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Die Sonder-Baracke

Zum ersten Mal hörte ich über Norilsker Gefangene, die das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht hatten, von Irina Michailowna Tscherbakowa, der Autorin der Dokumentar-Erzählung „Blut“, die vor einem Jahr in der Zeitung „Nowy Mir“ veröffentlicht wurde.

Sie bat darum Erkundigungen einzuziehen, und so unternahmen wir zusammen mit Mitarbeitern des städtischen Staatsarchivs einen ersten Versuch, einer der ersten Seiten der Norilsker Biographie zu lesen, die bis auf den heutigen Tag als „verboten“ angesehen wird.

Lassen Sie uns den Vorhang wenigstens teilweise ein wenig öffnen.

Befehl 3
für das Norilsker Erziehungs-/Arbeitslager des NKWD N° 68 vom 4. Februar 1940

Zur Isolierung noch nicht volljähriger Gefangener von den Erwachsenen und zur Schaffung vollkommen angemessener Wohnbedingungen für diese BEFEHLE ICH:

1. Bei der I. Lagerabteilung eine Sonder-Baracke für nicht volljährige Häftlinge zu organisieren, wozu die ehemalige Kantine und die ehemalige Frauenbaracke zur Verwendung kommen soll.

2. Dem Leiter der Kooperative für Alltagsdienstleistungen unverzüglich technische Reparaturen an der Baracke durchzuführen und 2-stöckige, durchgehende Pritschen nach dem Waggon-System bis zum 10.11. dieses Jahres aufzustellen.

3. Dem Leiter der 2. Abteilung, Gen. Jeremejew alle nicht volljährigen Gefangenen bis zum 10.11. dieses Jahres in die angegebene Lager-Abteilung zu verlegen.

4. Der Leiterin der Kultur- und Erziehungsabteilung, Gen. Warsina, entsprechende Kandidaten als Erzieher auszuwählen und mir gleichzeitig bis zum 05.11. ihre Vorschläge für deie Art und Weise des Arbeitseinsatzes der nicht volljährigen Häftlinge vorzustellen.

Der stellvertretende Leiter des Kombinats,
Hauptmann der Staatssicherheit
WOLOCHOW

Die Archiv-Suche hat bislang keinerlei zusätzliche Informationen über das ungewöhnliche „Kontingent“ ergeben. Allerdings lässt sich vermuten: die Halbwüchsigen gerieten nicht später als im Sommer 1939 ins Norillag, arbeiteten in Abbau-Unternehmen (entsprechend dem „Profil“ der 1. Lager-Abteilung), und die Gesamtzahl der nicht volljährigen „Verbrecher“ – lag innerhalb einer Grenze von 100 Mann.

Auf eine spätere Zeit, das Jahr 1943, beziehen sich Dokumente, die den Schluss zulassen, dass die Zahl der nicht volljährigen Lager-Insassen merklich zugenommen hatte – jetzt war bereits von einer Arbeitskolonie die Rede.

Die Kombinatsleitung reglementiert also die Art und Weise der finanziellen Beziehungen zu ihr: in der Hauptsache – weist der Vertrag über gegenseitige Hilfeleistungen auf die Notwendigkeit hin, eine „strenge Statistik über den faktisch geleisteten … Arbeitsumfang aus der Berechnung der Tarif der in Freiheit lebenden Mitarbeiter zu führen“; bei Akkord-Arbeit war es vorgeschrieben, die erarbeitete Summe anzugeben…

Man hätte sich mit dem damaligen stellvertretenden Leiter des Norilsker Kombinats, Nikolaj, Borissowitsch Schewtschenko unterhalten müssen. Er war es, der diesen Befehl, ebenso wie zwei andere, unterzeichnete.

Aus dem Dokument, welches das Datum vom 20. Oktober 1943 trägt, folgt, dass die Norilsker Kinder-Arbeitskolonie eine Unterabteilung des Kombinats und des Lagers war. Der Planungsabteilung des Kombinats wurde der Befehl erteilt, einen Kostenvoranschlag für den Unterhalt der Arbeitskolonie im zweiten Halbjahr zu erarbeiten, dem Leiter der Finanzabteilung – seine Finanzierung auf Grundlage der für alle Unterabteilungen des Kombinats geltenden Gepflogenheiten durchzuführen, dem Ober-Buchhalter – die materiellen Werte entgegen zu nehmen, die sich in der Arbeitskolonie befanden.

