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Verhaftung in Gagry

Das unten aufgeführte Material handelt von einem kleinen Ort, in dem der bekannte Schauspieler Wassilij Iwanowitsch Katschalow auftrat, von gebratenen Rebhühnern und Leonid Utessows Mantel, von dem sympathischen Leiter der GPU und davon, was einst in einer heißen Nacht mit zwei Autoren der Kinokomödie „Fröhliche Jungs“ geschah.

Durch den Nebel der Kindheit erinnere ich mich an den Rauchgeruch an der Bahnstation: kleine Häuschen, zugeweht vom Schnee; weiße Dampfwölkchen quellen aus Mamas Mund hervor – und aus dem Mund eines langen, hageren Mannes, der uns entgegen kommt. „Na was ist?“ sagt Mama zu mir. – „Geh hin! Das ist – Papa!“ Er ist irgendwie verstört, nimmt mich ungeschickt auf den Arm… Das war 1938 in Tjumen.

Fünf Jahre zuvor hätte mein Vater wohl kaum ahnen können, dass sich die erste Begegnung mit seiner Tochter so gestalten würde. Denn Anfang 1933 deutete bei ihm alles auf Erfolg und Bekanntheit hin. Im Juni desselben Jahres schrieb die „Kinozeitung“.

„Im Dezember kommt eine Filmkomödie auf die Kinoleinwand. „Fröhliche Jungs“ (Jazz-Komödie). Im Gespräch mit unserem Mitarbeiter teilte Genosse Aleksandrow mit:

- Unsere Komödie ist der Versuch der Schaffung des ersten fröhlichen sowjetischen Films, der bei allen gut ankam und sie zum Lachen brachte. Zur Realisierung des Films führen wir eine neuartige Form des Szenarios ein (N. Erdman und Wl. Mass), bei der die Revue mit dem Motiv und Intrigen verflochten wird…“

Nikolaj Erdman und Wladimir Mass. Gerade sie waren seit Beginn der zwanziger Jahre in den Literatur- und Theaterkreisen Moskaus in aller Munde. Von der Bühne erklangen ihre Liedchen, Ansagen und kleinen Szenen. Und sie traten auch selber auf. Damals entstanden in Moskau eine Vielzahl literarischer Cafés, Restaurants. Kneipen wie beispielsweise das „Nerydai“ oder die „Fliegende Maus“. Um das Publikum anzuziehen, wurden dorthin Poeten, Prosaiker, Humoristen eingeladen. Außerdem gab es auf dem Arbat die berühmte Theater-Werkstatt Nikolaj Foreggers, wo die Slapsticks von Wladimir Mass, vor allem aus „Gute Beziehung zu den Menschen“, liefen, und wo gerade solche literarischen Kneipen, die aus der Neuen Ökonomischen Politik hervorgegangen waren, parodiert wurden. Und bei Nikolaj Erdman am Meierhold-Theater wurde gerade mit einem Riesenerfolg die Komödie „Das Mandat“ aufgeführt.

Es waren Jahre des Neubeginns vieler großer Talente. Der junge Leonid Utessow gründete damals sein berühmtes Jazz-Orchester; übrigens wurde es nicht ohne die Mitwirkung von Erdman und Mass berühmt, die für Utessow und seinen Jazz die lustige Lieder-Revue „Musikladen“ schrieben. Und der beginnende Kino-Regisseur Grigorij Aleksandrow, der den Erfolg dieser Aufführung beim Publikum würdigte, machte den Vorschlag, auf seiner Grundlage ein Drehbuch für eine Filmkomödie zu produzieren, um Utessow darin die Hauptrolle spielen zu lassen. Und so nahm die Arbeit an dem Film „Fröhliche Jungs“ ihren Lauf.

Im Juli 1933 fuhr, begleitet von Utessows Jazz-Musik, ein Leichenwagen durch die Straßen Moskaus – eine Episode des Films wurde gedreht.

