Nachrichten
Unsere Seite
FAQ
Opferliste
Verbannung
Dokumente
Unsere Arbeit
Suche
English  Ðóññêèé

Wir – aus der Arbeitsarmee

Es ist erfreulich, daß unsere Presse endlich damit begonnen hat, Artikel über die Arbeitsarmee zu drucken. Schließlich ist dieses Thema sehr wichtig und soll auch in allen Einzelheiten der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Ich war von Anfang an in der Arbeitsarmee, war Augenzeuge davon, unter welchen Bedingungen die Arbeitsarmisten lebten, welchen Demütigungen sie ausgesetzt waren ...

Im September 1941, nach der Aussiedlung der Deutschen aus dem Wolgagebiet, kam ich, wie viele andere, mit einer schwangeren Frau und zwei minderjährigen Kindern an den Händen, unter der Begleitung von Wachmannschaften mit einem Güterzug in die Stadt Kansk, und wurde dann mit der Familie in das Dorf Kalinikowo geschickt – etwa 150 km von Kansk entfernt. Dort empfing man uns so, als ob wir die Schuldigen am Krieg wären ... Später allerdings konnte sich das Dorf davon überzeugen, daß wir nicht diejenigen waren, als die uns die Wachsoldaten hingestellt hatten. Aber unser schweres Los war schon durch nichts mehr zu ändern.

Am 25. Januar 1942 wurde ich vom Kansker Wehrkommando mobilisiert. Bei meiner Ankunft in Kansk verkündete man mir, daß ich nicht an die Front kommen würde, sondern in die Arbeitsarmee verschickt würde. Hier gab ich all meine Papiere ab und wartete auf die Abfahrt. Am dritten oder vierten Tag, als man ca. 400-500 Mann zusammengestellt hatte, brachte man uns in Reih und Glied zum Bahnhof und schickte uns mit dem Zug nach Reschoty, wo wir bereits von Beamten des KrasLag und Beauftragten des GULAG des NKWD der UdSSR erwartet wurden. Wir wurden aufgestellt, anhand von Listen überprüft, und dann teilte man uns mit, daß wir in der Holzfällerei arbeiten würden, in Holzfabriken und beim Bau von Eisenbahnschwellen, daß wir in Baracken leben würde – hinter Stacheldraht und in Anwesenheit bewaffneter Wachposten. Das Verlassen der Zone wäre nur unter Wachbegleitung möglich und Briefwechsel mit den Verwandten – verboten. Anschließend wurden unsere Fingerabdrücke genommen, als wären wir gefährliche Verbrecher.

Unter den Arbeitsarmisten waren zahlreiche Kommunisten und Mitglieder des Kommunistischen Jugendverbandes. Wir stammten fast alle aus der Hauptstadt der ASSR der Wolgadeutschen – der Stadt Engels und den umliegenden Kantonen (so wurden die Landkreise dort gekannt). Die einzigen Dokumente, die uns im Lager blieben, waren die Parteibücher und Komsomol-Mitgliedsausweise. Im Kreis-Komitee wurden wir nicht registriert, und erst später teilte man uns mit, daß wir bei der politischen Verwaltung des KrasLag des NKWD gemeldet wären (Leiter der politischen Abteilung war Scherbakow), aber später stellte sich dann heraus, daß unsere Registrierkarten dort überhaupt nicht vorlagen.

Nach mehrmaligem Ersuchen, diese Frage in den Arbeitsarmeezonen, die „Abteilungen“ oder „Einheiten“ genannt wurden, zu klären, trafen Vertreter der politischen Verwaltung ein. Zu uns in die erste Abteilung kam Hauptmann Boltunow, der dabei geholfen hatte, im Lager eine Partei- und Komsomolzen-Organisation zu schaffen. Aber auch das waren Häftlinge hinter Stacheldraht.

Das Fehlen der elementarsten Rechte und Freiheiten, mit denen jeder Mensch versehen ist, versetzte uns in Angst und Schrecken. Die ganze Arbeitsschicht verlief unter strengster Bewachung. Nach der täglichen Zwangsarbeit, die mitunter 16 Stunden dauerte, wurden die durch ständigen Hunger geschwächten Menschen von den Wachen zurück ins Lager getrieben. Vor dem Betreten der Lagerzone wurden wir durchgezählt, manchmal sogar mehrmals, bevor wir dann endlich der Lagerwache übergeben wurden. Die Gefangenen starben während er Arbeit, und dann zogen und schleppten wir sie zum Lager, wo sie neben dem Tor liegenblieben.

Aber auch unter diesen unmenschlichen Bedingungen waren wir bemüht, unsere ganze Arbeitskraft für die Heimat und den Sieg über den Feind zu geben. Unser Arbeitsenthusiasmus versetzte die Gefängniswärter nicht nur in Verwirrung, sondern machte damit auch ihre Pläne zunichte, unter den in die Arbeitsarmee mobilisierten Deutschen Unruhe zu provozieren und dann genau damit die Erfindung des Ukas von 1941 über „das Vorhandensein von zehntausenden von Spionen und Diversanten“ unter den Sowjet-Deutschen zu bekräftigen. Wie sehr sich auch Berijas Leute und andere Stalinisten abmühten – sie konnten nicht einen einzigen als „Spion oder Diversanten“ bezeichnen. Aber sie ließen nichts unversucht, um die Rechtmäßigkeit des verlogenen Ukas zu beweisen.

