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Josef Robespierrowitsch Dschugaschwili

Und alles begann damit, dass der Autor häufiger in der Robespierre-Straße zu tun hatte. Benannt nach genau dem, der in unserer Historiographie als ungestüm und unaufhaltsam idealisiert wird. Ganz kürzlich erst haben wir angefangen zu überlegen: weshalb, wie sich herausgestellt hat, gibt es in unserm Land wohl so viele Robespierre-Straßen, während sie in Paris nicht eine einzige haben? Und öffentlichen Meinungsumfragen zufolge setzen die Franzosen ihn auf den letzten Platz in der Liste der von ihnen besonders geachteten Akteure der Großen Französischen Revolution, während Danton (der nach einer Parodie auf den Gerichtsprozess, von Robespierre inspiriert, hingerichtet wurde), Lafayette (der nach einem Sturm verlogener Anschuldigungen gezwungen war, aus dem Lande zu fliehen), Mirabeau und Marat an die erste Stelle vorrücken. Ist so eine Einstellung der Franzosen gegenüber dem „rasenden, wütenden Maximilian“ nicht nur das Ergebnis der Bemühungen „reaktionärer, bourgeoiser Historiker“? Oder wissen die Franzosen besser, wer in ihrer Geschichte wer und was der Preis ist? Umso mehr, als auch in unserer Presse ernsthafte Forschungen auftauchen, die den Charakter Robespierres in einem ganz anderen Licht darstellen. Als scheinbaren Asketen , Heuchler und Intriganten. Als Organisator von Gerichtspossen, welche mit Todesurteilen für die Mehrheit der Revolutionsführer des Jahres 1789 und Interventionen bekannter Generäle und Kriegshelden endeten. Als Anstifter des Terrors, der sich mündlich gegen die „Monarchisten“ richtete, aber gegen die politischen Gegner Robespierres losschlug, die besitzlosen Schichten, alle Unzufriedenen und einfach nur „Verdächtigen“. Als Urheber von Gesetzen, nach denen praktisch jede beliebige Person zu einem „Feind des Volkes“ werden konnte. Als Bürokraten, der Fragen und Probleme im engen Kreis von Vertrauenspersonen entscheid. Als Wortführer der Interessen des „Sumpfs“ (als „Sumpf“ wurden die moderaten Gruppen von Revolutionären im Nationalkonvent während der Französischen Revolution abfällig bezeichnet; Anm. d. Übers.) – bourgeoise Gruppen und Beamte, Mitglieder des Konvents, die sich durch Konfiszierungen bereicherten. Und so weiter. Die Hand legte auch er auf sein Herz – gibt es nicht eine Menge Analogien zu Josef Wissarionowitsch?

Lediglich das Schicksal ist ein anderes. Nachdem er um sich herum alle einigermaßen hellen, talentierten und bekannten Leute ausgeschaltet hatte, war Robespierre dem „Sumpf“ schutzlos ausgeliefert, dem gefährlichen und nutzlosen „Sumpf“. Der Zusammenbruch erfolgte am Morgen des 9. Thermidor 1794. Im Saal des Konvents tobten fünf Stunden lang die “Sumpf”-Anhänger, Demagogen und Nichtsnutze, Zwerge, die nach der Hinrichtung der Riesen dreist und kühn geworden waren – und Robespierre nicht reden ließen; in jener Nacht wurde er verhaftet und am nächsten Tag exekutiert. Und sehr viele Geschichtsforscher und Schriftsteller zerbrachen sich später den Kopf darüber, weshalb der 27-jährige Saint-Just, der „zweite Mann Frankreichs“, Freund und Mitstreiter Robespierres, ein Energiebündel, Kämpfer und Sieger, ein heller Kopf mit wirklicher Macht und realen Händen, diese fünf Stunden überdauerte, ohne ein einziges Wort hervorgebracht zu haben, und nicht einmal den Versuch unternahm sich einzumischen, obwohl er wissen musste, dass er im Falle von Robespierres Sturz unverzüglich sterben würde (was auch geschah). Warum also?

Eine Antwort darauf fand man erst kürzlich. Man hätte sie schon früher finden können, aber sie fiel so aus, dass man sie schlecht glauben konnte: Saint-Just hatte ganz einfach nur begriffen, dass die Revolution des Jahres 1785, mit oder ohne Robespierre, dem Untergang geweiht war. Dass der heutige Sieg schon nichts mehr rettet und auch nichts verändert. Dass die Revolution eigentlich schon längst mit all denen unter der Guillotine verendet war, die Robespierre vernichtet hatte.

