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Sauerstoff

Wurzeln

Es stellt sich heraus, dass ich in den letzten Jahren Norilsk immer inmitten der Polarnacht besuche.

Aber das erste Mal sah ich es Anfang August, vor siebenundvierzig Jahren.

Jenes Norilsk? Kann man denn jenes Norilsk mit dem heutigen vergleichen?

In einer großen Häftlingskolonne, die einen ganzen Zug mit Plattformwaggons der Schmalspurbahn Dudinka – Norilsk einnahm, stieg ich an jenem Augusttag vom Null-Pflock (Ausgangspunkt für die Erschließung von Bergwerken; symbolischer Punkt in der Geschichte von N. mit Gedenkstätte, Umschlagplatz für Erze; Anm. d. Übers.) durch die Felsenschlucht des Kohlenbachs auf den Berg. Dort [...] ein Bergwerk im Tagebau mit dem gleichen Namen «Kohlenbach».

Dort befand sich auch die 10. Abteilung des Norilsker Besserungs-Arbeitslagers. Sie machten uns zu seinen Bewohnern. Und zur Arbeit führte uns ein Wachsoldat durch die gleiche Schlucht, unten und oben mit spitzen Felsen – auf den Berg Rudnaja hinauf. Auf einem seiner oberen Absätze, auf einer kleinen Fläche, waren hunderte Gefangene verstreut: den einen befahl man, den Lagerpunkt «Sauerstoff» aufzubauen, den anderen — Fabrikanlagen, welche dem Lagerpunkt seinen Namen gaben.

Vom Berg Rudnaja aus konnte man unten gut eine breite Ebene erkennen, hohe entfernte Berge auf der anderen Seite, und am Fuße der nahegelegenen Berge — eine kleine Siedlung mit drei kurzen Straßen. Und an ihren Rändern rauchten die Schornsteine einiger Fabrikgebäude und des Wärmekraftwerks. Und beinahe genau im Zentrum erhob sich das bedeutendste Gebäude: das DITR – das Haus der Ingenieure und technischen Mitarbeiter. So sah Norilsk 1942 aus.

Zu Beginn des Winters bauten sie den Lagerpunkt — wenige Baracken — und wir, die «Sauerstoffleute», zogen aus dem 10. Lagerpunkt dorthin um.

Mir fiel von Anfang an das Los zu, für die neue Fabrikanlage Baugruben in den Felsen hineinzuschlagen — eine Werkshalle für flüssigen Sauerstoff. Wir stellten die Fundamente fertig — begannen mit dem Mauern der Wände. Der schnell einsetzende Winter feuerte sie an: die Wände müssen schneller hochgezogen werden, ein Dach muss aufgelegt werden, damit man vor dem eisigen Wind, der grimmigen Kälte Schutz suchen konnte. Zum Frühjahr waren wir in dem Gebäude, montierten die Sauerstoffanlage und andere Ein- und Ausrüstungen. Und gegen Ende des Sommers wurde der erste Sauerstoff produziert.

130 Kubikmeter pro Stunde — das war für damalige Zeiten nicht wenig. Unsere Fabrik wurde sogar als Große Sauerstofffabrik bezeichnet — weil nämlich bereits seit langem unten, auf dem Industriegelände der Metallhütte — eine kleine Hundert-Kubik-Anlage in Betrieb war.

Keiner von denen, mit denen ich damals zusammengearbeitet habe, befindet sich heute noch in meinem Gesichtsfeld — sie haben die Fabrik gebaut, der erste Sauerstoff wurde produziert. Ob noch viele von ihnen irgendwo übriggeblieben sind? Aus dem Leben gegangen sind Aleksej Dmitrijewitsch Jachontow und Jurij Natanowitsch Sinjuk, Leonid Aleksejewitsch Schtschekun und Mark Jakowlewitsch Ryschewskij, Suren Tarassowitsch Oganjan, Nikolai Michailowitsch Fjodorowskij und zahlreiche weniger bekannte. Vielleicht lebt irgendwo noch Taras Iwanowitsch Truba. Jetzt versuchen wir, uns an viele Leute von damals zu erinnern, und das ist schön.