Ende August 1933fuhr das Filmteam zusammen mit den Autoren zu Aufnahmen nach Gagry. Die Arbeit war in vollem Gange. Es waren, so kann man wohl sagen, nur noch die letzten Akzente vor dem Triumph zu setzen.

Und da wurden die beiden Autoren verhaftet. Wie das kam, erzählte mir die ehemalige Ballerina des Bolschoi-Theaters Nina Borissowna Chalatowa:

Ich hatte Urlaub. Ich war nach Gagry gekommen und hatte mich im Hotel „Gulripsch“ einquartiert, wo auch die das Filmteam untergebracht war. Dort hielt sich auch Zwasman auf. Strelkowa, Warser. Es herrschte eine äußerst freundschaftliche, fröhliche Stimmung. Die Abende verbrachten wir im Restaurant, zu uns gesellte sich die Gagryner Obrigkeit. Der Leiter der örtlichen GPU Geladse leibte es sehr, mit uns an einem Tisch zu sitzen.

Er bestellte für alle gebratenes Rebhuhn, Wein der Marke „Bouquet Abchasiens“, gab Trinksprüche zum Besten, kümmerte sich um die Schauspieler, fuhr die Leute mit dem Auto herum – er besaß ein luxuriöses Fahrzeug mit offenem Verdeck. Im Großen und Ganzen war er ein total sympathischer Mann… bis er mit den Verhaftungen anfing.

Einmal. Am späten Abend, verlasse ich mein Hotelzimmer, um mich zur Dusche zu begeben, denn es gab nur eine einzige auf der Etage; ich warte auf dem Flur und sehe: im Schatten einer Wandnische stehen zwei Personen in schwarzen Lederjacken. Es war sehr heiß. Die feuchte Gagryner Hitze – und sie waren derart gekleidet. Na ja, ich ging an ihnen vorüber, nahm meine Dusche, kehrte ins Zimmer zurück und bemerke plötzlich: ich habe im Duschraum Schwamm und Seife vergessen. Erneut trete ich auf den Korridor hinaus und gehe an ihnen vorbei. Einer fragt mich:

- Was laufen Sie hier andauernd hin und her?
- Was geht Sie das an? Es ist nötig – als gehe ich!
-
Ich holte meine Sachen aus der Dusche, ging ins Zimmer zurück, schloss ab und legte mich schlafen. Einige Zeit später höre ich Kratzen an der Tür.

- Wer ist dort?

Utessows Stimme:

- Nina, machen Sie auf!

Ich war wütend und sagte:

- Ich schlafe bereits! Gehen Sie!

Aber der obere Teil meiner Zimmertür war verglast, und ich sehe Utessows Gesicht – er steht auf Zehenspitzen, gibt mir irgendwelche Zeichen, dass etwas geschehen ist.

Ich öffne die Tür. Er sieht blass und erschrocken aus, sagt kein Wort und geht an mir vorbei zum Fenster.

- Was ist passiert?

- Sie haben gerade Mass verhaftet.

Er und Mass wohnten in demselben Zimmer. Ich laufe zum Fenster – es zeigte auf den Platz mit der beleuchteten Auffahrt – und sehe: da steht Geladses Auto, darin sitzt Mass und neben ihm zwei in schwarzem Leder, mit Pistolen bewaffnet. Sie brachten Mass fort, und mit demselben Fahrzeug kamen sie noch einmal wieder, um auch Erdman abzuholen.

Am Morgen erschien Geladse. Niemand gibt ihm die Hand. Alle sind in heller Aufregung: am Abend hat er sich gemeinsam mit uns mit Rebhuhn den Bauch vollgestopft und nachts angefangen zu verhafte! Er rechtfertigt sich:

- Was hätte ich denn tun sollen? Ich habe in der Nacht ein Telegramm aus Moskau erhalten – ich solle verhaften – ich musste mich unterordnen!

