kam so weit, dass die Dorfräte ein Plan zur «Lieferung» von Kulaken erreichte, und sie wurden wohl oder übel auch unter den Kolchosarbeitern gesucht. So enteignete man in der Komsomol-Kolchose die Kolchosarbeiter Fedorow (zwei Brüder), weil man sich daran erinnerte, dass sie einmal Einzelbauern gewesen waren und bei der Getreideernte 2-3 Leute al Helfer eingestellt hatten. In der Kolchose Roter Partisan nähte man Sachar Turtschanow, Timofei Rowny, Fjodor Koslikin und anderen das Etikett eines Kulaken auf. In der Regel wurden sie alle ausgewiesen.

Das Dorf Aleksejewna war in heftiger Aufregung. Die ukrainischen Umsiedler, die schlecht informiert waren, begriffen vieles nicht. Die Versammlung der Dorfbewohner wegen der Schaffung der Kolchose erstreckte sich über zwei Tage. Entweder wollten die Männer sich nicht von ihrem Land und ihren Pferden trennen, oder die Frauen legten hartnäckigen Widerstand ein, weil sie nicht von ihren Kühen Abschied nehmen wollten. Mehrfach ging der Bevollmächtigte aus dem Bezirk Malych dazu über, unmittelbare Drohungen auszusprechen, doch auch das half nur wenig. So trennten sich die Aleksejewsker als es bereits dunkel war, ohne jedoch das Problem hinsichtlich der Kolchose gelöst zu haben. In den Familien diskutierte man mit den Nachbarn noch fast bis zum Morgen, führte Streitgespräche darüber, was als nächstes zu tun sei. Alle warteten besorgt und beunruhigt auf den folgenden Morgen. Und am nächsten Tag begann auf Anordnung des Bevollmächtigten die Enteignung all derer, die sich am hartnäckigsten gezeigt hatten. Zu Kulaken erhoben wurden die gesunden Bauernhöfe der Belows, Morgins, Leussews (letzterer war bereits Mittelbauer, er besaß 7 Söhne und 3 Töchter). Und erst am vierten Tag entschieden sich 30-40 Prozent der Bauern zur Gründung der Kolchose «Steppenpflüger».

Ein Alteingesessener dieser Gegenden, der heutige Rentner Pjotr Klimentewitsch Lissiza, berichtete, dass vornehmlich jene enteignet wurden, die durch ihre Arbeit ein gutes Leben führten. Die Konfiszierungen fanden im gesamten Jahr 1929 und 1930 statt. Alle Enteigneten wurden mehrheitlich in das Gebiet Tomsk ausgewiesen, viel später kehrte der eine oder andere von den jüngeren Leuten zurück, aber da sie sich vor Repressalien fürchteten, begaben sie sich dann doch an andere Orte. Die übrigen verschwanden in der Holzfällerei.

Später fing man an, innerhalb der Kolchosarbeiter nach Volksfeinden zu suchen. So erzählte Pjotr Klimentewitsch, der bereits Vorsitzender des Exekutivkomitees des Aleksejewsker Dorfrats war folgende Episode aus jenen Jahren. Aus der Bezirksstadt traf eine Gruppe Leute, angeführt vom Mitarbeiter der Bezirksabteilung des NKWD Tymkin ein und verkündete, dass man 10 Volksfeinde festnehmen müsse. Das Aktiv mit dem Vorsitzenden an der Spitze versuchte lange und eindringlich zu beweisen, dass es derlei Personen im Dorf nicht gäbe. Nachdem sie schließlich versprochen hatten, P.K. Lissiza einzusperren, verließen die Vertreter das Dorf wieder. Zum Glück ging alles ohne Festnahmen ab. Entweder gab es keine Volksfeinde oder das «Plansoll» für die Enthüllung von Volksfeinden wurde in anderen Orten, wie zum Beispiel Schalobolino, Kurgantschiki, Dschirim, erfüllt.

Heute, viele Jahrzehnte danach, fällt es schwer, über die Leute zu urteilen, die wir bis heute als Kulaken bezeichnet haben. In einem Gespräch erzählte Jfodor Iwanowitsch Petruchin, dass sie 1929 in Buturtak die Petemyrows, Lidowskijs, Wosschajews, Kuporuschkins, Tschetwertakows und andere enteigneten und zur Artemowsker Mine auswiesen. Sie alle hatten Mittelbauernhöfe besessen, die Männer hatten ihre Ländereien geliebt und dort selber im Schweiße ihres Angesichts gearbeitet. Keiner von ihnen hatte jemals einen anderen ausgenutzt.
Interessant ist das Schicksal des Iwan Nikiforowitsch Petruchin, dem ersten Vorsitzenden der Bugurtaker Kolchose namens Pariser Kommune und Teilnehmer an der Partisanenbewegung. Zunächst leitete er die genannte Kolchose, danach fusionierten drei weitere zu einer Kolchosfarm. Nachdem er fünf Jahre den Vorsitz geführt hatte, schickte man ihn nach Kurgantschiki – erneut als Vorsitzender der Kolchose «Ruf Stalins» und später zur Komintern-Kolchose. Hier holten Iwan Nikiforowitsch die Hände jener ein, die im Schreckensjahr 1937 nach Volksfeinden gesucht hatten. Sie nahmen ihn gemeinsam mit dem Vorsitzenden der Revisionskommission der Kolchose, Fjodor Tichonow und dem Lagerarbeiter Iwan Konow, fest, nachdem sie die drei irgendeiner trotzkistischen Gruppierung zu geschrieben hatten. Ein Gericht verurteilte ihn zu 8 Jahren; später, nach zahlreichen Beschwerden und Protesten, gab es ein erneute Verhandlung, in der er aber trotzdem noch zu 3 Jahren verurteilt wurde. Man schickte ihn nach Kolyma. Von Anfang bis Ende verbüßte er die Strafe des Gefangenen. Zu Beginn des Krieges kehrte er zurück, und sie schickten ihn erneut als Vorsitzenden der Kolchose in das Dorf Scherbaticha. Aber den Vorsitz behielt er nicht lange, denn nun holten sie ihn zur Armee. Auch an der Front erfuhr er viel Leid. Zweimal wurde er verwundet. Er kehrte in die Heimat zurück. Doch man gab ihm keine Zeit sich zu erholen. Nun schickten sie ihn als Kolchosvorsitzenden in die Ortschaft Sidorowo.
Mitte der dreißiger Jahre war die Kollektivierung in Pritubine vollendet. 1939 befassten sich 76 Kolchosen, 4 Maschinen- und Traktorenwerke mit 210 Traktoren und 34 Mähdreschen mit der landwirtschaftlichen Produktion. Man zählte in den Kolchosen 29997 Rinder, 53 Tausend Schafe und Ziegen, 11695 Pferde.

Gesammelte Erfahrungen, auch wenn sie bitter erscheinen, sind immer notwendig, um unsere Geschichte richtig bewerten zu können. Und offenbar ist es heute eine der Hauptaufgaben — den Menschen in der Landwirtschaft das Gefühl eines Herrn über seinen Grund und Boden zurückzugeben, seine Liebe zum Land und natürlich das Vertrauen in die Zukunft zurückzugeben.

À. NESTEROW

Iljitschs Vermächtnis (Kuragino) 14. - 16.01.1989


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