Genau das zu glauben ist am allerschwierigsten – kann denn eine Revolution, vollzogen und unterstützt durch die Mehrheit, überhaupt untergehen? Manchmal ist das wohl der Fall. Insbesondere wenn Menschen, die sich für Kommandeure halten, in Wirklichkeit ihre Henker sind. Und Saint-Just wählte seinen Weg, auf dem später Tomskij, Ordschonikidse und Gamarnik gingen…

Die Französische Revolution kommt einem immer häufiger in den Sinn, und gerade jetzt, in der Zeit hochkochender Wortgefechte um den Platz und die Rolle Stalins in der Geschichte. Sie streiten bis zur Heiserkeit. Ehemalige „Gefängniswärter“ und einstige „Häftlinge“, Schriftsteller und Journalisten, unrasiert und in langen Weinschlangen stehend, sowie Studenten, Schlosser und intelligente Damen, Dorfbewohner und Städter. Doch je weiter dieser Streit geht, je schlimmer er wird, umso unbefriedigender ist er. Unlängst ergab sich die Gelegenheit, in einer der Ausgaben der Bruderländer einen interessanten Artikel von Professor Fojtikowa, Expertin in russischer Literatur von der Karls-Universität in Prag zu lesen; der Artikel ist in vielerlei Hinsicht streitbar, aber er enthält eine Vielzahl interessanter Fakten und Gedanken. Da ist zum Beispiel die Tatsache, dass es in zwei Städten der CSSR noch Stalin-Denkmäler gibt, dass Teilnehmer der Demonstration zu Ehren des 70. Jahrestages der Oktober-Revolution in der Stadt Ostrava seine Porträts trugen. Doch - es handelt sich um ein freies Land, sie haben ein Anrecht auf ihre Meinung. Obwohl die berüchtigte Parodie auf die politische Partei oder die Demokratische Union auch versucht, die Tschechen zu lehren, wie sie ihre Geschichte zu behandeln haben, - aber das ist es gar nicht, geht es nicht vielmehr darum, was das für eine imperialistische Gewohnheit des „großen Bruders“ es ist zu belehren und zu unterweisen? Nicht wir sind es, die die Denkmäler Stalins in Ostrau und Olmütz erhalten haben – und uns sind auch nicht wir, die sich nun um die Beseitigung kümmern müssen; ist doch so…

Aber zweifellos zwingt es uns eine neugierige Bemerkung Fojtikowas zu durchdenken: dass die Sowjetmenschen bei der Bewertung Stalins, ohne sich darüber im Klaren zu sein, christliche Kriterien benutzen: entweder Gott oder der Teufel. Ein drittes gibt es nicht. Entweder er - das Genie aller Zeiten, oder der größte Verbrecher aller Zeiten. Zwei Extreme, mit einem Wort. Dass es zwei Extreme sind – ist eine undankbare und unheilschwangere Angelegenheit, wir haben es in all diesem Allerweltslärm zustande gebracht auch zu vergessen. Ist es vielleicht umsonst? Wir haben uns so beeilt, den Pluralismus zu meistern, dass wir sogar irgendwie seinen Ursprung aus dem lateinischen Wort „pluralis“ – „vielfältig“ vergessen haben. Leider versteht sich der Pluralismus fast immer ausschließlich als Wechsel der Vorzeichen – plus nach minus, weiße Farbe hin zu schwarzer. Und schont scheint es zu wenig zu sein, einfach Platonow, Pasternak, Dudinzew, Grossman zu lesen – nein, andere gewandte „Nachtigallen der Perestroika“ rufen bereits drohend aus: „Für sie muss man sich begeistern! Und wer das nicht tut, der…“. Und schon fangen die lieben Kinderlein aus der Krasnojarsker Demokratischen Union ganz berauscht an zu schreien: „Wirtschaftliche Rechnungsführung! Überall und unverzüglich!“ Und sie merkten nicht einmal, dass zwei Modelle wirtschaftlicher Rechnungsführung existieren, die sogenannte „einträgliche“ und die „vertraglich festgelegte“, und es gilt nun noch ernsthaft herauszufinden, an welcher Stelle welches Modell vorteilhafter ist; dass es Branchen gibt, in denen die Rechnungsführung unzugänglich ist – die Volkskunst, Palech, Schostki, Fedoskino… Und schon beschimpfen andere Jünglinge verächtlich irgendeinen Teilnehmer am Großen Vaterländischen Krieg ein Stalinist zu sein. Und da ist die Heldentat schon keine Heldentat mehr, sondern „Verteidigung Stalins“… Und schon, wie im Fall mit der Toilette des Krasnojarsker Bahnhofs, wälzt das staatliche Büro mit Freude den vernachlässigten Arbeitsbereich auf die Kooperative ab, und gibt dies als den Sieg einer neuen Denkweise aus. Da stehen dann schon, von der Vielfalt her, äußerst ungleichartige, außerordentlich komplizierte Ziele und Aufgaben, auch was den Bestand an Teilnehmern und Akteuren patriotischer Vereinigungen betrifft, mit den Bemühungen von Amateuren den „inneren Feind“ zu suchen, als eine gewisse „Schwarzhunderter“-Bande von Extremisten der „Erinnerung“ vor den erschrockenen Spießbürgern. Da hat also schon irgendein schlaues Köpfchen den Begriff „Staatsanwälte der Perestroika“ zum Einsatz gebracht und dabei vergessen, dass die Perestroika kein Tribunal und keine Gerichtsbarkeit ist…