Warum wurden Mass und Erdman verhaftet?

Wenn man die Gepflogenheiten jener Zeit berücksichtigt – was fragt man da noch groß? Und trotzdem – wessen beschuldigte man sie?

In seiner Autobiographie schrieb mein Vater 1939:

„Im Jahre 1933 wurde ich wegen des Schreibens von ein paar Fabeln mit zweideutiger Moral, die sich hauptsächlich gegen die Russische Vereinigung proletarischer Schriftsteller richteten, auf administrativem Wege in die Stadt Tobolsk ausgewiesen…“

Wegen der Fabeln also?

Es gibt da zwei Versionen. Nach der ersten wurden sie tatsächlich wegen der Fabeln inhaftiert. Und das kam so: der berühmte Schauspieler des Moskauer Akademischen Künstler-Theaters Wassilij Iwanowitsch Katschalow wurde in den Kreml zum Regierungskonzert zu Ehren des japanischen Botschafters eingeladen. Nach dem Konzert, als alle bereits bei Tisch saßen, bat Woroschilow ihn, etwas Fröhliches darzubieten. Und Katschalow, der sich wohl nicht im Klaren darüber war, wo er sich befand und mit wem er es tatsächlich zu tun hatte, begann übermütige Fabeln von Erdman und Mass zu zitieren. Na ja, zum Beispiel dieses:

Es war einmal ein Hirte, ein großer Unterhalter.
Der saß ohne Hose auf einem Ameisenhaufen.
Doch Ameisen können grausam quälen,
Wenn ihnen jemand Schaden zufügt.
Und nach zwei, drei Minuten stieß er einen Schrei aus,
der durchs ganze Dorf hallte.
Zum Zeichen des Protests hatten sie ihn ganz zerbissen.
Moral: besetze nicht einfach einen verantwortungsvollen Platz.

Es entstand betretenes Schweigen. Dann fragte Woroschilow:

- Wer ist der Autor dieser ungezogenen Verse?

Und damit war das Schicksal der Urheber der Fabeln besiegelt.

An dieser Geschichte litt W.I. Katschalow bis ans Ende seiner Tage. Sein Sohn erzählte, dass Wassilij Iwanowitsch sich nach der Verhaftung von Erdman und Mass beinahe das Leben genommen hätte. Er kam zu meiner Mutter, zu Erdmans Eltern, flehte sie an, ihm zu verzeihen, geldliche Hilfe von ihm anzunehmen…

Doch es existiert noch eine andere Version.

In den 1920er Jahren war Erdman mit der Familie Lunatscharsky befreundet, hielt sich bei ihnen zu Hause in der Deneschnij-Gasse (heute Wjesnina-Straße) auf. Lunatscharskij wusste Erdman als Autor des aufsehenerregenden „Mandats“ sehr zu würdigen.

1929 brachte Erdman Lunatscharskij das Manuskript seines zweiten Stücks „Selbstmord“. Lunatscharskij gefiel das Stück ausgesprochen gut, und er schlug vor, bei ihm zu Hause eine Leseprobe zu veranstalten.

Am besagten Tag begab sich Erdman zu Lunatscharskij, um dort das Stück zu lesen. Er dachte, dass Theater- und Literaturleute dort erscheinen würden. Aber Lunatscharskij hatte nicht sie eingeladen, sondern diejenigen, von denen die spätere Inszenierung viel entscheidender abhing – vier Regierungsmitglieder: Pjatakow, Radek, Woroschilow. Damals war das Ministerium für Kultur Schließlich noch nicht bes-

(der Schluss fehlt. Wir wären dankbar, wenn der zweite Teil des Artikels als eingescannte Version oder als Text an memorial@maxsoft.ru geschickt werden könnte – Red. d. Seite).

Anna Mass
Streng geheim, 19.10.1989
Der Artikel wurde vom Jeniseisker Heimatkundemuseum zur Verfügung gestellt.


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