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Posthum rehabilitiert…

Schulmeister: Ein bedeutungsvoller deutscher Nachname. Schulmeister bedeutet - Lehrer an einer Schule. Und die Schulmeisters haben ihren Nachnamen durch ihr Leben gerechtfertigt.

Auch Konstantin Adamowitsch Schulmeister folgte der Familientradition, nachdem er 1912 die zweijährigen pädagogischen Kurse an der städtischen Petrowsker Fachschule abgeschlossen hatte. Aber er konnte damals wohl kaum ahnen, dass ihm ein anderes Schicksal beschert sein sollte – das Schicksal einer politischen Persönlichkeit.

K.A. Schulmeister wurde einer derjenigen, deren Kräfte und Kenntnisse von der neuen Macht gefordert waren. Und die Schaffung der deutschen Gebiets- und später auch Republik-Autonomie eröffneten dem energievollen und gebildeten Deutschen mit den geeigneten Daten im Lebenslauf die weitesten Perspektiven. Deswegen zeigt sich die schnelle Vervollkommnung K.A. Schulmeisters, bis hin zu den höchsten Staatsposten in der ASSR der Wolgadeutschen – zum stellvertretenden Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare und des Volkskommissariats für Ackerbau der Republik – gar nicht so schwindelerregend und außergewöhnlich, besonders wenn man die konkreten historischen Bedingungen jener Zeit berücksichtigt.

Vor dem Volkskommissar eröffnet sich ein breites Tätigkeitsfeld. Die Landwirtschaft in der Republik entwickelt sich. Es werden harte und weiche Sorten Weizen, Hirse, Roggen, Buchweizen, ölhaltige Kulturen u.a. angebaut. Fast in jeder Kolchose – eine Farm mit großem Hornvieh, Schafszucht, Geflügelfarm, Schweineaufzucht. Nach dem ausgedroschenen Korn in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre nähert sich die Republik den Ertragsziffern aus der Zeit vor dem Krieg (1914) für diese Region.

Und es ist heute schwer zu sagen, was als Grund dafür diente, dass der Volkskommissar für Ackerbau Schulmeister Anfang 1937 ins Amt des Kantonskommissars in Balzer versetzt wurde. Das verhieß nichts Gutes und geschah ohne Vorankündigung. Wenngleich andererseits die Entfernung aus der Hauptstadt, in der zu der Zeit, besonders unter den Räte- und Parteimitarbeitern, Massen-Repressionen im Gange waren, eine kleine Hoffnung hätten aufkommen lassen können, auf diese Weise mit heiler Haut davon zu kommen. Aber Konstantin Adamowitsch hegte eine solche Hoffnung kaum. Wie seine älteste Tochter Olga Konstantinowna bezeugt, sagte der Vater einige Tage vor seiner Verhaftung zu ihr: „Sie werden alle verhaften. Nun bin ich an der Reihe. Aber du sollst wissen – ich war und bleibe ein aufrichtiger Mensch“… Die Worte erwiesen sich als Prophezeiung. In der Nacht des 20. August 1937 wurde K.A. Schulmeister festgenommen.

Konstantin Adamowitschs Schicksal bildete keine Ausnahme, sondern stellte eine schreckliche Regel dar. Gegen Mitte des Jahres 1937 wurden nach Angaben des ehemaligen Gehilfen des 2. Sekretärs des Gebietskomitees der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiken) der ASSR der Wolgadeutschen, A.A. Frolow, allein im Gebietskomitee 24 Männer verhaftet – beinahe der gesamte Apparat.

Was man Konstantin Adamowitsch zur Last legte, wie das Ermittlungsverfahren verlief, wie der Beschuldigte sich verhielt – all das kann man nur vermuten und hoffen, dass in naher Zukunft die von der Geheimhaltung aufgehobenen und an die Sonderfonds übertragenen Materialien Klarheit bringen, und zwar mit der unvoreingenommenen Objektivität des historischen Dokuments.

Nach der Verhaftung ihres Ehemannes konnte Maria Konstantinowna Schulmeister (geb. Poljakowa) auf diese Fragen erst recht keine Antwort erhalten. Eine gewisse Bestimmtheit brachte lediglich die Weigerung eines Wachmannes, ein Paket für Konstantin Adamowitsch anzunehmen – mit der knappen Erklärung: „Den haben sie abtransportiert“.