Und einen Monat später tauchte der Befehl über die Einführung neuer Verpflegungsnormen für die nicht volljährigen Gefangenen auf (danach zu urteilen, dass es in der Präambel einen Hinweis auf einen NKWD-Befehl gibt, waren solche Kolonien eine überall vorkommende Erscheinung: erinnern Sie sich an den „berühmten“ Erlass, der auf Initiative Stalins geboren wurde – darüber, dass alle Staatsbürger, beginnend mit dem 12. Lebensjahr, zur strafrechtlichen Verantwortung herangezogen werden sollten, bis hin zur Höchststrafe.

Aus dem Befehl N° 700 vom 19. November 1943:

Es ist für nicht volljährige Häftlinge folgende Verpflegungsnorm pro Person und Tag in Gramm festzusetzen:
Roggenbrot – 600, Graupen, Makkaroni – 75, Kartoffel, Gemüse -250, Zucker – 15, Fisch, Fischprodukte – 70, Fleisch, Fleischprodukte – 25, Fett – 25, Tee-Ersatz – 2, Salz – 15.

Di bezeichnete Liste gilt – für alle Kategorien nicht volljähriger Gefangener, außer für die, die sich in Straf-Isolatoren befinden, Kranke, Häftlinge, die auf Etappe gehen oder freigelassen werden sollen.

Für „Strafniks“ beispielsweise sollte es – nur 400 Gramm Brot geben; um mehr als die Hälfte gekürzt wurde die „Einlagerung“ von Graupen, Fisch; der Schuldige erhielt kein einziges Gramm Fleisch und Fleischprodukte, keinen Tee, Zucker oder Kartoffeln.

Aber zur Stoßarbeit wurde angespornt. Bei 110 und mehr Prozent Arbeitsnormerfüllung, so lesen wir, bestand die Brotration bereits aus 700 Gramm; es waren 100 Gramm Milch und 50 Gramm Trockenfrüchte vorgesehen. Sogar Ersatzkaffee wird genannt – fünf Gramm! Man konnte noch weitere 100 Gramm Brot erhalten – wenn man die Norm um 50% oder mehr erfüllte.

Nach dem Stachanow-„Minimum“ wurden die nicht volljährigen Gefangenen verpflegt, die sich in den Genesungs- und Prophylaxe-Stationen befanden, aber die Brot-Ration für sie betrug auf allgemeiner Grundlage – 600 Gramm.

So war das …

Die Norilsker Archivmitarbeiter machten sich daran klar zu stellen, ob das Informationszentrum der Behörde für innere Angelegenheiten der Region Krasnojarsk über Dokumente über die Kolonie verfügte.

Es hat.

„Auf Ihre Anfrage teilen wir Ihnen mit, dass auf Befehl vom 13. August 1943 am Norilsker Kombinat die Norilsker Arbeitskolonie für nicht volljährige Gefangene eingerichtet wurde, welche unmittelbar der Abteilung der NKWD-Verwaltung im Kampf gegen die Kinder-Obdachlosigkeit und Nichtbeaufsichtigung unterstellt war. Das Archiv der Behörde für innere Angelegenheiten besitzt in begrenztem Umfang auch andere Zeugnisse über die Arbeitskolonie.

Der Leiter des Informationszentrums der Behörde für innere Angelegenheiten
Oberstleutnant a.D. A.N. Schelowanow“.

„Im begrenzten Umfang“ bedeutet – „geheim“.

Na, was ist denn heute geheim am Schicksal der Kinder-Arbeitskolonie?! Es wurde ein zweiter Versuch unternommen, um wenigstens einige „Einzelheiten“ zu klären. Aber leider war A.N. Schelowanow unerbittlich. Mehr noch, er entschied selber über unsere Köpfe hinweg, das das vorliegende Material uns überhaupt nicht interessieren würde“(?!).

Das ist also einstweilen alles, über das wir verfügen. Doch die Suche nach den Kolonie-Mitgliedern geht weiter, und wir wollen die Hoffnung auf einen Erfolg nicht aufgeben.

Ich wende mich hiermit an alle, die wenigstens ein paar, wenn auch nur ganz spärliche, Informationen über die Kolonie haben – bitte gebt uns darüber Bescheid:

im „Krasnojarsker Komsomolzen“, in der Norilsker „Polar-Wahrheit“ (für Waschnow) oder im Norilsker städtischen Staatsarchiv.

M. Waschnow,
Doktoranwärter der Geschichtswissenschaften


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