Pluralis! Vielfältigkeit! Und deswegen – gestatten sie mir, dass ich meinen eigenen Standpunkt, meine eigenen Ansichten habe. Und beeilt euch nicht mit dem Aufkleben der Etiketten. Und ich fürchte, sie werden, egal wie viele Male, wiederholen: „Ich bin kein Stalinist, ich bin das Gegenteil“… Aber ich bin überzeugt, dass Stalin und die Leute um ihn herum eine unausweichliche Erscheinung in unserer Geschichte waren. Wie der Feudalismus in Europa. Wie das monopolistische Stadium des Kapitalismus. Wie der Zerfall der Sklavenhalter-Imperien.

Leider strotzen viele, viele Veröffentlichungen zum Thema Stalinismus nur so von Primitivismus. Zwei Thesen rufen aktiven Unmut hervor: erstens, dass der plötzlich aus dem Nichts auftauchende schwarze, einarmige Vampir hinterlistig eine kreisende Armbewegung machte und die Engelsschar in den weißen Gewändern vernichtete; zweitens, dass die reale Möglichkeit für einen alternativen Weg der Entwicklung bestand.

Nach meiner festen Überzeugung, gibt es ein gewisses Gesetz, das man, na – zumindest als Gesetz der Restaurierung des Monarchistischen Bewusstseins bezeichnen könnte. Einfacher gesagt, die Monarchie blieb noch lange Zeit nach ihrer Beseitigung in den Herzen und Köpfen der Menschen hängen. Schauen wir uns ein paar Beispiele an.

England. 1649. Infolge des Bürgerkriegs wird der König abgesetzt und hingerichtet – eine Aktion, die ohne Unterstützung der Mehrheit der Bevölkerung nicht möglich ist. Doch nach insgesamt 10 Jahren wird die Monarchie wiederhergestellt – wenn auch in einer „gezähmteren“ Form, aber die englischen Monarchen werden noch lange die realen Machthaber sein.

Frankreich. Nach der Revolution von 1789 und der Hinrichtung des Königs erlebte das Land noch drei Könige und zwei Imperatoren, ein wenig getränkt im Blut der revolutionären Geschehnisse. Erst 1871 fand die Monarchie ihr endgültiges Ende – aber selbst damals existierte die Gefahr ihrer Restaurierung.

Südamerika nach der Befreiung von der Macht Spaniens und Portugals gerieten viele junge Staaten unter die Macht von Militär-Diktaturen, und Brasilien legte sich sogar einen eigenen Monarchen zu.

Afrika. Derselbe Prozess – bis hin zu den königlichen Menschenfressern Bokassas..

China. Hier bedarf es keiner Kommentare.

Spanien. Die Revolution von 1936 erlitt eine Niederlage – lag das alles etwa nur an den Intervenierenden? Die Intervention konnte jedenfalls der Konterrevolution nicht den Sieg bringen, weder in Frankreich, noch in Russland, noch in Mexiko. Gibt es vielleicht auch „vom Schicksal vorherbestimmte“ Revolutionen?