In der äußerst schwierigen Lage konnten die Kommunisten nicht gleichgültig bleiben. Zuallererst beschlossen die Partei-Komitees aller Abteilungen sich schriftlich mit der Forderung an die GULag des NKWD der UdSSR zu wenden, schnellstens alle gesetzeswidrigen Handlungen und Demütigungen an den arbeitsmobilisierten Deutschen zu unterlassen. Die Partei-Komitees riefen alle Deutschen auf, sich durch keinerlei Provikationen von Seiten der Lagerleitung beeinflussen zu lassen und so weiterzuarbeiten wie bisher, selbstlos, konsequent und standhaft – unter der Losung: „Alle für die Front, alle für den Sieg über die Faschisten“.

Bald darauf traf aus Moskau ein gewisser General im Lager ein. Nachdem er den Sekretär des Partei-Komitees der 1. Abteilung P.I. Wechter (Wächter) zu sich gerufen hatte, verlangte er, daß die Kommunisten in der Abteilung ihre Partei-Ausweise abgaben. So lautete wohl der Befehl aus Moskau. Das Partei-Komitee, in dem auch ich Mitglied war, wies diese unverschämte Forderung entschieden zurück. Bald darauf wurden viele Kommunisten unserer Einheit – Ruppel, Rudi, Behr (Beer? Bär?), Elsesser (Elsässer?), Gaas (Haas?) und andere – mit einer Häftlingsetappe aus dem KrasLag in andere NKWD-Lager verbracht: ins WjatLag, UsolLag, KarLag. Über die Gründe dieser Verschickung konnte man anfangs nur Mutmaßungen anstellen, aber mit der Zeit wurde klar, daß hinter den Etappen aus dem KrasLag Depeschen in die verschiedenen Lager geflattert waren, mit dem Inhalt, daß die dort eingetroffenen Deutsch-Kommunisten angeblich im KrasLag einer konterrevolutionären aufständischen Organisation angehört hätten und daher unverzüglich verhaftet werden müßten. Das war eine wunderbar ausgeklügelte Operation!

Einige Zeit darauf kamen erneut „Moskauer Gäste“ aus der GULag-Verwaltung des NKWD ins KrasLag: Roschschin, Semenow, jener Genkin und andere. Und sogleich erschienen auch Mitarbeiter der operativen tschekistischen Abteilung (OTschO) des KrasLag des NKWD:

Dogadin, Jankowskij, Merslikin und andere, die sich mit „Ermittlungen“ befaßten. All diese Fälscher waren total über die Stränge geschlagen und machten schon vor nichts mehr halt. Bald darauf waren alle Deutsch-Kommunisten von Kopf bis Fuß mit Verleumdungen umgeben, und in den Lagerzonen entwickelten sich Repressionsmaßnahmen gegen die Kommunisten. Mehr noch, die Parteiorganisationen selbst wurden für gesetzeswidrig

erklärt. Ein wahrer Hexensabbat wurde entfesselt. Wie denn auch sonst!? Das NKWD hatte nun endlich die Gelegenheit, jene Spione und Diversanten „vorzuweisen“, die hartnäckig Gegenstand des denkwürdigen Ukas waren!

Die Sonder-Sitzung (Trojka) bestrafte ohne Nachsicht unschuldige Menschen: wir, die Arbeitsarmisten und Kommunisten wurden verurteilt – zu 10, 15 und sogar 25 Jahren Freiheitsentzug, mit Verbüßung der Haftstrafe in den Regimelagern des Hohen Nordens. Der Beschluß der Sonder-Sitzung war endgültig; es konnte keine Berufung eingelegt werden.

Mit mir wurden festgenommen und rechtswidrig verurteilt:

Erst im Jahre 1954, als es uns gelungen war, durch zuverlässige Hände unsere Beschwerden nach Moskau zu übermitteln, folgte die Anordnung: „die Strafakten der sowjet-deutschen Kommunisten zu überprüfen, die im KrasLag des NKWD Opfer von Repressionen geworden waren“. Im Verlauf dieser Prüfung wurde festgestellt, daß die Akte „fabriziert“ worden war und die Kommunisten unschuldig in Regime-Lagern litten. Aus Mangel an Tatbeständen wurde das Verfahren eingestellt, die Urteile für ungültig erklärt, die Repressionsopfer rehabilitiert – viele von ihnen leider erst posthum. Bei weitem nicht allen war es vergönnt, ihre Freilassung zu erleben und zu ihren Familien zurückzukehren.

Immer und immer wieder erinnere ich mich meiner Kameraden, die so auch nicht mehr ihre eigene Rehabilitation erlebt haben, ebensowenig wie die Rehabilitationen des ganzen sowjetdeutschen Volkes und die Wiedererrichtung der ASSR der Wolgadeutschen. Man möchte sehr gern darauf vertrauen, daß im Laufe der Perstrojka und der daraus folgenden Wiederherstellung der historischen Gerechtigkeit dieses Problem, das den Deutschen so quälend auf dem Herzen liegt, endlich gelöst wird.

A. Gaus, Mitglied der KPSS seit 1940,
Arbeitsveteran, ehemaliges Mitglied des Parteikomitees der 1. Abteilung des KrasLag des NKWD, ehemaliger Häftling des WorkutLag

„Krasnojarskij rabotschij“, 10.02.1990


Zum Seitenanfang