Umso erfreulicher ist es zu erfahren, dass es auch irgendwo in Norilsk noch Menschen gibt, mit denen ich vor fünfunddreißig, vierzig Jahren gearbeitet habe.
So habe ich auch diesmal, kurz vor Beginn des Jahres 1990 erfahren, dass sich der Direktor der Sauerstoff-Station ¹ 1 jetzt in Norilsk befindet— Fjodor Iwanowitsch Schtschepilow. Du liebe Güte — genau der Fedja Schtschepilow, ein lockenköpfiger Junge, blond, mit klaren Augen, der Anfang 1953 Gehilfe des Heizers im Kesselhaus war? Jener Fedja, der von dieser niederen Arbeit innerhalb weniger Jahre zum höchsten Mann in unserer Fabrik aufstieg — Anlagenwärter, wie man heute sagen würde — Bediener der Sauerstoffanlage, trat in die Partei ein, und gab dann auch mir, dem ehemaligen Gefangenen, die Empfehlung, neben dem alten Kommunisten und ebenfalls einstigen Häftling Antonin Iwanowitsch Klimowskij und dem Ingenieur Konstantin Iwanowitsch Iwanow? Später, nachdem ich den Ort bereits verlassen hatte, erhielt Fedja ohne Unterbrechung seiner Tätigkeit in der Produktion eine mittlere Fachausbildung und wurde diplomierter Sauerstoff-Spezialist.

Und da bin ich nun in der Sauerstoff-Station ¹ 1, und Fedja kommt mir entgegen; wir umarmen uns herzlich und freuen uns über das Wiedersehen! Zwei Stunden lang sitzen wir in seinem kleinen Büro, erinnern uns an das Vergangene, an Freunde und Genossen. Die ganze Geschichte des Norilsker Sauerstoffs zieht an uns in Form von Gesichtern und Ereignissen vorüber; und dann führt Fjodor Iwanowitsch mich in die Werkshalle, macht mich mit den Arbeitern bekannt, zeigt mir die Sauerstoff-Aggregate, die vor zwanzig Jahren montiert wurden, und jedes von ihnen verfügt über eine zehnfach größere Kapazität als die unserer damaligen Anlage aus dem Jahr 1943. Aber unter den Arbeitern begegne ich einem, der sich auch an die Anlage von damals noch erinnern kann, und auch an mich, und ich weiß auch noch, wer er ist: der Schlosser Aleksej Petrowitsch Chomtschenko. Er kam 1958 zu uns in die Fabrik, nach einem Jahr holten sie ihn zur Armee; danach kam er wieder zurück. Heute ist Chomtschenko in der neuen Fabrik — einer der führenden Meister, er ist zuständig für die Wartung und Reparatur der Sauerstoff-flaschen.

Und hier erfahre ich, dass noch ein weiterer alter Freund von mir in der Sauerstoff-Station arbeitet — ebenfalls Arbeiter seit Ende 1952, der Anlagenfahrer Aleksandr Trokopewitsch Popow. Und schon sitze ich am Tisch in seiner schön eingerichteten Wohnung; er, seine Frau Maria Anatoljewna (sie kam aufgrund einer Komsomolzen-Mobilisierung am 2. August 1942 nach Norilsk, vier Tage früher als ich), seine Tochter, sein Schwiegersohn, und da toben und spielen auch seine Enkelkinder. Aleksandr — Front-Jagdflieger während des Großen Vaterländischen Krieges, zwei Kriegsorden, fünf Medaillen, und in Norilsk — einer von denen, die die Sauerstoffproduktion des Jahres 1952 auf ihren Schultern trugen, die er auch heute noch hochhält. Ja, auf solche Freunde kann ich stolz sein!

Die Sauerstoffproduktion in Norilsk ist heute viel größer, als noch vor einem halben Jahrhundert. Neben der Sauerstoff-Station KS-1 gibt es ein noch weitaus größeres Werk. Daher fällt mir, bildlich gesprochen, das Atmen leichter — nicht nur weil sie heute ökologische Aspekte beachten, manche Gift ausstoßenden Aggregate des Metallhüttenwesens abschalten, wenn der Wind über der Stadt...

Über vieles kann man berichten, sich an vieles erinnern, wenn man sich 1990 in Norilsk aufhält, unter den vielen bunten Lichtern aller möglichen Aushängeschilder. Eine große Stadt, die man nicht einmal vom Berg aus voll mit dem Auge erfassen kann, und dabei gibt es doch auch noch die Satellitenstädte.

Vieles wurde über dieses Wunder der Taimyr-Region geschrieben. Ein wahrlich unerschöpfliches Thema.

S. Schtscheglow

„Sapoljarnaja Prawda“, 26.01.1990


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