Die Liste ist noch längst nicht vollständig. Wie wir sehen gibt es sowohl eine Tendenz, als auch reichlich Beispiele. Und dass dort, 500 Jahre vor Stalin und Mao der König des Staates Tawantinsuyu (Imperium der Inkas, ungefähr das Territorium des heutigen Peru) Patschakutek liebte es zu wiederholen, dass materieller Wohlstand das Volk sittlich verdirbt. Und deswegen wurde den bis zum Umfallen schuftenden Staatsangehörigen alles, was sie produziert hatten wieder weggenommen, einmal in zwei Jahren wurde von den staatlichen Vorratslagern Kleidung aus grobem Material ausgegeben; das Tragen von Schmuck war verboten (verständlich, dass diese Maßnahmen nicht den engen Kreis der Anhänger und Aristokraten betrafen).

Nichtsdestoweniger betrachten wir den Stalinismus als etwas Außergewöhnliches, das nur uns zu eigen ist. Lass mal gut sein! All das ist gewesen, es war auch – in Byzanz, in Rom, in Frankreich, von wo sie, wie ich vermute, auch die Idee, die Handlungsweise gestohlen haben. Nicht zufällig entstand in den 1930er Jahren beinahe ein Robespierre-Kult, ein Kult um diesen Heuchler und Henker.

Und nun – zur berüchtigten „Alternative“. Es war Tradition, traurig die Augen zu verdrehen und zu wiederholen: „Es gab eine Alternative zum Stalinismus“. Es gab sie, wer bestreitet das? Genauso, wie es auch eine Alternative zum Terror Robespierres gab, zum Despotismus Katharinas II, zum Mao-Kult. Eine wesentliche Präzisierung: die Alternative selbst – ein hohler Ton, ein Wort aus 11 Buchstaben. Sie ist nichts ohne die Menschen, welche die Kraft haben, sie zu verwirklichen. Aber darin liegt ja gerade das Unheil, die Tragödie, dass es von solchen Menschen viel zu wenige gibt! Die sogenannte „alte Garde“ und „Leute der Alternative“ – das ist keineswegs ein- und dasselbe!

Welches sind die Hauptgründe der Stalinisten, ihre Wurzeln?

1. Das vollständige Fehlen von Routine mit der Demokratie beim Volk.
2. Zaristische Stimmungen bei Millionen von Menschen, der Wunsch einen Vater zu bekommen, einen Großen und Weisen, der in der Lage ist, Ziele und Aufgaben einfach un zugänglich darzulegen.
3. Das Erwarten eines Wunders. Eines großen Sprungs, eines schnellen Paradieses auf Erden.
4. Gewohnheit zur Gewalt (die diesmal im Charakter eines „Revolutionärs“ zu Tage tritt – wie bei Robespierre).

All diese Merkmale sind auch den weiter oben beschriebenen Beispielen aus der Geschichte anderer Länder zu eigen. Den Stalinismus für einzigartig zu halten und zu meinen, er sei allein für uns charakteristisch – bedeutet, die falsche Idee vom „Messianismus“ Russlands und unseres Volkes, unserer Einzigartigkeit und den gewissen Unterschied zur restlichen Welt wiederzubeleben.

Also, die alte Garde. Das ist auch Stalins Lehrer Trotzki – natürlich nicht der Agent des Imperialismus, sondern der Ehrgeiziger, Bonaparte-Anhänger und Intrigant (bis hin zur Organisierung von Morden). Das ist auch Bucharin, „der Mann der Alternative“ – der liebe und gute Nikolai Iwanowitsch, die goldenen und vom Schicksal vorherbestimmten Kinder der Revolution… Das sind auch – hunderte von Stalin vernichtete Parteimitglieder der „obersten Staffel“. Es ist als ob ihr schrecklicher, ungerechter Tod sie mit einem magischen Tuch vor der Erwähnung von Fehlern, Fehlschlägen und … Verbrechen abdeckt. Verbrechen, zum Teufel! Als was soll man denn die auf Befehl Pjatakows auf der Krim angeordneten Massenmorde sonst bezeichnen – als aus Kanonen tausende gefangene Offiziere erschossen wurden, vorwiegend ehemalige Studenten, Ingenieure, Angehörige der Intelligenz, „Offiziersangehörige aus Kriegszeiten“? Oder die Erschießungen in Petrograd (an Offizieren, die sich freiwillig hatten registrieren lassen, Bankiers, Industriellen, Akteuren bourgeoiser Parteien), welche von Stalin zusammen mit Sinowjew begangen wurden. Indessen, als 1928 Stalin den Raub sibirischen Getreides leitete, indem er Bauern zu „Kulaken“ (Großbauern; Anm. d. Übers.) erklärte, die sich geweigert hatten, Korn gegen einen symbolischen Preis abzugeben, da wurde Stalin von Kossior begleitet. Übrigens, für die Ausdehnung des Netzes an Konzentrationslagers plädierte Tomskij, Tuchatschewskijs Urteil wurde auch von Blücher unterschrieben; als Autor der Theorie, dass „das Geständnis des Angeklagten die Königin der Beweise“ sei, tritt nicht Wyschinskij in Erscheinung, sondern Krylenko. Unter anderem wurde Bulgakow das Leben von Raskolnikow erschwert; dem Angeklagten Bucharin tat in der Presse M. Kolzow Schande an, und an der Vernichtung der Anhänger N. Wawilows war auch S. Wawilow beteiligt. Im Übrigen verfaulte die „alte Garde“ nach Lenins Tod lange Jahre in der Verbannung und in den politischen Isolationsgefängnissen ehemaliger Menschewiken, Sozialrevolutionäre, Mitglieder anderer Parteien – fast immer nur deswegen, weil sie anderen Parteien angehört hatten…