Ob der Sprecher selber die düstere Zweideutigkeit seiner Erklärung erkannte oder selber nicht die ganze Wahrheit wusste oder Maria Konstantinow bedauerte?... Aber es flammte Hoffnung auf: „Abtransportiert“ – das bedeutete: Lager. Das bedeutete – die Möglichkeit, am Leben zu bleiben. Das bedeutete: man konnte auf ihn warten.

Deswegen vielleicht mochte man auch den Worten in der Kurz-Bescheinigung des Militärkollegiums des Obersten Gerichts der UdSSR vom 16. November 1956 keinen Glauben schenken, in dem es hieß – „posthum rehabilitiert“. Nicht die Tatsache, dass er rehabilitiert war, sondern die Tatsache – dass dies nach seinem Tode geschehen sein sollte. Woraufhin dann auch Versuche unternommen wurden, Näheres herauszufinden, sich mit ehemaligen politischen Häftlingen jener Lager in Verbindung zu setzen, in denen sich Konstantin Adamowitsch möglicherweise hätte aufgehalten haben können.

Unerfreuliche Antworten trafen ein. Aber dann, im Dezember 1961, kam ein Brief von A.A. Gaus: „Ich war im Hohen Norden. Dort befand sich ein Teil der Regierungsmitglieder der ehemaligen ASSR der Wolgadeutschen, die man 1936-37 als „Volksfeinde“ festgenommen hatte. Merz, Fuchs, Schulmeister u.a. Ich weiß nicht mehr genau, wie sein Vatersname lautete, aber dass er mit Vornamen Kostja hieß, ist sicher. Er war von mittlerer Größe, hatte eine durchschimmernde Glatze (aber K.A. Schulmeister war vollkommen glatzköpfig – O.L.), untersetzt, von kräftiger Gestalt; früher hatte er in der ehemaligen ASSR der Wolgadeutschen anfangs als Lehrer, anschließend im Volkskommissariat für Ackerbau und zur Zeit der Verhaftung im Deutschen Gebietskomitee der Allrussischen Kommunistischen Partei (Bolschewiken) gearbeitet (K.A. Schulmeister – im Kantonskomitee der AKP (B) – O.L.). Schulmeister ist nie ein Volksfeind gewesen, im Gegenteil: er iebte das Vilk.

<…> Trotz der Unstimmigkeiten bei einigen Details schien es, als ob die Rede tatsächlich von ihm war, dem Ehemann und Vater. Doch der Brief brachte nicht nur freudige Hoffnung. A.A. Gaus teilte daran auch mit, dass K.A. Schulmeister Anfang des Jahres 1944 verstorben wäre und man ihn unter Lagerbedingungen begraben hätte. Aber Konstantinowa hörte niemals auf zu glauben – bis zu ihrem Tode nicht.

Heute können wir exakt sagen, dass es sich nicht um ihn handelte. Kostja Schulmeister, über den Gaus schrieb, hieß K. Schulmeister. Wir haben jetzt ein wichtiges Argument vorliegen. Und das ist – der Tod… K.A. Schulmeister ging Anfang 1938 aus dem Leben.

Erst mehr als 50 Jahre nach dem Tode des Vaters, und zwar im Juni dieses Jahres, erfuhr Lidia Konstantinowna, wie lange ihr Vater noch lebte. Bis zum 21. Januar 1938: Man hatte die Todesstrafe über K.A. Schulmeister verhängt, und das Urteil wurde an diesem Tage vollstreckt. Und nun könne wir neben das Geburtsdatum – 1891 – ein weiteres setzen: das Todesjahr 1938.

Ich kann noch keinen Punkt setzten, ohne die Schlussfolgerung aus A.A. Gaus‘ Worten zu ziehen, die er in dem genannten Brief schreibt: „Sie hatten nur einen Traum – noch einmal ihre Lieben wiederzusehen, sei es auch erst vor dem letzten Atemzug, sich zu umarmen, ihnen die Wahrheit über alles zu erzählen, ihnen die allerletzten Gefühle ihrer wahren, aufrichtigen Liebe zu geben; aber all das sollte ein Traum bleiben. All ihre besten, leidenschaftlichen Gefühle erloschen im Schnee des Hohen Nordens…“.

O. Lagoda

Auf dem Foto: K. Schulmeister (rechts) mit seinen Kameraden.
„Kommunist“ (Stadt Engels), 02.09.1989


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