Die ersten freiwilligen Beiträge zum Bau eines Denkmals (oder Memorials) für die Opfer der stalinistischen Repressionen, die sich in den Norilsker Lagern befanden, trafen in der städtischen Abteilung der Industrie- und Aufbaubank auf dem Konto Nr. 70202 von Bewohnern der Polar-Stadt ein. Dieses Konto wurde auf Beschluss des Exekutiv-Komitees des Norilsker Stadtrats entsprechend dem Wunsch der Norilsker eröffnet.
Zehntausende unschuldige Menschen ereilte das bittere Los, als Häftlinge ins schreckliche !Norillag“ (Norilsker Lager; Anm. d. Übers.) zu geraten. Unter ihnen einer der ersten Entdecker der Norilsker Kupfer- und Nickel-Vorkommen – N.N. Urwanzew, der Sekretär des Zentral-Komitees des Allrussischen Leninistischen Kommunistischen Jugendverbandes und späteren Leiters des „Glawsolota“ (Gold-Trust; Anm. d. Übers.) A. I. Miltschakow, die Ehefrau eines weiteren erschossenen Generalsekretärs des Zentral-Komitees der Kommunistischen Jugend-Organisation, Aleksander Kosarjew – M.W. Nanaischwili, der Schriftsteller (ehemaliger Adjutant des Bürgerkriegshelden G.I. Kotowskij) Aleksej Garri, das Mitglied des Politbüros des Zentral-Komitees der Bulgarischen Partei und im gleichen Prozess (in Leipzig zusammen mit Georgij Dimitrow verurteilten) Blagoi Popow. Unendlich lang ist die Trauerliste der politischen Gefangenen der Norilsker Lager. Viele von ihnen kamen dort aufgrund der alle Kräfte übersteigenden körperlichen Arbeit, Entkräftung, Hunger, Skorbut und anderer Erkrankungen ums Leben. Oder sie wurden erschossen…
Die 19. Allunionskonferenz der Kommunistischen Partei der Sowjetunion verabschiedete den Beschluss, in Moskau eine Gedenkstätte für die Opfer der stalinistischen Verfolgungen zu errichten.
Der Vorsitzende der Sowjetischen Kultur-Stiftung D.S. Lichatschew, ehemaliger Häftling des SLON (Solowezker Lager besonderer Bestimmung), ist davon überzeugt, dass wir niemals unsere moralische Pflicht wiedergutmachen können, dennoch ist er sich auch sicher, dass die Geldeingänge an den Fond für eine Gedenkstätte größer sein werden, als man tatsächlich für ein einziges Monument benötigt. Er schreibt: „Ist es unerlässlich, mehrere Standorte auszuwählen (soll das Volk dies selber tun), an denen kleinere Denkmäler errichtet werden können, aber alle mit derselben Hintergrund-Idee…“.
Die Norilsker haben ihre Wahl getroffen.
- Uns allen steht eine umfangreiche Arbeit bevor – die Namen aller Norilsker Opfer der stalinistischen Repressionen müssen nach und nach aus winzigen Mosaikstückchen ausfindig gemacht und wiederhergestellt werden, - sagt der Journalist und Poet Leonid Winogradskij, Vorsitzender des Norilsker Öffentlichkeitskomitees zur Verewigung der Erinnerung an die Opfer der Repressionen der 1930er bis 1950er Jahre. – Durch den Bau des Memorials werden wir den Schmutz der Lügen von diesen tragischen Seiten der Norilsker Geschichte fortwaschen.
Die Stadtzeitung „Polar-Wahrheit“ hat damit begonnen, Material über die politischen Gefangenen und Verbannten von Norilsk zu drücken. Das Fernsehstudio eröffnete den Zyklus „Mit Norilsk sind Schicksale verbunden“. Die Fernsehzuschauer machten sich mit den schweren Schicksalen des Kalmücken-Volksdichters und Preisträgers der Staatsprämie der UdSSR David Kugultinow sowie des Volksschauspieler der UdSSR Georgij Schschenow bekannt. In Vorbereitung befinden sich derzeit Sendungen über den Physik-Wissenschaftler Lew Gumiljew – Sohn des erschossenen Peoten Nikolaj Gumiljew und der Dichterin Anna Achmatowa, sowie über den bekannten Journalisten und Publizisten Jewgenij Rjabtschikow und andere Gefangene der Norilsker Tundra.
Bei der Erörterung der Frage über ein Memorial gab es auch Gegner (und es gibt sie natürlich auch jetzt noch).
Einer der Leser, ein Arbeiter, schrieb in der „Polar-Wahrheit“: „Für wen soll das Denkmal errichtet werden? Für alle Umgekommenen? Und wie viele sind gestorben, wo sind sie begraben? Natürlich waren die meisten unschuldig. Aber das Denkmal wird für alle sein. Für wen also wird es errichtet? Für alle, die zwischen 1936 und 1938 hierher gebracht wurden? Oder vielleicht für die, die während des Krieges in faschistische Gefangenschaft gerieten und wie durch ein Wunder überlebten? Oder vielleicht für die ukrainischen Nationalisten oder die estnischen „Wald-Brüder“? Die Unschuldigen kommen auch so nicht wieder aus ihren Gräbern heraus“.
Eine andere Leserin schrieb einen Brief: „Gebe Gott, dass Frischvermählte auf ihrem Weg zum Lenin-Denkmal nicht auf die Erwähnung der unschuldigen Opfer der 1930er Jahre stoßen. Wie würde die Reaktion sein? Mir scheint, dass sie außer Wut und Zorn auf diejenigen, die früher als Kriecher in Erscheinung traten und schwiegen, nichts anderes im Herzen tragen werden“.
„Und ich denke, dass die Neuvermählten ihre Blumen zwischen den beiden Denkmälern für Lenin un dem für die Bolschewisten der Leninschen Schule aufteilen werden, die von Stalin und seinen Komplicen vernichtet wurden“, - gab ihr L. Winogradskij zur Antwort.
Den ersten großen Beitrag auf das Konto der Erinnerung Nr. 70202 leisteten vier Mitglieder der Kooperative „Diapason“ mit ihrem Vorsitzenden A.I. Nosow an der Spitze – einem Baumeister, welcher der Norilsker Geschichte keineswegs gleichgültig gegenübersteht. Für das Denkmal müssen insgesamt nicht weniger als 200,000 Rubel gesammelt werden. „Es gibt keinen Zweifel, dass wir die Summe zusammen bekommen“, - schreibt die „Polar-Wahrheit“.
- Hoffen wir, dass auch die ehemaligen Norilsker, die heute auf dem „Festland“ leben, sich an dieser guten Tat beteiligen, -sagt L. Binogradskij.
Während der ersten zwei Tage nach der Ankündigung über die Eröffnung des Kontos sind die ersten tausend Rubel bereits dort eingegangen.
W. Jaroslwazew
„Krasnojarsker Arbeiter“, 03.09.1988