Es steht uns nicht zu, die „alte Garde“ zu verurteilen. Aber wir sind ein für alle Mal verpflichtet die Frage zu klären: rechtfertigt ihr qualvoller Hinrichtungstod aufgrund erlogenen Anschuldigungen die Verbrechen und politischen Prinzipienlosigkeiten in anderen Fällen Pjatakows, Sinowjews, Krylenkos, Radeks, Tomskijs und Kolzows? Und wenn ja – wie verhält es sich dann mit Jagoda, Abakumow, Jeschow, die nicht wegen realer Sünden erschossen wurden, sondern aufgrund der gleiche idiotisch-phantasmagorischen Anklagen im Zusammenhang mit dem „Welt-Trotzkismus“?

Die „Alte Garde“… Trotzdem waren sie Kinder ihrer Zeit - Kinder einer Zeit der Gewalt, um es direkt zu sagen. Sie waren einfach zu aufrichtig, um sich mit den etatmäßigen Henkern ans Feuer zu stellen, wofür sie dann auch ihr Leben ließen, aber die meisten von ihnen haben zumindest einmal einen Holzscheit in dieses Feuer geworfen. Sie sahen nichts Verwerfliches in der „kleinen Dosis von Gewalt“, sie kämpften um die Macht, auch sie glaubten an den „großen Sprung“, an das Wunder. Sie konnten ohne inneren Widerstand mal Stalin als Knüppel gegen Trotzkij benutzen, mal mehrere hundert andere „Kontriks“ erschießen oder stillschweigend ihre Zustimmung zum „Schachty-Prozess“ und dem „Industrie-Partei-Prozess“ (1927 und 1930) geben, zur Bewilligung des Rechts an die OGPU, die damals noch weder von Jeschow, noch von Jagoda geleitet wurde, ohne Gerichtsverhandlung und Ermittlungsverfahren (1930) Menschen zu erschießen. Sie, und nicht Stalin allein, schufen das Administrative System. Ich hege den starken Verdacht, dass es einen Moment gab, in dem sie dem schöngeistigen, milden, humanen, klugen Bucharin Stalin vorgezogen haben – gerade deswegen, weil Stalin viel einfacher und verständlicher war, und was seine Grobheit und Grausamkeit angeht – weshalb sollten sich dieser Pjatakow mit Sinowjew oder Kossior vor diesen Eigenschaften in Acht nehmen und sich durch sie beunruhigen lassen?

Man vermutet, dass es unter Stalins Unzulänglichkeiten eine nicht gab – Kleinmut. Und deswegen übertraf er ganz einfach mit dem Schwung der Repressionen seine Vorgänger. Und da begriff dann die „alte Garde“, dass sie sich mit eigenen Händen ihr Grab schaufelte, aber es hatte sie bereits hineingezogen ins Zahnrad der nicht ohne ihre Mitwirkung geschaffenen Maschinerie. Schüchterne Versuche des Widerstands (Rjutin, Eismont, Tolmatschew, XVII. Parteitag) konnten schon nichts mehr ändern…

Erst kürzlich haben wir angefangen zu verstehen und zu erkennen, dass der Kapitalismus komplizierter ist, als wir es uns vorgestellt haben, dass er seine Stadien und Zeiträume der Entwicklung hat. Was ist, wenn es sie auch im Sozialismus gibt – „den Zeitraum der Urgemeinschaft“, den „Feudalismus“ und dieses und jenes (das Wesen, versteht sich, liegt nicht in den Begriffen)? Man kann nicht mit einem Sprung aus dem Feudalismus in den Sozialismus hinübergelangen – das haben wir bereits begriffen. Und was ist, wenn man auch nicht vom „ersten“ Stadium des Sozialismus zum „dritten“ springen kann? Übrigens, befand sich Jugoslawien außerhalb des Einflussgebiets des Stalinismus, doch auch dort blühte derselbe Autoritarismus zusammen mit den für den Stalinismus typischen Fehltritten und Untugenden; erst nach Titos Tod zeichneten sich Perspektiven ab…

Ich rufe nicht dazu auf, Stalin zu rehabilitieren oder davon Abstand zu nehmen, die Verbrechen des Stalinismus zu erforschen. Ich will nur Extreme in der Art von „Gott – Teufel“ vermeiden. Etwas Drittes, noch viel Komplizierteres, als wir uns vorstellen können. Verhasst, unzumutbar, aber leider unausweichlich. Diese Unausweichlichkeit müssen wir unbedingt annehmen und verinnerlichen. Plötzlich hören wir dann auf, von einem Extrem ins andere zu kommen – ich meine die Vorschläge, Stalin posthum aus der Partei auszuschließen und all seine Mitstreiter aus dem Kreml hinaus zu werfen. Das ehrliche Wort hat einen Beigeschmack von Heidentum. Vielleicht muss man die Frage auf eine andere Ebene übertragen - lohnt es sich überhaupt, irgendjemanden an einer Wand zu begraben, welche in der Hauptstadt von der Regierungsresidenz umgeben ist? Soll man sich an jene Inka angleichen, die ihre verstorbenen Könige einbalsamierten, sie in besonderen Häusern in der Hauptstadt unterbrachten und zu ihnen auf Besuch gingen? Seit alters her gelten in Russland, wie auch in anderen Ländern, die Gräber der Vorfahren als geheiligt.

Und was den posthumanen Ausschluss aus der Partei angeht – aber was soll’s, was können wir damit ändern und wen bestrafen? Klebt denn nur an Stalins Händen Blut? Nach gröbsten Berechnungen müsste man wegen Beteiligung am Stalinismus posthum mehrere 1000 Menschen ausschließen – wäre es gerecht, sich nur auf einen von ihnen zu beschränken? Aber ich fürchte, diese „posthume Säuberung der Partei“ benötigt eine Menge Zeit und Anstrengungen, die besser auf die heutigen Probleme verwendet werden sollten. In Wirklichkeit kann man mit demselben Erfolg durch einen Gesetzesakt dem blutrünstigen Byron die russische Staatsbürgerschaft entziehen, die Urteile der Dekabristen, Narodiniks überprüfen… Übrigens, die posthume Ausschließung eines Akteurs des Stalinismus aus der Partei ist nur – eine halbe Maßnahme. Selbst wenn man die Angelegenheit zu einem logischen Ende führt, müsste man tausende offizielle Dokumente über Auszeichnungen mit Orden, Verleihungen militärischer und anderer Titel abändern. Ist das nicht ein zu mühseliger Einfall? Vielleicht sollte man sich doch beschränken auf ein Denkmal für die Opfer des Stalinismus und die Wiederherstellung der früheren Namen Mariupols, Twers und einem Dutzend anderer Städte? Erinnern wir uns der französischen Republikaner – sie warfen zu ihrer Zeit die sterblichen Überreste Mirabeaus aus dem Pantheon und ersetzten sie durch die Asche Marats, doch bei der nächsten Drehung des Rades der Geschichte verließen auch Marats Überreste das Pantheon… Aber wer in Frankreich war glücklicher, klüger, gereinigter von diesen „Belustigungen“ mit sterblichen Überresten?

Aber was die Straßen betrifft: brauchen wir Krasnojarsker also unbedingt eine Robespierre-Straße, die es in Paris auch nicht gibt? Und anstatt mit halbheidnischen Methoden gegen den Geist des Stalinismus zu kämpfen, in der Art eines posthumen Entzugs der Parteimitgliedschaft und der Aberkennung von Orden, muss man anders vorgehen – man muss diesen Geist beseitigen.
Ein für alle Mal.
Aleksander Buschkow
„Krasnojarsker Komsomolze“, 21.02.1989


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